14.

 

Karem lief, an den Handgelenken gefesselt und mit dem Wagen durch eine Kette verbunden, hinter dem Karren her, auf dem der Ork, wie ein Paket verschnürt, lag.

Ganz vorn in dieser kleinen Karawane marschierte die persönliche Leibwache des Römers. Sechs bärtige, schwarzhaarige Männer - bewaffnet, in glänzendem Brustharnisch über der Lederkleidung, mit Unterarm- und Wadenschützern aus gehämmertem Messing. Sie trugen kleine, an den Oberarmen befestigte Schilde aus Büffelhaut, und an ihren Hüften baumelten die berühmten römischen Kurzschwerter. Zwei von den Söldnern waren zusätzlich mit Lanzen bewaffnet.

Der Römer Farcellus, der Karem und den Ork erworben hatte, ließ sich direkt hinter seiner Garde in einer Sänfte mit geschlossenen Vorhängen befördern. Die vier dunkelhäutigen Sklaven, denen die Aufgabe zufiel, die Sänfte an langen Holzstielen auf ihren Schultern zu tragen, keuchten unter der Anstrengung. Schweiß floss in Bächen über ihre glänzenden, schwarzen Gesichter.

Der Sänfte folgte dem von den zwei Grouls gezogenen Wagen, an dem Karem festgebunden hinterher stolperte. Den Zugtieren, fast drei Meter große, auf den Hinterbeinen gehende Echsen, schien die unbarmherzige Hitze nichts auszumachen. Unermüdlich stapften sie durch den Sand und nur selten musste der Führer des Karrens zur Peitsche greifen.

Karem hatte noch nie so seltsame Tiere gesehen. Ihr ganzer Körper war von grünen, schillernden Schuppen bedeckt. Die Hinterbeine, auf denen sie gingen, waren massig und hatten den doppelten Umfang einer Männerhüfte. Ihre Vorderarme, die in kleinen Tatzen endeten, wirkten dagegen kümmerlich, dürr und hatten die Länge eines Menschenarms.

Die Grouls benutzten diese Arme lediglich zum Fressen, wenn sie mit ihren Klauen Fleisch, vorwiegend Hühner, zerrissen und sich die bluttriefenden Brocken in die mit spitzen Zähnen bestückten Rachen schoben.

Obwohl die Grouls nur alle zwei Tage fraßen, musste die Karawane mehrere Körbe mit lebenden Hühnern mit sich führen, die unter dem Karren im Schatten angebunden waren.

Als Karem die Echsen zum ersten Mal beim Fressen beobachtet hatte, war ihm schlecht geworden, und er hatte sich im Sand kauernd übergeben müssen. Seit diesem Erlebnis wandte er sich ab, wenn die Fütterungszeit kam, und hielt sich die Ohren zu, um das verzweifelte Gackern der Hühner nicht hören zu müssen.

Ansonsten verlief die Reise langweilig aber mühselig.

Karem hatte sich im Gesicht, Nacken und an den ungeschützten Stellen seiner Haut einen schweren Sonnenbrand zugezogen, aber seinen neuen Herrn schien das wenig zu kümmern, dessen einzige Sorge galt dem kostbaren Ork.

Über das Lager des Monsters war ein Sonnendach aus Segeltuch gespannt worden, und der Ork war es auch, der die größten Wasserrationen bekam.

Während Karem die meiste Zeit an Durst litt, musste er mit ansehen, wie alle zwei Stunden die Karawane anhielt und den Ork mit Wasser bespritzte, um dessen Haut zu kühlen.

Karems Mund war staubtrocken, seine Lippen rissig und seine Zunge schien den doppelten Umfang in seinem Mund angenommen zu haben, aber so sehr er auch bettelte, für ihn gab es täglich nur einen Becher von der Sonne erwärmtes Wasser aus dem Ziegenlederschlauch.

