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In der Straße stehen sowohl heruntergekommene Bungalows als auch Ladenzeilen zwischen ein paar leeren Grundstücken. Als ihr der Adresse von Parillo Construction näher kommt, suchst du den Gehweg nach irgendetwas Ungewöhnlichem ab. Kein Mensch ist draußen unterwegs. Es ist einfach viel zu heiß, der schwarze Asphalt brennt förmlich.

Ben hält am Straßenrand. Das Gebäude vor euch ist grau und gedrungen und weist fünf Einfahrten zu Lagerhallen auf. Sie haben kein Schild, das Fenster nach vorne ist mit Graffiti verschmiert, das Glas grau und schmutzig.

Ben nimmt dir den Zettel aus der Hand und überprüft die Nummer, die du dir aufgeschrieben hast, mit der an dem Gebäude. Es ist das Richtige.

»Du solltest nicht hier parken. Fahr weiter – bis hinter den Baum dort.« Du zeigst geradeaus, wo ein paar Büsche und Bäume den direkten Blick zu dem Büro verstellen. Der Wagen rollt weiter, dann stellt Ben den Hebel auf Parkposition. Er will gerade die Tür öffnen, als du ihn am Handgelenk packst.

»Warte hier auf mich«, befiehlst du. »Es ist einfacher, wenn ich allein gehe.«

»Bist du sicher?«

»Bitte, Ben. Du steckst sowieso schon viel zu tief mit drin.« Du steigst aus und läufst los, in der Hoffnung, dass er dir nicht folgt.

Mit gesenktem Kopf gehst du von der Seite her auf das Haus zu. Du weißt, dass sie dich durch das Fenster vorne nicht sehen können. An einer Dachecke hängt eine Überwachungskamera, aber die zeigt von dir weg auf den Eingang hin. Du gehst am Büro vorbei nach hinten.

Dort packt ein Mann Kisten aus einem Laster aus. Als er dich um die Ecke kommen sieht, geht er rasch auf dich zu. Er ist nicht viel größer als du und vom Hals bis zu den Handgelenken tätowiert. Du wirfst einen kurzen Blick an seine Hüfte, doch soweit du sehen kannst, ist er unbewaffnet.

Du tust, als müsstest du von deinem Zettel ablesen.

»Ich suche nach Parillo Construction. Bin ich hier richtig? Mein Cousin hat mir von euch erzählt, und ich brauche jemanden, der …«

»Wir nehmen keine neuen Aufträge an.«

Der Mann macht noch einen Schritt auf dich zu und verstellt dir den Weg. Du siehst, dass die Tür zur ersten Lagerhalle hinter ihm ein paar Zentimeter offen steht. Sie ist nicht verschlossen.

Die Kisten neben dem Laster sind zugeklebt. Ob etwas darauf steht, kannst du nicht erkennen, außerdem beobachtet dich der Mann und wartet darauf, dass du wieder gehst.

»Entschuldigung, aber das ist hier doch Parillo? Sie übernehmen Bauarbeiten?«

»Das hier war früher Parillo Construction, aber jetzt nicht mehr.«

»Aber ihr steht immer noch im Web …«

»Hör zu, wir haben geschlossen. Kann ich jetzt wieder an meine Arbeit?«

Du versuchst, dir so viel wie möglich zu merken: den weißen Laster mit den Kisten, die Rückenbandage, die du durch sein T-Shirt erkennen kannst, das Stacheldrahttattoo, das sich seinen linken Bizeps hinauf bis unter den T-Shirtärmel windet. Nichts an ihm kommt dir bekannt vor. Du siehst noch einmal zu der Lagerhalle hinter ihm. Da ist etwas, was er dich nicht sehen lassen will.

Als du gehst, folgt er dir bis zur Ecke des Gebäudes und sieht dir nach, wie du über die Straße gehst. Du ignorierst Ben in seinem Jeep und tust so, als hättest du ein paar Straßen weiter geparkt und wärst hierhergelaufen. Dann verschwindest du um eine Ecke.

Du läufst zwei Straßen weiter, biegst rechts ab und dann noch mal, um zurückzukehren. Nach ein paar Minuten hast du einen guten Blick auf den Hinterhof. Der weiße Lieferwagen steht immer noch dort, die Kisten stehen daneben auf dem Boden. Der Mann unterhält sich jetzt mit einer Frau, die wesentlich größer ist als er und ihr pflaumenrotes Haar in einem festen Knoten trägt. Er deutet auf die offene Tür der Lagerhalle und auf den Vordereingang und du hörst nur ein paar Worte: Mädchen. Parillo. Fragen gestellt.

Die Frau sagt leise etwas, was du nicht verstehen kannst, dann schließt der Mann den Laster ab und sie verschwinden beide um die Hausecke.

Die Lagerhalle kann kaum zehn Meter entfernt sein – nur ein Sprint über den Parkplatz. Hier hinten gibt es nur eine Überwachungskamera. Du springst über den hölzernen Zaun und bist dort.

Du kannst hören, dass sich hinter der Tür etwas bewegt, aber auch als du das Ohr daran legst, kannst du nicht erkennen, was es ist. Du machst die Tür auf, sodass Licht in den Raum mit dem Betonboden und auf ein halbes Dutzend Pitbulls in Käfigen fällt. Als du hereinkommst, springen sie auf, rennen in ihren Käfigen hin und her und fletschen die Zähne. Sie bellen so laut und schrill, dass du dich verkrampfst und es dir in den Ohren hallt.

Ihre Gesichter sind vernarbt. Einem Hund fehlt die Wange, ein anderer hat Wunden am Vorderbein, die Haut ist dort noch ganz blutig. Du schlüpfst durch eine Tür neben den Käfigen und bemerkst einen Gestank, der dir fast den Atem nimmt. Um dich davor zu schützen, hältst du dir den Saum deines T-Shirts vors Gesicht.

Mitten im Raum ist ein Metallring, um den herum der Boden braun gefleckt ist. An den Wänden stehen Klappstühle. Als du dich umsiehst, bemerkst du, dass jemand in der hinteren Ecke den Betonboden aufgebrochen hat. In dem Loch liegt ein großer Müllsack und einige Fässer stehen daneben.

Du gehst zu dem Plastiksack, wo der Gestank unerträglich wird. Unterhalb des oberen Endes reißt du die Folie ein Stück ein, gerade genug, um das Kinn eines Mannes erkennen zu können. Die Haut ist wächsern und bläulich weiß.

Du ziehst das Plastik weg und siehst in Ivans Gesicht. Seine Haut wirkt merkwürdig dünn, als ob sie von den Knochen fallen würde. Seine Augen sind eingefallen. Sein Kinn weist einen merkwürdigen Winkel auf, die Prellungen in seinem Gesicht sind noch gut erkennbar, das Blut schwarz getrocknet.

Du lässt die Plastikfolie los und trittst zurück. Die feinen Härchen an deinen Armen kribbeln. Dein Magen verkrampft sich und der Verwesungsgestank lässt dir die Galle aufsteigen. Doch du kämpfst das Gefühl nieder und hältst dir das T-Shirt vors Gesicht, als du durch den anderen Raum läufst. Die Hunde kläffen immer noch, als du von dem Gebäude wegrennst.