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Stefan steuerte zusammen mit Kollege Feller auf den alten Transit-Bus zu. Ben saß davor auf einem Gartenstuhl und starrte ins Leere. Er schien sie gar nicht zu bemerken.

»Herr Lorenz?«, fragte Stefan streng.

»Ja?« Ben blickte auf. Seine Miene verdunkelte sich, als er Stefan erkannte.

»Ich weiß nicht, ob Sie meinen Kollegen schon kennengelernt haben?«

Ben zuckte mit den Schultern. Dann stand er auf und setze sich in die offene Schiebetür. »Bitte! Nehmen Sie Platz. Ich hab leider nur zwei Stühle.«

Stefan blieb stehen.

»Herr Lorenz, Sie haben Sophie Sturm gestern Nacht am Strand gefunden, bei einer Leiche«, begann Robert freundlich. »Der Leiche von Clara Burmeister. Was wollten Sie nachts am Strand? Frau Sturm hatte sich doch ein paar Minuten vorher von Ihnen verabschiedet, um nach Hause zu gehen?«

»Ich wollte mit ihr reden.«

»Ach so!« Stefan nickte übertrieben. Dann wurde er lauter. »Und Sophie? Wollte sie vielleicht nicht mit Ihnen reden und war das der Grund, warum Sie versucht haben ihr den Schädel einzuschlagen?« Ben sah ihn erschrocken an. »Oder wollten Sie nur verhindern, dass Sophie die Leiche sieht?«

»Jetzt reicht es aber! Ich habe nichts damit zu tun! Wenn Sie mich für den Mörder halten, dann verhaften Sie mich doch!«

Robert Feller hob beschwichtigend seine Hand. »Ruhig Blut, Herr Lorenz. Sie sind ein Zeuge bis jetzt. Erzählen Sie mal in aller Ruhe.«

Ben atmete tief durch. Stefan ließ ihn nicht aus den Augen.

»Sophie war zum Essen bei mir.«

»Ach, was gab es denn? Ravioli?«, fragte er bissig.

»Es gab Hummerkrabben in Kokos-Zitronensoße.«

»Wow! Kümmern Sie sich um alle Ihre Schülerinnen so?«, Stefan fummelte eine Zigarette aus der Packung. Er hatte nicht vor, Ben ebenfalls eine anzubieten.

»Nein, ich kümmere mich nicht um alle so, Herr Kommissar. Ich mag Sophie sehr und ich glaube, das beruht auf Gegenseitigkeit.«

Stefan klopfte sich mit der Hand auf den Oberschenkel und grinste ironisch. »Ach, wirklich! Davon hat sie uns gar nichts erzählt. Sagen Sie mal, Ben, haben Sie vielleicht zu viel Fantasie?« Er zündete sich die Zigarette an zog daran. Dann ging er einen Schritt auf Ben zu und flüsterte fast. »Sophie ist eine hoch bezahlte Journalistin, auch wenn mir das Genre nicht gefällt. Sie ist sehr schön, Exmodel, hat eine schicke Wohnung, einen tollen Wagen. Gar nicht Ihre Welt, oder? Ist eine Nummer zu groß für Sie.«

»Ich habe ihr keinen Heiratsantrag gemacht. Wir ...«

Stefan ließ ihn nicht ausreden. »Haben Sie mit ihr geschlafen?«

»Eifersüchtig?« Ben starrte ihn wütend an.

»Wie ist der Abend verlaufen?«, ging Robert schnell dazwischen.

»Wir haben gegessen. Dann sind wir hineingegangen.«

Stefan konnte nicht dagegen an. Er wurde immer wütender. Von diesem Ben würde er sich nicht verarschen lassen! »Hinein?«

»Ja, in mein kleines Reich, Herr Kommissar. Wir haben ...«

»Ja?«

»Wir haben uns geliebt«, flüsterte Ben und sah zu Boden.

»Und was war nach dem Sex?«, fragte Stefan dreckig.

