15.
Als sie den vereinbarten Ort, eine kleine Waldlichtung, erreichten und kein Verhandlungszelt und auch sonst keine Menschenseele sahen, beschlich die Gruppe eine düstere Vorahnung.
General Avetar, der ebenso wie sein Sohn Drewes neben Karem ritt, ließ anhalten.
»Irgendetwas stimmt hier nicht!«, raunte er.
»Vielleicht sind wir zu früh«, bemerkte Karem.
»Nein!« Die Augen des Generals schweiften über den nahen Waldrand. Er entdeckte eine Bewegung in den Schatten des Waldes und wollte die anderen warnen, aber da zischte ein Pfeil heran und durchschlug seine Kehle.
Sandor stürmte in das Zelt des Fürsten. Ronder, den man inzwischen wieder von seinen Fesseln befreit hatte, blickte ihm missmutig entgegen.
»Was gibt es?«, fragte er.
»Herr, einer unserer Kundschafter ist gerade zurückgekehrt. Canai hat sein Lager abgebrochen und seine Armee in Richtung Schloss Denan in Marsch gesetzt.«
Auf Ronders Gesicht zeichnete sich Entsetzen ab. Ungeachtet aller Schmerzen richtete er sich auf. »Das bedeutet, Karem und die anderen laufen in eine Falle!«
»Ja, Herr!«
»Schickt ihnen sofort unsere Reiter hinterher!«
Karem lag auf dem Rücken, das Gesicht dem Himmel zugewandt, aber er sah die Wolken nicht. Die Pfeile, die ihn getroffen hatten, waren vergiftet gewesen, und das schnell wirkende Gift hatte ihn erblinden lassen und seine Sinne verwirrt.
Er war wieder zu dem Kind geworden, das er einmal gewesen war. Er konnte den leichten Regen auf seinem Gesicht spüren, aber er wusste nicht, wo er war und warum er hier lag. Leise begann er zu weinen.
Drewes, nicht weit von Karem entfernt, hörte das Schluchzen und kroch unter großen Schmerzen zu ihm hinüber. Aus einer tiefen Wunde an seiner Hüfte sickerte unablässig Blut und benetzte das Gras. Er hatte den letzten Angreifer getötet, war aber dabei von einem Schwerthieb getroffen worden.
Karem bemerkte die Bewegung neben sich.
»Vater?«, fragte er vorsichtig.
Drewes kniete sich neben dem Sterbenden und bettete dessen Haupt in seinen Schoß. Seine Hände umfassten Karems zitternde Hand. Tränen liefen über die Wangen des Leutnants, als er mit erstickter Stimme sagte: »Ja Karem, ich bin es.«
»Vater!«, seufzte Karem glücklich. In seinem Geist erschien Djorans Antlitz. Er sah die gütigen Augen und das sanfte Lächeln, das ihm Geborgenheit schenkte.
Drewes Finger fuhren durch das braune Haar.
»Vater?«
»Ja, mein Sohn?«
»Ich habe Schmerzen. Es ist so dunkel hier und ich fürchte mich!«
»Ich weiß, Karem. Es wird bald vorbei sein. Ich werde dich von hier fortbringen.«
»Wohin gehen wir, Vater?«
»Dort zu dem Licht, mein Sohn. Dorthin wollen wir gehen.«
Karem starb mit einem Lächeln.
Als Sandor und die Reiter eine Stunde später die kleine Waldlichtung erreichten, war auch Drewes nicht mehr am Leben.