Er dachte nur noch selten an Lelina, die er seit dem Verlassen des Sklavenschiffes nicht mehr gesehen hatte. Während er halbverdurstet durch den Sand stolperte, schwebte sein Geist meist zurück in die Vergangenheit, und er sah sich, Gram und Marga vergnügt in einem kühlen Waldsee plantschen. Jedes Mal, wenn er aus diesem immergleichen Tagtraum erwachte, schien der quälende Durst noch schlimmer geworden zu sein.

Er hatte Blasen an den Füßen, wo die unbequemen Sandalen scheuerten, und Sandflöhe hatten sich zwischen den Zehen in seine Haut gebohrt und sorgten nun dafür, dass die kleinen, aber offenen Wunden ständig eiterten.

Über eine Woche lang durchzog die Karawane die Große Wüste, bis sie schließlich in der Nähe einer Oase das Dimensionstor nach Roma Secundus durchschritt.

Farcellus verkaufte die Grouls und den Karren auf dem örtlichen Markt und erwarb ein Pferdegespann und einen größeren Wagen, auf dem der Ork erneut unbeweglich festgezurrt wurde.

Einen Tag rasteten sie, und zum ersten Mal seit langer Zeit bekam Karem ausreichend Trinkwasser. Das Gefühl, als das kühle Wasser seine ausgetrocknete Kehle hinab rann, würde er niemals wieder vergessen. In diesem Moment gab es kein vollkommeneres Glück und alle anderen Sorgen verließen ihn für kurze Zeit. Er lebte.

 

Auf der anderen Seite des Tores erstreckte sich eine vollkommen gegensätzliche Landschaft. Hier schien die Sonne warm aber nicht heiß über eine grüne Ebene, die mit sanften, flachen Hügeln durchsetzt war.

Viele Bäume wuchsen wild, aber die meisten geordnet in Reihen am Straßenrand, der hier aus einer festgefahrenen Lehmspur bestand.

Vögel sangen im Geäst der Bäume, Büsche und Sträucher und unsichtbare, kleine Tiere raschelten im herabgefallenen Laub.

Die Dörfer, durch die sie zogen, waren sauber und mündeten meist in einen gepflasterten Marktplatz, auf dem die Bauern ihre Waren anboten. Das ganze Land war Karems Heimat Thuur so ähnlich, dass ihm Tränen in die Augen stiegen. Zwar spürte man hier den Einfluss der Menschen auf die Natur viel deutlicher als in Thuur, wo das Land rauer und wilder war; aber allein das satte Grün war nach der Eintönigkeit der Großen Wüste eine Augenweide.

Aber Karem wurde bald ernüchtert, als er erkannte, dass der Reichtum Roma Secundus auf dem Leid armseliger Menschen beruhte. Überall schufteten Sklaven, schleppten Steine für Häuser und Straßen heran, fällten Bäume oder reinigten die öffentlichen Plätze. Mehr als einmal hörte er das Lied der Peitsche singen, wenn das Leder auf nackte Haut schlug.

Das also war sein Schicksal. Er würde als einer von Tausenden, vielleicht sogar von Millionen Sklaven bis an sein Lebensende hart arbeiten, während die Herren dieser Welt in ihren Villen und Palästen von den Früchten seiner Arbeit lebten. Eine tiefe Depression überfiel ihn. Die schöne Landschaft verlor ihren Glanz und offenbarte sich als gigantisches Gefängnis, aus dem es kein Entkommen gab.

Jedes Dorf, jede noch so kleine Stadt beherbergte eine Garnison Legionäre und viele von ihnen schienen nur damit beschäftigt zu sein, entflohene Sklaven wieder einzufangen.

Karem kam immer wieder an großen Holzbalken vorbei, an denen man die Unglücklichen, die wieder eingefangen worden waren, lebendig gekreuzigt hatte. Die noch lebten, jammerten auf ihn herab; die Toten starrten aus, von den Vögeln herausgepickten, nackten Augenhöhlen in die Ewigkeit.

