Kapitel 49
»… und schließlich sucht die gekränkte Partei Seine Imperiale Majestät darum nach, seinem historischen Sinn für Gerechtigkeit und seinem tief empfundenen Gespür für individuelle Tragödien in aller Öffentlichkeit nachzukommen, indem er den heroischen und tragischen Tod Godfrey Alains anerkennt. Alain war ein Mann, der vor allem in …«
Mit unermüdlicher Stimme las Admiral Ledoh die Forderungen der Tahn noch einmal vor. Sein Publikum bestand aus zwei gelangweilten Männern: dem Ewigen Imperator und Tanz Sullamora. Sullamora kämpfte schwer mit dem Schlaf und versuchte krampfhaft, seine Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten. Dabei beobachtete er den Imperator und hoffte, einen Hinweis auf dessen Gefühle zu erhaschen. Es war aussichtslos. Das Gesicht des Ewigen Imperators drückte weniger Regung aus als eine Steinmaske.
»… und, zu einer vereinbarten Zeit, wird der Imperator selbst oder ein von ihm bestimmter Würdenträger eine von uns autorisierte Botschaft an sein Volk verlesen, deren Hauptpunkte sich im wesentlichen um …«
»Das reicht«, sagte der Imperator. »Jetzt ist es wirklich genug. Ich hab kapiert, worauf sie hinauswollen. Die Frage lautet jetzt vielmehr: Wie sollen wir darauf antworten?«
Admiral Ledoh hob eine Augenbraue. »Ich wollte vorschlagen, dass wir ihre Forderungen – sobald wir uns darüber einig sind, worin sie überhaupt bestehen – vom Diplomatiecomputer analysieren lassen.«
Der Imperator lachte auf. »Immer langsam, Ledoh. Du hörst dich ja schon wie die verdammten Tahri an.« Er nahm die Teekanne und füllte die drei Tassen nach.
»Den Diplomatiecomputer können wir gleich vergessen.
Ich kann die Fakten schneller und genauer analysieren als dieses Ding. Schließlich betreibe ich dieses Geschäft inzwischen schon seit mehreren Jahrhunderten.«
Sullamora nickte. »Ich hatte gehofft, dass Sie genau das sagen würden, Sir. Und ich hoffe, dass Sie es mir nicht als Unbescheidenheit auslegen, wenn ich daran erinnere, dass ich über viele Jahre Erfahrung im Umgang mit diesen Leuten verfüge.«
»Deshalb habe ich Sie ja mitgenommen, Sullamora.
Sie vertrauen Ihnen, soweit sie überhaupt einem.
Nicht-Tahn Vertrauen schenken.«
Sullamora lächelte. »Es ist keineswegs Vertrauen, Sir. Von ihrer Seite aus handelt es sich um blanke Gier. Schließlich bin ich der einzige, dem Sie erlaubt haben, Handel mit ihnen zu treiben.«
»Und aus diesem Grunde sind Sie auch mein Trumpf im Ärmel«, sagte der Imperator. »Mein mit einem herrlichen Köder versehener Haken.«
Sullamora hatte nicht die geringste Ahnung, was der Imperator damit meinte, doch er hörte Lob aus seinen Worten heraus und lächelte gnädig zurück.
»Und jetzt«, fügte der Imperator hinzu, »übersetzen wir einiges davon in verständliche Sprache. Das Pamphlet enthält fünf Grundforderungen, und ich halte sie alle für durchaus verhandelbar. Fangen wir mit Nummer eins an: Sie wollen meine Imperiale Zustimmung zur Verwaltung der Randwelten. Übersetzung: Sie wollen alle diese Systeme geschenkt bekommen.«
»Sie werden natürlich ablehnen, Sir«, schnaufte Sullamora empört.
»Nicht direkt.«
Sullamora wollte Protest einlegen, doch der Imperator brachte ihn mit erhobener Hand zum Schweigen.
Der Imperator nahm kaum wahr, dass Ledoh sich die ganze Zeit über eigenartig unverbindlich verhalten hatte.
»Lassen Sie mich zunächst noch aufzählen, worauf sie sonst noch hinauswollen, und dann werde ich Ihnen verraten, wie wir möglicherweise damit umgehen können. Zweite Forderung: Offene Immigration. Mein Einwand: Damit können sie das System mit ihren eigenen Leuten voll packen. Damit machen wir uns doppelt lächerlich. Drittens: Bedingungslose Amnestie für Godfrey Alains Leute. Kein Problem. Geschenkt.
Den wirklich harten Kern kann ich mir später immer noch in aller Stille vorknöpfen. Viertens – das ist wieder ein Punkt hart an der Grenze: Sie wollen einen Freihafen in den Randwelten einrichten.«
»Darin stecken jede Menge kommerzielle Möglichkeiten«, warf Sullamora ein.
»Das schon. Es bedeutet aber gleichzeitig, dass ich ihre Quote an AM2 heraufsetzen muss. Das wiederum heißt, sie können noch mehr davon horten und es mir irgendwann einmal mit ganz anderer Münze heimzahlen.
