Sechzehn
Katy beobachtete vom anderen Ende des Raums, wie Ben aufstand und hinausging. Er hatte den ganzen Abend über kaum zwei Worte mit ihr gewechselt, und sie war es leid, diese hölzerne Unterhaltung mit Matthew und Alison führen zu müssen. Und noch mehr war sie es leid zuzuschauen, wie Matthew Alison die geschwollenen Füße massierte, selbst wenn er dabei nicht besonders glücklich wirkte. Alisons selbstgefälliges Lächeln ging ihr auf eine Weise auf die Nerven, dass sie es nicht ertragen konnte, überhaupt nur darüber nachzudenken. Sie sah weg – um dafür mit dem Anblick von Charlene und Luke beim Knutschmarathon konfrontiert zu werden. Sie starrte die beiden an, unfähig, ihre Augen loszureißen, wie sie sich begierig küssten, ehe sie zu einem sonderbaren Ritual des Ohrknabberns übergingen. Als sie wieder auftauchten, um Luft zu holen, nahm Luke Charlene bei der Hand und führte sie zu einem Stuhl. Sie setzten sich nebeneinander, und Luke legte seinen Arm um sie und streichelte zärtlich ihren Bauch.
Ben hatte niemals ihren Bauch gestreichelt. Nein, das war gelogen, fiel ihr ein. Er hatte es einmal getan, als die Wölbung sich langsam abzeichnete. Sie hatten eines Abends eine DVD gesehen, und er hatte sich zu ihr hinübergebeugt, und in einem der intimsten Momente überhaupt hatte er ihren Oberkörper sanft angestupst und liebevoll ihren noch kaum sichtbaren Bauch gestreichelt. Aber ihr war das viel zu intim gewesen. Das war nicht die Art Beziehung, die sie ihrer Meinung nach angestrebt hatte. Sie lachten miteinander, hatten Spaß miteinander, hatten Sex – aber ein wirklich intimes Verhältnis hatten sie nicht miteinander. Sie hatte Vertrautheit jahrelang als Warnsignal betrachtet, dass sie sich im Bereich von potentiellem Liebeskummer aufhielt – und so hatte sie seine Hand mit Bestimmtheit weggeschoben, war aufgestanden und hatte Tee gekocht.
Gerade als ihr durch den Kopf ging, was zum Teufel sie sich dabei gedacht hatte, dröhnte die Stimme des DJs über den Lautsprecher, um den nächsten Song anzukündigen: »Für alle Liebenden unter euch haben wir jetzt einen echten Schmusesong, einen alten Hit, den sich die Brautmutter höchstpersönlich gewünscht hat. Also los, Männer, schnappt euch ein Mädel, geht auf die Tanzfläche und reibt euch am warmen Fleisch.«
Katy schüttelte sich bei seiner Wortwahl und spürte, wie ihr ganzer Körper in sich zusammensackte, als die Anfangstakte des Achzigerjahre-Hits Right Here Waiting von Richard Marx ertönten. Die Tanzfläche füllte sich sofort, und sie beobachtete wie durch einen Schleier vor den Augen, dass sich ein Meer von Blümchenkleidern an verknitterte und verschwitzte blaue und weiße Hemden drückte. Das Lied war in ihrem ersten Jahr an der Universität ein Riesenhit gewesen, und sie erinnerte sich schmerzlich daran, wie gerade dieser Song es nach ihrer Trennung von Matthew geschafft hatte, sie ins heulende Elend zu stürzen.
Wie sie jetzt so allein hier saß und die Liebespaare sich vor ihren Augen wiegten, erinnerte sie die Situation viel zu sehr an ähnliche Nächte, die sie am Rand der Tanzfläche der Studentenvereinigung verbracht hatte: Sie hatte ihren Freunden beim Knutschen zugesehen und sich nach Matthew gesehnt.
Nun bemerkte sie mit einer Klarheit, die ihr schier das Herz zerriss, dass sie nicht mehr diejenige sein wollte, die allein am Rand der Tanzfläche saß. Und mit absoluter Sicherheit nicht bei einer Hochzeit, im neunten Monat schwanger. Genaugenommen wollte sie, zu ihrem eigenen Erstaunen, diejenige sein, deren Bauch gestreichelt wurde – wie Charlenes.
Gerade als sie spürte, wie ihre Gedanken anfingen, sich in einer grauenhaften Abwärtsspirale zu drehen, schob Ben sich vor ihr Auge und verdeckte das Bild des jungen Eheglücks vor ihr.
»Katy«, sagte er.
»Ben«, antwortete sie.