Männer, Frauen, selbst Kinder wurden auf diese grausame Art bestraft. Karem sah einen kleinen Jungen in seinem Alter, dessen gesamter Körper mit Peitschenhieben bedeckt war. Er lebte noch, und als Karem den Kopf in den Nacken legte, begegneten sich ihre Blicke. Alles Leid, alle Qualen schienen in diesem Augenblick auf ihn überzugehen, und er sah die unendliche Verzweiflung in den Augen des anderen.

Ein grober Stoß mit einem Peitschenstiel ließ ihn vorwärtsstolpern.

»Marschier weiter!«, knurrte einer der Wächter. »Oder du hängst neben ihm!«

Karem ging weiter, aber als er sich kurz umdrehte, sah er, dass ihm der Junge nachblickte.

In seinem noch jungen Herz regte sich unsagbares Mitleid, aber sein Geist wurde von flammendem Zorn auf jene Menschen erfasst, die einem anderen so etwas antun konnten.

Sein Hass gab ihm Kraft, während seine Füße ihn durch Venturien trugen.

 

Nach vier weiteren Tagen Fußmarsch erreichten sie Lotrien, eine an einem mächtigen Fluss gebaute Hafenstadt.

Karem hatte noch nie eine so große Ansammlung von Häusern und Plätzen gesehen. Selbst Omraks Städte wirkten dagegen wie schäbige Dörfer. Alle Straßen waren gepflastert. Verzierte Säulen säumten die Wege und an vielen Ecken standen marmorne Statuen, die längst verstorbene Kaiser oder Helden des römischen Reiches darstellten.

Männer und Frauen waren mit weiten, weißen Togen bekleidet, die meist von Spangen am Schultergelenk und an den Hüften von bestickten, goldenen Gürteln gehalten wurden. Die Frauen trugen die schwarzen Haare kunstvoll aufgesteckt, die Männer schienen Kurzhaarschnitte zu bevorzugen.

Die ganze Stadt strahlte Reichtum und Wohlstand aus.

Als ihre Karawane das östliche Tor durchschritten hatte, das von zwei aufrecht stehenden, steinernen Löwen gebildet wurde, tauchten sie nach der Ruhe der ländlichen Gegend in das pulsierende Leben der großen Stadt ein.

Farcellus Leibwache sorgte dafür, dass die Passanten ihnen Platz machten. Viele der Vorbeigehenden versuchten einen Blick in den großen vierrädrigen Wagen zu werfen, der aber vorsichtshalber mit einer Segeltuchplane abgedeckt war. Das dumpfe Grollen des Orks sorgte für einige beunruhigte Blicke, und bald folgte eine kleine Schar Neugieriger der Karawane, die sich unbeirrt ihren Weg zum Hafen bahnte.

Nachdem die Menschen merkten, dass sie keine Chance bekommen würden herauszufinden, was für ein geheimnisvolles Wesen unter der Plane steckte, verstreuten sie sich nach und nach.

Die Wächter waren abgelenkt, und so konnte Karem die Eindrücke der Stadt in sich einsaugen. Die Luft roch seltsam modrig durch den über den Fluss streichenden Wind; gleichzeitig war sie aber mit dem Aroma fremder Gewürze und Pflanzen durchsetzt. Alles zusammen ergab eine Mischung, die sich betäubend auf die Sinne legte.

Es gab nur wenige Verkaufsstände. Die meisten Händler boten ihre Waren in steinernen Häusern an, vor denen sie in Holzkisten ihr Angebot ausgebreitet hatten.

Die Gebäude der Stadt waren oft so hoch, dass sie bis in den Himmel zu reichen schienen. Karem kam aus dem Staunen nicht heraus. Lotrien wirkte wie eine Stadt der Götter, so strahlend, oft blendend weiß war sie.

Sein Eindruck wurde jäh zerstört, als sie den Hafen erreichten. Hier drängten sich an schmutzigen Kais halbverrottete, flache Lagerhallen, aus denen ein penetranter Gestank auf die Straße wehte.

