13.
Nur das bleiche Licht des Mondes fiel vereinzelt durch die Baumwipfel und beleuchtete die angespannten Gesichter der Krieger. Fürst Ronder hielt seine Männer im Dickicht des Waldes verborgen. Er wartete auf den Befehlshaber der Bogenschützen, der nach vorn gekrochen war, um die gegnerischen Stellungen auszukundschaften.
Als der Mann zurück war, sah Ronder, dass etwas Unvorhergesehenes geschehen sein musste, denn der sonst sehr kaltblütige Felsar wirkte verstört.
Ronder fasste ihn am Arm und zog ihn ein Stück abseits, damit niemand sie belauschen konnte.
»Was ist los, Hauptmann?«, zischte er leise.
Felsars Augen weiteten sich, bis das Weiße im Dunklen leuchtete. »Herr, ich kann den Befehl nicht ausführen und den Graben in Brand setzen lassen!«, keuchte er.
»Warum nicht?« Als Felsar nicht antwortete, schüttelte ihn der Fürst heftig. »In Thorams Namen, warum nicht?«
»Der König hat in die mit Öl gefüllten Graben Pfähle rammen lassen, an die er Gefangene gefesselt hat.« Die Stimme des Mannes brach. Ronder registrierte erschrocken, dass ihm Tränen über das Gesicht liefen.
»Wie viele Pfähle hast du gesehen?«
»Es sind Hunderte, Herr! Die Männer jammern und winseln. Es ist grauenhaft. Wenn wir den Graben in Brand setzen, werden sie alle sterben!«
»Hunderte?«, fragte Ronder ungläubig nach. »Aber das kann nicht sein! Wir hatten keine so großen Verluste. Er kann unmöglich so viele Gefangene gemacht haben?«
»Vielleicht hat er Bauern aus den umliegenden Dörfern zusammengetrieben«, warf Felsar nun etwas beruhigter ein.
»Nein, das Gebiet ist viel zu dünn besiedelt. Canai bräuchte Monate, um in dieser Gegend auch nur fünfzig Männer zu finden!«
»Was sollen wir jetzt tun, mein Fürst?«
»Alles bleibt beim alten Plan! Schieß den Graben in Brand!«, flüsterte Ronder eindringlich.
Felsar wich entsetzt zurück. »Herr, das könnt ihr nicht von mir verlangen!«
Die Hände des Fürsten packten den Hauptmann grob am Kragen seiner Uniform und zogen ihn zu sich heran. »Hör mir gut zu! Wir befinden uns mitten in einem schrecklichen Krieg. Ich habe keine Zeit für Mitleid. Wer auch immer da unten an den Pfählen gefesselt ist, es spielt keine Rolle. Ich darf mich nicht ablenken lassen. Das Schicksal unseres Volkes hängt von meinen Entscheidungen ab. Ich gebe dir noch ein einziges Mal den Befehl diesen Graben in Brand zu schießen. Befolgst du meine Anweisungen nicht, lasse ich dich hängen!«
Felsar schlich mit gesenktem Kopf davon.
Als der erste brennende Pfeil in den Graben fiel und das Öl entzündete, starben Graf Kerr und seine Männer einen schrecklichen Tod.
Die Feuer in den Gräben brannten über eine Stunde. Beißende Rauchschwaden wurden vom leichten Nachtwind über das Lager hinweggetrieben und ließen die Augen der Verteidiger tränen.
Die Generäle des Königs glaubten ständig, einen Angriff von Fürst Ronders Truppen zu entdecken und verlegten nervös immer wieder ganze Abteilungen an andere Frontabschnitte, aber alles blieb ruhig.
Karem lag, außerhalb des Lichtscheines der Fackeln und dem Feuer des brennenden Grabens, im nassen Gras. Hinter ihm pressten sich die großen Leiber der Orks auf den Boden und wurden zu grauen Felsbrocken in der nächtlichen Landschaft.
Noch weiter hinten waren die Fußtruppen des Fürsten platziert, auch sie verbargen sich, so gut es ging. Sie alle beobachteten die Unruhe im gegnerischen Lager und warteten auf das Zeichen zum Angriff.
Als nacheinander drei brennende Pfeile den Himmel zerschnitten, sprang Karem auf und stürmte auf den Graben zu. Bei den Orks packten jeweils vier Krieger einen der riesigen Baumstämme und liefen ebenfalls los. Alles ging nun blitzschnell.
