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Sophie stolperte den Strand entlang und fluchte. Es goss plötzlich wie aus Eimern. Der Himmel war schwarz und es war so dunkel, dass sie die Hand vor Augen nicht sehen konnte. Nur die heftigen Blitze ließen für Bruchteile von Sekunden alles taghell werden. Schon nach wenigen Minuten war sie nass bis auf die Haut. Sie dachte an Ben. Er hatte wirklich keinen Verdacht, dass Olli was mit der Sache zu tun haben könnte. Er hatte sie richtig schockiert angesehen. War Olli zum Mörder geworden, weil seine Freundin mit ihm Schluss gemacht hatte? Sophie wischte sich das nasse Haar aus dem Gesicht. Hatte sie nicht auch Felix auf dem Gewissen? Wäre sie ein anderer Typ Mensch, hätte sie ihm vielleicht wirklich den Schädel eingeschlagen. Wütend und verletzt genug wäre sie gewesen. Doch wenn der Mord an Sarah aus verletzter Eitelkeit begangen wurde, wie passte der erste Mord dann dazu? Diese Sandra hatte doch gar nichts damit zu tun. Das alles machte überhaupt keinen Sinn. Und wenn Olli irre war? So richtig wahnsinnig, weil seine erste Freundin ertrunken war? Hatte er so eine Art Trauma? Konnte es das sein? Sophie stöhnte. Sie sollte jetzt wirklich mir der Schnüffelei aufhören. Ihre Theorien waren mehr als wackelig. Aus purer Neugier brachte sie Menschen unter Umständen in echte Schwierigkeiten. Gebracht hatten ihre Verdächtigungen rein gar nichts. Sie war nur allen damit auf die Nerven gegangen. Und der arme Lutz machte Überstunden, um die DNA von einer Zahnbürste zu vergleichen, die dem vermeintlichen Täter gar nicht gehörte. Sie hatte mit ihrer Aktion nichts erreicht. Sophie stolperte und fiel in den nassen Sand. Fluchend rappelte sie sich hoch. »Was machst du auch allein hier draußen, du dumme Kuh!«, rief sie wütend in die Nacht. Zumindest war sie nicht ganz allein. Sie hatte ja Pelle, auch wenn er ein ziemlich schlechter Wachhund war. Falls jemand bei ihr einbrechen wollte, müsste er nur einen Tennisball mitbringen. Pelle würde dann begeistert zusehen, wie man im Tausch sämtliche Wertgegenstände aus ihrer Wohnung trug. Sophie musste bei dem Gedanken fast lachen. In diesem Moment schlug Pelle an.

»Pelle?«

Er hörte nicht auf zu bellen. Sophie stolperte zu ihm.

»Pelle! Was ist denn? Pst.«

Pelle lag winselnd am Boden. Er hatte irgendetwas gefunden. Etwas Großes. Ein erneuter Blitz zuckte. Sie erkannte das verzerrte bleiche Gesicht einer Frau.

»Oh, mein Gott!«

Plötzlich traf sie etwas am Kopf. Sophie fiel zu Boden. Benommen versuchte sie, die Augen zu öffnen. Sie sah einen Mann wegrennen. Sie war sicher, dass es ein Mann war, obwohl sie im dichten Regen nur eine Öljacke mit Kapuze erkennen konnte. Sie schmeckte Blut auf ihren Lippen. Dann wurde ihr schwarz vor Augen.

 

Ben hämmerte das Herz bis zum Hals. Er ließ sich neben sie in den nassen Sand fallen und nahm ihren Kopf in die Hände.

»Sophie, wach auf!« Verflucht, warum passierte das schon wieder? Pelle stand neben ihm und jaulte. Er leckte seinem Frauchen das Gesicht. »Sophie!«, schrie Ben wieder. Sie rührte sich noch immer nicht. Er merkte, wie ihm die Tränen in die Augen schossen. Er würde das nicht noch einmal durchstehen. Das Handy! Sie musste ihr Telefon dabei haben. Panisch suchte er ihre Handtasche durch. Vergeblich. Er musste unbedingt Hilfe holen. Er zog sich die Jacke aus und deckte sie damit zu, um sie warm zu halten und vor dem immer stärker werdenden Regen zu schützen. Ihr Puls war schwach. Verzweifelt sah er sich um. Zwei Meter entfernt lag Clara. Ihr Gesicht war verzerrt und schrecklich weiß, wie eine Maske aus Gips. Ben stand auf und ging widerwillig zu ihr, um sie genauer sehen zu können. Sie musste tot sein. Trotzdem griff er nach ihrem Handgelenk, um den Puls zu fühlen. Ihr Arm war eiskalt. Entsetzt ließ er ihn schnell los und wischte sich angeekelt die Hand an der Hose ab. Er fühlte sich genauso hilflos wie damals.

»He, was ist denn da los?«, brüllte es über den Strand.

Ben sprang erleichtert auf, als er Hanjos Stimme erkannte.

»Hanjo! Mein Gott, dich schickt der Himmel. Schnell, ruf die Polizei und einen Krankenwagen. Sophie ist verletzt und hier liegt eine Tote. Ich glaube, es ist Clara.«

»Was?«

Hanjo kam auf ihn zu. Er trug nur einen Pyjama und war schon bis auf die Haut durchnässt. Ben wurde nervös. »Hanjo! Bitte! Ruf den Krankenwagen! Du kannst hier nichts tun!« Hanjo nickte und rannte endlich zurück zum Bistro. Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern. Immer heftigere Blitze zuckten am Himmel. Ben hielt die ohnmächtige Sophie im Arm und versuchte, sie vor dem Regen zu schützen, der auf ihr schönes Gesicht prasselte. Das blonde Haar wurde vor lauter Blut immer roter. Sie musste eine schlimme Platzwunde haben. »Stirb du mir nicht auch noch weg!«, schluchzte Ben und schaukelte sie wie ein Baby. Es waren schon zu viele Leichen, die durch seine Träume geisterten. Das musste endlich aufhören. Voller Angst wartete er gemeinsam mit Pelle auf die Polizei und die Sanitäter. Als er endlich das Blaulicht hörte, nahm er auch den Hund in den Arm. »Jetzt wird alles gut!«, flüsterte er dem nassen Pelle ins Ohr. Die Polizei und die Rettungswagen parkten gleichzeitig am Strand. Die Sanitäter rannten mit einer Trage über den Strand. Ben war noch nie so erleichtert gewesen. Die Sanitäter kümmerten sich um Sophie. Die Polizei hatte den Tatort ebenfalls fast erreicht. Ben erkannte Broder und winkte ihm zu. »Hier! Die Leiche liegt hier!«