38
Olli lenkte seinen alten Golf auf den Hof seiner Eltern. Er wollte noch schnell die Schmutzwäsche abgeben, bevor er zurück zur Surfschule fuhr. Neben dem Auto seines Vaters stand der Wagen von Doktor Pieper. Olli parkte und sprang aus dem Auto. Er rannte auf die Haustür zu und wäre fast mit dem Arzt zusammengestoßen.
»Oliver! Immer langsam.«
»Tut mir leid, Doktor Pieper. Was ist denn los? Ist es wieder Mama?« Das vertraute Gesicht des Arztes sah ihn ernst an und nickte. Olli kannte Fips Pieper schon, solange er denken konnte. Er war der Hausarzt der ganzen Familie.
»Sie hatte wieder einen Migräneanfall!«, erklärte Pieper. »Sie hat sich zu sehr aufgeregt. Die Polizei sucht dich. Sie haben sie ein paarmal angerufen und sie genötigt, sich an deine Freunde zu erinnern. Na, für den Fall, dass du da irgendwo untergekommen bist. Was hast du dir nur dabei gedacht, Junge.«
Olli sah ihn verwirrt an. »Die Polizei? Ich war doch nur zwei Tage weg.«
»Das kannst du natürlich noch nicht wissen.« Doktor Pieper atmete tief durch. »Clara Burmeister ist tot. Genauso wie die anderen.«
Olli starrte ihn an.
»Ja, mein Junge«, meinte Pieper ernst. »Es sieht fast so aus, als wäre einer unterwegs, der nicht ganz richtig ist.«
Fips klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Ruf doch mal Broder an und melde dich zurück. Mensch, Broder versteht das doch, dass du mal kurz weg bist.«
Olli nickte. Er würde wirklich lieber mit Broder Larrson sprechen als mit einem dieser arroganten Festlandbullen.
»Was ist jetzt mit Mama?«
Pieper nickte. »Ich habe ihr was zur Beruhigung gegeben. Sie schläft bestimmt bald ein. Es ist doch immer dasselbe mit ihr. Morgen geht es ihr schon wieder gut. Bis dann.«
Olli sah ihm nach. Fips Pieper stieg in seinen alten Mercedes und fuhr vom Hof. Olli öffnete die Tür und schlich leise nach oben. Seine Mutter atmete ganz ruhig. »Mama? Ich bin wieder da. Alles ist in Ordnung. Bitte mach dir keine Sorgen mehr.« Olli spürte, dass sie seine Hand drückte. Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht und nahm die Packung Tabletten in die Hand. Valium. Mal wieder. Piepers Lieblingsmedikament. Für Ollis Geschmack verschrieb er es viel zu oft und er ließ immer gleich eine ganze Packung da. Seine Mutter wäre bestimmt schon abhängig von dem Zeug, wenn er ihr den Mist nicht wegnehmen würde. Wie schon so oft ließ er die Packung in seiner Tasche verschwinden.
Hanjo polierte gerade ein paar Gläser, als er Sophie ins Bistro kommen sah. Sofort schmiss er das Tuch in die Spüle und stürzte auf sie zu. Sophie sah wirklich schlecht aus. Er bemerkte den Verband unter der Baseballkappe. »Mädchen! Wie geht es dir?«, grüßte er besorgt und führte sie zu einem Tisch.
»Ach Hanjo, es ging mir schon besser.«
Hanjo ergriff ihre Hand und tätschelte sie unbeholfen. Er war erleichtert, sie auf den Beinen zu sehen. »Es ging das Gerücht, du wärst in Lebensgefahr. Solltest du nicht im Krankenhaus sein?«
Sophie grinste ihn verwundert an. »Lebensgefahr? Das ist wohl ein bisschen übertrieben. Allerdings habe ich heute Morgen, als ich da in dieser Inselklinik aufgewacht bin, tatsächlich gedacht, dass ich sterben möchte. Mir war noch nie so übel. Der Arzt hätte mich auch lieber noch ein bisschen dabehalten, aber ich musste da weg. Ich bin vollkommen durcheinander.«
»Vernünftig ist das aber nicht! Du solltest dich zumindest ins Bett legen und dich schonen. Jetzt ruhst du dich erst mal aus und ich hol dir einen schönen Kakao.« Sophie nickte und er schlurfte in die Küche. Das arme Kind. Natürlich war sie durcheinander. Sie liebte Ben und gleichzeitig hatte sie jetzt wahrscheinlich Angst vor ihm. Was für eine furchtbare Geschichte. Hanjo ließ Milch in der Mikrowelle heiß werden und rührte echten Kakao an. Nicht dieses Instantzeug. Er gab noch einen Schuss Sahne dazu und ging mit den zwei Bechern zurück an den Tisch. Sophie war wirklich blass. All ihre Energie schien erloschen. Hoffentlich würde die Wunde unter dem Verband schnell heilen. Und dieses rote Auge sah zum Fürchten aus. »Bitte. Der Kakao.«
Sophie zuckte zusammen. »Hanjo, die Polizei glaubt, dass Ben ein Mörder ist. Ein Serienkiller.«
Hanjo setzte sich. »Das ist doch Unsinn! Ben ist ein guter Junge und er mag dich.« Sie atmete tief durch und griff zitternd nach dem Becher.
