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11

Das gibt es gar nicht. Er hat seine Arme um meine Taille geschlungen, sodass ich sein Gesicht nicht sehen kann, während er mich tiefer und tiefer hinunterzieht. Wir schießen so schnell durch das Wasser, dass ich gar nicht in der Lage sein sollte, die Augen offen zu halten – aber ich kann es. Wir sind bereits zu weit unten, um den Sturm über dem Meer noch länger zu sehen, um den Widerhall des Donners zu hören. Eigentlich müsste ich durchdrehen. Aber genau wie zuvor auf der Couch fühlen sich Galens Arme an wie ein Seil, eine Rettungsleine, von Muskeln durchsetzt und fest um mich geschlungen.

Je tiefer wir kommen, desto dunkler wird es, aber meine Augen scheinen sich anzupassen. Tatsächlich tun sie mehr als das – mein Blick schärft sich hier unten. Zuerst ist es, als hätte jemand das Licht ausgeschaltet – ich sehe nur Schatten. Aber die Schatten nehmen Gestalt an, verwandeln sich in Fische oder Felsen. Und dann erscheint alles so klar wie am helllichten Tag, als hätte jemand das Licht wieder eingeschaltet. Aber wir bewegen uns noch tiefer nach unten, nicht zurück an die Oberfläche. Woher kommt das Licht?

Und wohin treiben wir? Die Fischschwärme, an denen wir vorbeikommen, huschen uns aus dem Weg. Sogar größere Fische weichen zur Seite, als würden wir einen Sportwagen auf der Autobahn fahren. Wie macht Galen das? Er hat alle Hände voll mit mir zu tun, also benutzt er sie nicht, um zu schwimmen. Selbst wenn er es täte – niemand kann so schnell schwimmen. Ich spähe zu unseren Füßen hinunter – nur dass unsere Füße nicht da sind. Bloß meine. Und eine Flosse.

»Hai!«, schreie ich. Ich schlucke Wasser und hoffe, dass er mein Gurgeln versteht. Wir halten so abrupt an, dass es mein Haar nach vorne peitscht.

»Was?« Er verstärkt seinen Griff um mich und wirbelt uns auf der Stelle herum. »Ich sehe keinen Hai, Emma. Wo hast du ihn gesehen?«

»Dort unten – warte.« Ich blicke hinter uns, aber der Hai ist weg. Als ich um Galen herumspähe, um zu sehen, ob der Hai uns überholt hat – obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass uns nicht einmal ein Schnellboot überholen könnte –, beginne ich, die wahre Stärke meiner Sehkraft hier unten zu hinterfragen. Kein Hai. »Ich schätze, wir haben ihn verjagt – was zur …? Wie machst du das? Wie mache ich das?« So klingt man nicht unter Wasser. Jedes Wort, das wir sagen, klingt so klar, als säße ich im Wohnzimmer auf seinem Schoß. Nicht gedämpft, wie wenn man in der Badewanne liegt und nichts außer dem eigenen Herzschlag hören kann. Da ist kein Summen, kein Druck in meinen Ohren. Nur Stille.

»Wie machen wir was?« Er dreht mich zu sich um.

»Ich kann dich hören. Du kannst mich hören. Und ich sehe dich, so klar wie am helllichten Tag – aber es ist nicht Tag, nicht einmal am Ufer. Wie kann das sein, Galen?«

Er seufzt. Wie kann er seufzen? Wir sind unter Wasser. »Das ist das Geheimnis, Emma.« Er deutet mit dem Kopf auf unsere Füße.

Ich folge seinem Blick. Halte den Atem an. Schlucke. Und würge. Der Hai ist zurück – und hat Galens gesamten Unterleib verschlungen, bis hinauf zu seiner Taille! Er bewegt seine Flosse kämpferisch hin und her, um an ihm dranzubleiben.