Die Reiter des Fürsten mit Ronder an der Spitze überholten sie, während Karems Gruppe auf die vordersten Linien zurannte. Die Pferde übersprangen den noch lodernden Graben. Ohne die Hauptarmee des Königs zu beachten, rissen Ronders Männer die Pferde herum und griffen die hinter dem Graben postierten Bogenschützen an.
Der Beobachter, der alle Kampfhandlungen koordinierte, sandte einen weiteren Signalpfeil ab, und die Fußtruppen stürmten aus ihren Stellungen hervor.
Die Orks hatten inzwischen den Graben erreicht und warfen die Baumstämme darüber, um eine provisorische Brücke zu bilden, über die Ronders Armee in das Lager des Feindes eindringen konnte.
Der Fürst und seine Reiter hatten sämtliche Bogenschützen getötet, aber nun wurden sie von den regulären Truppen bedrängt, die Sirius gedankenschnell umgruppiert hatte. Gerade noch rechtzeitig konnte Karem die fast Eingeschlossenen erreichen.
Die Orks zerschlugen die Reihen der Feinde. Ihr Kampfgebrüll donnerte über das Lager hinweg, während ihre Äxte im Licht der Flammen tanzten und den Feind zerschmetterten.
General Avetar mit der Hauptarmee überwand den Graben und griff in den Kampf ein. Das Klirren, wenn Metall auf Metall traf, und die Schreie der Verwundeten erfüllten die rauchgeschwängerte Luft. Wie eine gigantische Welle fegten die Fußsoldaten über die Verteidiger hinweg.
Ronder war vom Pferd gestürzt, als drei Krieger ihn gleichzeitig angriffen. Sein schwarzer Hengst sprang verwirrt davon, während der Fürst versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Als er nach oben blickte, sah er ein im Lichtschein funkelndes Schwert auf sich zurasen.
Drewes und die zehn Mann seiner Gruppe krochen vorsichtig, natterngleich durch das Gras auf das Lager zu. Der Kampf tobte an einer weit entfernten Stelle, und der Leutnant entdeckte nur vier Wachposten in der Nähe des Belagerungsturmes, die alle angestrengt in die Richtung starrten, wo ihre Kameraden versuchten den eingedrungenen Feind aufzuhalten.
Neben Drewes wollte Palut aufspringen, aber der Leutnant hielt ihn mit einer energischen Handbewegung zurück. Sie alle waren vollkommen nackt und hatten ihre Körper und ihre Haare mit Schlamm beschmiert. Die Gesichter waren rußgeschwärzt. Nur das Weiß ihrer Augen war in der Dunkelheit auszumachen. Sie glichen Dämonen einer fremden Hölle, als sie sich den Posten näherten.
Jeder von ihnen war nur mit einem Dolch bewaffnet, da sie jeden unnötigen Feindkontakt vermeiden und sich ausschließlich auf die Zerstörung des Belagerungsturmes konzentrieren sollten.
Drewes spürte die ungeduldigen Blicke seiner Männer im Rücken. Er gab das vereinbarte Zeichen, und die lebenden Schatten erhoben sich vom Boden. Die schwarzen Klingen ihrer Messer durchschnitten die Kehlen der Wächter, die stumm zu Boden sackten.
Der Leutnant nahm den mitgeführten Ledersack von seinem Rücken, während sich seine Männer schützend um ihn gruppierten. Eilig zerrte er zwei Tonkrüge hervor, die ein spezielles, leicht entflammbares Öl enthielten. Während er das Holz des Turmes tränkte, schlich Palut davon, um eine Fackel zu besorgen.
Gerade als Drewes dachte, alles würde glattgehen, wurden sie entdeckt.
Das Schwert schien immer größer zu werden, als es auf Ronder herabzischte. Der Fürst rollte beiseite, aber es war schon zu spät. Die Klinge fuhr in seinen Ellenbogen und trennte den linken Arm knapp über dem Gelenk ab. Verwundert starrte Ronder auf das hervorsprudelnde Blut, das im Licht der Flammen schwarz wirkte.
Seine rechte Hand hieb blindlings nach oben und drang dem fremden Krieger in die Hüfte, der kreischend neben ihm zu Boden fiel.
