39
Tina hielt voller Sorge Sophies Hand. Sophie weinte noch immer. Sie verkrampfte sich regelrecht. Fips Pieper wühlte in seiner Arzttasche herum. »Sie hat eine Gehirnerschütterung«, informierte sie den Arzt.
Pieper sah auf. »Auch das noch? Und jetzt einen Nervenzusammenbruch. Kein schöner Tag für die Gute. Aber das haben wir gleich.« Er fingerte eine Packung Tabletten aus der Tasche. »Wissen Sie, was der Auslöser gewesen sein könnte?«
»Sie hat Blumen bekommen!«, erklärte Tina. Der Doktor sah sie verständnislos an. »Es war eine nicht so nette Karte dabei.« Sie entschied, dass er nicht alles wissen musste.
Pieper nickte. »Ob sie wohl eine Tablette runterkriegt?«
Langsam wurde Tina ungeduldig. »Ich habe keine Ahnung! Aber jetzt machen Sie doch mal was!«
Pieper nickte und nahm eine Tablette aus der Packung. »Ist vielleicht besser, wenn Sie es versuchen. Sie müsste dann in ein paar Minuten ruhig werden und einschlafen. Ich find allein raus. Ach, ich lass lieber noch zwei von den Dingern da, falls sie noch mehr brauchen sollte.« Fips Pieper gab ihr die Tabletten und packte zusammen.
Tina sah auf die Folie. »Diazepam?«
»Ja, Valium. Ist das Beste bei so was.«
Der Arzt verließ das Zimmer. Tina starrte auf die Tablette in ihrer Hand. War Valium nicht ein bisschen übertrieben? Hatte man heute nicht sanftere Mittel? Sie beschloss, dass eine halbe Tablette reichen musste. Sie brach die Tablette in der Mitte durch und legte sie Sophie auf die Zunge. Dann griff sie nach der Wasserflasche. Sophie schluckte brav und beruhigte sich nach kurzer Zeit. Tina wartete, bis Sophie eingeschlafen war. Dann schlich sie sich leise raus. Stefan saß auf der Terrasse und trank ein Bier.
»Sie schläft jetzt.« Tina sah auf den Karton. »Soll das in den Müll?«
Stefan schüttelte den Kopf. »Nein! Robert holt das Zeug gleich ab und bringt es ins Labor. Vielleicht hat unser Killer ja mal einen Fehler gemacht. Fleurop muss doch Kopien der Aufträge haben.«
Tina sah ihn erschrocken an. »Du glaubst, dieser Irre hat das geschickt? Aber dann ist Sophie ... Oh mein Gott. Das ist doch eine klare Morddrohung. Haben die anderen auch Blumen bekommen?«
»Das versuchen die Kollegen gerade rauszufinden. Reg dich nicht auf. Wahrscheinlich ist es nur ein Spinner, dem Sophie mit ihrem Klatschblatt auf die Füße getreten ist.«
Tina ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Stand was auf der Trauerschleife?«
Stefan sah sie ernst an und nickte. »Ja!«
»Ihr Name? Was soll das denn? Normalerweise stehen doch die Namen der Angehörigen drauf.« Sie schüttelte langsam den Kopf. Plötzlich hatte sie einen Verdacht. »Die Scheißblumen sind von Felix!«
»Von ihrem Ex? Diesem Fernsehkasper?« Er schüttelte ungläubig den Kopf.
»Ja! Der muss sie doch hassen! Vielleicht will er ihr Angst machen, damit sie nicht auf die Idee kommt, ihrer Geschichte noch eine Folgestory hinzuzufügen.«
»Du bist ja ein richtiger Profiler.«
»Allerdings. Pass auf, es kommt noch besser«, fuhr sie nachdenklich fort. »Sie hat sein Kind verloren. Er muss es erfahren haben. Und jetzt schickt er ein Trauergesteck als Nachricht, dass er mittlerweile Bescheid weiß. Er wollte ihr noch mal richtig wehtun, indem er sie an ihren Verlust erinnert und ihr zu verstehen gibt, dass sie für ihn gestorben ist.«
Stefan riss die Augen auf. »Sophie war von ihm schwanger? Sie hatte eine Fehlgeburt? Und du meinst, sie hat ihm das gar nicht gesagt?«
»Er wollte, dass sie abtreibt. Da wird sie ihm ja wohl kaum unter die Nase reiben, dass er am Ende doch noch Glück gehabt hat.«
Stefan nickte nachdenklich. »Wir werden Mister Showstar mal auf den Zahn fühlen. Wenn er was damit zu tun hat, sorge ich persönlich für den nächsten Artikel!« Er ging zu ihr und umarmte sie zärtlich. »Mach dir keine Sorgen. Ich glaube nicht, dass der Killer Blumen schickt. Leider. Es wäre die erste wirkliche Spur.«
Pelle lag auf der Terrasse und schaute in den Garten. Er streckte die Nase in die Luft und schnupperte. Es war toll, die Nacht im Freien zu verbringen. Hier gab es so viele Geräusche. Manchmal hoppelten sogar Kaninchen über den Rasen und er konnte mitten in der Nacht noch eine Verfolgungsjagd starten. Er konnte sich die ganze Nacht dreckig machen und niemand sagte: ›Pfui.‹ Sicher war es auch schön bei Frauchen im Bett zu schlafen, aber aufregender war es hier draußen. Plötzlich hörte er Schritte. Seine Nackenhaare sträubten sich. Die Schritte näherten sich. Pelle knurrte leise. Er setzte sich auf und schnupperte. Er kannte den Geruch. Ein Freund! Der Hund begann begeistert mit dem Schwanz zu wedeln. Dass ihn im Dunkeln noch ein Freund besuchte, war wunderbar.
»Na, Pelle«, flüsterte man ihm zu. Der Freund klopfte ihm auf den Rücken und Pelle leckte freudig die Hand. »Pst, ganz ruhig, Pelle. Komm mal mit.«
Zusammen gingen sie in den alten Obstgarten. Aufgeregt sprang er neben dem Freund her. Sie liefen immer tiefer in den Garten hinein. Sie waren schon fast am Deich. Ob sie sogar einen Strandspaziergang machen würden? Der Freund hob etwas vom Boden auf. Oh ja, lass uns spielen, freute sich Pelle, als er den Stock sah. Er begann vor Freude zu winseln und mit dem Po zu wackeln. Der Freund zögerte noch. Pelle sprang aufgeregt hin und her. Der Kamerad riss den Stock endlich hoch. Pelle wartete aufgeregt, dass er endlich geworfen wurde. Er liebte es, hinterherzujagen. Zischend sauste der Stock durch die Luft. Es krachte laut, als der Baseballschläger seinen Kopf traf. Pelle fiel auf die Seite. Was war denn nur los? Der Freund nahm den Stock wieder hoch. Der Hund wollte aufstehen, doch er konnte nicht. Der Stock sauste wieder auf ihn zu. Das Letzte, was das Tier hörte, war das Zersplittern seines eigenen Schädels.