10.
Der zweite Tag der großen Herbstkämpfe war angebrochen. Wieder standen Karem und seine Freunde in der Arena. Ihr Gegner war eine aus fünf Mann bestehende gemischte Gruppe mit Männern verschiedener Herkunft, aus denen besonders zwei blonde, sehr große Nordmänner herausragten, die ihre beidhändig geführten Langschwerter mit viel Geschick einsetzten.
Kulan lag verwundet am Boden und blutete stark aus einer Schulterverletzung, wo ihn eine Axt gestreift hatte. Threm stand schützend über ihn gebeugt und wehrte mit seinem Dreizack drei Gegner ab, die seinem Bruder den Rest geben wollten. Masak stürmte herbei und erschlug einen von ihnen, die anderen beiden zogen sich vorsichtig zurück.
Croms Axt krachte im gleichen Augenblick in die Brust eines der Nordmänner, der mit einem leisen Ächzen in sich zusammensackte. Auch Karem blutete. Masaks Schwert hatte bei einer Ausholbewegung seinen Arm verletzt, und langsam ließ die Kraft in seiner Hand nach, mit der er das Schild hochhielt, um sich vor den Schlägen des zweiten Nordmannes zu schützen.
»Ich werde dich töten!«, keuchte der Blonde zwischen zwei Schlägen. Gerade als Karem dachte, sein Ende wäre gekommen, wurde der Nordmann von hinten gepackt und hochgehoben. Crom brach ihm die Wirbelsäule mit einem lauten Knacken, das selbst das Geschrei der Kämpfenden übertönte.
Die beiden letzten verbliebenen Gegner stürzten sich in einer Verzweiflungstat nach vorn und wurden von Masak und dem Ork getötet. Wieder war ihre Gruppe siegreich, aber diesmal hatten sie zwei Verletzte zu beklagen.
Karems Verwundung war nicht schwerwiegend, es musste nur die Blutung gestoppt werden. Aus Kulans Gesicht jedoch war jede Farbe gewichen. Sein rechter Arm war halb von der Schulter getrennt und hing schlaff herab, während Ströme von Blut an seinem Oberkörper herunterflossen.
Sie mussten ihn den Weg zurück in die Katakomben stützen.
»Verdammt Pinius, mach doch endlich etwas!«, brüllte Masak außer sich vor hilfloser Wut. Der Ausbilder drückte mit aller Kraft ein weißes Leinentuch gegen Kulans große Schulterwunde, das sich sofort mit Blut vollsaugte. Ein kaiserlicher Heiler hastete herbei und drückte eine glühende Schwertspitze auf die Wunde. Es gab ein hässliches Zischen, als das heiße Metall auf die Feuchtigkeit des Blutes traf. Der Gestank von verbranntem Fleisch ließ Karem würgen.
Kulan, der bisher noch keinen Schmerzenslaut von sich gegeben hatte, brüllte wie ein Tier und fiel in Ohnmacht.
»Dafür sei den Göttern gedankt!«, seufzte der Heiler ergeben. Seit einer Stunde bemühten er und Pinius sich darum, Kulans Wunde zu schließen. Am Schluss hatte es keine andere Möglichkeit mehr gegeben, als die Wunde auszubrennen.
Während der Heiler Kulans Bewusstlosigkeit ausnutzte und mit fliegenden Fingern die Wundränder zusammennähte, lief Masak wie ein zorniger Tiger, den man in einen Käfig gesperrt hatte, auf und ab. Threm hielt sich im Hintergrund. Er saß mit dem Rücken an die Wand gelehnt und weinte leise.
»Wird er leben?«, fragte Pinius den Heiler.
Der Mann erwiderte traurig seinen Blick. Er hatte schon viele solcher Wunden gesehen.
»Wenn er Ruhe bekommt, hat er vielleicht eine kleine Chance.«
»In zwei Stunden ist sein nächster Kampf.«
»Dann wird er sterben!«
»Nein!«, brüllte Masak. Seine Faust donnerte gegen die nackte Steinwand, aber es war niemand da, der ihm Trost spenden konnte.
Sie mussten Kulan in die Arena schleppen. Er war bei Bewusstsein, aber er hatte nicht die Kraft, auf seinen eigenen Füßen zu stehen. Schon nach wenigen Metern war ihm sein Schwert aus den schlaffen Händen gefallen.
Threm weinte unaufhörlich. Masak schwieg mit zusammengepressten Zähnen. In seinen Augen loderte ein wildes Feuer.
Als sie dem Imperator zum Gruß gegenüberstanden, hob er sein Schwert nicht, wie es das Ritual verlangte, aber niemand schien es zu bemerken.
Die Menge hatte sie wieder begeistert begrüßt, aber diesmal war der Jubel für ihre Gegner lauter gewesen als der eigene Beifall.
Vier N’Guur hatten, auf den Rücken von Grouls reitend, die Arena betreten. Die großen Echsen scharrten kampfeslustig mit den Hinterfüßen durch den Sand, während sich ihre kurzen Oberarme mit den kleinen Vorderkrallen unaufhörlich öffneten und schlossen.
Die Gesichter der N’Guur-Krieger waren ausdruckslos. Alle vier trugen als Waffen Holzstiele in den Händen, an deren Enden schwere Eisenkugeln befestigt waren.
Crom war beim Anblick der N’Guur kaum noch zu halten und musste von den Legionären zurückgedrängt werden, damit er sich nicht vor dem Fanfarensignal auf seine Gegner stürzte. Auch in Karem loderte der Zorn. Zum ersten Mal seit Jahren stand er wieder den Barbaren gegenüber, die seine Eltern und seine Geschwister getötet hatten.