Bark und ein weiterer Ork hatten den Fürsten stürzen sehen. Sie stürmten heran und töteten die zwei Krieger, die Ronder bedrohten. Der Stammesführer blickte auf den Armstumpf des Verletzten herab. Er erkannte, dass er schnell handeln musste oder der Mensch würde verbluten. Bark riss einen Lederstreifen aus seinem Wams und bedeutete Ronder, ihn auf die Wunde zu pressen. Mit knurrender Stimme befahl er dem anderen Ork, den Fürsten zurück zum eigenen Lager zu bringen.
Ronder wehrte sich heftig. Er wollte das Schlachtfeld erst verlassen, wenn der Kampf entschieden war, aber der Ork hob ihn mühelos hoch und warf ihn sich wie eine alte Decke über die Schulter.
Drewes sah die Krieger auf sich zustürmen. Er gab einen Befehl, und geschleuderte Dolche durchschnitten die Luft. Mehrere Soldaten stürzten tot zu Boden. Die restlichen sieben Männer warfen sich auf den nun unbewaffneten Gegner. Drewes wich geschmeidig einem Schwert aus. Seine Faust krachte gegen den Hals des Soldaten und zerschmetterte den Kehlkopf. Mit einem Röcheln sackte er zusammen. Der Leutnant hob das Schwert auf und kam Palut zu Hilfe, der mit der brennenden Fackel in der Hand verzweifelt versuchte, den Belagerungsturm zu erreichen.
Drewes ließ sich fallen, als zwei Soldaten sich ihm entgegenstellten. Katzengleich rollte er über die Schulter ab. Sein Schwert wirbelte herum und durchtrennte die Kniekehle des einen Kriegers, bevor es in den Bauch des anderen Mannes drang.
Palut schleuderte die Fackel, und der Turm ging in wild lodernden Flammen auf.
Mit einem schrillen Pfiff gab Drewes das Signal, sich zurückzuziehen. Alle Feinde waren getötet worden, aber auch zwei seiner Männer blieben regungslos am Boden liegen. Er warf das Schwert weg. Ein letzter Blick auf den brennenden Turm, dann folgte er seinen Kriegern in die Dunkelheit.
General Avetar hatte sich zu Karem durchgekämpft. Noch immer tobte die Schlacht auf ihrem Höhenpunkt. Beide waren über und über mit Blut besudelt. Neben ihnen warfen sich Crom und zwei weitere Orks mit gefletschten Zähnen auf eine Gruppe Soldaten, die sich ihnen in den Weg gestellt hatten. Ihre Äxte durchtrennten Glieder, zerschmetterten Schädel, bis keiner der Männer mehr am Leben war.
Karem wandte sich an Avetar, der sich in der kurzen Kampfpause schwer keuchend auf sein Schwert stützte.
»Der Fürst wurde verwundet!«, berichtete der General. »Ein Ork trägt ihn gerade zurück zum Lager.«
»Was sollen wir jetzt tun?«, brüllte Karem über den Kampflärm hinweg.
»Wir müssen uns zurückziehen! Ich kümmere mich um meine Männer. Du musst die Orks aus der Schlacht führen. Auf das Hornsignal hin, lösen wir uns gemeinsam vom Feind und decken gegenseitig unseren Rückzug.«
Karem ballte die Hand zur Faust zum Zeichen, dass er verstanden hatte.
Im Zelt des Fürsten kämpften die Heiler um Ronders Leben. Noch immer blutete die Wunde heftig und durchnässte die zahlreichen Verbände.
Jawelar, ein kahlköpfiger kleiner Mann mit durchdringenden blauen Augen und faltigem Gesicht, beugte sich über das Lager des Verletzten.
»Herr, könnt Ihr mich hören?«
Ronder nickte mit schmerzverzerrtem Gesicht.
»Wir müssen die Wunde mit flüssigem Pech versiegeln oder Ihr werdet sterben!«
»Dann tut, was Ihr tun müsst!«, presste der Fürst zwischen den Zähnen hervor.
Jawelar winkte nach hinten, und aus dem Schatten trat ein Mann, der in beiden Händen vorsichtig eine Schale balancierte. Der Heiler tauchte ein Leinentuch hinein, das er noch dampfend auf den Armstumpf drückte.
Die gellenden Schreie des Fürsten ließen alle im Lager erschrocken zusammenfahren, bevor die Gnade der Ohnmacht Ronders Geist in ein anderes Reich führte.