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Unter der Kellertreppe gab es eine Tür. Ganz offensichtlich befand sich dahinter noch ein Raum. Natürlich war die Tür abgeschlossen. Es war ein ganz normales Türschloss, mit einem ganz normalen blanken Schlüssel. Cato Isaksen schaute sich um. Solche Schlüssel waren oft in der Nähe versteckt. Er tastete Türrahmen und Risse in der Wand ab. Am Ende gab er es auf und kehrte in den Raum mit der Badewanne zurück. Dort hatte er einige große Werkzeugkästen gesehen. Er fing an, in einem Kasten nach einem brauchbaren Dietrich zu wühlen. Am Ende fand er ein Stück Stahldraht. Er horchte einen Moment, doch alles war still. Er wollte nicht auf frischer Tat als Einbrecher entdeckt werden. Ihm fiel ein, dass er Bente anrufen müsste, aber dann vergaß er es wieder. Nach seinem Gespräch mit Tage Wolter hatte er sein Telefon ausgestellt.

Während er noch mit dem Schloss beschäftigt war, glaubte er plötzlich, oben Schritte zu hören. Er hielt inne und lauschte, erkannte aber, dass es sich um seinen eigenen Herzschlag gehandelt hatte. «Ganz ruhig», sagte er sich. «Kein Stress.» Er warf einen Blick auf die Uhr. Es war zehn nach fünf Uhr.

Nach einer Viertelstunde hatte er das Schloss endlich geknackt. Er verfluchte sich, weil es so lange gedauert hatte.

Langsam zog er die Tür auf. Die Angeln ächzten. Noch ehe er den Lichtschalter gefunden hatte, ahnte er, wie klein der Raum war. Es war fast nur eine Abstellkammer. Ein plötzliches Rauschen in einem Rohr unter der Decke ließ ihn zusammenfahren. Er blieb zwei Sekunden lang stehen, dann suchte seine Hand den Schalter und machte Licht. 

Die Überraschung durchfuhr ihn wie ein Blitz. Zuerst konnte er keine Ordnung in seine Eindrücke bringen. Sie waren überwältigend. In dem kleinen Raum hingen an zwei Stangen, die von einer Wand zur anderen führten, Kleider dicht an dicht, ordentlich auf Kleiderbügeln. In der Luft hingen Parfümreste. Es gab lange und kurze Kleider, es gab Mäntel und Blusen, Röcke in unterschiedlichen Stoffen. Jede Menge Kleidungsstücke, doch von den Farben und den Schnitten her waren sie alle unmodern. Auf einem Schminktisch standen ein Spiegel und ein schwarzes Kästchen. Cato Isaksen hob den Deckel hoch. Darunter lagen auf blauem Samt mehrere große Schmuckstücke, eins neben dem anderen. Er sah sofort, dass sie wertvoll waren. Er hob eins hoch. Wiegte es in seiner Hand. Es sah alt aus. Zu dem Schmuck gehörte auch ein schmales Diadem. Hatte Brenda Moen diese Kammer als Ankleidezimmer benutzt? Hatte sie sich hier unten in einsamer Majestät zurechtgemacht und über die Tage vergangener Größe fantasiert?

Er wollte schon das Licht ausschalten und gehen, als sein Blick plötzlich auf eine durchsichtige kleine Plastikflasche mit einem blaulila Drehverschluss fiel. Cutex Nagellackentferner.

Und dann war die Gewissheit plötzlich da. Er hatte das Gefühl, von einem Schwert durchschnitten worden zu sein. Das hier war Alf Boris Moens Zimmer. Als Wahrheit und Zusammenhang ihm langsam aufgingen, fühlte er sich zuerst wie gelähmt, dann wie erschlagen.

Alf Boris Moen verkleidete sich als Frau. Besaß er auch noch andere gefährliche Geheimnisse? Plötzlich wusste er es einfach. Nicht Solveig Wettergren war psychisch krank. Sie hatte nichts mit der Sache zu tun. Bei der geheimen Freundin, die Frau Adamsen erwähnt hatte, handelte es sich nicht um Solveig Wettergren und auch um keine andere Frau, sondern um Alf Boris Moen selber. Randi hatte Recht gehabt mit ihren dauernden Bemerkungen darüber, wie seltsam es doch sei, dass Moen keine Freunde hatte. Aus der Perspektive des Psychopathen waren andere Personen unwichtig. Psychopathen nahmen Menschen nicht wichtiger als Gegenstände.