»Nicht auch noch du!«, schreie ich. Ich trete nach dem Hai, so fest ich das mit bloßen Füßen kann. Galen verzieht das Gesicht und lässt mich los.

»Emma, hör auf, mich zu treten!«, sagt Galen und packt mich an den Schultern.

»Ich trete nicht dich, ich trete … ich trete …. Omeingott!« Galen ist der Hai. Der Hai ist Galen. Was ich sagen will, ist – da ist kein Hai. Da ist nur Galen. Sein Oberkörper ist noch da, die mächtigen Arme, die gemeißelten Bauchmuskeln, das großartige Gesicht. Aber … seine Beine. Sind. Weg. Nicht abgebissen, nicht verschluckt. Nein, nur ersetzt durch eine lange, silberne Flosse. Un-fass-bar.

Ich schüttele den Kopf und reiße mich von ihm los. »Das gibt’s nicht. Das gibt es einfach nicht.« Ich treibe von ihm weg, aber er folgt mir.

»Emma.« Er streckt die Hand nach mir aus. »Beruhig dich. Komm her.«

»Nein. Du bist nicht echt. Das alles hier ist nicht echt. Ich möchte wieder aufwachen.« Ich blicke zur Oberfläche. »Ich sagte, ich möchte wieder AUFWACHEN!« Ich schreie mein Ich an, weil es bestimmt immer noch auf Galens Couch schläft, aber mein Ich wacht nicht auf.

Galen gleitet näher heran, ohne die Arme zu bewegen. »Emma, du bist wach. Das hier ist dein Geheimnis. Der Grund, warum deine Augen diese Farbe haben.«

»Bleib, wo du bist.« Ich zeige warnend auf ihn. »Für den Fall, dass du es nicht bemerkt hast, ich habe mich nicht in einen Fisch verwandelt, sondern du. Damit wäre das also dein Geheimnis, meinst du nicht auch?«

Er grinst. »Wir haben das gleiche Geheimnis.«

Ich schüttele den Kopf. Nein, nein, nein.

Er nickt nachdenklich. »Tja, ich schätze, das war’s dann wohl. Der Strand liegt in dieser Richtung.« Er zeigt in die Unendlichkeit hinter mir. »Nun, es war schön, dich kennenzulernen, Emma.«

Mir klappt der Unterkiefer herunter, als er wegschwimmt. Als seine Silhouette langsam verschwindet, beginne ich zu hyperventilieren. Er geht einfach weg. Er verlässt mich. Er verlässt mich mitten im Meer. Er verlässt mich mitten im Meer, weil ich kein Fisch bin. Nein, nein, nein, nein! Er darf mich nicht verlassen! Ich wirble herum und herum. Wie soll ich den Strand finden, wenn ich weder die Oberfläche noch den Boden sehen kann? Meine Atmung wird noch sprunghafter …

Aber … aber … wie kann ich unter Wasser hyperventilieren? Zum ersten Mal, seit wir das Ufer verlassen haben, wird mir die Sache mit dem Sauerstoff bewusst. Der hätte mir schon längst ausgehen müssen. Ist er aber nicht. Nicht einmal annähernd. Während ich eben beinahe kollabiert bin, habe ich einfach Luft aus der Nase geschnaubt – genau wie beim Sprechen. Gerade so viel Luft, um ein Geräusch zu machen. Dad hat immer gesagt, ich hätte eine richtig gute Lunge, aber ich bezweifele, dass er damit das hier gemeint hat.

