Noch am selben Abend bekomme ich Besuch von Alina. Wir sitzen auf unserer Terrasse und trinken Mas selbst gemachte Zitronenlimonade, während Kater Paul um Alinas Beine streicht und sie eine Zigarette nach der anderen raucht. Stück für Stück erfahre ich etwas über das Leben, das sie nach ihrer Flucht aus Grimmers Verlies geführt hat. Ein Leben in besetzten Häusern und auf der Straße. Keine Schule, kein Arzt, wenn es ihr schlecht ging, kein warmes Bad, wenn ihr kalt war. Auch Olek hat so ein Leben geführt.
Ich kann meinen Blick nicht von ihr wenden, der Punklady mit den schwarz-roten Haaren, den schwarz umrandeten Augen und den Piercings im Gesicht. Ein Mädchen, das äußerlich in nichts mehr an die Alina erinnert, die ich einmal kannte. Doch der Kater erinnert sich an sie. Er springt auf Alinas Schoß und lässt sich von ihr streicheln.
»Du musst es nicht verstehen, Jola«, sagt sie. »Grimmer hat mich zu einem Nichts gemacht. Ich musste ihm gehorchen, ihm Sätze nachsprechen, dieses idiotische Laurentia-Lied mit ihm singen, ihn … Ich wollte niemandem mehr gehorchen, kapierst du?«
»Aber du warst erst dreizehn, als du weggelaufen bist.«
Alina stößt ein kleines, mitleidiges Lachen aus und Paul springt erschocken von ihrem Schoß. »Ich war nicht mehr dreizehn, Waldschrat, das kannst du mir glauben.«
Ich glaube ihr. Auch in ihrem Inneren ist Alina nicht mehr die, die ich einmal kannte. Was ihr in den vergangenen fünf Jahren widerfahren war, hat sie zu einem anderen Menschen gemacht.
Alina erzählt mir, dass Grimmer den Tod seiner Schwester Reni nie verwunden hat. »Sie war ein kleiner blonder Engel, der die Farbe Rosa liebte und an Feen glaubte. Er nannte sie seine Zimtprinzessin, weil sie für ihr Leben gern Zimtschnecken aß. Ich musste auch Zimtschnecken essen, Jola, jeden Tag. Schon beim leisesten Anflug von Zimtduft raste ich aus. Weihnachten ist meine ganz persönliche Hölle.« Sie trinkt einen Schluck von ihrer Limonade und lässt sich wieder in den Gartenstuhl zurücksinken. »Es war Grimmers Schuld, dass Reni im Badesee ertrank. Er sollte auf sie aufpassen an diesem Tag. All die Jahre hat er an nichts anderes gedacht, als sie sich zurückzuholen, koste es, was es wolle. Jeden Tag hat er mir die die Haare gekämmt und sie zu Zöpfen geflochten, wie seine kleine Schwester welche hatte.« Alina schnippt die Asche ihrer Zigarette ins Gras. »Ich werde nie wieder blond sein.«
Ich erfahre, dass sie am heutigen Morgen im Radio von Ellis und meinem Verschwinden berichtet haben. Alina hat es gehört und auf der Stelle die Polizei angerufen.
»Und was wird jetzt aus dir?«
Alina hebt die Schultern. »Mein Vater will, dass ich bei ihm wohne. Aber Caroline und Lasse, ich glaube, das ist ein bisschen viel auf einmal für mich. Außerdem ist Familie langweilig. Meine Freunde sind in Erfurt. Vielleicht ziehe ich zu meiner Mutter, hole die Schule nach.« Wieder zuckt sie mit den Achseln, als ob ihr das alles nicht sonderlich verlockend vorkommt.
»Ich habe dich so vermisst, Waldfee«, sage ich lächelnd.
»Ich dich auch, Waldschrat.« Doch Alina lächelt nicht.
Um Mitternacht liege ich immer noch wach und schaue durch das Dachfenster in den Sternenhimmel. Als eine Sternschnuppe fällt, schließe ich die Augen und wünsche mir, dass alles gut wird. Für Olek und mich, für die Wölfin und ihre Jungen. Ich weiß, dass ist viel verlangt, denn rein statistisch ist schon viel zu viel gut gegangen.