Er fuhr mit den Fingern durch seinen zerzausten Haarschopf, während er sich hektisch umsah, als wüsste er nicht, was er sagen soll. Dann holte er tief Luft und wischte sich über die Augen. Wenn Katy es nicht besser gewusst hätte, dann hätte sie geschworen, dass er geweint hatte.
»Würdest du bitte mit mir tanzen?«, bat er schließlich und hielt ihr seine leicht zitternde Hand hin.
Sie war völlig von der Rolle. Das war ja wohl nicht wahr. Tanzen war fester Bestandteil der Top-Five-Bestenliste aller Dinge, die Ben am wenigsten mochte – zusammen mit die eigene Kotze aufzuwischen und Quiche zu essen.
Zu ihrer Überraschung nahm er sie bei der Hand, zog sie ganz behutsam vom Stuhl hoch und führte sie zur Tanzfläche, wo er sie an seinen leicht verschwitzten Körper zog.
»Bist du betrunken?«, fragte sie vorsichtig.
»Warum fragst du mich das?«
»Wir haben bisher noch nie einen Schleicher getanzt«, antwortete sie.
»Na ja, ich wollte … nur …«, begann er, bevor er sie fest in die Arme nahm und ihr seinen schweren, bierseligen Atem ins ihr Ohr blies.
»Ach, Katy«, murmelte er.
Katy umarmte ihn auch fest – so fest sie nur konnte – und fragte sich, wohin das wohl führen würde. Unfähig, die Spannung auszuhalten, schob sie ihn auf Armes Breite von sich und sah ihn nervös an. »Ben, ist was passiert?«, fragte sie.
Ben sah aus, als würde er tatsächlich gleich weinen, dann schniefte er tüchtig und straffte seine Schultern.
»Ja, Katy, wohl schon. Mir ist gerade klar geworden, dass ich ein Arschloch war«, erwiderte er, bevor er eine kurze Pause machte, um nachzudenken.
»Nicht, dass ich immer ein Arschloch gewesen wäre, verstehst du?«, fuhr er fort. »Eigentlich bilde ich mir sogar ein, dass meine Akte bislang so ziemlich arschlochfrei war. Erst kürzlich habe ich eine gewisse Neigung dazu festgestellt.«
»Aber es ist mein Fehler … «, sagte sie. »Ich hätte nicht …«
»Nein, hättest du nicht«, unterbrach er sie. »In der Tat führt uns das zu einem Patt beim Arschloch-Spielstand.«
»Na ja, aber vergiss nicht, dass du ja immer deinen Schwengel zur Hand hast«, konnte sie es sich nicht verkneifen zu antworten. Sie rutschte in ihren normalen Geplänkel-Modus, was, wie sie feststellte, zu ihrer eigenen Irritation immer genau dann passierte, wenn sie eigentlich ernsthaft miteinander reden sollten.
»Wie wahr, wie wahr, stets nützlich, wie ich finde«, antwortete er ziemlich niedergeschlagen.
Sie sahen einander unbehaglich an, die Hände fest umklammert.
Katy konnte es nicht länger aushalten; sie musste einfach herausfinden, in welche Richtung dieses Gespräch zielte.
»Also, ehm …, ist alles okay mit uns?«, fragte sie vorsichtig.
»Ja«, antwortete er mit ernsthaftem Nicken und gerunzelter Stirn. »Ja, alles bestens.«
Katy hielt die Luft an und wartete auf mehr, aber Ben schien hinter seinem verquält wirkenden Gesicht noch seine Gedanken zu verarbeiten. Schließlich, nach einer langen Pause, wurden seine Züge weicher, und ganz langsam machte sich ein strahlendes Lächeln breit. Katy erlaubte sich, wieder zu atmen, und wappnete sich für Bens nächste Worte.
»Wir bekommen ein Baby«, sagte er mit einem leicht erstaunten Ausdruck im Gesicht, als hätte er dies zum allerersten Mal wirklich begriffen.
»Ja, sicher«, sagte sie langsam. »Ist das in Ordnung?«
»Das ist verdammt wunderbar«, erwiderte er, und ein vages, aber stolzes Grinsen leuchtete in seinem Gesicht auf. »Und ich werde ein verdammt wunderbarer Vater sein«, fuhr er fort, jetzt von einem Ohr zum anderen grinsend.
Katy fühlte, wie ihr die Beine einknickten, als ihr ein Stich schierer Freude durch den gesamten Körper schoss. Sie stolperte, aber Ben packte sie an den Armen und half ihr, das Gleichgewicht wiederzufinden.
»Hey, alles in Ordnung mit dir?«, fragte er und sah wieder besorgt aus, während er ihr sanft übers Haar strich.