»Da ist diese Geschichte mit seiner Schwester. Was weiß du darüber?«
Hanjo nickte. Sophie musste irgendwie von der Tragödie erfahren haben, wunderte er sich. »Das war grausam. Ach Gott, das ist so lange her. Und trotzdem wird man so was wohl nie vergessen können. Die Kleine war ein sehr niedliches Mädchen. Sie war so gerne im Wasser.« Hanjo schluckte. »Für den Jungen muss es damals schlimm gewesen sein. Ob seine Eltern ihm je verziehen haben, dass er noch am Leben ist? Ben wird sich ein Leben lang Vorwürfe machen, egal, ob ihn am Tod seiner Schwester eine Schuld trifft oder nicht.« Sophie sah ihn erschrocken an. »Aber ... aber das heißt doch nicht, dass Ben ...«
»Nein, Sophie! Das glaube ich nicht.« Eine Gruppe Surfer betrat lachend das Bistro. »Hallo!«, rief ein junger Typ. »Kriegen wir noch irgendwas zu essen? Wir sind hungriger als eine Meute Wölfe!«
Hanjo drücke Sophies Hand und drehte sich dann zu den Wassersportlern um. »Natürlich gibt es was zu essen. Nehmt Platz. Ich bring euch gleich die Karte.« Hanjo wandte sich wieder Sophie zu. »Ich muss mich um die Gäste kümmern.« Sie nickte unglücklich. Er wollte ihr so gerne helfen. »Warum kommst du nicht einfach später noch mal vorbei? Am besten, wenn der ganz große Betrieb vorbei ist und ich ein bisschen mehr Zeit habe. Dann kann ich dir in Ruhe alles erzählen, woran ich mich erinnere. Alles über diese schreckliche Sache damals und auch alles, was ich über Ben sonst noch weiß.«
Ben wählte wieder Sophies Nummer. Warum ging sie nicht an ihr Handy? Er machte sich schreckliche Sorgen. Vielleicht war sie tatsächlich schwer verletzt. Das Krankenhaus durfte ihm keine Auskunft geben, das hatte die Dame am Empfang ihm mitgeteilt. Vielleicht lag sie im Koma, überlegte Ben erschrocken, während er erneut auf die Wahlwiederholungstaste drückte. Ohne Erfolg. Und wenn Sophie ihn einfach nur nicht sprechen wollte? Nein, dafür gab es doch keinen Grund. Außerdem musste sie sich doch denken können, dass er sich Sorgen machte. Ob dieser Kommissar Sperber mit ihr geredet hatte? Hatte dieser Bulle ihr erzählt, dass er ihn für den möglichen Täter hielt? Bens Magen krampfte sich für einen Moment zusammen. Sophie konnte ihn doch nicht ernsthaft verdächtigen.
»Träumst du?«
Ben zuckte zusammen. »Verdammt, Olli! Warum schleichst du dich so an?«, fragte er gereizt.