Und jetzt habe ich auch noch Publikum. Da ist nichts Nebelhaftes oder Traumartiges an der Gruppe von Fischen, die mich umringt. So schizophren es klingt, ich weiß, dass das hier echt ist. Auch wenn ich keinen der Fische benennen kann – bis auf das Monster von Schwertfisch, das am äußeren Rand dieser Versammlung herumlungert. Vertraue nicht den Bildern in Schulbüchern – in Wirklichkeit ist so ein Schwertfisch viel furchteinflößender. Trotzdem, ein großer Fisch inmitten von ungefähr hundert kleinen Fischen erhöht meine Chance, nicht gefressen zu werden. Sie müssen begreifen, dass ich nie, niemals einen von ihnen essen würde, nur weil sie sich mir nähern wie Paparazzi einem Promi. Einige von ihnen sind mutig genug, mich zu streifen. Einer der kleinen roten Fische zischt durch mein Haar. Ich begreife, wie un-normal es ist – vor allem unter diesen Umständen –, dass ich lache. Aber es kitzelt einfach so sehr.

Mit gespreizten Fingern strecke ich meine Hand aus. Die Fische schwimmen abwechselnd zwischen meinen Fingern hin und her. Das erinnert mich an den Tag, als Chloe und ich das Gulfarium in Destin besucht haben. Beim Streichelbecken hat Chloe mich für den süßen Jungen versetzt, der im Souvenirshop arbeitet. Wann immer ich die Hand ins Wasser gestreckt habe, sind die Stachelrochen zu mir geflitzt und haben sich an meine Finger geschmiegt, als würden sie um Streicheleinheiten betteln. Sie haben eine Art Verkehrsstau in dem Aquarium verursacht, um zu mir zu kommen. Sogar jetzt huscht ein Stachelrochen aus dem Kreis der Fische und flitzt an meinem Gesicht vorbei, als wolle er spielen.

Ich schüttele den Kopf. Das ist lächerlich. Diese Kreaturen sind nicht hier, um mit mir zu spielen. Sie sind nur neugierig. Und warum auch nicht? Ich gehöre ebenso wenig hierher wie Galen. Galen.

Zum ersten Mal begreife ich, dass ich immer noch … nun ja, ich kann Galen fühlen. Nicht die Gänsehaut oder die pure Lava, die durch meine Adern fließt. Nein, diesmal ist es anders. Eine Bewusstheit. So wie wenn jemand in einem ruhigen Zimmer einen Fernseher anstellt – selbst wenn er stumm geschaltet ist, spürt man ein Knistern in der Luft. Nur dass dieses Gefühl jetzt das Wasser erfüllt. Noch dazu ist es bei Galen viel stärker. Fast wie eine körperliche Berührung. Rayna ist deutlich zu spüren gewesen, aber Galens Anwesenheit ist einfach überwältigend. In der Sekunde, in der er einen Fuß ins Wasser gesetzt hat, wusste ich darüber Bescheid, als konzentriere sich das Pulsieren auf den Raum zwischen uns. Und ich habe es schon vor dem heutigen Tag gespürt. Genau dieses Gefühl hat mich umschwirrt, als ich versucht habe, Chloe von dem Hai zu befreien. War er da? Ist er jetzt hier?

Ich drehe mich um meine eigene Achse und erschrecke meine Zuschauer. Einige zerstreuen sich und kehren dann zurück. Andere lassen sich nicht beirren. Der Schwertfisch beäugt mich, zuckelt aber weiterhin in sicherer Entfernung herum. Ich sehe mich in alle Richtungen um und halte bei jeder klitzekleinen Drehung inne, um in den Unterwasserhorizont zu spähen. Nach zwei Umdrehungen gebe ich es auf. Vielleicht funktioniert dieses Pulsdings sogar über weite Entfernungen. Nach allem, was ich weiß, könnte Galen inzwischen in Richtung Ellis Island schwimmen. Aber nur für den Fall des Falles versuche ich es noch einmal.

»Galen?«, rufe ich und schrecke damit ein paar meiner Nachbarn auf. Immer weniger kehren zurück. »Galen, kannst du mich hören?«

»Yep«, antwortet er und taucht unmittelbar vor mir auf.