Alina ist auferstanden von den Toten, was an ein Wunder grenzt. Elli ist wohlauf, Olek lebt, ich lebe. Ist es vermessen, noch mehr zu verlangen?
Am darauffolgenden Vormittag werden Tomasz Kaminskis sterbliche Überreste in einer unauffälligen Aktion aus der Höhle auf dem Tambuch geholt und in die Rechtsmedizin nach Erfurt gebracht. Kein Fernsehen, keine Presse, nur Polizei und Bundeswehr, Agnes, Pa und ich. Bei dieser Gelegenheit informiert mein Vater den Kommandanten über den Standort der Wolfshöhle und bittet darum, dass das Gebiet von den Soldaten weiträumig gemieden wird. Obwohl ich mir immer gewünscht hatte, dass die Bundeswehr den Truppenübungsplatz räumt, bin ich erleichtert, als ich von Pa höre, dass das Areal in einen Standortübungsplatz umgewandelt werden soll. Denn das bedeutet: weniger Geballer, aber das militärische Sperrgebiet bleibt. Die Wölfin hat also gute Chancen, ihren Nachwuchs in Ruhe aufzuziehen.
Oleks Höhle wird geräumt und die Sachen werden zurück ins Dorf gebracht, wo jeder sich holen kann, was ihm gehört. Beide Höhleneingänge werden versiegelt.
Man hat Olek aus dem Krankenhaus entlassen und endlich stimmt, was er mir bei unserer ersten Begegnung gesagt hat: Er ist zu Besuch bei seiner Oma – die ja eigentlich seine Tante ist.
Gerade hat Agnes mich angerufen. Ich soll zu ihr kommen, Olek will mich sehen. Er traut sich nicht, mich zu Hause zu besuchen. Na ja, das stimmt nicht ganz. Er hat bloß Schiss vor dem Haupteingang und davor, meinen Eltern zu begegnen.
Ich mache mich gleich auf den Weg. Doch bevor ich Olek wiedersehe, will ich Kai einen Besuch abstatten. Denn ich habe etwas, dass ich ihm zurückgeben will.
Als ich in die offene Einfahrt der Hartungs biege, erblicke ich Kai, wie er mit Elli auf dem Rücken über den gepflasterten Hof trabt und wiehert wie ein Pferd. Elli klammert sich an seinen Hals, sie kreischt vor Lachen.
Als sie mich sieht, ruft sie laut: »Jola, Jola.«
Kai hält inne und hebt den Kopf.
»Hallo, Elli.« Ich winke ihnen zu. »Hallo, Kai.«
»Hi.« Kai setzt Elli auf einem Holztisch ab und wischt sich mit dem Handrücken den Schweiß aus dem Gesicht.
»Was macht dein Bein, Elli?«
»Tut nur noch ein bisschen weh.« Sie schlenkert mit dem verbundenen Bein. »Dein Dieb, er hat eine Zauberpflanze draufgemacht, damit es schneller heilt.« Sie grinst mich an. »Er ist ein lieber Dieb.«
Ich lächele. Ein lieber Dieb, ja. »Kann ich mal kurz allein mit Kai sprechen, bevor du mit ihm davonreitest?«
Elli macht einen Schmollmund, sagt aber schließlich: »Na gut.«
Kai und ich laufen nebeneinander her zur Einfahrt.
»Wie geht es dir?«, fragt er.
»Gut. Ich bin froh, dass das jetzt alles vorbei ist.«
Er nickt. »Echt krass, das mit Alina.«
»Ja, das ist es.« Ich schaue ihn an. »Kai, ich … es tut mir leid. Ich hätte ehrlich zu dir sein müssen. Ich wollte dir nicht wehtun und …«
»Das hast du aber, Jola. Sehr sogar.«
»Ich weiß.«
»Mir tut es auch leid«, bringt er schließlich hervor und ich merke, wie schwer es ihm fällt, das zu sagen. »Ich habe dich im Stich gelassen, als du mich am meisten gebraucht hast. Das war feige und unfair. Aber ich war so verdammt wütend auf dich. Und auf ihn.«
Ich nicke und reiche ihm das säuberlich gefaltete Stück schwarzen Stoff, das ich die ganze Zeit in der Hand halte. Er nimmt es und lässt es auseinanderfallen. Es ist sein geliebtes Party Hard-T-Shirt, frisch gewaschen, aber durchsiebt von Schrotkugeln.
