22
Ben schläft noch, als die Polizei bei ihm auftaucht. Die Türglocke läutet irgendwo über ihm wie ein seltsames Lied in der Ferne. Er dreht sich auf dem Sofa um und zieht die Decke hoch. Er lässt die Augen geschlossen, doch sie klopfen mehrmals kräftig an die hölzerne Tür.
Ben steht auf, wischt sich den Schlaf aus den Augen und stolpert unsicher durch das dunkle Untergeschoss, wobei er fast über seine Schuhe fällt. Als er die Treppe hinaufgeht, wird das Klopfen lauter und lockt ihn den langen Gang entlang zur Tür. Schon ist ihm klar, dass etwas nicht stimmt. Fröstelnd und mit schweißfeuchter Haut steht er im Flur und fragt sich, ob es zu spät ist, um zu flüchten.
Er starrt durch den Türspion, durch den ihn zwei Uniformierte ansehen.
Einer der Cops hat bereits seine Marke gezückt und hält sie abwartend vor den Türspion.
»LAPD«, sagt er. Sie haben die Schritte im Gang gehört und wissen schon, dass er da ist.
Ben sieht sich um und macht sich im Geist eine Liste von dem, was er hier alles rumliegen hat – das Pfund im Couchtisch im Keller und die Plastiktütchen und die Waage in seinem Schrank. Als er die Tür aufmacht, tut er so, als schlafe er noch halb, obwohl das Herz in seiner Brust heftig hämmert und seine Hände zittern. Er hat nur Boxershorts an. Wieder wischt er sich die Augen und die Nase.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Es geht um seine Mutter … Sie wissen, dass er Gras verkauft … Sie haben ihn irgendwo auf einer Überwachungskamera mit Sunny gesehen und jetzt suchen sie nach ihr. Eine andere Möglichkeit zieht er nicht in Betracht. Er will nicht daran denken, dass jemand tot sein könnte.
»Guten Morgen. Ben Paxton?«
»Ja.«
»Sind deine Eltern zu Hause?«
»Nein, meine Mutter ist nicht hier … warum?«
»Wir würden dir gerne ein paar Fragen stellen. Hast du eine Minute Zeit?«
»Ja, sicher.«
Der erste Cop ist älter, er hat sein schwarzes Haar zurückgegelt und hält ein Stück Papier hoch. Ben nimmt es, dreht es um und betrachtet die Quittung eine Weile, bevor er wieder weiß, was das ist.
»Kommt dir das bekannt vor?«
»Das ist meine Telefonnummer«, sagt Ben. »Ich habe sie jemandem aufgeschrieben.«
»Wem?« Der jüngere Officer ist dicker und sein Haar wird an den Schläfen schon schütter.
Ben weiß nicht, ob er lügen soll oder die Wahrheit sagen. Wo haben sie das her? Was wissen sie? Wenn sie Grund zur Annahme hätten, dass sie hier war, hätte er bereits Schwierigkeiten. Würden sie dann nicht hereinkommen wollen?
»Einem Mädchen, das ich im Supermarkt getroffen habe.«
Der ältere Officer nimmt Ben das Papier weg, faltet es zusammen und steckt es wieder in die Tasche.
»Wann hast du sie getroffen?«
»Vor ungefähr einer Woche. Warum?«
»Hat sie angerufen?«, fragt der Cop.
Wissen sie es? Ben versucht, sich zu erinnern, von wo aus ihn Sunny angerufen hat. Das Motel? Wissen sie, dass sie dort war?
»Nein, hat sie nicht. Warum? Was ist denn passiert?«
»Wir untersuchen einen Fall, mit dem sie zu tun hat.« Ben wartet darauf, dass der jüngere Officer noch mehr sagt, doch er schweigt. Was für ein Fall? Wo ist sie? Er möchte gerne Fragen stellen, hat aber Angst, sich zu verraten.
»Geht es ihr gut?«, fragt er schließlich.
Der Officer zögert, als müsse er über die Frage nachdenken, daher fühlt sich Ben dazu veranlasst, es zu erklären: »Als ich sie getroffen habe, schien sie irgendwie durcheinander. Deshalb habe ich ihr meine Nummer gegeben.«
»Was soll das heißen, ›durcheinander‹?«
»Ich weiß nicht recht. Sie hatte eine Verletzung am Arm.« Es klingt so lächerlich, wenn er es laut ausspricht. Warum sollte er sich um eine Fremde Sorgen machen? Er sollte aufhören zu reden und nichts mehr sagen.
»Gib uns Bescheid, wenn du von ihr hörst.« Das ist nicht nur eine Frage, es ist eine Aufforderung.
»Ja, mach ich.«
Ben fürchtet, sie könnten noch mehr fragen, vielleicht, ob sie hereinkommen dürfen, aber die wenigen einfachen Antworten scheinen ihnen zu genügen. Der ältere dreht sich zuerst um, dann folgt ihm der jüngere und sie flüstern sich beim Weggehen etwas zu. Ben sieht ihnen nach, bis sie im Wagen sind.
Er schließt die Tür und verriegelt sie. Mit dem Gesicht vor dem Türspion bleibt er stehen und lehnt die Stirn an das Holz. Sie sitzen im Auto und erst nach ein paar Minuten lassen sie den Wagen an und fahren weg.
Sie wissen nichts, mahnt sich Ben. Sie haben nur etwas überprüft. Du bist sicher, alles ist gut. Doch während er die leere Straße entlangsieht, geht sein Atem immer noch ganz flach. Seine Hände sind wie taub. Dann beschäftigen ihn nur noch zwei Fragen.
Wo ist sie? Wo ist sie hingegangen?