An den langen Holzpiers hatten Schiffe und Boote in jeder Größe und Form angelegt. Karem sah kleine Fischerboote, wie er sie auch aus seiner Heimat kannte, aber gleich daneben lagen riesige Galeeren und Handelschiffe mit gerafften Segeln im trüben Hafenwasser.

Jetzt verstand er auch, woher der modrige Geruch stammte, den er schon in der Stadtmitte wahrgenommen hatte. Algenstränge verfaulten in der Sonne und das Holz der Schiffe war oft von Schimmel und Pilzen bedeckt.

Farcellus Karawane hielt ohne zu Zögern auf eine kleine Barkasse am Ende des Piers zu. Wild aussehende Matrosen sprangen von Bord, befestigten den Karren, auf dem der Ork gefesselt lag, an dicken Seilen und hievten ihn, nachdem die Pferde ausgeschirrt und über eine Planke an Bord geführt worden waren, mit Hilfe mehrerer Seilwinden auf das Oberdeck.

Karems neuer Besitzer verließ zum ersten Mal seit langer Zeit seine Sänfte und schritt, gefolgt von seiner Leibwache, an Bord. Karem wurde von einem der Soldaten wie ein Hund an der Kette hinterher geschleift.

Der Kapitän des Schiffes, ein fetter, schwarzhaariger Mann, der ohne weiteres Farcellus Zwillingsbruder hätte sein können, begrüßte den Römer mit Handschlag. Beide verschwanden unter Deck.

Karem wurde wieder an einen Mast gekettet, während die Matrosen über das Deck hasteten. Dicke Taue wurden vom Ufer her an Bord geschleudert. Mit lautem Rasseln hievten zwei Mann den Anker, und die Barkasse drehte in den Wind.

Lotrien verschwand als weiß funkelnder Diamant am Heck, während das Schiff in die Strommitte des gewaltigen Flusses trieb.

 

Karem genoss trotz seiner Situation die Fahrt auf der Barkasse. Die Matrosen hatten nur die Hälfte der Segel gesetzt, und so trieb das Schiff gemächlich den Fluss hinunter in Richtung Süden.

Ihn faszinierte die Geschicklichkeit der Matrosen, wenn sie an den Masten hochkletterten, auf den großen Segeln herumturnten, um diese zu reffen oder aufzuholen. Ihre Arbeit war dabei stets von rhythmischen Seemannsgesängen begleitet und es war ein Schauspiel zu beobachten, wie viele Männer harmonisch zusammenarbeiteten.

Die Gesichter der Matrosen waren wild, meist trugen sie struppige Bärte und oft zierten große Narben Wangen, Kinn oder Hals, aber ihre Körper waren durchtrainiert und von der Sonne braungebrannt.

Karem wurde von ihnen überhaupt nicht beachtet. Er war nicht mehr oder weniger als jedes andere Stückgut, das an Bord festgezurrt war, und das man im Auge behielt, damit es nicht versehentlich über die Reling gespült wurde.

Lediglich einer von ihnen ließ sich herab, mit Karem zu reden. Er schien älter als die meisten anderen, obwohl man das bei seiner vom Wetter gegerbten Haut schlecht schätzen konnte. Als er lächelte, sah der Junge, dass in seinem Mund nur noch wenige, vom Tabakkauen braun gefärbte Zahnstummel vorhanden waren.

»Wie geht es dir, Junge?«, fragte er.

Karem sah hoch und blickte in kleine, listige Augen. Er hob seine gefesselten Hände anstatt einer Antwort.

»Hast du Hunger?«

Der Junge nickte.

Aus einer Tasche seiner gestreiften, knöchellangen Hose zog der Matrose einen Apfel hervor und streckte ihn Karem entgegen.

Karem wollte danach greifen, aber blitzschnell wurde die Frucht zurückgezogen.

