17.

 

Drei Tage lang hatte Fürst Ronder sich selbst und seine Männer unbarmherzig angetrieben. Stunde um Stunde hatte er jeden Tag im Sattel ausgeharrt und mehr als einmal sah es so aus, als würde er vom Pferd fallen, aber sein unbändiger Hass gab ihm Kraft, weit über alle körperlichen Reserven hinaus.

Gegen Mittag des vierten Tages kehrten die vorausgesandten Kundschafter zurück und meldeten, dass sie Canais Armee gesichtet hatten, die gerade im Begriff war, einen Fluss zu überqueren.

Sandor und die Reiter wurden vorgeschickt, sie sollten den Feind binden und am Weiterziehen hindern, bis der Fürst mit dem Rest der Truppe heran war.

Nachdem sich Ronder per Zeichensprache mit dem Anführer der Orks verständigt hatte, bestieg er wieder seinen Hengst und ritt unermüdlich an den Fußtruppen entlang, um die erschöpften Männer anzutreiben.

 

Die Regenfälle der letzten Zeit hatten den Bergfluss so stark anschwellen lassen, dass Canais Armee keine Furt fand, an der sie die Stromschnellen durchqueren konnten.

General Sandor verzichtete auf einen Angriff und ritt sofort zum Fürsten zurück, um ihm mitzuteilen, dass der verhasste Feind in der Falle saß, aus der es keinen Ausweg mehr gab.

Dankbar für diese Gnade der Götter ließ Ronder das Lager aufschlagen, damit sich seine Truppe vor der Schlacht noch etwas ausruhen konnte. Späher wurden ausgesandt, die die königliche Armee beobachten und Alarm schlagen sollten, falls sich Canai entschloss, den Fluss zu umgehen.

Später am Abend trafen alle Heeresführer im Zelt zusammen. Ronder legte seinen Schlachtplan dar und es wurde beschlossen, im Morgengrauen anzugreifen. Mit ernster Miene trennten sich die Männer wieder, um die anderen Offiziere und Unterführer über die bevorstehende Aufgabe zu unterrichten.

Ronder blieb allein mit Jawelar, dem Heiler, in seinem Zelt zurück.

»Herr, ich flehe Euch an! Bitte verzichtet darauf, an dem Kampf teilzunehmen!«, jammerte der alte Mann. Er hatte während der Beratung geschwiegen, um seinen Fürsten nicht in Verlegenheit zu bringen. Nun aber sah er sich gezwungen, auf Ronder einzuwirken, mochte es ihn auch den Kopf kosten.

Auf Ronders Gesicht lag ein merkwürdiges Lächeln. Seine Augen waren trotz der großen Erschöpfung klar. Ein Funkeln lag darin, das sich Jawelar nicht erklären konnte.

»Gib mir noch von deinen Teufelskräutern. Sie führen meinem Körper Kraft zu und vertreiben die Schmerzen.«

»Herr, Ihr habt schon zu viel davon genommen. Wenn eine bestimmte Dosis überschritten wird, dann berauscht das Kraut die Sinne und kann tödlich sein.« Er hatte Ronder jeden Tag ein Bündel getrocknetes Blutziegenkraut gegeben, das der Fürst, während er auf dem Pferd saß, unermüdlich kaute. Es war die einzige Möglichkeit gewesen, die pochenden Schmerzen in seinem Armstumpf im Zaum zu halten.

»Jawelar, ich bin müde und habe wenig Sinn für deine langatmigen Erklärungen. Gib mir jetzt das Kraut, damit ich noch ein paar Stunden Schlaf finde, bevor die Schlacht beginnt.«

Jawelar gab resigniert auf. Aus einem Lederbeutel, der an seiner Hüfte hing, holte er einen dürren, schwarzen Zweig des Krauts hervor und reichte ihm den Fürsten. Ronder rupfte eine der getrockneten Knospen ab und schob sie sich in den Mund.

Als er eingeschlafen war, verließ der alte Mann das Zelt.

 

Der Angriff kam so überraschend, dass Canais erschöpfte Armee vollkommen niedergerannt wurde.