Wortlos legt Kai es wieder zusammen. Ich sehe ihm an, dass er am liebsten im Erdboden versinken würde.
»Trefflich, der Idiot«, brummelt er. »Ich hätte nie gedacht, dass er tatsächlich schießt.«
»Na, seinen Jagdschein, den ist er nun los. Vielleicht muss er sogar ins Gefängnis – wegen unterlassener Hilfeleistung.« Ich weiß inzwischen, dass Kai sofort einen Polizeibeamten über den Vorfall informiert hat, als er an jenem Abend mit seinem Vater und Elli ins Dorf gekommen war.
»Und wie geht es deinem Höhlenbewohner?«
»Ganz gut. Er wohnt jetzt bei Agnes – aber das weißt du ja sicher schon. Mach’s gut, Kai.« Ich wende mich zum Gehen.
Doch Kai hält mich am Arm fest. »Vielleicht, Jola … vielleicht können wir irgendwann wieder Freunde sein. Aber jetzt brauche ich erst einmal eine Pause.«
»Ja, Kai. Die brauche ich auch.«
Zwei Tage später treffen Brigitta und Marek in Altenwinkel ein. Ich sehe das Auto mit dem polnischen Kennzeichen vor Agnes’ und Maries Haus stehen, als ich aus dem Dorfladen komme.
Meine Gedanken sind bei Olek. Wie wird dieses Treffen mit seinen Adoptiveltern nach fast fünf Jahren aussehen? Werden sie ihn hassen, ihre Vorwürfe, ihr Leid über ihm ausschütten? Voller innerer Unruhe schleppe ich mich durch den Tag. Warte darauf, dass Olek anruft oder auftaucht, um mir alles zu erzählen.
Erst am nächsten Vormittag ist es so weit. Es klingelt und ich bin so schnell an der Tür wie noch nie. Olek trägt nagelneue knielange Shorts und ein braunes T-Shirt mit Knopfleiste. Die Sachen sehen schrecklich bieder aus, bestimmt hat Agnes sie gekauft. Seine Haare sind frisch gewaschen und ich kann nicht anders, ich muss ihn auf der Stelle berühren und küssen.
Auf einmal merke ich, wie er sich versteift und etwas fixiert, das hinter mir ist. Ich drehe mich um. Auf der Treppe steht wartend meine Mutter.
»Willst du den jungen Mann nicht hereinbitten und mir vorstellen, Jola?«
»Ma, das ist Olek.« Ich schlüpfe in meine Turnschuhe. »Olek, das ist meine Mutter. Kennenlernen könnt ihr euch ja später noch.« Ich schnappe Oleks Hand.
»Wo wollt ihr denn hin?«
»Spazieren.« Ich ziehe Olek hinter mir her.
Wir laufen den Forstweg in den Wald. Es verspricht, wieder ein heißer Tag zu werden, die Sonne brennt jetzt schon vom strahlend blauen Himmel. Ich halte Oleks Hand, froh darüber, dass wir uns nicht mehr verstecken müssen.
Obwohl die Neugier mich beinahe umbringt, frage ich nicht nach seinen Adoptiveltern. Wenn Olek so weit ist, wird er von selbst reden.