»Nicht so eilig, mein kleiner Freund! Wenn ich dir einen Gefallen tue, erwarte ich natürlich das Gleiche von dir.«

»Was willst du?«

Der Matrose grinste anzüglich. Ein dünner Speichelfaden lief aus seinem Mundwinkel und tropfte über das Kinn. »Heute Nacht, bei der Hundswache, komme ich zu dir, dann wirst du sehen, was ich von dir will.«

Karem konnte sich überhaupt nicht vorstellen, was er dem Matrosen für den Apfel geben konnte. Er war ein Sklave und besaß außer seinen Kleidern am Leib nichts mehr. Der Mann war inzwischen näher gerückt. Sein behaarter Arm legte sich schwer auf Karems Schulter. Karem versuchte wegzurücken, aber die Kette, die ihn an den Mast band, war schon gespannt. Der stinkende Atem des Mannes strich über sein Gesicht.

»Was soll das?«, fragte er halb in Panik.

»Jetzt komm«, flüsterte der Matrose heiser. »Ich will mir nur ein wenig Appetit holen.«

Zu seinem Entsetzen musste Karem feststellen, dass der Mann die Hand zwischen seine Beine geschoben hatte und nun schmerzhaft seine Hoden zusammendrückte.

Er schrie auf.

»Hör mit dem Lärm auf, oder ...«

Weiter kam er nicht. Plötzlich fiel ein Schatten auf die beiden. Der massige Körper des Kapitäns erschien neben dem Mast. Der Matrose wurde am Kragen gepackt und nach hinten geschleudert. Bevor er sich wieder aufrappeln konnte, war der Kapitän über ihm. Trotz seines schwerfälligen Aussehens bewegte er sich geschmeidig. Mit dem Stiefel trat er dem am Boden Liegenden in die Seite. Ein Jaulen war die Antwort. Das Gesicht des Kapitäns glühte vor Wut, als er immer weiter zutrat. Er stampfte regelrecht auf den Matrosen ein, während er laut fluchte.

Zwei Männer mussten den Rasenden wegziehen. Der Matrose bewegte sich nicht mehr. Sein Kopf war nur noch eine blutige, mit Haaren durchsetzte Masse.

Auf den Befehl des Kapitäns hob der Bootsmaat den Ohnmächtigen auf und warf ihn über Bord. Karem konnte nicht sehen, was dann passierte, aber das Grölen der Seeleute, als die Haie über den Körper herfielen, jagte ihm einen Schauer über den Rücken.

Er hielt sich die Ohren zu und weinte, aber niemand kümmerte sich darum.

 

Nach zwei Tagen Flussfahrt legte die Barkasse in einem kleinen Mündungsdelta des großen Stromes an. An einem verrotteten Pier wurde das Schiff festgemacht, und die Karawane ging von Bord.

Ohne Taurin, eine winzige, schäbige Stadt, die nur aus heruntergekommenen grauen Häusern zu bestehen schien, überhaupt zu betreten, ging die Reise weiter.

Vier Stunden lang quälte sich die Karawane bergauf, wobei mehr als einmal die Gefahr bestand, dass die übermüdeten und zum Teil seekranken Pferde, die Kraft nicht aufbrachten, den Karren den Hügel hochzuziehen. Sämtliche Söldner mussten mit anschieben, aber schließlich war es geschafft.

Vor ihnen breitete sich ein von Bergen eingeschlossenes, grünes, fruchtbares Tal aus. Soweit das Auge reichte, waren Obst und Olivenbäume zu sehen. An den Südhängen des Tales waren Rebstöcke angepflanzt worden, die fast die gesamte Hügelfläche auf der einen Seite bedeckten.

Inmitten der Schönheit lag ein weitläufiges Anwesen, das sich aus einer Privatvilla, mehreren kleinen Häusern, blühenden Gärten und Pferdeställen zusammensetzte. Etwas im Hintergrund drängten sich die Hütten der Sklaven aneinander. Wäsche hing an Seilen zum Trocknen im Wind.

Karem sah überall Menschen geschäftig herumlaufen. Auch in der Plantage und im Weinberg bemerkte er Sklaven bei der Arbeit.