»Mehr als in Ordnung«, antwortete sie und strahlte ihn an.
Ben wollte Vater sein. Er wollte der Vater ihres Kindes sein. Er wollte eine Zukunft mit ihr und dem Baby. Sie war nicht allein am Rande der Tanzfläche. Sie war mittendrin auf der Tanzfläche und klammerte sich an Ben. Ihr war klar, dass sich ihre ganze Welt soeben verändert hatte, weil sie zum ersten Mal seit ewigen Zeiten nicht mehr »ich« sein wollte, sondern mit einem »Wir« beginnen wollte. Ein »Wir« mit Ben und dem Baby. Sie schnappte nach Luft, als ihre Tränen zu Lachen wurden und sich ihre wie auch Bens Schultern im Takt gemeinsam hoben und senkten, als sie langsam weitertanzten.
Sie klammerten sich den restlichen Tanz aneinander, ohne ein Wort zu sagen. Ben streichelte ihr im Rhythmus über den Rücken und wiegte sie sanft.
»Da gibt es allerdings noch etwas«, sagte er und schob sie weg, als der Song sich dem Ende zuneigte.
Katy fühlte, wie ihr das Herz sank – wie ein Stein.
»Müssen wir nach dem heutigen Abend Matthew und Alison je wiedersehen? Es geht dabei nicht um die Sache mit dem Exfreund, obwohl die Vorstellung von dir und diesem Spießer nicht gerade zu deiner Glaubwürdigkeit beiträgt. Es ist nur, dass sie so grauenhaft perfekt sind, dass sie mir das Gefühl vermitteln, als wäre ich als Vater ein Idiot. Und ich will ein guter Vater sein, das will ich wirklich, Katy. Weil nämlich alle Kinder einen guten Vater verdient haben, nicht wahr? Aber du musst es mich auf meine Art machen lassen«, sagte er ernst.
Bens Art wäre wundervoll, dachte Katy und streckte impulsiv den Arm aus, um ihm die Wange zu streicheln.
»Lass uns alles, was mit den beiden zusammenhängt, einfach vergessen«, schlug sie vor. »Nach dem heutigen Abend können wir so tun, als hätten sie nie existiert. Einverstanden? «
»Einverstanden«, antwortete er und wirkte erleichtert.
»Darf ich dich jetzt um etwas bitten?«, fragte Katy und fühlte sich plötzlich schüchtern.
»Alles, mein Liebling, genauer gesagt, alles, außer zu George Michael zu tanzen«, sagte Ben.
»Würdest du meinen Bauch streicheln?«, fragte sie. Diesmal entschlüpfte seinem linken Auge eine Träne.
»Das würde mich zum stolzesten Mann der Welt machen«, erwiderte er, als er sie leicht am Oberkörper fasste und seine Hand auf ihren warmen Bauch legte. Sie küssten sich lange, bis Katy plötzlich spürte, dass ihr jemand auf die Schulter tippte.
»Es tut mir echt leid, diesen zärtlichen Moment zu unterbrechen, aber ich bin verzweifelt«, verkündete Daniel und sah sich nervös um. »Die alten Schachteln kommen dauernd zu mir und bitten mich um einen Tanz. Du musst mich retten!«
»Warum tanzt du nicht mit Katy, während ich für kleine Jungs gehe«, meinte Ben, bevor er Katy auf die Stirn küsste und fröhlich winkend zu den Männertoiletten verschwand.
»Was ist jetzt mit den Träumen der jungen Liebenden? «, fragte Daniel, dem nicht entgangen war, dass Katy nur so strahlte.
»Ach, Daniel, es kommt alles in Ordnung. Wir haben uns ausgesprochen, und er hat gesagt, dass er begeistert ist, Vater zu werden«, erzählte Katy ihm strahlend. »Und heute ist es wahrscheinlich das absolut letzte Mal, dass ich Matthew sehe; deshalb glaube ich, dass ich die Sache überstanden habe und nun ruhigere Gewässer ansteuere. Ich kann endlich mit meinem restlichen Leben weitermachen. «
»Wirklich, dann sind also sämtliche Emotionen und Gefühle dort, wo sie sein sollen, hm?«, fragte Daniel.
»Genau.«
»Somit hast du also die Antwort auf die wirklich und wahrlich heikle Frage gefunden?«
»Welche Frage?«, wollte sie wissen.