Ich keuche und mein Puls schießt in die Höhe. »Omeingott! Wie hast du das gemacht?«

»Das nennt man Tarnung.« Er neigt den Kopf. »Ich will ja nichts sagen, aber mir ist aufgefallen, dass du noch nicht tot bist. Ziemlich nicht-menschlich von dir.«

Ich nicke und ein Cocktail aus Erleichterung und Wut wirbelt in meinem Magen herum. »Dann wird dir wahrscheinlich auch aufgefallen sein, dass ich keine große Flosse habe, die meinen Hintern verschluckt.«

»Aber du hast violette Augen wie ich.«

»Hm. Und … Rayna und Toraf?«

Er nickt.

»Hm. Aber was ist mit deiner Mom? Sie hat normale Augen.«

»In Wirklichkeit ist sie gar nicht meine Mom. Sie ist meine Assistentin, Rachel. Ein Mensch.«

»Natürlich. Deine Assistentin. Alles klar.« Während ich zu verstehen versuche, wozu ein Fischmann eine Assistentin braucht, vergesse ich, im Wasser zu treten, und fange an zu sinken. Aber Galen hält mich am Ellbogen fest. »Ich kann mich aber nicht in einen riesigen Wasserklecks verwandeln. Ich meine diese Tarnsache.«

Er verdreht die Augen. »Ich verwandele mich nicht in Wasser, meine Haut verändert sich nur, damit ich mich verbergen kann. Das wirst du irgendwann auch lernen, sobald du deine Flosse aktivieren kannst.«

»Wie kommst du denn überhaupt darauf, dass ich das kann? Ich sehe nicht so aus wie du. Abgesehen von den Augen, meine ich.«

»Ich bin immer noch dabei, das herauszufinden.«

»Und habe ich bereits erwähnt, dass ich keine große Flosse …«

»Aber du hast alle anderen Eigenschaften.« Er verschränkt die Arme vor der Brust.

»Und die wären?«

»Na ja, du bist jähzornig.«

»Bin ich nicht!« Chloe war jähzornig. Nicht umsonst habe ich in unserem zweiten Highschool-Jahr den Spitznamen Sugar bekommen, denn nur meine Engelszunge konnte sie vor handfesten Streitereien bewahren. »Ich wurde sogar im Jahrbuch unserer Mittelschule zu dem Mädchen gewählt, das wahrscheinlich einmal für Disney arbeiten wird.«

»Dir ist hoffentlich klar, dass ich kein Wort verstanden habe.«

»Im Großen und Ganzen bedeutet das, dass ich durch und durch süß und harmlos bin.«

»Emma, du hast meine Schwester durch hurrikanfestes Sicherheitsglas geworfen.«

»Sie hat angefangen! Hast du gerade hurrikanfestes Sicherheitsglas gesagt?«

Er nickt. »Und das bedeutet, dass du genauso harte Knochen und dicke Haut hast wie wir. Andernfalls wärst du gestorben. Darüber sollten wir noch reden. Du hast dich selbst – und meine Schwester – durch eine gläserne Wand geworfen, als du dachtest, ihr beide wärt menschlich. Was hast du dir dabei gedacht?«

Ich will ihm nicht in die Augen sehen. »Ich schätze, es war mir in dem Moment egal.« Wahrscheinlich würde es eher nicht so gut ankommen, wenn ich ihm sage, dass ich seine Schwester töten wollte. Das würde das Disney-Argument definitiv entkräften.

»Inakzeptabel. Riskier nie wieder dein Leben, hast du mich verstanden?«

Ich schnaube, was kleine Luftbläschen emportanzen lässt. »He, weißt du eigentlich, was mir noch egal ist? Wenn du mir Befehle gibst. Ich habe mich dumm benommen, aber …«

»Ich glaube, das ist ein guter Moment, dir zu sagen, dass ich ein Mitglied der Königsfamilie bin«, unterbricht er mich und deutet auf die kleine Tätowierung auf seinem Bauch. Genau da, wo seine Bauchmuskeln in die Fischflosse übergehen, sitzt eine kleine Gabel. »Und da du offensichtlich eine Syrena bist, musst du mir gehorchen.«

»Ich bin eine was?«, frage ich und versuche zu kapieren, warum Besteck ihn zu etwas Besonderem machen sollte.

