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Nach der Sitzung stehe ich mit einer brennenden Zigarette am Fenster und denke darüber nach, was ich als Nächstes tun sollte. Bevor ich mich mit dem Brief und dem Mädchen beschäftige, muss ich Felix finden.
Wo zum Henker steckst du? An was für einer Sache warst du dran?
Wenn Felix an einer heißen Story dran war, muss seine Chefin wissen, was es war. Sie muss wissen, woran er arbeitet. Und sie sollte wissen, dass Felix verschwunden ist. Schnurstracks gehe ich in das Nebengebäude des Senders und treffe die Chefredakteurin des TV-Magazins, für das Felix arbeitet. Die Sekretärin, eine kleine dralle Person mit blonden Locken, sieht aus, als würde sie im Zirkus auf einem Pferd arbeiten. Sie will mich erst nicht zu ihr durchlassen. Ihr Gesicht ist eine Mauer. Ihre Ohrringe klimpern bei jeder Bewegung.
«Es ist wirklich wichtig», bettele ich.
«Tut mir leid. Aber sie muss gleich in eine Sitzung. Ich kann Ihnen einen Termin geben», antwortet sie.
«Es geht um einen ihrer Mitarbeiter», sage ich. «Er ist in Gefahr.»
Die Sekretärin stutzt und starrt mich an.
Mein Blick strahlt größte Besorgnis aus.
Langsam bröckelt ihre Fassade. Sie nimmt den Hörer ab, dreht sich etwas von mir weg und nuschelt mein Anliegen in die Sprechmuschel.
Sie nickt. Nickt noch mal. Legt auf und zeigt auf Joannas Bürotür.
«Sie haben zwei Minuten.»
Als ich eintrete, steht Joanna auf, kommt um den Schreibtisch herum, und wir küssen uns abwechselnd auf beide Wangen. Sie duftet nach Jil Sander.
«Eva, was ist passiert?» Ich mag es, wie sie meinen Namen ausspricht. Joanna ist Irin und kam als Teenager nach Deutschland. Aber sie hat immer noch einen kleinen Akzent in der Stimme. Sie sieht mich mit ihren blauen Augen an, die von dem schwarzen Pagenkopf eingerahmt werden. Ihre Augen stehen leicht schräg und geben ihr etwas Katzenhaftes.
«Danke, dass du kurz Zeit für mich hast. Ich muss mit dir über Felix reden.»
«Nimm Platz.»
Ich setze mich auf den Besucherstuhl vor ihrem Schreibtisch. Ich bemerke, dass ihr Hals etwas faltiger geworden ist.
«Was ist denn passiert?», fragt sie, nippt an einer Tasse Kaffee und verzieht angewidert den Mund.
«Felix ist verschwunden. Er reagiert nicht auf Anrufe. Und seine Wohnung wurde durchwühlt. Sieht nach einem Einbruch aus.»
Joanna hebt das Kinn. «Das ist nichts Ungewöhnliches», erklärt sie mit ruhiger Stimme.
«Dass seine Wohnung auf den Kopf gestellt wurde?» Ich staune über so viel Abgebrühtheit.
«Dass er untertaucht. Come on, Eva. Du kennst ihn; er macht, was er will. Ich würde dem nicht zu viel Bedeutung beimessen. Mich ruft er auch nicht immer sofort zurück.»
«Das mag so sein, aber bei mir ist es anders. Er ruft mich immer zurück. Egal wann. Und egal wo er ist.»
Sie blitzt mich an. Ich weiß, dass Joanna mal ein Auge auf Felix geworfen hat. Die beiden waren eine Zeitlang häufiger nach der Arbeit essen gegangen. Aber sosehr sie auch baggerte, sie konnte nicht bei ihm landen. Ich glaube, sie ist heute noch gekränkt. Joanna bekommt nämlich normalerweise immer, was sie will.
«Ich bekam am Sonntag eine SMS von ihm. Felix hat abends einen Informanten getroffen. Wohl eine heiße Sache. Er wollte mich anrufen, so bald er kann. Aber er hat sich seitdem nicht mehr gemeldet. Es geht sofort seine Mailbox dran. Woran arbeitet er aktuell?»
«Kann ich nicht sagen.»
«Kannst du nicht, oder darfst du nicht?»
Sie faltet die Hände wie zum Gebet. «Eva, du musst mich verstehen. Felix ist einer meiner besten Jungs. Wenn ich ihn zu sehr an die Leine lege, geht er ein. Ich lasse ihm ziemlich freie Hand. Daher weiß ich nicht genau, woran er gerade arbeitet. Sorry.» Sie streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Ich weiß, dass sie lügt. «Ist er dir nicht wichtig?»
«Hör auf mit so was. Natürlich ist er das», entrüstet sie sich.
«Dann hilf mir.»
«Wie denn, Eva? Felix ist an einer Sache dran, ja. Aber ich weiß auch längst nicht alles. Ich habe ihm grünes Licht gegeben für seine Arbeit, und er erhält meine volle Unterstützung. Sollte es hart auf hart kommen, gehe ich kurze Wege und hole ihn sonst wo raus. Scheißegal wo.»
«Bei ihm wurde eingebrochen, Joanna. Die Bude ist total durchwühlt.»
Sie verdreht die Augen. «Du bist paranoid. Felix ist schon ein großer Junge. Lass ihn mal machen, ich vertraue ihm.»
«Darum geht es doch gar nicht. Siehst du den Zusammenhang nicht?»
Joanna seufzte. «Hast du den Einbruch gemeldet?»
«Natürlich.»
«Gut.»
Joanna stellt die Tasse zurück auf den Unterteller. Ich halte kurz inne. Vielleicht hat sie recht, vielleicht reagiere ich überempfindlich. Male mir zu viel aus. Aber es lässt mir keine Ruhe.
«Ist sein Notebook hier im Sender?»
Joanna stutzt. «Nicht dass ich wüsste. Sein Büro ist rein wie frisch gefallener Schnee. Du kannst es dir gern ansehen, aber du wirst nichts finden.»
«Weißt du, wo er seine Sicherheitskopien aufbewahrt?»
Ein Grinsen huscht über ihr Gesicht. «Das ist das Geheimnis jedes Redakteurs, und so wird es auch bleiben.»
Ich glaube trotzdem, dass sie mehr weiß, als sie bereit ist vor mir zuzugeben. Joannas Mundwinkel zuckt. Die Sekretärin klopft und steckt den Kopf durch die Tür. Joanna schnappt sich einen Stapel schwarze Mappen, der vor ihr auf dem Schreibtisch liegt.
«Ich würde gern noch mit dir reden, aber ich muss los. Danke trotzdem für deinen Besuch.»
Joanna begleitet mich zum Aufzug. Als hätte sie Angst, ich würde nicht verschwinden. Sie drückt mich kurz an sich.
«Tut mir leid, dass ich nicht helfen konnte. Aber ich verspreche dir, sobald Felix sich in irgendeiner Form bei mir meldet, lasse ich es dich wissen. Okay? Bye bye.»
Die Aufzugstüren öffnen sich mit einem Pling. Joanna winkt und verschwindet mit schnellen Schritten den Gang hinunter.
Ich ziehe geräuschvoll die Luft durch die Nase ein und steige in den Aufzug.
Und ich werde diese Sicherheitskopien finden, verlass dich drauf.