»Meine Güte, Katy, hörst du denn niemals zu, wenn ich etwas zu dir sage? Liebst-du-ihn-wirklich?«, buchstabierte Daniel. »Du erinnerst dich? Die berühmte Frage.«
»Na ja, ich denke wohl schon.«
»Hast du es ihm gesagt? Hat er es dir gesagt?«
»Ehm, nein, aber diese Art Paar sind wir echt nicht«, erklärte Katy mit einem Achselzucken. »Es ist alles wunderbar, Daniel, ehrlich. Wir sind wieder auf dem richtigen Weg. Es kommt absolut alles in Ordnung.«
»Okay, okay, wenn du das sagst. Du sollst nur glücklich sein, ja? Versprich es mir«, bat Daniel.
»Ich verspreche es dir«, versicherte ihm Katy.
»Und noch etwas anderes: Vergiss nicht, Matthew eindeutig klarzumachen, dass er niemals mehr sein hässliches Haupt zeigen soll, okay?«
»Sicher, sicher. Können wir uns jetzt bitte hinsetzen, meine Füße bringen mich um.«
»Gute Idee. Ich brauche einen anständigen Drink«, sagte Daniel, nahm sie bei der Hand und führte sie von der Tanzfläche.
Als Ben von den Toiletten zurückkam, hatte Daniel auf wundersame Weise eine sehr teure Flasche Wodka hervorgezaubert; er hatte sie hereingeschmuggelt, da er davon ausging, dass an der Bar strenge Sitten herrschten und es bloß gegen Cash was zum Trinken geben würde.
»Ich nehme einen Schluck«, sagte Ben. »Das Bier tut meinen Eingeweiden nicht gut.«
»Nur zu«, sagte Daniel, der in großzügiger Stimmung war, da Ben Katy ja offensichtlich so glücklich gemacht hatte.
»Achtung, zum Appell!«, murmelte Ben, als Matthew und Alison kamen, um sich zu ihnen zu setzen, nachdem sie das Büffet besichtigt und sich entschieden hatten, davon doch lieber Abstand zu nehmen.
Katy entging die Verstimmung nicht, die sich auf Matthews Gesicht zeigte, als er beobachtete, wie Ben sich zufrieden an Katys Schulter kuschelte, während seine Hand unter ihrer Bluse über ihren Bauch kreiste, so dass gelegentlich ein kurzen Blick auf ihre nackte Kugel möglich war.
Auch Daniel entging Matthews Gesichtsausdruck nicht. Er versuchte, Matthew abzulenken, indem er die Wodkaflasche zu ihm hinüberschob und ihn aufforderte, sich einen Schluck zu genehmigen.
Matthew sah Alison an, die ihm sofort bestimmt ihre Hand auf den Arm legte.
»Du hast doch sicher nichts dagegen«, sagte Matthew und schüttelte ihre Hand ab, bevor er Daniel die Flasche abnahm, sie sich weit in den Mund hineinschob und einige Züge hinunterkippte.
»Matthew!«, rief Alison. »Du weißt nicht, wer daraus schon getrunken hat!«
»Ach, ich bin sauber«, meldete sich Daniel zu Wort. »So rein wie eine weiße Weste«, sagte er hilfsbereit zu Alison.
»In diesem Fall«, sagte Matthew und nahm einen zweiten, sehr langen Zug, wobei er mit Alison Augenkontakt hielt.
»Matthew, halt! Das ist nicht witzig!«, protestierte sie.
»Es ist nur Wodka«, erklärte Matthew.
»Aber was wäre, wenn die Babys heute Nacht auf die Welt kommen würden und du wärst sternhagelvoll?«
Matthew seufzte tief und starrte auf die Flasche in seinen Händen. »Nur einen noch«, murmelte er. Diesmal sah er Alison nicht an und genehmigte sich einen extralangen Zug.
»Das reicht jetzt. Wir gehen«, verkündete Alison. »Rühr dich nicht vom Fleck. Bleib einfach hier sitzen. Ich gehe mich von Charlene und Luke verabschieden und bedanke mich bei Charlenes Eltern. Ich möchte, dass du, bis ich zurück bin, in der Lage bist, noch bis zum Auto zu gehen. Entschuldigt mich bitte. Und lasst ihn nicht noch mehr von diesem Wodka trinken.«
Sobald sie ihm den Rücken gekehrt hatte, nahm Matthew dennoch einen großen Schluck, bevor er Daniel die Flasche zurückgab.
»Ich schulde dir einen Drink«, sagte er, machte aber keine Anstalten, zur Bar zu gehen, sondern zog es vor, hinter Alison herzustarren.
»Ich sag euch was, ich hol eine Runde«, sagte Ben. »Bin jeden Moment wieder da.«
Daniel sah Katy an und hustete, während er heftig in Richtung Matthew nickte. »Ja, und ich brauche ein bisschen frische Luft«, meinte Daniel. »Ich bin draußen.«
Katy und Matthew saßen schweigend da, bis Matthew sich nach vorne beugte, sich die Wodkaflasche schnappte und einen weiteren Zug nahm.