»Syrena. So nennt man uns – dich eingeschlossen.«

»Syrena? Nicht Meerjungfrauen?«

Galen räuspert sich. »Ähm, Meerjungfrau?«

»Ach? Darauf willst du jetzt hinaus? Na schön, dann eben Meermann – warte, ich wäre kein Meermann.« Aber mal im Ernst, was weiß ich schon über Fischgeschlechter? Außer dass Galen definitiv männlich ist, ganz gleich, zu welcher Spezies er gehört.

»Nur fürs Protokoll, wir hassen dieses Wort. Und mit wir meine ich auch dich.«

Ich verdrehe die Augen. »Schön. Aber ich bin keine Syrena. Habe ich eigentlich erwähnt, dass ich keine große Flosse …«

»Du gibst dir einfach nicht genug Mühe.«

»Nicht genug Mühe? Mir eine Flosse wachsen zu lassen?«

Er nickt. »Das ist noch kein natürlicher Prozess für dich. Du bist zu lange in Menschengestalt gewesen. Aber es wird anfangen, dich zu stören, mit Beinen im Wasser herumzustrampeln. Du wirst den Drang verspüren, dich zu … strecken.«

»Tut das weh?«

Er lacht. »Nein. Es fühlt sich gut an, so wie es sich gut anfühlt, sich zu strecken, wenn man eine Weile gesessen hat. Eine Flosse ist ein einziger großer Muskel. Aufgeteilt in zwei menschliche Beine, ist er natürlich nicht mehr so kraftvoll. Aber wenn du in deine Syrena-Gestalt wechselst, strecken sich die Beinmuskeln und werden eins. Kannst du es nicht spüren?«

Ich schüttele den Kopf und mache große Augen.

»Es ist nur eine Frage der Zeit«, sagt er und nickt bestätigend. »Wir werden schon noch dahinterkommen.«

»Galen, ich bin keine …«

»Emma, dass du eine halbe Meile unter der Wasseroberfläche mit mir redest, ist Beweis genug für das, was du bist. Übrigens, wie fühlst du dich?«

»Meine Lunge fühlt sich irgendwie eng an. Was bedeutet das?«

Bevor noch weitere winzige Luftbläschen entweichen können, legt er die Arme um mich, und wir schnellen empor. »Es bedeutet, dass dir jetzt die Luft ausgeht«, murmelt er mir ins Ohr. Ich zittere, aber nicht vor Kälte.

Moment mal. Sollte es eine halbe Meile tief unten im Atlantik nicht eiskalt sein? Ich meine, in puncto Kälte bin ich wirklich ein Waschlappen. Niemand packt sich im Winter dicker ein als ich. Also, warum klappern meine Zähne jetzt nicht so heftig, dass sie in kleine Teilchen zersplittern? Es ist swimmingpoolkalt, nicht etwa meine-Nasenlöcher-sind-zugefroren-kalt. Habe ich das der dicken Haut zu verdanken, die Galen erwähnt hat? Funktioniert die wie eine Isolierung? Funktioniert die nur im Wasser?

Wir schießen an die Oberfläche. Galen nickt beifällig, als ich die alte Luft aus- und neue einatme. Ich pumpe meine Lunge mit frischer Luft voll und will gerade wieder untertauchen, als er den Kopf schüttelt und mich erneut nach oben zieht. »Lass uns nichts überstürzen. Ich bin mir nicht sicher, wie lange du den Atem anhalten kannst. Ich schätze, wir werden ein Auge darauf haben müssen, zumindest bis du dahinterkommst, wie du dich verwandeln kannst.«

Er dreht mich um, sodass ich nach vorne sehe, und klemmt mich akkurat unter einen Arm. Jetzt fühle ich mich wie ein Schoßhündchen. Der Mond späht auf uns herab, während wir für eine Weile auf den Wellen reiten. In der Ferne können wir gelegentlich ein schwaches Wetterleuchten sehen, aber kein Land.

