12.
Der Lärm der Vorkämpfe drang in den Aufenthaltsraum unterhalb der Tribüne. Draußen regnete es in Strömen. Trotzdem waren die Massen gekommen, um Karem und den Ork kämpfen zu sehen.
Seit sechs Monaten zogen sie nun von Arena zu Arena. Obwohl die Landschaft abwechslungsreich war, konnte sich Karem nur mühselig an die Namen der Städte erinnern, in denen sie gekämpft und gesiegt hatten.
Rasurium, Gales, Howet, Kapalunium, Trawes, Gaius Sinus. So viele Namen und alle in Blut geschrieben.
Ihr Ruhm als furchtlose Kämpfer eilte ihnen inzwischen voraus, und in jeder neuen Stadt drängten die Menschen ins Stadion, jubelten ihnen zu und grölten ihre Namen.
Über ein Dutzend Kämpfe hatten er und Crom hinter sich. Sie hatten Gegner in Stücke geschlagen, und dabei war Karems Mitleid irgendwo auf der Strecke geblieben. Die Männer, die gegen sie antraten, waren keine Sklaven, die man in die Arena gezwungen hatte. Nein, diese Männer gewährten kein Mitleid und sie erwarteten auch keines. Ihre grausamen Augen gierten nach seinem Blut, seinem Ruhm, seinem Tod.
Karem hatte aufgehört zu lächeln. Er sprach nur noch selten und wenn doch, dann nur mit Crom. Den angebotenen Freundschaften anderer Kämpfer erteilte er Absagen, da er nie wusste, wann man sich vielleicht in der Arena gegenüberstehen würde. Frauen suchten seine Nähe, aber sein Herz war kalt geworden, und nur die Erinnerung an Lelina ließ eine kleine Flamme darin glühen, jedoch starb auch diese Flamme langsam.
Mit einem Wetzstein zog er die Schärfe seines Schwertes nach. Crom hatte sich in eine Ecke des Raumes gelegt und betrachtete neugierig die anderen Kämpfer, die ebenfalls ihre Vorbereitungen trafen.
Suladi betrat den Raum. Karem beobachtete den Geldwechsler ohne größeres Interesse aus dem Augenwinkel. Der kleine, wieselähnliche Mann ging zu einem der Wächter und drückte ihm einen kleinen Lederbeutel in die Hand, der daraufhin aus dem Raum verschwand. Suladi rieb sich die Hände und kam zu Karem herüber. In seinem braungebrannten, faltigen Gesicht lag ein seltsames Lächeln. Karem betrachtete den Omrak voller Abscheu. Unter seiner großen, nach unten gebogenen Nase baumelte ein grau durchsetzter Bart, links und rechts am Mund vorbei, bis zum Kinn hinunter. Die kleinen Augen blickten listig. Karem hatte ihn vom ersten Augenblick gehasst.
»Was ist jetzt? Habt ihr das Gold?«
Karem reichte ihm wortlos einen Beutel, in dem sechsunddreißig Goldsesterzen klimperten. Suladi sollte das Gold für ihn als Wetteinsatz auf den eigenen Kampf setzen. Der Omrak hatte ihm eine Quote von drei zu eins versprochen. Eigentlich hatten Karem und Crom nichts zu verlieren. Wurden sie besiegt, so starben sie in der Arena und das Gold hätte ihnen dann sowieso nichts mehr genützt. Gewannen sie aber den Kampf, dann hatte sich ihr Gold verdreifacht, und sie konnten endlich nach Rom zurückkehren und Lelina freikaufen.
»Mein Anteil, solltet ihr siegreich sein, beträgt fünf Goldsesterzen!«, zischelte der Geldwechsler.
»Du wirst dein Gold bekommen.«
»Gut!« Suladi wollte sich abwenden, als Karems Hand vorschoss und ihn am Arm packte.
»Mann aus Omrak, denk nicht einmal daran, mit diesem Gold zu verschwinden. Ich würde dir bis in die Hölle folgen, um dich zu finden!«
Suladis Lächeln verschwand für einen kurzen Moment und machte einem erschrockenen Gesichtsausdruck Platz, aber kurz darauf hatte er sein Mienenspiel wieder in der Gewalt.
