Drittes Buch
1.
Nach der Hitze Omraks, das sie als Passagiere eines Luftschiffes, das Waren in die Nähe des Dimensionstores transportierte, durchquert hatten, empfanden Karem, Crom und Lelina das ausgeglichene Klima Thuurs als unsagbare Erleichterung.
Vor drei Tagen waren sie in ihre Heimatwelt zurückgekehrt, die sie über zehn Jahre nicht gesehen hatten. Ihre anfängliche Freude wich aber bald der Ernüchterung, dass sie noch einen weiten Weg vor sich hatten. Die Hinreise hatten sie auf einem Sklavenschiff verbracht, das sich um dichte Wälder, steile Bergpässe und unwegsame Hochebenen nicht kümmern musste, entsprechend schnell war die weite Strecke zurückgelegt worden, aber zu Fuß waren die Entfernungen gewaltig.
Zwei Wochen lang waren sie auf größeren und kleineren Straßen stetig nach Westen gezogen, und nun kamen sie in ein Gebiet, das zumindest Crom bekannt war. Ungefähr in dieser Gegend war sein Familientrupp von den Omraks überfallen und er in die Sklaverei verschleppt worden. Die Tage vergingen und Crom wurde immer unruhiger. Ständig drängte er Karem und Lelina, schneller zu marschieren und weniger Rastpausen einzulegen.
Eines Morgens war es dann soweit. Crom hatte in der dicken Rinde einer alten Silbereiche ein eingeritztes Orksymbol entdeckt. Aufgeregt stürmte er in das Lager, wo Karem und Lelina müde die Decken zurückschlugen und versuchten, ein Kochfeuer für das Frühstück in Gang zu bringen.
Crom hatte vor lauter Aufregung seine Unterlippe zurückgezogen und Lelina erschrak heftig, als sie die mächtigen Hauer aus dem Mund hervorragen sah.
»Was ist los, Crom?«, wollte Karem wissen.
»Ich habe gefunden Zeichen von Ork. Mein Stamm. Schwarzschädel. Sie sind nicht weit. Vielleicht ein Tag vorher an dieser Stelle gewesen. Zeichen sagt, in welche Richtung mein Stamm gegangen ist. Ich muss gehen!«
Karem sah seinen langjährigen Freund ernst an. Er hatte immer gewusst, dass dieser Augenblick kommen würde, aber nun, da die Trennung bevorstand, presste eine unsichtbare Faust sein Herz zusammen. Er und Crom hatten so vieles gemeinsam erlebt, viel Leid, aber auch manches Gutes miteinander geteilt. Das riesige Wesen war zu seiner Familie geworden, dass Crom ihn nun verlassen würde, erschütterte die Grundfesten seiner Seele.
Lange standen sich die ungleichen Freunde gegenüber. Die roten Augen des Orks suchten Karems Blick. Er sah die gleiche Trauer, die auch er empfand, aber Crom konnte und wollte nicht unter Menschen leben und ebenso wenig war es möglich, dass Karem mit ihm ging, da er Lelina versprochen hatte, ihr bei der Suche nach ihrem Vater zu helfen.
Crom trat näher. Seine gewaltigen Arme umschlossen Karem sanft.
»Du bist mein Bruder. Ich danke dir, dass du mich nach Hause gebracht hast.«
»Ich werde dich niemals vergessen!«, sagte Karem leise.
»Crom wird dich auch nicht vergessen. Wenn du Hilfe brauchst, geh in die Wälder, suche die Zeichen der Schwarzschädel, und Crom wird mit dir gehen.«
»Danke, mein Freund!«
Ohne ein weiteres Wort wandte sich der Ork um, packte seine Ausrüstung zusammen und verschwand mit großen Schritten in der Dunkelheit des Waldes.
Karem saß mit untergeschlagenen Beinen auf dem vom Morgentau feuchten Boden. Als er Crom eine Weile später brüllen hörte, glitt ein Lächeln über sein Gesicht.
Sein Freund hatte heimgefunden.
Karems Stimmung verdüsterte sich nach Croms Weggang zusehends. Seit drei Tagen marschierte er Lelina voraus. Er hielt den Kopf gesenkt und beachtete sie kaum. Nur noch selten sprach er mit ihr. Bei jeder Rast schlang er sein Essen hinunter, wickelte sich in seine Decke und war kurze Zeit später eingeschlafen.
Lelina lag dann noch stundenlang wach. Oft weinte sie leise. Sie sehnte sich nach seiner Nähe, nach einer Geste oder einer zärtlichen Berührung, aber Karem lebte nur noch in der Welt seiner Gedanken.
Manchmal hörte sie Karem im Schlaf stöhnen, dann wusste sie, dass ihn seine Träume wieder in die Arena verschleppt hatten. Karem sprach niemals über das, was bei den Kämpfen vorgefallen war, und sie wagte nicht, ihn danach zu fragen. Auch der Grund, warum er sie freigekauft hatte, blieb ihr ein Rätsel. Offensichtlich empfand er nur so etwas wie Verantwortung für sie, darüber hinaus schien sie ihm vollkommen gleichgültig. Sie dagegen liebte ihn mit der Kraft ihres ganzen Wesens.