»Anschleichen? Sag mal, wie bist du denn drauf? Ich steh hier schon ein paar Sekunden und du hast nicht reagiert!« Olli sah ihn versöhnlich an. »Ich wollte nur meine Schlüssel abholen. Scheiße! Was ist das alles für ein Horror!«
»Du weißt schon Bescheid?«
Olli nickte. »Ich hab daheim meine Wäsche abgegeben und bin Dr. Pieper in die Arme gelaufen. Mum hatte wieder so einen Migräneanfall. Jetzt auch noch Clara.«
Ben stand mühsam auf. »Ja, jetzt auch noch Clara. Und Sophie liegt verletzt im Krankenhaus.«
»Was?« Olli starrte Ben verwirrt an. »Sophie habe ich gerade aus dem Bistro kommen sehen.«
Ben rannte los, ohne Olli irgendetwas zu erklären. Er musste sie unbedingt noch erwischen und mit ihr reden. Er stürzte den Deich rauf. Da war sie. Sophie war bereits am Strand. Schnell holte er sie ein. Pelle rannte begeistert auf ihn zu. Er klopfte dem Hund den Rücken und atmete durch. Sophie sah ihn verstört an. Er bekam Panik, dass sie wegrennen würde. »Sophie!«, rief er außer Atem. Sie blieb stehen. Langsam ging er auf sie zu. »Ich habe dich mehrmals angerufen. Ich habe mir solche Sorgen gemacht.« Er hätte sie so gerne in den Arm genommen, aber etwas in ihrem Blick warnte ihn, es nicht zu tun. »Sag doch was!«
»Tut mir leid«, erklärte Sophie sachlich. »Mir geht es nicht besonders gut. Ich habe Kopfschmerzen und mir ist nicht nach Telefonieren zumute. Ich habe das blöde Handy nicht mal dabei. Warum hast du nicht bei Tina angerufen und sie gefragt, wie es mir geht?«
Er hatte sogar darüber nachgedacht. »Ich hatte Angst, dass der Superbulle rangeht«, gab er kleinlaut zu.
»Das ist ja lächerlich!«
»Ach ja? Dein Freund Sperber ist doch der Erste, der den Thailandspinner für den Mörder hält.«
»Lass mich in Ruhe! Ich weiß auch nicht mehr, was ich glauben soll.«
»Das ist doch nicht dein Ernst!«, rief Ben erschrocken. Er wollte ihren Arm fassen, doch sie sprang zurück und sah ihn wütend an.
»Das reicht jetzt, Ben! Wir reden morgen. Ich bin jetzt viel zu durcheinander und ich brauche dringend eine Kopfschmerztablette. Ich musste schon im Krankenhaus die erste Aussage machen.« Sophie nahm Pelle am Halsband und ging davon. Plötzlich drehte sie sich noch einmal um. »Ach, Ben? Warst du wirklich in Ollis Wohnmobil? Gestern Nacht, als du nur schnell die Gasflasche tauschen wolltest?«
Ein kalter Schauer lief über seinen Rücken. Hatte sie der Polizei davon erzählt?
Sophie konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. Sie wusste einfach nicht mehr, was und wem sie glauben sollte. Ihre Kopfschmerzen waren wieder unerträglich. Warum hatte sie nicht noch eine Tablette genommen? Sophie lief auf dem Deich zurück zum Haus. Jedes Mal, wenn sie den Fuß aufsetzte, pochte die Naht schmerzhaft. Tina sprang aus der Liege, als Sophie auf die Terrasse trat.
»Was ist denn passiert?« Tina nahm sie in den Arm, so wie sie es bei ihren Kindern machte, wenn sie sich wehgetan hatten. »Pst. Ist ja alles gut.«
»Nichts ist gut«, schluchzte Sophie. »Ich bin Ben über den Weg gelaufen. Er war so enttäuscht, dass ich ihm nicht vertraue. Ich möchte ihm so gern glauben, aber ... Ach Scheiße, ich brauch eine Schmerztablette.«
»Wie geht es denn deiner Birne?«, fragte Antonia neugierig.
»Meiner was?« Sophie musste trotz Schmerzen grinsen. »Nicht so toll, Süße.«
»Musst du noch ein Pflaster drauf machen«, schlug Paul ernst vor.
Sophie lachte leise und strich ihm liebevoll über den Kopf. Ungefähr so alt musste Ben gewesen sein, als seine Schwester ertrunken war. Plötzlich war sie sich sicher. Ein kleiner Junge konnte so etwas nie vergessen. Es war normal, dass Ben noch immer daran denken musste. Und dann war da noch der Tsunami. Bens große Liebe war auch durch Wasser ums Leben gekommen. Reichten zwei solche Schicksalsschläge? Konnte man deshalb durchdrehen? War Ben tatsächlich ein Psychopath? Sophie begann zu zittern. »Es geht auch ohne Pflaster«, brachte sie schlotternd hervor.
