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15

Der Duft nach Blaubeermuffins versüßt normalerweise meine Stimmung, aber nach der lauwarmen Dusche, die ich gerade genommen habe, haben nicht einmal Blaubeermuffins eine Chance. Meine Laune ist ungefähr so süß wie Essig. Mom holt gerade die Backform aus dem Ofen, als ich die letzte Treppenstufe hinuntersteige.

»Ist der Boiler kaputt?«, frage ich und nehme eine Schale aus dem Schrank.

»Dir auch einen guten Morgen«, sagt sie und schaufelt einen Muffin auf Wachspapier, damit er abkühlt.

»Tut mir leid. Guten Morgen. Ist der Boiler kaputt?« Ich löffle einen Berg Haferbrei aus dem Topf auf dem Herd und klatsche ihn in meine Schale. Ein Muffin fällt mir auf den Fuß – es passiert immer mindestens ein Unfall, weil etwas an der Backform anklebt.

»Nicht dass ich wüsste, Schätzchen. Ich habe heute Morgen geduscht und mir ist nichts aufgefallen.«

»Dann ist er wahrscheinlich genau vor mir kaputtgegangen«, murre ich, schnappe mir einen Muffin und schlendere zum Tisch. Meine Beine tun schrecklich weh, und ich ahne, dass es mir nicht gelingen wird, mich auch nur einigermaßen würdevoll niederzulassen. Also werfe ich mich auf den Stuhl und mache mich über den Haferbrei her, damit ich mich nicht noch mehr aufrege. Mom hat die ganze Nacht gearbeitet und mir dann Frühstück gemacht. Sie verdient keine Essiglaune.

»Holt Galen dich zur Schule ab?«

»Nein. Ich fahre selbst.« Der Essig verwandelt sich in Säure. Sicher, es ist ärgerlich, eine lauwarme Dusche zu nehmen, wenn man sich das Fleisch vom Körper kochen wollte. Aber Galen heute nicht sehen zu können, ist niederschmetternder, als den ganzen Winter lang kein heißes Wasser zu haben. Und ich hasse es.

Dass ich gestern den ganzen Tag mit ihm verbracht habe, war meiner Absicht, ihn auf Abstand zu halten, nicht gerade zuträglich. Von seinem Aussehen einmal abgesehen – er ist einfach zu liebenswert. Bis auf seine Angewohnheit, mich beinahe zu küssen. Aber wenn er mal wieder versucht, mich herumzukommandieren, ist er zu süß. Vor allem die Art, wie er einen Schmollmund zieht, wenn ich nicht auf ihn höre.

»Ihr zwei streitet euch schon?«

Sie fischt im Trüben, aber ich habe keine Ahnung, wonach. Ein Achselzucken scheint die sicherste Reaktion zu sein, bis ich herausgefunden habe, was sie hören will.

»Streitet ihr oft?«

Ich zucke noch mal die Achseln und schiebe mir so viel Haferbrei in den Mund, dass ich mindestens eine Minute lang nicht reden kann. Mehr als genug Zeit, um das Thema fallen zu lassen. Es funktioniert nicht. Nach der ausgedehnten Minute greife ich nach meinem Milchglas.

»Weißt du, wenn er dich jemals schlagen sollte …«

Mit dem halb ausgetrunkenen Glas an den Lippen schlucke ich, bevor mir die Milch durch die Nase wieder herauskommen kann. »Mom, er würde mich niemals schlagen!«

»Das habe ich auch nicht gesagt.«

»Gut, denn das würde er nicht. Nie und nimmer. Was ist los mit dir? Musst du mich eigentlich jedes Mal, wenn du mich siehst, wegen Galen ins Kreuzverhör nehmen?«

Diesmal zuckt sie die Achseln. »Scheint mir das Richtige zu sein. Wenn du selbst Kinder hast, wirst du es verstehen.«

»Ich bin nicht blöd. Wenn Galen Ärger macht, werde ich ihm entweder den Laufpass geben oder ihn umbringen. Versprochen.«

Mom lacht und bestreicht meinen Muffin mit Butter. »Ich schätze, mehr kann ich nicht verlangen.«

Ich nehme den Muffin – und den Waffenstillstand – an und sage: »Nein. Noch mehr wäre unvernünftig.«

»Vergiss nur nicht, dass ich dich wie ein Habicht beobachte. Zumindest bis zu diesem Augenblick. Ich gehe jetzt ins Bett. Stell deine Schale in die Spüle und gib etwas Wasser hinein, bevor du gehst.« Sie küsst mich auf den Kopf und gähnt, bevor sie die Treppe hinaufschlurft.