»Ihr schätzt mich falsch ein, Herr. Ich werde das Stadion nicht verlassen und als Zeichen meiner Wertschätzung habe ich dafür gesorgt, dass euch vor dem Kampf noch ein Mahl gereicht wird. Niemand sollte dem Feind mit leerem Magen gegenübertreten.«
»Warum diese Großzügigkeit?«, fragte Karem misstrauisch.
Suladis Lächeln wurde noch eine Spur breiter. »Ich bin Geschäftsmann. Ihr habt gute Aussichten, den Kampf zu gewinnen, und ich plane, eine bescheidene Summe meines eigenen Geldes auf euren Sieg zu setzen. Nicht zu vergessen meine Provision. Fünf Goldsesterzen sind auch für mich eine Menge Geld. Ihr seht, ich tue nichts anderes, als meine Investition zu schützen, indem ich euch bestmöglich unterstütze.«
»Nun gut, vielleicht war ich ungerecht zu dir.«
»Das kann geschehen, Herr. Wenn ihr erlaubt, werde ich mich jetzt zurückziehen.«
Suladi hastete aus dem Raum. Der Wächter, mit dem er gesprochen hatte, kam zurück. Auf seinen breiten Händen trug er eine polierte Metallplatte, die mit Bergen von gebratenem Fleisch überhäuft war. Die Augen der anderen Kämpfer folgten ihm gierig, als er zu Karem ging.
»Herr, möchtet ihr speisen?«
»Nein, danke. Ich esse nie vor dem Kampf.«
»Suladi hat dieses Mahl extra für euch in seinem eigenen Haus zubereiten lassen.«
»Also gut. Gebt mir das gebratene Huhn.«
Der Wächter reichte ihm das Geflügel und ging weiter zu Crom, der ihn schon mit hungrigen Augen erwartete. Diesmal musste er nicht erst fragen. Der Ork riss ihm das ganze Tablett aus der Hand und machte sich über das Fleisch her. Der Mann wirkte kurz verblüfft, verschwand dann aber er aus dem Raum.
Karem legte seinen Anteil am Essen auf den Boden. Er hatte keinen Hunger, und allein der Geruch des Fleisches ließ seinen nervösen Magen verkrampfen. Nur aus Höflichkeit hatte er die angebotene Speise nicht zurückgewiesen. Er nahm den Wetzstein wieder in die Hand und fuhr mit dem Schärfen seiner Waffe fort.
Croms Schmatzen erfüllte den ganzen Raum, aber plötzlich herrschte für einen kurzen Moment Ruhe. Karem, der wusste, dass der Ork immer erst aufhörte zu essen, wenn nichts mehr da war, sah ihn überrascht an. Crom hatte eine große Kalbskeule in seiner mächtigen Pranke, die er nachdenklich anstarrte.
»Schon satt, Crom? Das wäre das erste Mal, dass etwas übrig bleibt!«, rief er hinüber. Mehrere der anwesenden Männer hatten die Bemerkung verstanden und lachten nervös. Karem beachtete sie nicht.
»Essen schmeckt seltsam!«, war Croms einziger Kommentar.
»Dann iss es nicht! Nicht jeder mag die omrakische Küche mit ihren scharfen Gewürzen.«
»Nicht scharf, schmeckt süß. Wie Honig.«
»Ich denke, du magst Honig?«
»Honig? Ja! Trotzdem ...«
Crom warf die Keule in eine Ecke des Raumes und schob die Platte von sich.
Bevor sich Karem weiter Gedanken machen konnte, erklang von draußen das Fanfarensignal, das sie zum Kampf rief.
Der unaufhörliche Regen hatte den Sandboden der Arena in ein glitschiges Schlammloch verwandelt. Schon nach wenigen Schritten waren er und Crom bis auf die Haut durchnässt. Das Wasser lief über ihre Gesichter und in ihre Augen, so dass sie ihre Gegner erst erkennen konnten, als sie nur noch wenige Meter voneinander trennten. Die Zuschauer brüllten aus vollem Hals und schafften es sogar, das Prasseln des Regens zu übertönen.
Karem wandte kurz den Kopf zur einzigen Tribüne des Ovals, aber bis auf ein paar bunte Farbflecken konnte er hinter den grauen Schleiern nichts entdecken.
Irgendwo oben auf der Tribüne gab der vom Kaiser eingesetzte Stadthalter das Signal zum Kämpfen.
