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Nach dem Gespräch mit Rosemarie fahre ich schnell in die Innenstadt und steuere den italienischen Supermarkt an, der im Untergeschoss eines Einkaufszentrums untergebracht ist. Mit einem roten Korb stelle ich mich vor das offene Gemüseregal, aus dem kühle Luft wabert und an mir hochsteigt. Seit dem Unfall ziehen immer wieder Kopfschmerzen auf, wie ein drohendes, nahendes Gewitter. Mein Schädel dröhnt. Die Kühle tut mir gut.
Während die Gemüsetheke meinen Schweiß trocknet und meinen Kopf entspannt, suche ich die Regale nach frischem Meerrettich ab. An der Fischtheke lasse ich mir von dem kleinen Italiener mit den behaarten Unterarmen ein großes Stück frischen Thunfisch abschneiden. Zudem nehme ich eine kleine Schale von dem köstlichen Flusskrebssalat mit. Dann schlendere ich weiter, packe weitere Zutaten ein, dazu eine Flasche Prosecco, eine Flasche in goldener Alufolie verpacktes Olivenöl und ein knuspriges Ciabatta von der Backwarentheke. Abendessen für Hendrik und mich. Ich finde, er hat es sich wirklich verdient. Nach all dem Theater mit mir und Felix.
An beiden Kassen haben sich bereits Schlangen gebildet. Ich stelle mich an und warte, die Hand in die Hüfte gestemmt, schiebe mit dem Fuß den roten Korb zentimeterweise vor mir her. Meine Gedanken kreisen um das Gespräch mit Rosemarie, und dabei bemerke ich nicht, dass die Person vor mir bereits zwei Schritte weitergegangen ist.
Hinter mir erklingt ein Räuspern und holt mich aus meinen Gedanken.
«Verzeihung», sage ich schnell, ohne mich umzublicken, und schließe auf. Ich räume meinen Einkauf auf das schwarze Rollband. Dann stelle ich den Warentrenner hinter die Flasche Olivenöl.
«Sie haben Geschmack», sagt eine selbstbewusste, männliche Stimme hinter mir.
Ich drehe mich um und mustere den Mann. Er ist etwas größer als ich, hat kurzgeschnittenes Haar mit grauen Strähnen und trägt einen dunkelblauen, teuer aussehenden Anzug mit weißem Hemd und Krawatte. Ich schätze ihn auf Anfang fünfzig. Er ist für diese Jahreszeit unnatürlich braun und grinst mich mit sehr weißen Zähnen und einem «Ich kann mir alles erlauben»-Blick an.
Was für ein Idiot.
«Geschmack ist nicht jedem gegeben», meine ich beiläufig und hebe eine Augenbraue.
Er deutet mit dem Kinn auf meinen Einkauf.
«Ist es das erste Date?» Er grinst mich weiter an. Jetzt heben sich meine beiden Augenbrauen in die Höhe. Was für ein frecher Kerl, was glaubt er, wer er ist?
«Oder kennen Sie sich schon länger?»
Die Frau hinter ihm reckt den Kopf. Auch die nächste Kundin in der Schlange macht große Augen. Ich sehe mir den Lackaffen genau an. Es gefällt ihm, zu provozieren. Er scheint das gern zu machen. Auszuprobieren, wie weit er gehen kann. Seinen Kübel Charme ausschütten und sehen, wer darauf ausrutscht. Während ich ihn taxiere, plappert er einfach weiter. Das Kassenband rollt weiter und macht Platz für seinen Einkauf.
«Wir könnten unsere Einkäufe zusammenlegen», schlägt er vor. «Das gäbe ein Festessen. Sagen Sie, würden Sie mit einem fremden Mann einfach mitgehen?»
Er packt eine Flasche Champagner, eine Auswahl Antipasti, eine Tüte mit frisch aufgeschnittenem Schinken und ein Stück Pecorino auf das Band. Ich muss lachen. Die Situation ist absurd. Ich lache laut, und er lacht mit. Das bringt mich noch mehr zum Lachen.
Dann sage ich laut: «So seid ihr Männer. Eitel, geschwätzig und oberflächlich. Und tief drinnen steckt ein kleiner unsicherer Junge, der doch nur gewinnen will.»
Die Frau hinter dem Anzugmann prustet und hält sich die Hand vor den Mund. Der Lackaffe sieht sich nach ihr um. Aber er wird nicht mal rot dabei. Ich stemme die Hände in die Hüfte. «Und da wundert ihr Männer euch, dass ihr alleine essen müsst. Geschieht euch recht.»
Der Lackaffe verstummt.
Mit einem artigen «Buon Giorno» begrüßt mich in dem Moment die Kassiererin. Ihre Augen sehen müde aus, ihr brünettes Haar ist etwas stumpf, und der weiße Supermarktkittel spannt über ihrem ausladenden Busen. Sie zieht die Waren flott über den Scanner. Ich räume meinen Einkauf in eine braune Papiertüte und als ich aufsehe, bemerke ich, dass hinter der Kassiererin eine Frau steht, deutlich dünner als sie, fast hager, in einem schlichten Jeanskleid mit einem goldenen Kreuz um den Hals, das an einer dünnen Kette hängt. Die Frau sieht mich aufmerksam an, und ich nicke ihr freundlich zu.
«Guten Tag, geht es Ihnen gut?», fragt sie mich.
Ich denke nach. Kenne ich sie? Ich denke nicht. Ich habe mit so vielen Menschen Kontakt; ich kann mich beim besten Willen nicht an alle erinnern. Und ich werde öfter mal von wildfremden Frauen angesprochen, die meine Sendung kennen.
«Ja, danke sehr», erwidere ich und reiche der Kassiererin meine EC-Karte.
Die Kassiererin, ‹Giulia› steht auf ihrem Namensschild, sieht mich mit großen, fragenden Augen an und reicht mir einen Kugelschreiber. Ich unterschreibe die Quittung. Ihre Augenbrauen haben sich fragend zusammengeschoben. Sie wechselt einen Blick mit der Frau hinter sich.
«Ja, dann, ciao, schönen Abend», wünsche ich und hebe die Einkaufstüte hoch.
«Wir werden uns wiedersehen», raunt der Lackaffe mir noch zu. «Ganz bestimmt.»
Es klingt fast wie eine Drohung.