»Brigitta ist schwanger.«
»Das ist schön.«
»Ja.« Olek lächelt. »Sie freuen sich auf das Kind.«
Wieder muss ich eine Zeit lang warten, bis er weiterspricht. Wir lassen uns im Gras nieder und Olek rupft einzelne Halme aus. »Ich habe ihnen erzählt, wie es passiert ist. Sie haben geweint. Wir alle haben geweint.«
»Haben sie dir vergeben?«
Er nickt. »Brigitta sagt, sie hat immer gewusst, dass es ein Unfall war, dass ich Kamila nicht wehgetan hätte. Das …«, seine Stimme versagt, er muss sich räuspern. »Das hat mir viel bedeutet.«
»Wirst du jetzt wieder nach Hause gehen … mit ihnen?«
»Nein.« Olek schüttelt den Kopf. »Sie haben es gewusst, sie haben mir vergeben. Aber Brigitta hat auch gesagt, dass … sie war erleichtert, dass ich weg war. Sie waren nicht sicher, ob sie hätte weiterleben können mit mir, unter einem Dach.«
Ich sehe ihm an, dass er es versteht, aber es ist auch bitter für ihn. Er war noch ein Kind, als es passierte, und er trägt schwer an seiner Schuld. »Wohin wirst du gehen?«
»Ich kann bei Agnes bleiben. Und dann … wir werden sehen.«
Mein Herz macht einen Satz. Ich werde ihn nicht verlieren. Ich knie mich neben ihn und küsse ihn, bis er rücklings im Gras liegt und ich auf ihm.
»Au, au, au.« Olek verzieht das Gesicht. Im Schmerz ein Lächeln.
Auf dem Weg zurück ins Dorf eröffnet mir Olek, dass Brigitta und Marek mich kennenlernen wollen, dass ich für den Abend zum Essen eingeladen bin.
Als die verabredete Zeit heranrückt, stehe ich fast eine Stunde lang frisch geduscht und mit nassen Haaren vor dem Spiegel und überlege, was ich am besten anziehen soll. Am Ende wähle ich knielange Jeans und ein meergrünes Top, darüber eine weiße Leinenbluse, die Tante Lotta mir geschenkt hat.
Vor der Einfahrt der Merbachs stehen Caroline, Sabine Neumann und Frau Roland in ein Gespräch vertieft. Lasse tobt mit seinem quietschenden Dreirad den Bürgersteig entlang. Ich grüße die Frauen mit einem freundlichen Lächeln (freundlich zu sein, ist immer gut) und sie grüßen lächelnd zurück.
Ich war in Grimmers Verlies gefangen. Ich bin die Freundin von Tomasz Kaminskis Enkel. Ich habe mir ihr Lächeln verdient. Meine Schritte werden leichter.
Agnes’ Tochter Brigitta ist eine schöne Frau mit dichtem blondem Lockenhaar. Sie könnte tatsächlich Oleks Mutter sein, die Ähnlichkeit ist verblüffend. Nun, sie ist seine Cousine, und das erklärt eine Menge. Ihre Schwangerschaft ist deutlich zu sehen, sie ist im fünften Monat und ihre Augen leuchten, wenn sie die Hände über ihren Bauch legt. Doch ich sehe auch die Traurigkeit, die unter diesem Leuchten schlummert, die immer da sein wird, weil sie fest verwebt ist ins Geflecht ihres Lebens.
Brigitta und Marek sind herzliche Menschen und ich fühle mich wohl an Agnes und Maries ausgezogenem Küchentisch. Es gibt Bigos, einen traditionellen polnischen Eintopf mit gedünstetem Sauerkraut, Trockenpflaumen, Pilzen und verschiedenen Wurst- und Fleischsorten. Ich esse alles und es schmeckt.
Marie Scherer sieht eingefallen aus. Ich ahne, wie sehr es ihr zusetzt, dass ihr Tomasz in dieser Höhle verhungert ist, dass er die ganze Zeit in ihrer Nähe war.
Ich muss noch einmal alles erzählen. Von der Wölfin, von Olek, von Rudi Grimmer und seinem rosa Verlies, in das er erst meine Freundin und dann mich gesperrt hat. Als ich von Hubert Trefflich erzähle, beginnt Brigitta zu lächeln. Wie sich herausstellt, hat er sich schon mit dem Fernglas am Badesee herumgetrieben, als sie noch ein Teenager war.
Schließlich ist meine Geschichte zu Ende und es wird auf einmal still am Tisch. An Agnes’ besorgtem Blick sehe ich, dass ich nicht nur zum Essen eingeladen bin, weil Brigitta mich kennenlernen und meine Geschichte hören wollte.