Als ich nach Hause komme, bin ich erschöpft, obwohl der Schultag ohne Galen oder Chloe ein siebenstündiger Gähn-Marathon war. Mom flitzt durchs Haus wie eine aufgeregte Wespe. »Hey, Schätzchen, wie war dein Tag? Hast du meine Schlüssel gesehen?«

»Nein, tut mir leid. Hast du schon in der Tasche von gestern nachgesehen?«, gebe ich zurück und öffne die Kühlschranktür, um mir ein paar Erdbeeren herauszunehmen.

»Gute Idee!« Der Teppich auf der Treppe dämpft ihre stampfenden Schritte. Einige Sekunden später kommt sie zurück, als ich mir gerade eine Erdbeere in den Mund stecke und mich auf die Theke hieve. »Ich hatte gestern keine Tasche dabei«, verkündet sie und zerrt an ihrem Haar, um ihren Pferdeschwanz zurechtzuziehen.

»Warum nimmst du nicht einfach den Honda? Dann suche ich weiter nach deinen Schlüsseln.«

Mom nickt. »Musst du heute Nachmittag nirgendwohin? Immer noch Krach mit Galen?«

»Ich mache mir heute einen ruhigen Abend und pflege mich.« Das heißt, nachdem ich hinten rausgegangen bin und versucht habe, mich in einen Fisch zu verwandeln.

Als Moms zweifelndes Stirnrunzeln nicht zu einem weiteren Verhör eskaliert, weiß ich, dass sie sich an unseren Waffenstillstand von heute Morgen halten möchte. »Okay. Im Kühlschrank ist noch ein Rest vom Eintopf. Wenn Julie heute Abend wieder nicht aufkreuzt, werde ich eine weitere Doppelschicht schieben, dann sehen wir uns morgen vielleicht erst später. Vergiss nicht abzuschließen, bevor du ins Bett gehst.«

Als ich die Schaltung des Hondas in der Einfahrt knirschen höre, greife ich nach meinem Handy. Galen hat gesagt, Rachel würde niemals rangehen, aber sie ruft zurück, wenn man eine Nachricht hinterlässt. Nachdem mir eine automatisierte weibliche Stimme von der Trans-Atlantic Warranty Company die Möglichkeit gibt, eine Nachricht zu hinterlassen oder während der normalen Geschäftszeiten zurückzurufen, warte ich auf den Piepton. »Hey, Rachel, ich bin’s, Emma. Sag Toraf, dass er für heute Abend vom Haken ist. Ich werde es heute nicht zum Training schaffen. Vielleicht morgen wieder.« SICHER NICHT. Ich brauche keinen Babysitter. Galen muss in seinen sturen Dickschädel kriegen, dass ich nicht zu seinen königlichen Untertanen gehöre. Außerdem hat sich Toraf einen Platz auf meiner Genauso-schlimm-wie-Zoodreck-Liste verdient, als er Rayna dazu gezwungen hat, ihn zu heiraten.

Nach einigen Minuten erfüllt Rachel Galens Versprechen. Als ich den Anruf entgegennehme, sagt sie: »Hallo, Schnuckelchen. Du fühlst dich doch nicht wieder schlecht, oder?«

»Nein, mir geht es gut. Ich habe nur ein wenig Muskelkater von gestern, schätze ich. Aber Mom musste mit meinem Auto zur Arbeit fahren und jetzt kann ich nicht zu euch rauskommen.«

Ein nachdenkliches Schweigen folgt. Es überrascht mich, dass sie mir nicht anbietet, mich abzuholen. Vielleicht mag sie mich doch nicht so sehr, wie sie tut. »Ruf mich morgen an, okay? Galen will, dass wir in Kontakt bleiben.«

»Das ist ja so süß von ihm«, erwidere ich übertrieben gedehnt.

