4.
10 Jahre später
»Nein! Nein! Nein!«, brüllte Djoran. »Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst einen Wurfdolch nicht wie ein Brotmesser anfassen! Geht das nicht in deinen Kopf?«
Das Gesicht des ehemaligen Kriegers war rot angelaufen. Seine langen, schwarzen Haare umspielten ihn wie die Mähne eines Löwen. Mit großen Schritten hielt er auf Karem zu, der versuchte, sich so klein wie möglich zu machen. Sein Vater war ein geduldiger Mann, aber wenn ihm einmal der Kragen platzte, machte man besser ein reumütiges Gesicht und versuchte erst gar nicht, sich zu rechtfertigen.
Djoran war nun heran. Er ragte über Karem auf und verdeckte das Sonnenlicht. Die breite Hand schoss vor, riss ihm den Dolch aus der kleinen Faust.
»An der Spitze musst du das Messer halten. Ganz sanft, fast zärtlich, so als wäre es eine Feder, die du nicht zerdrücken willst.« Energischer Eifer stand in sein Gesicht geschrieben. Die Narbe pulsierte im Schlag seines Blutes. »Du musst das Gewicht trotzdem spüren. Bei einem Wurfdolch ist die Klinge immer schwerer als das Heft, damit dem Feind die richtige Seite entgegenfliegt. Wenn du aufhören würdest, diese edle Waffe wie ein Stück Holz zu behandeln, mit dem du nach Krähen wirfst, würden wir uns eine Menge Zeit sparen.«
Karem nickte ergeben. Seit zwei Tagen versuchte sein Vater, ihm das Messerwerfen beizubringen. Am Anfang hatte er gelernt, den Dolch einmal um seine ganze Achse drehen zu lassen und wieder aus der Luft zu fangen. Diese Übung war ihm relativ leicht gefallen, aber seit sein Vater eine Holzscheibe aufgestellt hatte, auf die er zielen sollte, ging alles schief. Entweder entglitt ihm der Dolch und grub sich irgendwo in den Erdboden, oder aber er verfehlte das Ziel meterweit. Inzwischen schmerzte sein linkes Handgelenk.
»Sieh her!«, befahl Djoran. »Das Messer muss wie eine Schlange, die zubeißt, aus deiner Hand gleiten. In einer einzigen fließenden Bewegung. Die Kraft kommt dabei aus der Schulter, nicht aus dem Oberarm!«
Djoran drehte sich geschmeidig, der Arm zuckte hoch und einem silbernen Blitz gleich, zischte der Dolch durch die Luft und bohrte sich tief in die Mitte des Holzbrettes.
Karems Augen wurden groß. Obwohl er seinen Vater schon oft mit verschiedenen Waffen üben sehen hatte, erstaunte es ihn immer, wieder mit welcher Eleganz sich Djoran bewegte. Und er verfehlte nie sein Ziel, mochte er eine Axt, ein Schwert oder einen Dolch handhaben.
Als der Messerschleifer die Resignation im Gesicht seines Sohnes sah, wurden seine Züge weich. Er bückte sich und fasste Karem mit beiden Händen an den Schultern.
»Mach dir keine Gedanken. Auch mir ist es am Anfang schwergefallen. Du musst Geduld bewahren und dich konzentrieren.« Seine große Hand deutete auf das im Brett steckende Messer. »Eines Tages kannst du das so gut wie ich. Für heute ist genug geübt. Geh und sieh, ob du deiner Mutter helfen kannst.«
»Vater?«
»Ja?«
»Wenn meine rechte Hand nicht verkrüppelt wäre, könnte ich es besser.«
»Ich weiß, mein Sohn. Du wirst lernen, deine Linke zu gebrauchen.«
»Ja, Vater!«
Djoran gab ihm einen aufmunternden Klaps, und Karem rannte befreit von der Last des Versagens auf den Planwagen zu, wo seine Mutter gerade dabei war, den großen Eisenkessel, in dem sie das Abendessen zubereiten wollte, auszuladen.
Djorans anderer Sohn, Gram, trat aus dem Schatten der Bäume. Groß, muskulös, mit langem blonden Haar, war der Zweiundzwanzigjährige, ebenso wie seine Schwester Marga, ein Abbild seiner Mutter.
»Du hast alles beobachtet?«, fragte Djoran, ohne sich umzudrehen.
Gram hatte längst aufgehört, sich über die manchmal fast unheimlichen Fähigkeiten seines Vaters zu wundern.
»Ja«, meinte er schlicht.
»Was sagst du?«
»Ich denke nicht, dass er es lernen wird.«
Djoran wandte sich um. Seine Augen hefteten sich auf Gram, aber er entdeckte keine Bosheit darin. Auch Gram liebte Karem über alles.
»Du hast recht!«, seufzte der Vater. »Aber es wäre besser, er würde es lernen. Die Zeiten sind schlecht, und ein Mann muss sich verteidigen können. Durch den Geburtsfehler an seiner rechten Hand wird er niemals ein Schwert richtig führen können.«
Grams Hand machte eine leichte Bewegung, wie ein funkelnder Blitz durchschnitt sein Dolch die Luft und bohrte sich zitternd neben der Klinge seines Vaters ins Holz.
»Mach dir keine Sorgen, Vater. Ich werde ihn beschützen!«
Djorans Augen glänzten voller Stolz, aber dann trat ein wehmütiger Schimmer in seinen Blick.
»Du wirst nicht immer da sein, um ihn beschützen zu können.«
Mit diesen Worten wandte er sich um und ging zurück zum Lager.