19.

 

Drei Monate später schlich eine schlanke Gestalt schattengleich durch die Gänge des königlichen Schlosses und suchte nach der Tür, zu der Heidars Schlüssel passte.

Immer wieder presste sich der Eindringling an die Wand und verharrte regungslos, wenn einer der patrouillierenden Wächter näherkam.

Man hatte den Attentäter ausgewählt, weil er seine gesamte Kindheit im Schloss verbracht hatte und nahezu jeden Winkel innerhalb des Gemäuers kannte.

Fürst Ronder hatte Einspruch erhoben und gefordert, dass ein ausgebildeter Assassine diese Aufgabe übernehmen sollte, aber die Person war nicht von ihrem Vorhaben abzubringen gewesen. Schließlich hatte Ronder sich dem Starrsinn gebeugt und seine Zustimmung gegeben.

Es war dem Attentäter leicht gefallen, ins Schloss zu gelangen, noch immer besaß er viele Freunde hier, und König Canai hatte auch am Hof genug Feinde, die jeden unterstützten, der gegen ihn war.

Nachdem der Gang eine letzte Biegung genommen hatte, stand der Eindringling vor einer unscheinbaren, verschlossenen Holztür. Er schob den Schlüssel ins Schloss und mit einem leisen Knarren schwang die Tür nach innen. Vollkommene Finsternis empfing ihn.

Vor beinahe zwanzig Jahren war Heidar auf Canais Befehl hin durch diesen staubverdreckten Gang in das Zimmer Asthaels gekrochen und hatte dem schlafenden König den Dolch in die Brust gerammt. Heute nun schlich eine andere Person gebückt voran und auch sie trug einen spitzen Dolch.

Mit vorgestreckten Händen ertastete der Attentäter das Ende des Ganges. Seine Finger fanden den kleinen Hebel, der den Mechanismus geräuschlos auslöste. Die Wand schwang zurück und die Gestalt huschte ins Zimmer.

Das bleiche Licht des Mondes fiel durch die bleigefassten Fenster und schuf helle und dunkle Stellen innerhalb des Raumes.

Der König lag in seinem Bett und schlief. Der Körper zeichnete sich deutlich unter dem Laken ab. Der Dolch wurde gehoben und mit Wucht in Canais Rücken gestoßen.

Es war ein glücklicher Stoß, denn die Klinge verfehlte die Wirbelsäule und drang direkt ins Herz. Mit einem ächzenden Laut verstarb der Herrscher, ohne noch einmal zu erwachen.

Sara zog das Messer heraus und blickte auf den Mann herab, der die Schuld an dem Tod ihres Vaters und ihres Bruders getragen hatte. Der Dolch fiel aus ihren zitternden Händen auf die Bettdecke. Trotz des Blutes konnte man die eingeritzten Runen erkennen, die das Wort Larin bildeten, dass thuuranische Wort für das Schicksalslicht, das zwischen dem Dunkel der Nacht und der Helligkeit des Tages herrscht, und das von den Göttern selbst gesandt wurde, um die Menschen zu richten.

 

 

Das Flüstern des Windes
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