Sie kichert. »Gib dem Jungen eine Chance. Er meint es nur gut. Er weiß noch nicht so richtig, wie er mit dir umgehen soll.«

»Ich brauche keine besondere Behandlung.«

»Anscheinend denkt er das aber. Und bis er das verstanden hat, fürchte ich, wirst du mit mir vorliebnehmen müssen.«

Ich versuche, nicht schroff zu klingen, als ich frage: »Tun Sie immer, was er sagt?«

»Nicht immer.«

»Ja, klar.«

»Emma, wenn ich immer tun würde, was man mir sagt, wärst du irgendwo in einem Hotelzimmer eingesperrt, und ich würde einen Privatjet zu einem von Galen gewählten Ort organisieren. Ruh dich ein wenig aus. Ich erwarte dann morgen einen Anruf von dir.«

Ich werfe mein Handtuch in den Sand, nehme Anlauf und stürze mich in die Wellen. Ich rechne mit erfrischender Kälte, als ich eintauche, mit diesem erregenden Rausch von atemberaubender Kälte, die jeder Herbst in New Jersey, der etwas auf sich hält, heraufbeschwört. Aber als ich wieder auftauche, fühle ich mich ekelhaft. Das Wasser ist lauwarm. Genau wie meine Dusche. Genau wie mein Liebesleben.

Ich wate gegen den Wellengang an und zwinge mich unter den Strom der Brandung. Ich halte den Atem an und lasse mich treiben, dann drücke ich den Startknopf auf Dads alter Stoppuhr. Und entdecke noch einen Grund, das Verrinnen der Zeit zu hassen: Es ist langweilig. Um nicht auf die Anzeige zu starren, während sich die Minuten dahinschleppen, sage ich das Alphabet auf. Dann zähle ich alle Zahlen und Fakten rund um die Titanic auf, wie es jeder besessene Mensch tun würde. Ein paar Krabben lauschen gebannt, als ich die Anzahl der Rettungsboote mit der Anzahl der Passagiere vergleiche und mich die Wellen immer weiter zurück Richtung Ufer spülen.

Nach fünfzehn Minuten fühlt sich meine Lunge langsam wie zugeschnürt an. Nach siebzehn Minuten wie ein Gummiband, das aufs Äußerste gedehnt wird. Nach zwanzig Minuten entwickelt sich mein kleines Experiment zum ausgewachsenen Notfall. Ich tauche auf und halte die Uhr an.

Zwanzig Minuten, vierzehn Sekunden. Nicht schlecht für einen Menschen – der Weltrekord liegt bei dreizehn Minuten, zweiunddreißig Sekunden. Aber für einen Fisch ist das eine ziemlich schlappe Leistung. Nicht dass Fische den Atem anhalten würden oder so, aber ich habe auch nicht direkt Kiemen, mit denen ich arbeiten könnte. Galen sagt, er hält auch nicht den Atem an. Syrena füllen ihre Lunge mit Wasser und ziehen daraus anscheinend den Sauerstoff heraus, den sie brauchen. Aber so groß ist mein Vertrauen dann auch wieder nicht, als dass ich das versuchen würde. In der Tat wird mich nur eines dazu bringen, wirklich daran zu glauben: wenn mir eine Flosse wächst. Selbst die Tatsache, dass ich gleich bei meinem ersten Versuch einen Weltrekord gebrochen habe, reicht nicht aus, um mich davon zu überzeugen, Meereswasser einzuatmen. Das läuft nicht.

Ich latsche zurück, bis ich wieder bis zum Hals im Wasser stehe, und lösche die gestoppte Zeit auf der Uhr. Dann fülle ich meine Lunge mit einem tiefen Atemzug auf und drücke auf den Startknopf. Und da spüre ich es. Es durchdringt das Wasser um mich herum, ein Pochen ohne Rhythmus. Ein Puls. Jemand ist nah. Jemand, den ich nicht erkenne. Langsam gehe ich auf Zehenspitzen rückwärts, vorsichtig, darauf bedacht, nicht zu planschen oder zu spritzen. Nach einigen Sekunden macht es keinen großen Sinn mehr, auf Zehenspitzen zu schleichen. Wenn ich jemanden spüren kann, kann mich dieser Jemand auch spüren. Der Puls wird stärker. Kommt direkt auf mich zu. Schnell.