Und schließlich und endlich wollen sie, dass ich mich öffentlich für Godfrey Alains Tod entschuldige.«
Ledoh hob den Kopf und lächelte den Imperator mit einem dünnen Lächeln an. »Sie entschuldigen sich doch nie, oder, Sir?« sagte er. Niemandem schien der bittere Ton in seiner Stimme aufzufallen.
»Haargenau! Wenn ich erst einmal damit anfange, mich zu entschuldigen, kann ich mich gleich nach einem Nachfolger umsehen. Als ich das letzte Mal zugab, dass ich mich getäuscht habe, kostete es mich fast die Hälfte meiner Schatzkammer.«
»Ein entschiedenes Nein, Sir«, riet ihm Sullamora.
»Offen gesagt sehe ich keinen einzigen Punkt, an dem wir nachgeben könnten. Ich würde sagen, wir schicken sie gleich wieder nach Hause.«
»Grob gesagt stimme ich mit Ihnen überein, Tanz.
Aber lassen Sie mich einmal Revue passieren, was ich vorschlagen würde – und dann sehen wir, was Sie davon halten.«
Jetzt war Sullamora plötzlich hellwach. Es roch förmlich nach Profit.
»Zunächst mache ich den letzten Punkt der Tahn zu meinem ersten.«
»Sie meinen – die Entschuldigung?« Sullamora wollte seinen Ohren nicht trauen.
»Genau. Allerdings mache ich es folgendermaßen: Ich schlage vor, ein Denkmal für Godfrey Alain zu errichten. Zur Erinnerung an seinen Tod und die vielen Toten auf beiden Seiten dieser ganzen beklagenswerten Geschichte. Anstelle einer Entschuldigung drücke ich ihnen die Formulierung auf, dass alle friedliebenden Völker für diese fortgesetzte Tragödie verantwortlich sind.
Als Zuckerguss schlage ich vor, die ganze Angelegenheit zu finanzieren. Ich erbaue eine Erinnerungsstätte, eine ganze Stadt der Erinnerung auf der Hauptwelt der Tahn, eine Art Imperiales Handelszentrum.«
Sullamora grinste wölfisch.
»Mit anderen Worten – Sie errichten eine Garnison auf ihrem Heimatplaneten!«
Der Ewige Imperator lachte laut. »Das ist noch nicht alles, guter Mann! Ich garantiere obendrein, dass dort ausschließlich Männer und Frauen aus meinen Elitetruppen sein werden.«
»Hervorragend! Wie ich die Tahn kenne, werden sie die Kröte schlucken«, rief Sullamora begeistert.
»Nächster Punkt: Statt ihnen die Verwaltung der Randwelten zu überlassen, schlage ich eine Friedenstruppe vor, die zur Hälfte aus ihren, zur Hälfte aus meinen Leuten besteht.«
Sullamora schüttelte den Kopf.
»Nicht so schnell, Tanz. Ich überlasse ihnen die Wahl des Komandeurs.«
Sullamora überlegte. »Aber das ist das gleiche, wie sie ihnen zu übergeben.«
»So sieht es zunächst aus. Abgesehen von der Tatsache, dass ich die Schiffe zur Verfügung stelle, und diese Schiffe werden von meinen Leuten befehligt; sollte irgend etwas schief laufen, würde ihr Oberfuzzi ziemlich hilflos dastehen. Und um noch eins draufzusetzen, verdoppele ich den Grundsold meiner Truppe.«
Das gefiel Sullamora besonders. »Das heißt, verglichen mit den Tahn sind sie relativ reich. Damit wiederum wird die Moral der Tahn-Soldaten gehörig untergraben.«
Diese Taktik wollte er sich merken und schon bald bei einigen seiner problematischeren Handelsniederlassungen ausprobieren.
»Offene Immigration geht klar«, fuhr der Ewige Imperator fort. »Jetzt das Konzept des Freihafens.
Ich werde zustimmen. Mit der Bedingung, dass ich den Topmann einsetze.«
»Darauf müssen sie eingehen«, meinte Sullamora.
»Nachdem ihnen der Kommandeur der Friedenstruppe gewährt wurde. Aber wen haben Sie dafür vorgesehen?«
»Sie«, sagte der Imperator.
Sullamora hätte fast der Schlag getroffen. Die Profite, die er bereits gerochen hatte, sprengten alle Erwartungen.
»Warum denn mich?«
»Sie verstehen die Tahn, aber Ihre Loyalität gehört mir. Auf diese Weise behalte ich die Kontrolle über den Vorrat an AM2. Durch Sie, natürlich.«
»Natürlich.« Sullamora wusste nur zu genau, dass er, gerade was die Energievorräte anging, nicht unbedingt alle Karten auf den Tisch legen musste.
»Und schließlich«, sagte der Imperator, »komme ich noch mit einem wahrhaft großherzigen Vorschlag.
Jedenfalls wird er sich so anhören, wenn die Diplomatenheinis alles ein bisschen aufgepeppt haben.
