11
Ich sitze in einem Vernehmungszimmer des Polizeipräsidiums in Köln-Kalk, das einfach nur grau ist. Graue Tische, dunkelgrauer Teppich und kahle Wände. Einziger Schmuck ist ein Poster von einer Polizeinachwuchsveranstaltung, das auch noch schief hängt. Wenigstens haben sie auf Plastikblumen oder sonstigen Kram verzichtet.
«Hübsch habt ihr es hier», sage ich und gähne.
Ich nicke der Polizistin mit den müden Augen zu, die mir einen schwarzen Kaffee vor die Nase stellt. Ich wollte Tee, hier gibt’s aber nur Kaffee. Auf der Tasse steht «Langschläfer», und daneben ist ein hässliches Tierchen gezeichnet, das auf seinen Vorderpfoten liegt und schnarcht. Ich erwäge für einen Moment die Tasse samt Inhalt an die Wand zu werfen.
Hendrik kommt schwungvoll herein. Er hat diesen Cowboy-Gang, als wäre dies sein Saloon. Er setzt sich mir gegenüber und legt Papiere auf den Tisch. Dabei sieht er mir nicht in die Augen.
«Du bist sauer», sage ich und nippe an dem Kaffee, der grässlich schmeckt. Aber mir ist kalt, und ich reibe meine nackten Füße aneinander.
Er sieht mich von unten an, während er die Papiere durchblättert. «Sauer ist kein Ausdruck.»
Er weicht meinem Blick bewusst aus. Er weiß, dass ich das hasse.
«Läuft die Vermisstenanzeige für Felix?»
Er nickt nur einmal zur Bestätigung. Dann lehnt er sich zurück und verschränkt die Arme vor der Brust.
«Ich will nicht noch mal erleben, dass du dich in Gefahr begibst. Und mich nicht einbeziehst. Was soll das?»
«Ich habe dich einbezogen», erwidere ich trotzig. «Oder bin ich nicht ans Handy gegangen, als du anriefst?»
Sein Gesichtsausdruck ist versteinert. So kenne ich ihn gar nicht. Mir fällt zum ersten Mal auf: Mit einem wirklich verärgerten Hendrik Maczerek ist nicht gut Kirschen essen.
«Was hattest du denn wieder in der Wohnung von Felix zu suchen?»
«Stopp», rufe ich und hebe abwehrend meine Hand. «Spiel hier jetzt nicht den Superbullen. Ich habe mich selbst in die Situation manövriert und ebenso wieder heraus. Ich bin schon groß und kann auf mich selbst aufpassen. Wenn du nicht angerufen hättest, vielleicht wäre es gar nicht zum Äußersten gekommen. Andererseits freu dich doch, jetzt habt ihr eine Blutprobe von dem Einbrecher. Wann bekomme ich eigentlich meine Schuhe wieder? Das waren Ferragamos.»
Hendrik fährt sich mit beiden Händen durch das Gesicht.
«Felix ist vorbestraft. Wusstest du das?»
Ich zucke mit den Schultern. Und wennschon. Dass Felix kein Kind von Traurigkeit ist, weiß ich wohl. Aber er ist ein guter Mensch, er hat Prinzipien und Ideale und boxt sich durch.
«Mehrfacher Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz.»
Ich lache laut los. «Na, wenn das alles ist …»
Hendrik sieht mich mit finsterem Blick an. «Handgreiflich wurde er auch ein paarmal. Es liegen mehrere Anzeigen wegen Körperverletzung vor. Zuletzt im November letzten Jahres …»
«Das war nicht seine Schuld», rufe ich und schlage mit der flachen Hand auf den Tisch, dass die Kaffeetasse einen Hüpfer macht.
«Ich meine es ernst, Eva. Damit ist nicht zu spaßen.»
Ich verdrehe die Augen. «Hendrik, jetzt spiel hier nicht den Moralapostel.»
Er lässt die Blätter in seiner Hand los und sieht mich streng an.
«Was ist mit dir? Wieso hast du kein Vertrauen zu mir?», fragt er, und er bleibt dabei erschreckend ruhig. Ich lehne mich zurück, verschränke die Arme vor meinem Oberkörper und sehe ihn an.
Hendriks Blick ist traurig und müde. Seine Lippen sind aufeinandergepresst.
«Ich wollte die Sache selbst in die Hand nehmen. Der Einbruch war kein Zufall, das ist jetzt ja ziemlich offensichtlich. Sonst wäre der Typ nicht ein zweites Mal gekommen.»
«Was hast du dir nur dabei gedacht?»
«Du klingst wie mein Vater, der mich beim Rauchen erwischt hat.»
«Ich hätte dich begleiten können.»
«Ja, ich weiß.»
Er zieht geräuschvoll die Luft durch die Nase ein. Die Polizistin von vorher kommt ohne Anklopfen herein und reicht Hendrik ein Blatt Papier.
«Die Ortung hat nichts ergeben. Sein Handy ist ausgeschaltet. Sobald es aktiviert wird, bekommen wir das mit. Wir haben auch alle Krankenhäuser im Großraum Köln gecheckt. Fehlanzeige. Morgen bekommen wir die Auskünfte der Fluggesellschaften und seiner Bank.»
«Hendrik, wir müssen Felix finden. Ich glaube, er ist ernsthaft in Gefahr.»
«Schön, dass du ‹wir› sagst. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.»
Er steht auf und deutet auf meine nackten Zehen, die ich kaum noch spüren kann.
«Ich muss jetzt weitermachen. Deine Schuhe liegen noch in der Kriminaltechnik. Bekommst du bald wieder. Die werden einen DNA-Abgleich vornehmen. Vielleicht haben wir Glück, und der Einbrecher ist schon bei uns im System. Eine Streife bringt dich jetzt nach Hause.»
Ich stehe auf, und für einen Moment stehen wir uns gegenüber.
«Hendrik …», beginne ich den Satz, aber weiter komme ich nicht. Der Raum wirkt auf mich, als verschiebe er sich an seinen Rändern. Das Atmen fällt mir plötzlich schwer. Die Luft ist stickig. Als sei eine lästige Mücke genau vor meinem Gesicht, schüttele ich den Kopf. Ich sehe Hendrik an und bemerke, dass ich ihn nicht mehr scharfstellen kann. «Mir ist schummerig. Und ihr solltet mal lüften», murmele ich.
Hendrik packt mich unter dem Arm. «Du musst dich jetzt wirklich dringend ausruhen. Und hör auf, so bockig zu sein. Das hasse ich auf den Tod.»
Ich spüre seinen festen Griff unter meinem Oberarm. Er kann zupacken. Gewiss.
«Geht klar.»
Ich kann nicht mehr denken. Ich bin hundemüde. Ich will nach Hause in mein Bett.