Ich lasse jede Vorsicht, Regel und Dads Stoppuhr hinter mir und flitze wie eine Irre ins flachere Wasser. Plötzlich scheint mir Galens Befehl, an Land zu bleiben, gar nicht mehr so unvernünftig. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Das wenige, was ich über Syrena weiß, habe ich in einem eintägigen Crashkurs bei Galen zu Hause eingetrichtert bekommen. Genau wie die Menschen haben sie eine gesellschaftliche Struktur. Regierung, Gesetze, Familie, Freundschaft. Haben sie etwa auch Ausgestoßene? Vergewaltiger? Serienmörder? Wenn ja, dann ist mein kleiner Alleingang hier so eine Allein-ins-dunkle-Parkhaus-gehen-Geschichte. Dumm. Dumm. Dumm.

Als ich mitten in einer Welle nach Luft japse, weiß ich, dass meine Lunge noch nicht auf Wasser vorbereitet ist. Prustend und hustend werde ich ein wenig langsamer, aber das Ufer ist nah, und ich habe den Blick auf einen Stock geheftet. Er ist dicker als mein Arm und liegt gleich hinter dem nassen Sand. Dass jeder Syrena-Kopf ihn wie ein Ästchen zersplittern lassen wird, spielt keine Rolle.

Ich bin im knietiefen Wasser, als eine Hand meinen Knöchel packt. Ich schaue hinunter, aber mein Angreifer hat offensichtlich seine Tarngestalt angenommen, die kaum von den Wellen zu unterscheiden ist. Das Wasser unterbricht meinen Schrei zwar nicht, trennt ihn aber von der menschlichen Welt. Die Hand ist stark und groß und zieht mich wie eine reißende Strömung aus der sicheren Zone. Ich verschwende kostbare Luft, indem ich den Tarnklecks anschreie und nach ihm trete. Kampflos aufgeben ist nicht drin.

Der Grund des Ozeans ist zerklüftet. Nur ein paar fingerbreite Strahlen des Sonnenlichts gelangen bis in die Tiefe hinunter. Diese Strahlen verschwinden, als meine Augen sich anpassen und mir alles wie in nachmittägliches Licht getaucht erscheint. Je mehr ich mich wehre, desto schneller schießen wir durchs Wasser – und desto fester hält mich mein Entführer umklammert.

»Du tust mir weh!«, heule ich. Wir stoppen so schnell, dass ich mir fast ein Schleudertrauma hole.

»Ups, tut mir leid«, sagt der Klecks und entpuppt sich als Toraf. Er lässt meinen Knöchel los.

»Du!«

»Natürlich ich. Wer denn sonst?«

Wir tauchen in den Nachthimmel auf. Ich sehe lauter Sterne, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie echt sind oder eine Nebenwirkung von Sauerstoffentzug. Toraf gibt ein bisschen an, indem er seinen Körper aus dem Wasser schießen lässt und mit der Spitze seiner Flosse die Wellen durchschneidet wie ein Delfin in SeaWorld. »Lass den Quatsch«, ermahne ich ihn. »Wie war ich diesmal? Gib mir die Uhr.«

»Siebenundzwanzig Minuten, neunzehn Sekunden«, sagt er und legt sie in meine ausgestreckte Hand. Schnappt nach Luft. »Woah. Was ist mit deinen Händen los?«

»Was meinst du?« Ich drehe sie hin und her und versuche, im Mondlicht etwas zu erkennen. Kein Blut, keine Schnitte, keine Kratzer. Während ich mit allen zehn Fingern wackle, sage ich: »Nichts ist los damit, siehst du?«

Seine Augen sind immer noch so weit aufgerissen, dass ich noch einmal hinsehe. Immer noch nichts. »Toraf, wenn das wieder ein Witz sein soll …«

»Emma, es ist kein Witz. Sieh dir deine Hände doch mal an! Sie sind … sie sind … runzelig!«

»Ja. Das liegt daran …«

»Auf keinen Fall. Das werde ich nicht auf meine Kappe nehmen. Das ist nicht meine Schuld.«

»Toraf …«

»Aber Galen wird einen Weg finden, mir die Verantwortung in die Schuhe zu schieben. Das tut er immer. ›Du wärst nicht gefangen worden, wenn du nicht so nah an dieses Boot herangeschwommen wärst, Kaulquappe.‹ Nein, es war natürlich nicht die Schuld des Menschen, weil er überhaupt gefischt hat …«

»Toraf.«

»Oder wie wäre es damit: ›Wenn du nicht mehr versuchen würdest, meine Schwester zu küssen, würde sie vielleicht aufhören, dir Steine an den Kopf zu schlagen.‹ Was haben meine Küsse damit zu tun, dass sie mir mit einem Stein auf den Kopf schlägt? Wenn du mich fragst, ist das eine Erziehungsfrage …«