Bei ihrer ersten Begegnung in der Gladiatorenschule hatte ihr Herz bis zum Hals geschlagen, und die Nacht mit ihm war trotz seiner Unerfahrenheit ein Wendepunkt in ihrem Leben gewesen. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte sie sich wieder geborgen gefühlt. Als sie von Pinius erfahren hatte, dass Karem zurück in die Arena gezogen war, um den Kaufpreis für sie zu erkämpfen, war aus diesem Gefühl Liebe geworden. Er hatte sein Leben unzählige Male für sie riskiert und nun behandelte er sie, als sei sie gar nicht vorhanden.
Wenn sie in seine Nähe kam, suchte er einen Vorwand, um wieder Distanz herzustellen. Gespräche mied er vollkommen, und außer bei ein paar geknurrten Befehlen hörte sie seine Stimme überhaupt nicht mehr. So konnte es nicht weitergehen. Sie musste mit ihm sprechen.
Karem kam aus dem Wald zurück. Unter seinen Armen trug er Feuerholz, das er vorsichtig zu einem Haufen aufschichtete. Mit einem Feuerstein und etwas Zunder erweckte er eine kleine Flamme zum Leben, die er unter den Brennholzstapel hielt. Bald darauf zuckten gelbe Feuerzungen in die aufkommende Dunkelheit. Das Knistern der Holzscheite erfüllte die Stille und feurige Funken stoben zum Nachthimmel, an dem die ersten Sterne leuchteten.
Lelina hatte einen kleinen Eisenkessel mit Wasser aus einem nahen Bach gefüllt, den sie vorsichtig in das Feuer stellte. Aus einem Lederbeutel schüttelte sie zwei Portionen Haferflocken und etwas Trockenfleisch in das Kochwasser.
Sie spürte Karems Blicke in ihrem Rücken, aber als sie sich umdrehte und ihn ansah, wandte er sich ab.
»Karem, ich muss mit dir reden«, sagte sie leise.
Sein Kopf ruckte hoch.
»Warum hast du mich Tiveritus abgekauft?«
Er zuckte die Schultern. »Das war ich dir schuldig.«
»Nein!«, entgegnete sie bestimmt. »Du warst mir nie etwas schuldig.«
Als sie sah, dass er sich wieder abwandte, stieg heiße Wut in ihr auf. Karem behandelte sie nicht anders als die wohlhabenden Römer, die für ihren Körper bezahlt hatten. Für diese Männer war sie kein lebendiges Wesen gewesen, das Gefühle besaß, sondern nur ein Stück Fleisch, an dem man sich vergnügte.
Sie sprang auf. Das Licht des Feuers spiegelte sich in ihren Augen. »Gut!«, zischte sie. »Du hast mich gekauft wie ein Stück Vieh. Ich bin dein! Nimm mich, wann immer dir danach ist. Ich bin deine Sklavin!«
Als Karem diese Worte hörte, verlor er die Beherrschung. Mit einem wilden Schrei warf er sich auf sie. Unter seinen groben Händen zerriss der dünne Stoff ihres Gewandes. Ihre Brüste schimmerten weiß, als er auch den Unterrock zerfetzte. Mit Gewalt spreizte er ihre Beine und drang schmerzhaft in sie ein. Lelina hielt die Augen geschlossen. Sie wehrte sich nicht. Sein Keuchen drang in ihr Ohr, während sie stumm weinte.
Es dauerte nicht lange. Karems angestaute Verzweiflung entlud sich in ihr.
Hastig wälzte er sich von ihr herunter. Sein Mund formte entschuldigende Worte, aber er sprach sie nicht aus. Hilflos stand er da und blickte auf ihren geschändeten Körper herab. Er sah die Demütigung, die sie erlitten hatte, als sie ihn stumm ansah. Sie war so unglaublich schön, so sanft, so zerbrechlich und er hatte ihr Vertrauen missbraucht.
Voller Hass auf sich selbst wickelte er sich in seine Decke. Der Schlaf kam und brachte ihm schreckliche Alpträume. Als Karem am nächsten Morgen erwachte, schmeckte er sein eigenes Blut. Er hatte sich im Schlaf die Lippen zerbissen.
Von dieser Nacht an sprachen sie überhaupt nicht mehr miteinander. Lelina war zu sehr verletzt und die enttäuschte Liebe brannte in ihrem Inneren. Karem war verzweifelt. Wie hatte er so etwas Schreckliches nur tun können? Er liebte Lelina. Er liebte sie so sehr.
In all den einsamen Stunden, in denen er mit Crom durch das Land gezogen war, um in den Arenen fremder Städte zu kämpfen, hatte er sich nach ihr gesehnt. Sein Verlangen nach ihrer Nähe hatte ihn fast in den Wahnsinn getrieben.
Nun, als das Leben zum ersten Mal seit langer Zeit etwas Raum für Hoffnung ließ, versank er in Bitterkeit. Der Verlust Croms hatte ihn mehr getroffen, als er es für möglich gehalten hätte und so sehr er auch Lelina liebte, er konnte ihr seine Gefühle nicht gestehen. Zu groß war die Angst, auch sie eines Tages zu verlieren, so wie er schon seine Familie und seine einzigen Freunde verloren hatte. In seiner Verzweiflung war er über sie hergefallen wie ein wildes Tier, und dafür begann er, sich zu hassen.
Er hatte alles zerstört, was jemals zwischen ihnen gewesen sein mochte.