Je näher sie kamen, um so beeindruckender wirkte der Wohlstand, den Farcellus angehäuft hatte. Die Villa hatte ein marmornes Vordach, das von verzierten Säulen gestützt wurde. Im Garten und im Park, die an das Hauptgebäude anschlossen, standen weiße Steinskulpturen inmitten von einem verschwenderischen Blütenmeer. Mit Kies bestreute Wege führten hindurch und Karem erblickte ein wunderschönes Mädchen in seinem Alter, das mit einer Stoffpuppe auf einer Steinbank saß und ihnen neugierig entgegenblickte.

Da sie ihren Vater erkannte, sprang sie freudig auf und stürmte in seine geöffneten Arme. Ihre goldblonden Locken glitzerten im Sonnenlicht, als sie ihren Kopf in den Nacken legte und lachte.

In Farcellus Gesicht ging eine merkwürdige Wandlung vor sich. Seine sonst verschlossene Miene entspannte sich, und Karem sah ihn zum ersten Mal lächeln. Die breite Hand des Vaters strich sanft über das Haar des Mädchens.

Der Lärm, den die beiden machten, rief weitere Bewohner des Hauses heraus. Eine elegante Dame, Farcellus Gattin, schritt ihm würdevoll entgegen und verbeugte sich elegant vor ihrem Ehemann. Hinter ihrem Rücken kam ein gut gekleideter, junger Römer zum Vorschein, auch er wurde von Farcellus umarmt. Karem nahm an, dass es sich bei dem jungen Mann um den Bruder des Mädchens handelte.

Mehrere Bedienstete traten nun hervor und boten ihrem Herrn Schüsseln mit Wasser und weiße Leinentücher an. Farcellus wusch seine Hände darin, bevor er vor eine kleine Skulptur in Urnenform trat, sich niederkniete und mit den Fingern die Lippen berührte. Als das Ritual an die Ahnen vollzogen war, erhob er sich wieder und verschwand mit seiner Familie im Haus.

Die Wachsoldaten führten den Karren und den Wagen mit dem Ork an der Villa vorbei auf einen großen Flachbau mit Holzdach zu.

Vor dem Gebäude stand ein riesiger, muskelbepackter Mann, dessen Gesicht und Körper mit schrecklichen Narben bedeckt war. Er trug den Oberkörper frei und um seine Hüften war lediglich ein Ledertuch geschlungen, das von einem Metallgürtel gehalten wurde. Um seine Handgelenke spannten sich breite, verzierte Kupferbänder. Wie bei allen Sklaven, die Karem bisher auf dem Gut gesehen hatte, lag auch um seinen Hals ein Eisenring mit dem Symbol Farcellus, ein zweiköpfiger Adler, das ihn als Sklave auswies.

Einer der Begleitsoldaten der Karawane kam zu Karem und löste seine Kette von dem Wagen. Stumm und abwartend blieb der Junge stehen.

Der menschliche Riese trat vor ihn. Seine flache Hand schoss vor und schlug Karem nieder, der rückwärts gewirbelt wurde. Blut floss aus Mund und Nase, als er sich wieder aufrichtete. Erneut wurde er geschlagen. Diesmal traf die steinharte Faust des Mannes seine Schläfe. Karem fiel nach hinten. Er musste sich erbrechen und hatte Mühe, nicht ohnmächtig zu werden. Die Welt begann, sich um ihn zu drehen. Nur undeutlich vernahm er die Stimme des Mannes.

»Ich bin Muran, der Aufseher unseres Herren Farcellus. Du wirst mir gehorchen, oder ich breche dich wie einen dürren Zweig! Hast du mich verstanden?«

Karem wollte antworten, aber er brachte die Lippen nicht auseinander, also nickte er nur.

»Gut!« Muran deutete auf einen alten, gebrechlichen Mann im Hintergrund. »Drulla wird dir zeigen, wo du wohnst, schläfst und isst. Morgen wirst du mit der Arbeit beginnen.«

 

 

Das Flüstern des Windes
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