Kapitel 19

 

Sergeant Major Alex Kilgour, abkommandiert vom Hauptquartier Sektion Mantis, Stammeinheit 1. Sturmdivision der Imperialen Garde, warf einen abschätzigen Blick auf seine geschmackvoll lila und grün gesprenkelten Hosen und die weite Jacke; dann wanderte sein Blick über die gepflasterte Straße hinüber zum Schulhof. Dort drillte ein älterer Tahn-Offizier eine Horde Achtjähriger in einer Art Waffendrill.

›Wenn ihr die Kinder schon wie Hunde abrichtet, bevor der Krieg überhaupt losgeht‹, dachte Alex, ›solltet ihr vielleicht mal darüber nachdenken, nicht zu kämpfen.‹

Das Auf- und Abmarschieren, das er gerade beobachtete, war jedenfalls weit unten auf seiner persönlichen Haßliste angesiedelt, auf der es nicht gerade an Eintragungen mangelte. Solange er auf Sten wartete, ging er sie alle durch. Es war nichts dagegen einzuwenden, für einen Spezialeinsatz abkommandiert zu werden. In letzter Zeit hatten sich jedoch immer wieder Gedanken über Moral und dergleichen in seinen Hinterkopf geschlichen. Er war jetzt schon lange genug bei Mantis, um zu wissen, dass die Uhr früher oder später zu ticken aufhören würde. Erst vor kurzem hatte Alex festgestellt, dass seine persönliche Uhr anfing, langsamer zu laufen.

Aber das, widersprach er sich energisch, war nicht der eigentliche Grund. ›Ich bin als Soldat zur Garde gegangen, und jetzt hat es mich als Zuhälter verkleidet auf diese komische Welt hier verschlagen. Eines schönen Zeitalters‹, versprach sich Alex hochheilig, wahrscheinlich wenn ich in den Ruhestand gehe, setze ich dem Imperator die ganze Geschichte vor. Der arme Kerl kann unmöglich wissen, was wir hier durchmachen.

Die komische Welt war Heath, der Zentralplanet der Tahn-Welten. Alex und Sten waren heimlich eingeschleust worden. Seitdem mäkelte Kilgour pausenlos an ihrer Tarnung herum – Sten hatte sich ausgedacht, dass man gut betuchte Zuhälter wohl nicht nach ihren Motiven befragte. Was auch immer sich Alex von einer langen Karriere erwartet hatte, die ihn immer wieder in bizarre Kulturkreise verschlug – Heath erwies sich als einer der Höhepunkte.

Die Kultur der Tahn bestand aus starren, streng voneinander getrennten Gesellschaftsschichten. An der Spitze standen die Kriegslords, eine politische und militärische Führerkaste mit Grundbesitz, die sich auf das Recht der Geburt und der Erbschaft berief.

Unter ihnen standen die Lieutenants, die taktischen Anführer und Krieger. Dann folgte die Klasse der Kaufleute, und ganz unten waren die Bauern angesiedelt. Die Bauern erledigten die Drecksarbeit, angefangen vom Speeretragen im rasant anwachsenden Militär der Tahn bis hin zu landwirtschaftlichen Arbeiten und Dienerarbeiten in Haus und Hof.

›Das allein‹, dachte Alex wütend, ›bringt mich zur Weißglut. Aber diesen dämlichen Bauern scheint es noch nicht einmal etwas auszumachen, den anderen zu dienen.‹ Tausend Jahre früher hätte Alex Kilgour wahrscheinlich einen akzeptablen Revolutionär abgegeben.

›Abgesehen davon ist der Fraß hier nicht gerade das, was ein zivilisierter Magen zu sich nehmen sollte. Meeresalgen, Viecher, die auf der Erde herumkriechen, und jede Menge im Dreck verbuddelte Kohlehydrate sind keine Diät für einen Menschen.‹ Bei dem Gedanken musste er heftig aufstoßen.

Da Alex jedoch nicht zu denen gehörte, die sich selbst das Leben unnötig schwer machten, tröstete er sich schon bald darauf mit der Gewissheit, dass wenigstens das Bier und der restliche Alk der Tahn stark genug waren und jederzeit zur Verfügung standen. In diesem Moment schlich sich Sten an ihn heran.