Ben schloss kurz die Augen. »Sie wollte zurück zu ihrer Freundin. Zu Ihrer Frau!«

»Und das hat Ihnen nicht gefallen?«

»Nein, hat es nicht! Ich hatte das Gefühl, dass sie irgendetwas beschäftigt.«

»Vielleicht hatte sie herausgefunden, dass Sie ein Mörder sind.«

»Das Ganze nervt. Sophie hat gerade eine unglückliche Beziehung hinter sich. Das wissen Sie doch sicher, Herr Sperber. Sie war durcheinander. Sie ist mit ihrem Hund los. Ich habe mich schnell angezogen und bin hinter ihr her. Am Strand bellte Pelle wie verrückt. Sophie lag im Sand. Sie hat am Kopf geblutet. Dann kam Hanjo. Er hat das Bellen wohl auch gehört. Ich habe ihm zugerufen, dass er die Polizei und einen Rettungswagen rufen soll. Dann habe ich bei Sophie gewartet, bis Ihre Kollegen da waren.«

»Na, wenn das so ist!«, erklärte Stefan zynisch und warf seine Kippe auf den Boden. »Wir danken Ihnen für die Zusammenarbeit. Ach Ben, kommen Sie nicht auf die Idee, sich aus dem Staub zu machen. Ich wette, die Spurensicherung findet Ihre Fingerabdrücke an der Leiche.«

Stefan ging schlecht gelaunt zu seinem Wagen. Auch wenn er Ben verdächtigte, noch hatte er gegen diesen Spinner nichts in der Hand. Aber er würde nicht aufgeben. Jeder hatte eine Leiche im Keller.

 

Lutz Franck öffnete die Tür des kleinen Warteraums und begrüßte Ingo Schölzel und Gerdt Hartwig. »Herzlich willkommen zum täglichen Wasserleichenmeeting! Hereinspaziert! Versteht mich nicht falsch, aber langsam sehne ich mich nach einem Axtmörder oder einer Giftmischerin.«

»Moin«, grüßte Ingo trocken. »Mann, du bist wirklich ein kranker Vogel. Macht dieser Job dich so irre?«

Lutz grinste. »Nein, ich war schon immer so. Deshalb mach ich ja diesen Job.« Er ging zum Sektionssaal. Die beiden Beamten schlurften hinter ihm her. Clara lag bereits auf dem Stahltisch. Lutz hatte sie sich schon genauer angesehen und er hatte keinen Zweifel, dass sie zu dem gleichen Ergebnis kommen würden, wie bei den anderen beiden Opfern aus Gold. »Dann wollen wir mal.« Lutz schaltete sein Diktiergerät ein. »Weibliche Leiche. Identifiziert als Clara Burmeister. 27 Jahre alt.« Lutz sprach alle Informationen auf das Band. »Wir kommen jetzt zur äußeren Leichenschau. Am Oberkörper finden wir leichte Hämatome.« Dann sah er sich ihre Fingernägel an. »Bingo!« Ingo und Gerdt sahen auf. »Unter ihren Nägeln haben wir dieselben weißen Partikel. Eingetrocknete Scheuermilch! Jede Wette!«

Lutz beendete den ersten Abschnitt der Obduktion und nahm die Abstriche. Dann griff er zum Skalpell und begann mit dem Y-Schnitt. Er entnahm die Organe und betrachtete die Lunge. Sie war trocken. Aber die Paltaufschen Flecken ließen keinen Zweifel zu. »Ertrunken!«

»Wieder in Süßwasser?«, fragte Ingo und kam näher.

Lutz nickte. »Ich muss da noch ein paar Sachen im Labor vergleichen, bevor ihr meinen Bericht bekommen könnt, aber inoffiziell bin ich mir sicher, dass alle drei Frauen auf dieselbe Art und Weise ermordet wurden.«

Ingo sah ihn an und nickte. »Und von ein- und derselben Person. Irgendein Irrer will uns da zum Narren halten.« Ingo haute gegen die Waage. Claras Organe schwankten hin und her. »Und ich wette, wir sind diesem Perversen schon einmal über den Weg gelaufen.«

Lutz zuckte mit den Schultern. Er war sich sicher, dass ein kranker Serientäter für die Morde verantwortlich war. Wenn er doch nur die Zeichen finden und verstehen würde! Serienmörder hinterließen doch immer eine Unterschrift. War es die Scheuermilch? Ging es im wahrsten Sinne des Wortes um einen sauberen Tod?