Als das Signal endlich ertönte, war es Masak, der sich brüllend dem Gegner entgegen warf. Er wich dem Kopf eines Groul aus, dessen scharfzähniges Maul nach ihm schnappte, und rammte dem auf ihm sitzenden N’Guur das Schwert bis zum Heft in die Brust.
Bevor er seine Waffe herausziehen konnte, hämmerte ihm einer der Barbaren den Morgenstern in den Schädel. Masak fiel wie vom Blitz gefällt zu Boden.
Threm, der Kulan gestützt hatte, ließ ihn zu Boden sinken. Sein ängstlicher Blick wanderte zwischen seinen Brüdern hin und her. Er starb, als die verbliebenen N’Guur-Krieger ihre Reittiere nach vorn trieben, und er von einem Groul niedergetrampelt wurde.
Karem und Crom zogen sich vorsichtig zurück, während die N’Guur den am Boden liegenden Kulan töteten.
Die Menge feuerte nun die Barbarenkrieger an, die langsam näher rückten. Die Gesichter der N’Guur mit ihren weißen Kreisen um die Augen blieben ausdruckslos, während sie die Waffen in den Händen kreisen ließen.
Plötzlich und vollkommen unerwartet sprang Crom nach vorn. Mit einem mächtigen Satz warf er sich gegen einen Groul, der durch den Aufprall zu Boden geschmettert wurde. Sein Reiter flog im hohen Bogen aus dem Sattel und wurde gegen die Mauer der Arena geschleudert, wo er mit verdrehten Gliedern regungslos liegen blieb.
Crom packte den großen Schädel der sich unter ihm windenden Echse mit beiden Pranken und riss den Kopf ruckartig nach hinten. Mit lautem Knacken brach das Genick des Grouls. Die Hinterbeine zuckten noch einmal, dann lag das riesige Wesen tot im Sand.
Die anderen beiden N’Guur nutzten die Situation und trieben ihre Reitechsen an, um den allein stehenden Karem niederzutrampeln. Karem wartete, bis sie auf wenige Schritte heran waren, dann ließ er sich auf die Knie fallen. Sein Schwertwirbelte im Sonnenlicht und durchtrennte eines der Hinterbeine des linken Grouls knapp unterhalb des Kniegelenks. Ein Schwall rotes Blut ergoss sich in den Sand, während der Groul nach vorn stürzte. Sein Reiter ließ sich aus dem Sattel fallen, rollte sich über die Schulter ab und kam mit einer katzengleichen Bewegung wieder auf die Füße, aber er war nicht schnell genug. Karems Schwert fuhr in seine Kehle.
Der letzte verbliebene N’Guur riss seine Reitechse herum, aber der Groul kam im Blut seines toten Artgenossen ins Straucheln. Während das Tier sich bemühte, das Gleichgewicht zu halten, donnerte Croms blitzende Axt in den Rücken des N’Guur. Die Wucht des Schlages war so groß, dass das menschliche Fleisch durchbohrt wurde und das Axtblatt tief in die Wirbelsäule des Groul drang.
Crom ließ den Axtstiel los. Seine geballte Faust hämmerte gegen den Echsenschädel. Das Tier konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten. Mit zuckenden Gliedern, die Axt mit dem aufgespießten N’Guur noch immer im Rücken, verendete es qualvoll.
Karem erhob sich. Über und über mit Echsenblut beschmiert, wankte er zu Crom. Unter dem tobenden Beifall der Zuschauer umarmte er den Ork. Sie hatten überlebt.
Als sie vor den Imperator traten, schwieg die Menge ehrfurchtsvoll. Cassius III. erhob sich schwerfällig von seinem prunkvollen Diwan. Ein Sklave reichte ihm eine Pergamentrolle, die er öffnete und den Inhalt verlas:
»Seit eintausend Jahren gilt im Römischen Imperium die Einstellung, dass außergewöhnlicher Mut und Tapferkeit vom Kaiser belohnt werden. Ihr habt diese Arena als Sklaven betreten, ihr werdet sie als freie Männer verlassen.« Sein Blick fiel auf den Ork, und ein süffisantes Lächeln glitt über seine Züge. »Nehmt diesen Ring des Kaisers und diese Urkunde, die euch alle Rechte eines römischen Bürgers zusichern aus meinen Händen, und dankt den Göttern für diesen Tag.«
Der Imperator gab die Pergamentrolle wieder an seinen Schreibsklaven, der Karem die Urkunde zusammen mit dem Ring überreichte. Der Gladiator und der Ork verbeugten sich, während das Volk jubelte und ihnen Glückwünsche zurief. Als Karem wieder aufblickte, war der Kaiser gegangen.
Die Leichen ihrer getöteten Kameraden lagen mit schmerzverzerrten Gesichtern im Sand. Karem und Crom gingen zu jedem Einzelnen von ihnen. Sie schlossen Masak, Kulan und Threm die Augenlider und beteten in Gedanken für sie.
Sklaven mit Bahren für die Toten erschienen neben ihnen, aber Karem schob sie beiseite. Er hob den verunstalteten Threm auf und trug ihn aus der Arena. Crom nahm die beiden anderen Brüder. Sie verließen das Coloseum mit erhobenen Häuptern, aber in Karems Augen blitzten Tränen, während die klatschende Menge ihren Weg mit Blumen bestreute.