Als ich die Chihuahua-Position nicht länger ertragen kann, zappele ich mich frei. Er fängt mich auf, bevor ich untergehe, und zieht mich an sich, sodass meine Nase seine streift. Über Wasser fühlt sich jede unserer Berührungen mit Kilowatt aufgeladen an. Unten spüre ich nur Galens »Puls« wie eine magnetische Kraft zwischen uns. Seine Flosse streicht so samtig wie der Flügel eines Schmetterlings gegen mein Bein, nicht schuppig wie ein Fisch.

Ich winde mich aus seinen Armen, um etwas mehr Abstand zwischen uns zu bringen. Er lässt es zu, aber er lässt mich nicht los. »Wenn ich eine Syrena bin, woher stamme ich denn dann?«, frage ich. »Meine Mom hat nicht diese Augen.«

Er nickt. »Ich weiß. Ich habe darauf geachtet.«

»Außerdem ist sie wasserscheu. Wir wohnen nur am Strand, weil Dad das Meer geliebt hat.« Tatsächlich spricht Mom, seit Dad nicht mehr ist, die ganze Zeit davon, in die Nähe der Stadt zu ziehen. Ich habe sie schließlich davon überzeugt, dass sie damit noch warten soll, bis ich aufs College gehe.«

»Und dein Vater?«

»Blond. Blaue Augen. Nicht so bleich wie ich.«

»Hmhm.« Aber er klingt nicht überrascht. Vielmehr so, als hätte ich nur bestätigt, was er bereits vermutet hat.

»Was?«

»Das Einzige, was mir dazu einfällt, ist, dass sie nicht deine richtigen Eltern sind. Sie können es nicht sein.«

Ich schnappe nach Luft. »Du denkst, ich bin adoptiert?«

»Was bedeutet adoptiert noch mal?«

»Dass sie mich als ihr Kind großgezogen haben, ich aber von einer anderen Frau auf die Welt gebracht wurde.«

»Offensichtlich.«

Ich stoße mich von ihm weg. Die Wellen sind viel größer, wenn ich versuche, ganz allein mit ihnen fertigzuwerden. »Du hast leicht reden, nicht wahr?« Ich beschließe, die nächste Welle einfach zu verschlucken, statt über sie hinwegzuschwimmen. Ich bin erleichtert, als er wieder meine Taille umfasst.

»Emma, ich gehe nur alle Möglichkeiten durch. Du musst zugeben, dass hier irgendjemand nicht die Wahrheit sagt. Und ich glaube nicht, dass du begründet behaupten kannst, ich würde lügen.«

Ich schüttele den Kopf. »Nein. Du lügst nicht. Aber sie sind meine Eltern, Galen. Ich habe die Nase meines Dads. Und das Lächeln meiner Mom.«

»Hör mal, ich will nicht mit dir streiten. Wir werden einfach noch genauer darüber nachdenken müssen, das ist alles.«

Ich nicke. »Es muss eine andere Erklärung geben.«

Er schenkt mir ein schmallippiges Lächeln. Sein Gesicht zeigt einen zweifelnden Ausdruck. Schweigend lassen wir uns von den Wellen in Richtung Ufer treiben. Nach einer Weile zieht er meine Beine hoch und ich lehne meinen Kopf an seine Brust. Wir nehmen Geschwindigkeit auf, als er uns sanft durch die Wellen lenkt.