»Toraf.«

»Oh, und das ist mein absoluter Lieblingsspruch: ›Wenn du mit einem Rotfeuerfisch spielst, wirst du gestochen.‹ Ich habe nicht mit ihm gespielt! Ich habe ihm nur geholfen, schneller zu schwimmen, indem ich seine Flossen gepackt habe …«

»TO-RAF

Er hört auf, im Wasser auf und ab zu gleiten, und scheint sich sogar daran zu erinnern, dass ich existiere. »Ja, Emma? Was hast du gesagt?«

Ich atme ein, als würde ich für eine halbe Stunde untertauchen. Während ich langsam wieder ausatme, antworte ich: »Niemand ist daran schuld. Meine Haut wird einfach ganz runzelig, wenn ich zu lange im Wasser bleibe. Schon immer.«

»So etwas wie Zu-lange-im-Wasser-Bleiben gibt es nicht. Nicht für Syrena. Außerdem, wenn deine Haut so runzelig wird, wirst du dich niemals tarnen können.« Er hält mir seine Hand hin und zeigt mir seine Finger, die so glatt wie die einer Statue sind. Dann taucht er die Hand unter und sie verschwindet. Getarnt. Triumphierend verschränkt er die Arme vor der Brust. Der Vorwurf ist angekommen.

»Oh, du hast recht. Ich bin nur ein Mensch mit dicker Haut, violetten Augen und harten Knochen. Und das bedeutet, dass du nach Hause gehen kannst. Richte Galen einen schönen Gruß von mir aus.«

Toraf öffnet und schließt den Mund zweimal. Beide Male scheint es, als wolle er etwas sagen, aber sein Gesichtsausdruck verrät mir, dass sein Gehirn nicht ganz mitkommt. Als sein Mund ein drittes Mal zuklappt, spritze ich ihm Wasser ins Gesicht. »Willst du etwas sagen, oder versuchst du nur, Wind aufzunehmen und davonzusegeln?«

Ein Grinsen, so breit wie der Horizont, erscheint auf seinem Gesicht. »Das gefällt ihm an dir, weißt du. Dein Temperament.«

Ja klar, sicher. Galen ist der klassische Typ A – und der Typ A hasst Klugscheißerei. Da muss man nur mal meine Mom fragen. »Nichts für ungut, aber du bist nicht gerade ein Experte, wenn es darum geht, die Gefühle anderer Leute zu beurteilen.«

»Ich bin mir nicht sicher, was du damit meinst.«

»Und weißt ganz genau, was ich meine.«

»Wenn du von Rayna sprichst, dann irrst du dich gewaltig. Sie liebt mich. Sie will es nur nicht zugeben.«

Ich verdrehe die Augen. »Natürlich. Sie spielt nur die Unnahbare, ist es so? Deshalb schlägt sie dir mit einem Stein auf den Kopf, spaltet deine Lippe und nennt dich die ganze Zeit Tintenschnaufer.«

»Was bedeutet das? Sie spielt die Unnahbare?«

»Es bedeutet, dass sie dich zappeln lässt, damit du sie am Ende nur noch mehr magst. Und dich noch stärker ins Zeug legst, um ihre Aufmerksamkeit zu erringen.«

Er nickt. »Genau. Das ist genau das, was sie tut.«

Ich kneife mir in den Nasenrücken. »Das glaube ich nicht. Während wir uns hier unterhalten, lässt sie euer Verbindungssiegel annullieren. Das hat nichts damit zu tun, dass sie die Unnahbare spielt. Sondern vielmehr damit, dass sie für dich unerreichbar ist

»Selbst wenn sie es schafft, die Verbindung auflösen zu lassen, liegt es nicht daran, dass ich ihr nichts bedeute. Sie spielt einfach gern Spielchen.«

Der Schmerz in Torafs Stimme erschüttert mich. Sie spielt vielleicht gern Spielchen, aber seine Gefühle sind echt. Und kann ich das nicht allzu gut nachvollziehen? »Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden«, murmele ich.