Sirius und die anderen Generäle versuchten verzweifelt, eine Verteidigungslinie aufzubauen, aber mit dem Fluss im Rücken und den steilen Schluchtenwänden zu beiden Seiten, war ein Ausweichen unmöglich.

Ronders Bogenschützen sandten aus sicherer Entfernung Pfeilhagel um Pfeilhagel auf die eng zusammengedrängten Männer. Viele starben bereits, ohne den Feind zu Gesicht bekommen zu haben.

Auf Ronders Kommando ließen die Schützen ihre Bögen sinken und General Sandor preschte mit seinen Reitern in die wogende menschliche Masse. Zu Hunderten stürzten die Soldaten des Königs in die eiskalten Fluten, als sie versuchten, den stampfenden Pferdehufen zu entkommen. Als schließlich die Orks, gefolgt von den Fußtruppen, in den Kampf eingriffen, war das Schicksal der königlichen Armee besiegelt.

Sie starben zu Tausenden.

Ronder hatte doch auf eine Kampfteilnahme verzichtet. Hätte ihn ein Schwächeanfall während der Schlacht vom Pferd stürzen lassen, so hätte das die Moral seiner Männer gebrochen.

Auf den Hals seines Pferdes gestützt, verfolgte er den Kampfverlauf. Auf seinem grimmigen Gesicht erschien ein Grinsen, als abzusehen war, dass seine Truppen siegreich aus diesem Gemetzel hervorgehen würden.

Plötzlich bemerkte er eine Bewegung auf dem Fluss. Ronder kniff seine Augen zusammen und starrte in die Ferne, bis ihm Tränen der Anstrengung über das Gesicht liefen.

Ein kleines Floß, mit nur wenigen Personen besetzt, hatte soeben das andere Flussufer erreicht.

Canai war ihm entkommen.

 

Unter den wenigen aus Canais Armee, die das Massaker überlebt hatten, befand sich auch Heidar, der Berater des Königs.

Als Ronder in das Lager des Feindes ritt, schleppten zwei Soldaten den Schwerverletzten heran und warfen ihn dem Fürsten vor die Füße. Aus einer klaffenden Brustwunde sickerte Blut in den sandigen Boden, während Heidar wimmernd versuchte, auf die Knie zu kommen.

Ronder beobachtete ihn teilnahmslos. In ihm war kein Mitleid für diesen Mann.

Das schwarze Haar hing Heidar wirr vor das Gesicht, als er auf den Fürsten zukroch. Speichel lief seine Mundwinkel hinunter.

»Gnade, Herr!«, winselte er.

Der Schwerthieb hatte das Lederwams des Beraters zerfetzt und Ronder erkannte, dass Heidar eine Silberkette mit einem merkwürdigen Anhänger um den Hals trug. Er bückte sich und griff danach. Es war ein seltsam geformter Schlüssel, der drei Zacken an der Schließseite aufwies. Mit einem Ruck riss Ronder die Kette ab. Heidar wurde durch die plötzliche Bewegung nach vorn geworfen und fiel mit dem Gesicht in den Sand.

Der Fürst betrachtete den Schlüssel neugierig. Irgendein Geheimnis schien ihn zu umgeben. Mit der Faust packte er Heidars Haarschopf und riss den Kopf nach hinten. Er ließ die Kette vor dessen Augen baumeln und fragte: »Was hat es mit diesem Schlüssel auf sich?«

Heidar, der nun wusste, dass er keine Gnade zu erwarten hatte, hatte seine unterwürfige Haltung aufgegeben und spuckte Ronder ins Gesicht.

»Das wirst du nie erfahren!«, krächzte er und lachte dann schallend.

Ronder erhob sich. Mit seinem Ärmel wischte er den Speichel ab.

»Bringt ihn zum Sprechen!«, befahl er.

 

Heidar wurde zwei Stunden lang gefoltert, dann wusste der Fürst, was es mit diesem Schlüssel für eine Bewandtnis hatte.

 

 

Das Flüstern des Windes
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