»Galen?«

»Hmhm?«

»Was passiert, wenn wir das Ufer erreichen?«

»Wahrscheinlich solltest du ein bisschen schlafen.«

Als ich das Kinn zu ihm hochrecke, sieht er mich bereits an. »Du denkst, ich kann nach dieser ganzen Sache schlafen? Und überhaupt, das habe ich nicht gemeint.«

Er nickt. »Ich weiß.« Er zuckt die Achseln und rückt mich in seinen Armen zurecht. »Ich habe gehofft, du würdest mir erlauben … dir zu helfen.«

»Du willst mir helfen, mich in einen Fisch zu verwandeln?«

»So in etwa.«

»Warum?«

»Warum? Warum nicht?«

»Hör auf, mir meine Fragen mit Gegenfragen zu beantworten.«

Er grinst. »Es funktioniert nicht, oder?«

»Lass das!« Ich versetze seinem Kinn einen kleinen Schlag.

Er lacht. »In Ordnung.«

»Aber was ich zu sagen versuche, ist – der Grund, warum du seit Chloes Tod so großes Interesse an mir hast … der Grund, warum du hierhergekommen bist, warum du dich an meiner Schule angemeldet und mich an den Strand eingeladen hast … Du wolltest einfach nur herausfinden, ob ich eine von euch bin?«

Natürlich, du Dummkopf. Wann hat dich schon jemals jemand wie Galen beachtet? Wann hat es überhaupt jemals jemanden wie Galen gegeben? Trotzdem, es überrascht mich, wie sehr es schmerzt, als er nickt. Ich bin sein kleines Wissenschaftsprojekt. Die ganze Zeit über, als ich dachte, er flirtet mit mir, hat er in Wirklichkeit nur versucht, mich hier herauszulocken, um seine Theorie zu prüfen.

Wenn Dummheit eine Krankheit wäre, wäre ich inzwischen daran gestorben. Aber zumindest weiß ich jetzt, woran ich bin – in Bezug auf seine Gefühle für mich. Doch in Bezug auf seine Absichten im Allgemeinen habe ich keinen Schimmer.

Was passiert, wenn ich mich tatsächlich in einen Fisch verwandeln kann? Denkt er, ich werde meiner Mom einen Abschiedskuss geben, meine guten Noten – die ganzen Stipendien – die Toilette runterspülen, damit ich mit den Delfinen schwimmen kann? Er sagt, er ist ein Mitglied der Königsfamilie. Natürlich weiß ich nicht genau, was das bedeutet, aber ich kann es mir schon denken – dass ich nichts weiter als ein Untertan für ihn bin, jemand, den er herumkommandieren kann. Er hat schließlich gesagt, dass ich ihm gehorchen muss. Aber wenn er ein Royal ist, warum kommt er dann höchstpersönlich hierher? Warum schickt er nicht jemand weniger Wichtiges? Ich wette, der amerikanische Präsident geht nicht persönlich in fremde Länder, um sich auf die Suche nach verschwundenen Amerikanern zu machen, die vielleicht nicht einmal Amerikaner sind.

Aber würde er mir überhaupt die Wahrheit sagen? Er hat mich bereits einmal getäuscht und Interesse an mir geheuchelt, um mich hierherzulocken. Er hat mir ins Gesicht gelogen, als es um seine Mutter ging. Er hat sogar meine Mom angelogen. Welche Lügen würde er noch auftischen, um zu kriegen, was er will? Nein, ich kann ihm nicht vertrauen.

Trotzdem will ich die Wahrheit erfahren, und sei es nur für mich selbst. Ich habe nicht vor, in eine große Muschelschale vor der Küste von Jersey zu ziehen oder so – aber ich kann nicht leugnen, dass ich anders bin. Was könnte es schaden, noch etwas mehr Zeit mit Galen zu verbringen, damit er mir hilft, das alles genauer herauszufinden? Und wenn er mich für so eine Art Bauernfisch hält, der ihm Gehorsam schuldet? Warum sollte ich ihn nicht genauso ausnutzen wie er mich – um zu bekommen, was ich will?

Das Problem dabei ist nur, dass das, was ich will, ist, dass er mich in seinen Armen hält und sich Sorgen macht, wenn ich keinen Ton mehr sage.