Tina sah sie besorgt an. »Sophie? Kann ich irgendwas für dich tun? Eine heiße Tasse Tee vielleicht?«
»Nein, danke. Ich nehme jetzt eine Tablette und leg mich hin.«
Tina brachte sie nach oben ins Gästezimmer. Sophie fühlte sich wie ein kleines Mädchen, als Tina sie zudeckte und ihr einen sanften Kuss auf die Stirn drückte. Sie kuschelte sich ins Bett und schlang die Arme um ihren Körper. Sie wollte nur noch schlafen und vergessen. Sie hatte sich auf der Insel doch nur ein paar Tage erholen wollen, nach der schlimmen Zeit, die hinter ihr lag. Und nun? Der Albtraum hatte gerade erst begonnen. Vielleicht hatte sie sich in einen Serienmörder verknallt.
Tina öffnete den Backofen und sah nach der Lasagne. Noch 10 Minuten und sie würde perfekt sein. Ihr Blick fiel wieder auf den Karton, der vor einer Stunde von Fleurop für Sophie abgegeben worden war. Sie war wirklich neugierig, wer Sophie Blumen geschickt hatte, aber es war kein Absender dabei. Wahrscheinlich war die Karte im Karton. Tina sah auf die Uhr. Sie beschloss, Sophie zu wecken. Sie musste etwas essen. Leise klopfte sie an die Tür des Gästezimmers. »Sophie?« Sie öffnete die Tür und trat ein. »Wie geht es dir?«
Sophie rieb sich die Augen und lächelte. »Ich glaube, es geht mir etwas besser. Ich habe sogar ein leichtes Hungergefühl.«
»Das will ich dir auch geraten haben. Es gibt eine wunderbare Lasagne und Salat aus dem eigenen Garten. Ich muss wieder runter. Soll ich einen Wein aufmachen?« Sophie grinste sie an. Es schien ihr tatsächlich wieder besser zu gehen. Tina war erleichtert. Ihre starke Freundin so verletzbar zu sehen, irritierte sie. Außerdem hatte Sophie wirklich genug hinter sich. Sie ging in die Küche und schrie erschrocken auf. »Was machst du hier?« Stefan sah sie mit großen Augen an.
»Ich wohne hier!«
»Aber doch nicht mitten in der Woche!« Stefan lachte und nahm sie in den Arm. Tina freute sich: »Das ist wirklich das einzig Positive an diesem schrecklichen Fall. Du bist mitten in der Woche zum Essen hier, ohne Urlaub zu haben.« Stefan schüttelte mit gespielter Empörung den Kopf. Dann wurde er wieder ernst. »Geht es Sophie besser?«
»Zum Glück. Du sollst einen Wein aufmachen!«
20 Minuten später saßen alle am Tisch. Tina beobachtete ihre Runde. Stefan stopfte das köstliche Essen gedankenverloren in sich rein. Paul und Antonia plapperten und plapperten, und Sophie aß tapfer. Finn schlief nach dem langen Tag im Garten bereits oben in seiner Wiege. Als die Großen mit dem Essen fertig waren, fingen sie an herumzuquengeln und sich müde die Augen zu reiben.
»Wie wäre es denn, wenn Papa euch heute mal ins Bett bringt«, schlug Tina vor.
»Ja!« Die Kinder wurden wieder munter und klatschten begeistert in die Hände. »Liest du uns noch was vor?«
Stefan sah sie flehend an, doch Tina nickte unerbittlich. Heute war es ihr egal, ob er 20 Stunden am Tag auf Verbrecherjagd war. Ihr Job war mindestens genauso anstrengend, auch wenn sie es nur mit drei kleinen Serientätern zu tun hatte. Nachdem Stefan mit den Kindern nach oben gegangen war, schenkte sie sich und Sophie Wein nach. »Jetzt trinken wir noch ein Schlückchen zusammen und dann stecke ich dich wieder ins Bett. Tu dir selbst den Gefallen und mach eine Pause. Du bist krank. Eine Gehirnerschütterung ist doch keine Lappalie.«
Sophie sah sie verzweifelt an. »Was soll ich denn machen? Dein Mann hat sich total auf Ben und Olli eingeschossen. Ich zweifle selbst, aber Ben hat mir vielleicht sogar das Leben gerettet. Denk mal darüber nach. Ich muss versuchen, ihm zu helfen.«
Tina nickte unzufrieden. »Aber heute kannst du nichts mehr machen. Geh früh schlafen. Dann bist du morgen vielleicht wieder fit genug, um die Sache zu klären. Aber pass auf! Ich finde, du solltest dich nicht mehr allein mit ihm treffen, und schon gar nicht nachts.«