»Was herausfinden?«

»Ob sie wirklich nur Spielchen spielt.«

»Wie?«

»Du spielst den Unnahbaren. Du weißt schon, es heißt doch: ›Wenn du jemanden liebst, lass ihn sausen. Wenn er von allein zurückkommt, ist es Schicksal.‹«

»Das habe ich noch nie gehört.«

»Okay. Nein, natürlich nicht.« Ich seufze. »Im Wesentlichen will ich damit Folgendes sagen: Du musst aufhören, Rayna nachzulaufen. Weise sie zurück. Behandele sie so, wie sie dich behandelt.«

Er schüttelt den Kopf. »Ich glaube nicht, dass ich das kann.«

»Aber nur so wirst du deine Antwort bekommen«, sage ich achselzuckend. »Man könnte glauben, dass du es gar nicht wirklich wissen willst.«

»Ich will es wissen. Aber was, wenn die Antwort negativ ausfällt?« Sein Gesicht verzieht sich, als hätte er in eine Zitrone gebissen.

»Du musst bereit sein, damit klarzukommen, was auch immer dabei herauskommt.«

Toraf nickt mit angespanntem Kiefer. Die Möglichkeiten, die er abwägen muss, werden ihm eine ziemlich lange Nacht bescheren. Also beschließe ich, seine Zeit nicht länger in Anspruch zu nehmen. »Ich bin ziemlich müde und schwimme zurück. Wir sehen uns morgen bei Galen. Vielleicht kann ich dann die Dreißig-Minuten-Grenze knacken, hm?« Ich stupse meine Faust gegen seine Schulter, mehr als ein schwaches Lächeln bekomme ich nicht als Antwort.

Es überrascht mich, als er meine Hand nimmt und anfängt, mich durchs Wasser zu ziehen. Immerhin besser, als mich am Knöchel zu schleifen. Ich kann mich nicht gegen den Gedanken wehren, dass Galen das Gleiche hätte tun können. Warum legt er stattdessen die Arme um mich?

Am Samstagabend kann ich für fünfunddreißig Minuten unter Wasser bleiben. Am Sonntagnachmittag bin ich bei siebenundvierzig. Die Übung bringt was, auch wenn ich nicht das Gefühl habe, irgendetwas zu üben. Ich plansche nur im Wasser, halte den Atem an und werde dabei immer runzeliger.

Ich ziehe die Schwimmflossen aus, die Toraf mir mitgebracht hat, und werfe sie ans Ufer. Während er sich in seine Shorts manövriert, wende ich ihm den Rücken zu. »Bist du vorzeigbar?«, rufe ich nach einigen Sekunden. Ganz gleich, wie oft ich ihm auch sage, dass ich noch nicht ins Wasser sehen kann, er glaubt felsenfest, dass ich versuche, einen Blick auf seinen »Aal« zu werfen. Du lieber Himmel!

»Oh, ich bin mehr als vorzeigbar. Ich bin sogar ein ziemlich guter Fang.«

Da bin ich ganz seiner Meinung. Toraf sieht gut aus, ist witzig und aufmerksam – sodass ich Raynas Einstellung nicht wirklich nachvollziehen kann. Ich beginne zu verstehen, warum Grom ihn mit Rayna verbunden hat. Wer würde besser zu ihr passen als Toraf?

Aber wenn ich das zu Toraf sagen würde, wäre es ein klarer Verstoß gegen unseren stillschweigenden Pakt: kein Wort über Rayna und kein Wort über Galen. Seit Freitagnacht haben wir über alles gesprochen, nur nicht über die beiden. Über Grom und Nalia. Über den Friedensvertrag, den die Generäle Triton und Poseidon nach dem Großen Krieg geschlossen haben. Über den Geschmack von Meeresfrüchten – okay, da haben wir gestritten.

Aber meistens üben wir einfach. Ich halte den Atem an und Toraf stoppt die Zeit. Er kann allerdings auch nicht besser als Galen erklären, wie man sich in einen Fisch verwandelt. Er sagt genau wie Galen, dass es sich wie ein überwältigender Drang anfühlt, sich zu strecken.

Toraf watet zu der Stelle, an der ich in der Flut stehe. »Ich kann nicht fassen, dass die Sonne schon untergeht«, meine ich.

»Ich schon. Ich bin am Verhungern.«

»Ich auch.« Das müssen die vielen zusätzlichen Kalorien sein, die ich im Wasser verbrenne.