Drei Männer von unterschiedlicher Größe und Statur standen ihnen gegenüber. Sie schienen erfahrene Gladiatoren zu sein, denn ihre Gesichter und ihre Körper wiesen zahlreiche alte und neue Narben auf.
Sie hielten sich leicht vorgebeugt, die Füße fest in den Schlamm gegraben, um nicht den Halt zu verlieren. Zwei von ihnen trugen Schwerter, der Dritte hatte eine Waffe, wie sie Karem noch nie zuvor gesehen hatte. Sie ähnelte einem zwei Meter langen Speer, nur dass sie vollkommen aus Metall gearbeitet war und sich in drei bewegliche Teile gliederte. Der Mann hielt das Mittelteil mit beiden Fäusten umklammert und schwang die beiden anderen Teile wie Dreschflegel über seinen Kopf. Karem nahm sich vor, ihn besonders im Auge zu behalten.
Irgendetwas in ihrem Verhalten ließ ihn misstrauisch werden. Zuerst konnte er sich nicht erklären, was es war, aber dann traf ihn die Erkenntnis mit der Wucht eines Hammers. Ihre Gesichter zeigten keine Angst beim Anblick des Orks. Im Gegenteil, Zuversicht und Selbstvertrauen spiegelte sich in ihren Mienen.
Karem hatte schon gegen viele tapfere Männer in der Arena gestanden. Einige von ihnen hatten Crom todesmutig angegriffen, aber sie alle waren beim ersten Anblick dieses riesigen Wesens zusammengezuckt und waren beeindruckt gewesen. Diese Männer aber schienen weder verunsichert noch besonders beeindruckt.
Langsam rückten sie näher, hielten aber einen Abstand ein, der ihnen den Freiraum ließ, einer Attacke auszuweichen.
Warum griffen sie nicht an? Ihre zahlenmäßige Überlegenheit machte nur dann Sinn, wenn sie selbst die Initiative übernahmen.
»Karem ...«, grollte die Stimme des Orks neben ihm.
»Was?«, zischte er, ohne den Blick von ihren Gegnern zu wenden.
»Crom hat Schmerzen!«
Der Satz war kaum zu Ende gesprochen, als der Ork die Axt fallen ließ und auf die Knie sank. Sein riesiger Oberkörper schwankte hin und her und für einen kurzen Moment sah es aus, als würde er sich wieder erheben, aber dann fiel er mit dem Gesicht voraus in den Schlamm und bewegte sich nicht mehr.
Die Menschenmenge, die wegen des starken Regens die Kämpfer nur undeutlich erkennen konnte, jubelte auf. Anscheinend dachte man auf den Rängen, eine Waffe habe den Ork niedergestreckt.
Karems Kopf zuckte herum.
»Crom, was ist los? Steh auf!«, brüllte er verzweifelt. Aber ein kurzer Blick und er wusste, dass der Ork nicht aufstehen würde. Crom war entweder tot oder bewusstlos.
In Karems Geist wirbelten Bilder auf. Er sah Suladi den Geldwechsler, wie er dem Wächter etwas zugesteckt hatte, der ihnen später das Essen gebracht hatte. Croms Gesicht stand vor seinen Augen, wie er das Fleisch angestarrt hatte. Und nun war ihm auch klar, warum ihre Gegner keine Angst zeigten. Sie hatten etwas gewusst, was ihnen nur Suladi selbst hatte verraten können. Das Essen war vergiftet gewesen. Der Omrak hatte sie betrogen und vorgehabt, sie hilflos ihren Gegnern auszuliefern. Nur der Umstand, dass er wegen seines nervösen Magens nichts gegessen hatte, gab ihnen noch eine kleine Überlebenschance.
Die drei Männer grinsten selbstbewusst, als sie Karem umringten. Er ließ sein Schwert ein paar Mal durch kleine Handgelenksbewegungen wirbeln, um sie auf Abstand zu halten.
In ihm brandete unsagbarer Hass auf. Das einzige Wesen, für das er jemals so etwas wie Freundschaft empfunden hatte, lag hilflos im Dreck, während der Regen auf ihn niederprasselte. Jemand hatte beschlossen, dass ihr Gold mehr wert war als ihr Leben.
Von Karems Lippen löste sich ein Schrei, der aus der Tiefe seiner geschundenen Seele kam.
Die Männer starben in wenigen Augenblicken.
Karem tötete sie einen nach dem anderen.