»Deine Mutter hat dich ja komisch angezogen«, bemerkte Alex trocken. Stens Garderobe war noch extremer ausgefallen als die von Alex – was in der Unterweltkultur von Heath »weniger auffällig« bedeutete. Sein knielanger, blousonartiger Kittel war orange-schwarz gestreift, das enganliegende Trikot darunter einfarbig schwarz. Man hatte Sten hoch und heilig versichert, dass diese Ausstaffierung der letzte Schrei bei den großen Fischen in der Halbwelt von Glücksspiel und Prostitution sei.

Sten antwortete auf Alex’ Bemerkung lediglich mit einem Grunzen und sah ebenfalls zum Schulhof hinüber.

Der Tahn-Krieger hatte einen Fehler in der Darbietung eines der Kinder entdeckt und putzte es jetzt erbarmungslos vor seinen Kameraden herunter. Sten bewegte kurz den Kopf, und die beiden Männer setzten sich in Richtung des Rotlichtbezirks, in dem sie Unterkunft gefunden hatten, in Bewegung.

»Hast du unseren irren Bombenheini schon gefunden?« fragte Alex.

»Ja.«

»Ach, Sten. Warum sagst du das nicht gleich? Ist was schief gelaufen?«

»Noch schlimmer«, fing Sten wütend an. »Der verdammte Idiot hat es tatsächlich noch mal getan.«

Lee Dynsman war ein Idiot. Nachdem er das Schiff verlassen, ein Versteck, einen Drink, eine Frau und eine Mahlzeit gefunden hatte – wofür er den letzten Rest seiner Credits hinblätterte –, machte er in den Kaschemmen der Unterwelt Reklame für seine Fähigkeiten als Sprengstoffexperte und ließ wissen, dass er für jeden Auftrag zu haben sei. Kurz darauf hatte ihn eine kleine Gangstertruppe mit großen Ambitionen angeheuert, um den Tresor einer Tahn-Bank in die Luft zu jagen. Wenigstens einmal in Dynsmans Karriere ging alles reibungslos über die Bühne: Die Sprengladung verwandelte die dicke Rückwand aus Stahl und Zement in einen Haufen Schutt. Die Gang schnappte sich die Beute, nahm Dynsman mit in ihr Versteck und füllte ihn bis zur feierlichen Besinnungslosigkeit ab. Da sie nicht auf den Kopf gefallen waren, wußten sie genau, dass die Tahn-Polizei (eine paramilitärische, für Sonderdienste von der Armee abgestellte Einheit) einen Sündenbock brauchte; sie denunzierten Dynsman.

»Unser kleiner Freund sitzt also im Knast«, schloss Alex.

»Noch schlimmer.«

»Langsam, langsam, alter Knabe, jetzt mach’s mal nicht schlimmer, als es ist. Weiß du, Sten, als ich das Museum leitete, dachte ich schon darüber nach, den Dienst zu quittieren. Das Schloss meiner Mutter in der Provinz Ross Galen ist der schönste Flecken auf dem ganzen Planeten Edinburgh. Und das Schloss sitzt direkt oberhalb von einem Loch – Loch Owen. Anstatt mich hier mit diesen Barbaren herumzuärgern, könnte ich jetzt dort sein und es mir gut gehen lassen.«

»Halt endlich mal die Klappe.« Sten war nicht in der Stimmung für Alex’ weitläufige Ausführungen.

»Dynsman ist nicht im Gefängnis. Der Schwachkopf wurde deportiert.«

»Au weia.« Alex hatte begriffen.

»Dachte mir schon, dass du das gleich verstehst, du Abkömmling eines Clans von Kriminellen. Deportiert.

Auf einen verfluchten Gefängnisplaneten.«

»Ich brauch was zu trinken.«

»Viele, viele Drinks«, stimmte ihm Sten zu. »Dabei können wir uns übrigen, wie wir dem Imperator beibringen, dass es so gut wie unmöglich ist, Dynsman aus dem schlimmsten Straflager der Tahn herauszuholen.«

Als Alex eine Kneipe entdeckte, die gerade ihre dunstigen Pforten öffnete, war der Tag wenigstens einigermaßen gerettet. Die beiden Männer schwenkten seitlich um und marschierten direkt in die Spelunke hinein.