Er zuckt die Achseln. »Ich weiß nur …« Sein Kopf bewegt sich ruckartig zum Wasser herum und dann zu mir zurück. Er packt mich an den Schultern und zieht mich an sich. Und dann bricht er unseren stillschweigenden Pakt. »Erinnerst du dich an das, was du über Rayna gesagt hast? Darüber, dass sie die Unnahbare spielt?« Er wirft einen Blick auf das offene Meer hinaus und reißt den Kopf wieder zu mir herum. Seine Augenbrauen verschmelzen miteinander, als er die Stirn runzelt.

Ich nicke, verblüfft über seine Kehrtwende.

»Ich habe darüber nachgedacht. Lange. Und ich werde es tun. Aber … aber ich brauche deine Hilfe.«

»Natürlich werde ich dir helfen. Bei allem«, sage ich. Aber irgendetwas fühlt sich seltsam an, als er mich näher an sich zieht.

»Gut«, antwortet er und späht wieder in den Sonnenuntergang. »Galen und Rayna sind in der Nähe.«

Ich schnappe nach Luft. »Woher weißt du das? Ich kann sie nicht spüren.« Mein Herz wird zum Verräter und hämmert, als sei ich gerade fünf Meilen hügelaufwärts gerannt. Und alles nur, weil er Galens Namen erwähnt hat.

»Ich bin ein Fährtensucher, Emma. Ich kann sie an jedem Flecken Meer auf der ganzen Welt spüren. Vor allem Rayna. Und so, wie sich die Sache anfühlt, lässt Galen seine hübsche kleine Flosse ganz schön flattern, um zu dir zurückzukommen. Rayna muss auf seinem Rücken reiten.«

»Du kannst erkennen, was sie tut?«

»Ich kann erkennen, wie schnell sie sich bewegt. Niemand kann so schnell schwimmen wie Galen, Rayna eingeschlossen. Er muss wirklich darauf brennen, dich zu sehen.«

»Yeah. Er brennt darauf, dass ich mich verwandele, damit er noch einen königlichen Untertan hat, den er herumkommandieren kann.«

Torafs Gelächter erschreckt mich, nicht weil es laut ist, sondern weil seine Stimmung sich um hundertachtzig Grad zu drehen scheint. »Das ist es, was du denkst?«, fragt er.

Plötzlich trifft Galens Puls meine Beine wie ein körperlicher Schlag. Toraf zerrt mich aus dem Wasser und auf das Haus zu. »Er hatte genügend Gelegenheiten, mich davon zu überzeugen, dass es anders ist«, sage ich, und meine Worte holpern bei jedem hastigen Schritt, der im Sand versinkt. Hinter uns höre ich Galen und Rayna über irgendetwas lachen. Das schwappende Geräusch bringt mich auf die Idee, dass sie einander nass spritzen.

An dem kleinen Lattenzaun, der unscheinbaren Grenze, die Galens Sandstrand vom öffentlichen Sandstrand trennt, hält Toraf an. »Also gut, ich möchte diesen verzogenen Königskindern eine Lektion erteilen. Vertraust du mir, Emma?«

Ich nicke, aber irgendetwas sagt mir, dass ich das nicht hätte tun sollen. Das Gefühl bestätigt sich, als Toraf mich an seine Brust zieht und seinen Mund auf meinen senkt. Als ich versuche, mich von ihm zu lösen, greift er mir ins Haar, um meinen Kopf festzuhalten. Das plötzliche Schweigen hinter uns ist lauter, als das Gelächter es jemals hätte sein können.

Ich stelle fest, dass Toraf ein guter Küsser ist. Er bewegt den Mund genau richtig, sanft und energisch zugleich. Und obwohl er ständig Meeresfrüchte isst, schmeckt er nicht danach.

Trotzdem ist alles an diesem Kuss falsch, falsch, falsch. Wenn ich einen Bruder hätte, würde es sich genauso anfühlen, ihn zu küssen. Und dann spüre ich etwas anderes. Ein haarsträubendes Prickeln überall. Als würde ich gleich vom Blitz getroffen werden.

Dann schlägt Galen – kein Blitz – auf Toraf ein und reißt unsere Lippen auseinander. Eins muss ich ihm lassen, Toraf lässt mich sofort los, statt mich mit sich hinunterzureißen. Sie krachen in den Sand und Galens Fausthiebe prasseln auf Toraf ein wie die Geschosse eines Maschinengewehrs. Aber ich bin viel zu perplex, um mich zu rühren.