»Was ist nur los mit mir?« Sophies Augen glänzten feucht. »Ist das mein Karma? Pech mit Männern? Warum gönnt mir das Schicksal denn nicht mal ein bisschen unbeschwertes Glück?«
Tina schlug sich an die Stirn. »Mensch, das hab ich ganz vergessen. Da ist was für dich abgegeben worden.« Sie ging schnell in die Küche und brachte Sophie den geheimnisvollen Karton. »Blumen!«
»Blumen im Karton?«
»Steht Fleurop drauf.«
Sophie riss fragend die Augenbrauen hoch, bevor sie sich dran machte, ihn zu öffnen. Tina sah gespannt zu. Vielleicht waren es Orchideen. Aber würde Ben teure exotische Pflanzen verschicken? Er hatte doch kaum Kohle. Oder wollte Felix sich entschuldigen? Wahrscheinlich waren es Genesungswünsche. Sophie schrie plötzlich. Sie war weiß wie ein Laken. Tina sprang erschrocken auf. »Was ist los?« Ihr Blick wanderte von Sophie zum Karton. Eine Blumenbukett aus schwarzen Rosen mit einem weißen Trauerband lag da. Tina bekam vor Entsetzen eine Gänsehaut. Sophie jaulte wie ein Tier und kauerte sich auf dem Stuhl zusammen. Tina geriet in Panik. »Stefan! Oh mein Gott! Stefan! Komm sofort her!«
Stefan hörte die Angst in den Rufen seiner Frau. Antonia und Paul sahen ihn erschrocken an. »Hört ihr das? Mama will wohl was von mir.« Stefan versuchte gelassen zu klingen und übergab das Buch seiner Tochter. »Toni, lies deinem Bruder weiter vor.«
»Aber Papa, ich kann doch noch gar nicht lesen«, erklärte Antonia verblüfft.
»Dann denk dir was aus!« Stefan sprang auf und ließ die verdutzten Kinder allein. Er eilte die Treppe hinunter und rannte auf die Terrasse. Sein erster Blick fiel auf Sophie. Sie war blass und atmete viel zu schnell. Er griff ihre Schultern und schüttelte sie. »Hör auf damit!« Sophie reagierte nicht. »Tina! Bring mir eine Tüte!«
»Was denn für eine Tüte?«, kreischte seine Frau. Sie war selbst vollkommen hysterisch.
»Schatz, alles wird wieder gut. Aber bitte geh jetzt in die Küche und hol mir eine Plastiktüte.«
Tina schien wieder zu funktionieren. 20 Sekunden später hielt er Sophie die Plastiktüte vor Mund und Nase. Sophie atmete endlich ruhiger und sah ihn verstört an. Dann brach sie in Tränen aus. »Ruf einen Arzt! Sie hat einen Nervenzusammenbruch. Was war denn?« Tina zeigte auf den Boden und rannte zum Telefon. Jetzt sah er das Trauergesteck. Was immer das zu bedeuten hatte, er würde sich später darum kümmern müssen. Stefan beugte sich über Sophie. »Hey! Keine Sorge! Ich trag dich jetzt nach oben. Versuch dich festzuhalten.« Stefan packte sie wie sonst seine schlafenden Kinder und trug sie ins Gästezimmer. Er hatte sie gerade aufs Bett gelegt, als auch Tina kam.
»Der Arzt ist in zwei Minuten da!«
»Gut. Bleib bei ihr. Ich kümmere mich um die Scheiße da unten!« Stefan ging zu seinem Wagen und holte die sterilen Handschuhe aus dem Verbandskasten. Er zog sie über, während er wieder auf die Terrasse ging. Bevor er das Gesteck vorsichtig zurück in den Karton legte, sah er es sich genau an. Ein Bukett aus schwarzen Rosen. Auf der weißen Trauerschleife stand nur ein Name. Sophie.
»Herr Sperber. Ihre Frau hat mich angerufen.«
Stefan erkannte den Mann sofort. Fips Pieper, der Stümper vom ersten Tatort, kam samt altmodischer Arzttasche durch den Garten marschiert. Der Arzt, bei dem Sophie Sorge hatte, auf Fehmarn krank zu werden.
»Gut, dass Sie so schnell kommen konnten. Unser Besuch hat einen Nervenzusammenbruch. Bitte kommen Sie mit.« Stefan brachte den Arzt nach oben zu Sophie und Tina. Dann ging er in die Küche und schenkte sich einen kleinen Schnaps ein. Er musste nachdenken! Was in aller Welt hatte das zu bedeuten? Warum stand Sophies Name auf der Schleife?