Das Hauptproblem der Tahn – abgesehen davon, dass sie unverbesserliche faschistische Betonköpfe sind – besteht in ihrer Überbevölkerung. Genau deshalb schlagen wir uns auf den Randwelten die Köpfe ein.«
Sullamora nickte.
»Um diesem Pulverfass die Lunte auszureißen, erkläre ich mich dazu bereit, eine Forschungsflotte auszurüsten. Ich bezahle die ganze Sache und stelle Schiffe sowie Besatzungen zur Verfügung.«
Jetzt ging es sogar mit dem stillen Großkämmerer durch: »Aber … welchen Vorteil …«
»Die Schiffe erhalten den Auftrag, weit weg von den Randwelten zu forschen. Wenn wir etwas finden …«
Wenn die Expansion weiter anhalten sollte, würden die Tahn eine andere Richtung einschlagen. Mit etwas Glück würde der Wettlauf der Pioniere zu anderen Systemen zumindest einen Teil der Spannung aus ihrer Militärkultur entweichen lassen.
»Na?« Der Ewige Imperator lehnte sich in Erwartung der Kommentare seiner beiden Spitzenleute zurück.
»Hört sich für mich sehr gut an«, sagte der Großkämmerer rasch.
Sullamora dachte lange darüber nach. Dann nickte er langsam. »Es müsste funktionieren.«
»Ich hoffe es jedenfalls«, sagte der Ewige Imperator. »Denn falls dem nicht so sein sollte –«
Das Licht neben dem Eingang fing an zu blinken.
Ledoh zog enerviert die Stirn kraus und drückte auf den Sprechfunk.
»Hier ist die Nachrichtenzentrale, Sir.«
»Diese Konferenz sollte doch unter keinen Umständen –«
»Admiral«, unterbrach ihn der Imperator. »Es könnte die Nachricht sein, auf die ich warte.«
Ledoh ließ die Tür mit einem Knopfdruck zur Seite gleiten.
Der diensthabende Nachrichtenoffizier wusste nicht, ob er sich vor dem Imperator verbeugen oder ob er salutieren sollte, weshalb er ein lächerliches Zwischending aufführte.
Dem Imperator fiel es nicht einmal auf. Er hoffte nur, dass die Nachricht von Sten kam und besagte, dass er die Verschwörer geschnappt und fest verschnürt hatte und sie zur Auslieferung an die Tahn auf einem Silbertablett bereithielt.
»Äh …, Sir …«, stotterte der Offizier und beschloss dann, die Nachricht an Admiral Ledoh zu übermitteln. »Die Botschaft kommt nicht von der erwarteten Quelle. Es handelt sich um einen Hilferuf auf der Standardfrequenz. Unser Satellit hat ihn gerade erst aufgefangen.«
»Verdammt«, fluchte Ledoh und nahm den Ausdruck der Nachricht entgegen. »Das können wir nicht gebrauchen.
Keine Antwort.«
»Moment mal. Lassen Sie mich einen Blick darauf werfen.« Ledoh reichte das Papier an den Imperator weiter. Dem verstümmelten Notruf zufolge befand sich das Handelsschiff Montebello in einer verzweifelten Lage, und zwar nicht allzu viele Lichtjahre von dem Radiopulsar NG467H entfernt. Treibstoffexplosion an Bord … sämtliche Offiziere verletzt … die meisten Besatzungsmitglieder mit schweren Verbrennungen …
Bitten um sofortige Hilfe … jedes Schiff, das die Nachricht auffängt …
»Diese Schwachköpfe!« sagte der Imperator. »Schmalspur-Raumfahrer! Wollten mal wieder einen besonders sparsamen Katapult-Orbit fliegen, dabei sind sie nicht einmal in der Lage, mit einer Taschenlampe aus einem Kleiderschrank herauszufinden!«
»Euer Hoheit«, sagte Sullamora. »Admiral Ledoh hat recht. Wir haben über weit wichtigere Dinge zu entscheiden als über ein paar Dutzend verbrannte Weltraumgammler.«
Möglicherweise hätte der Imperator die gleiche Entscheidung getroffen; doch Sullamora hatte seine Meinung unabsichtlich in Worte gekleidet, die den Imperator unwillkürlich Tausende von Jahren zurückdenken und sich an eine Zeit erinnern ließen, da er selbst nicht mehr als ein Weltraumgammler gewesen war.
»Lieutenant«, wandte er sich an den Nachrichtenoffizier. »Geben Sie dem Geschwaderkommandeur Nachricht und weisen Sie ihn an, sofort einen Zerstörer loszuschicken.«
Diesmal salutierte der Offizier und entfernte sich eilig aus der Gegenwart des Imperators.
Der Imperator wandte sich wieder der Tagesordnung zu. »Mein lieber Admiral, wenn Sie jetzt die Liebenswürdigkeit besäßen, Ihren geballten Menschenverstand auf diesen diplomatischen Dreck zu verschwenden, damit Lord Kirghiz nicht denkt, wir seien völlig übergeschnappt?«