Brigitta hat auch eine Geschichte.
Der alte Schlotter, sein Enkel Willi, mein Opa August, Josef Euchler und Otto Grimmer waren die Männer, die damals zur Scheune zogen, um Tomasz Kaminski zu töten und verschwinden zu lassen.
In meinem Kopf dreht sich alles, als ich den Namen meines Opas höre. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, diese Wahrheit zu wissen. Durch das Blut verbandelt zu sein ins Dunkle, das so weit in die Vergangenheit zurückreicht.
Doch Brigitta erzählt schon weiter. Otto Grimmer hatte den amerikanischen Soldaten getötet, weil er Marie für sich wollte und rasend eifersüchtig war. Er hasste die amerikanischen Befreier, denn in seinen Augen hatte sie Hitlers kühnen Plan vereitelt.
»Einer musste büßen dafür und dieser junge schwarze GI, der meiner Großmutter schöne Augen machte, war ihm gerade recht.« Brigitta legt ihre Hand auf die von Marie. »Möchtest du selbst weitererzählen, Großmutter?«
Marie Scherer hebt den Kopf und blickt mich aus ihren hellen Augen an. »Viele Jahre nach dem Krieg hörte ich durch Zufall, wie der stockbetrunkene Otto sich im ›Jägerhof‹ damit brüstete, Tomasz das Messer gestohlen und den amerikanische Soldaten damit erstochen zu haben. Ich hatte also von Anfang an recht gehabt mit meiner Vermutung. Otto Grimmer war der Mann mit der schwarzen Seele.«
Ich ziehe scharf die Luft ein. Wie muss das für Marie gewesen sein, jahrelang nur wenige Schritte von jenem Mann entfernt zu leben, der ein Mörder war und der ihre Liebe zerstört hat?
Sie hat es gewusst und nichts getan, denke ich, aber ich schweige. Die Tatsache, dass mein Opa August unter jenen Männern war, beschäftigt mich sehr.
»Mein Mann, Helmut«, sagt Marie mit müder Stimme, »war damals schon krank und ich wollte ihm das Leben nicht noch schwerer machen. Wäre ich zur Polizei gegangen, hätte ich aussagen müssen, dass ich mit Tomasz in der Tatnacht zusammen war und dass Brigitta seine Tochter ist. Ein paar Wochen später fand man dann die Reni ertrunken im See und ihre Mutter wurde verrückt vor Trauer. Otto musste sich um seine beiden Jungen kümmern. Ich wollte Rudi und Hans nicht den Vater nehmen.«
Während ich Maries Worten lausche, muss ich daran denken, dass man Otto Grimmer zwar nie vor Gericht gestellt und verurteilt hat, dass er dennoch für seine feige Tat hat büßen müssen. Das Leben hat ihn bestraft.
In diesem Moment habe ich das Gefühl, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fügen sich in die Zeit, in einem Muster, das nie ganz zu durchschauen ist. Und Olek und ich, wir sind ein Teil davon. Wir sind zwei Fäden, die das Muster mitgestalten.
Die vergangenen Wochen haben mich vieles gelehrt: dass Angst ein wichtiger Teil des Lebens ist, denn wer sich nicht fürchtet, übersieht Gefahren. Dass man die Vergangenheit verstehen muss, um in der Gegenwart die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Dass es verschiedene Arten von Finsternis gibt. Eine, in der man alles schwarz sieht – das ist die Finsternis des Todes, sie ist endgültig und für immer. Und die andere Finsternis, die hinter jeder Straßenecke lauert, hinter jedem Hass und jedem neuen Tag. Diese Finsternis wird es immer geben, sie ist ein Teil des Lebens. Aber man kann durch sie hindurchgehen.
Als Olek mich in der Dämmerung nach Hause bringt, kommt plötzlich ein Fuchs unter dem Zaun von Erna Euchler hervor und schnürt über die Straße. Er hat einen roten Gummischuh im Fang und flüchtet sich in die Hecke am wilden Garten.
»Der Schuhdieb«, flüstere ich.
»Ja«, sagt Olek. »Nun hast du ihn endlich auch gesehen.«