»Was ist los mit dir?«, fragte Katy.
»Nichts.«
»Na komm, du hast kaum ein nettes Wort zu irgendjemandem hier gesagt, und was ist mit dem Wodka?«
»Das ist alles zu merkwürdig für mich.«
»Was ist merkwürdig?«
»Das hier. Hältst du es nicht auch für merkwürdig, dass dies das letzte Mal sein soll, dass wir uns sehen?«
»Schätze schon, aber es war auch nicht gerade witzig, oder?«
»Nein, aber es war gut, weißt du. Abgesehen davon, dass du mich dazu gebracht hast, blödsinnige Lieder zu singen«, sagte er in sich hineinkichernd. »Wir waren mal gut, nicht wahr? Richtig gut. Und ich habe alles versaut.« Er machte eine Pause, dann drehte er sich zu ihr um. »Hast du dich je gefragt, was hätte sein können? Du weißt schon, wenn ich nicht ein solcher Vollidiot gewesen wäre?«
»Nein, eigentlich nicht«, log Katy.
»Ich schon.«
»Lass es.«
»Ich kann nicht anders«, sagte Matthew und ließ den Kopf in seine Hände sinken. Katy wusste nicht recht, was sie sagen sollte. Damit hatte sie nicht gerechnet.
Plötzlich schoss Matthews Kopf hoch, und er sah Katy an. »Lass mich dich und das Baby sehen. Nur einmal, ich verspreche es. Ich glaube, ich muss euch beide sehen. Damit ich die Sache endgültig abschließen kann oder so. Damit ich mich ordentlich verabschieden und dann einen Schlussstrich ziehen kann. Dann werde ich in der Lage sein, mein normales Leben fortzuführen. Ich denke, ich werde mich dann besser fühlen.«
Katy starrte zurück, völlig vor den Kopf gestoßen.
»Du wirst dich besser fühlen?«, presste sie schließlich mit zusammengebissenen Zähnen hervor. »Das fasst eigentlich alles zusammen, nicht wahr? Du begreifst es einfach nicht, oder?«
Sie brüllte jetzt direkt in sein Ohr, damit er sie auch wirklich verstand. »Jetzt hör mir mal genau zu: Es geht hier nicht um dich. Hier geht es um das Baby und um mich und Ben und wie wir die Sache hinkriegen. Und es geht um dich und deine Frau und deine beiden Kinder, die unterwegs sind. Du musst jetzt tun, was für andere Menschen richtig ist – nicht womit du dich besser fühlst!«
»Aber ich kann die Tatsache nicht beiseitewischen, dass ich mich um dich und was mit dem Baby passiert, sorge.«
Katy schloss ihre Augen und versuchte, ihren schnellen Atem zu beruhigen.
»Der richtige Zeitpunkt, dir Sorgen zu machen, war damals, als du die Jungfrau Maria gevögelt hast, nicht jetzt. Du hast ihn verpasst. Du hast ihn hundertprozentig verpasst!«
Matthew sah einen Moment lang aus, als wäre er geschlagen worden, dann nahm sein Gesicht etwas härtere Züge an. »Ich war dumm, und es tut mir leid, aber du hast mit mir geschlafen, und es war mir nicht ersichtlich, dass du dir dabei um Ben Gedanken gemacht hast. Nun planst du den Rest deines Lebens mit ihm, ungeachtet der Tatsache, dass er ein Idiot ist.«
»Lass es einfach, Matthew. Es hat nichts mit dir zu tun, und du hast überhaupt kein Recht, so etwas zu sagen.«
»Aber er könnte mein Kind großziehen!«
»Stopp. Das reicht! Wie kannst du es wagen, so zu reden? Wir haben das vor Wochen geregelt, du erinnerst dich doch? Ben wird der Vater dieses Kindes sein, Ende der Geschichte. Und jetzt lass es einfach gut sein.«
Matthew starrte sie kurz an, bevor er sagte: »Fein, das ist also der Weg, für den du dich entschieden hast. Aber komm mir bloß nicht angerannt, wenn er dich sitzenlässt, weil er die Verantwortung nicht aushält.« Er stand auf und ging unsicher in Richtung Herrentoiletten.
Was für ein Blödmann, dachte sich Katy. Wie konnte er es wagen, sie darum zu bitten, das Baby zu sehen? Und wie konnte er es wagen zu sagen, dass Ben sie im Stich lassen würde? Doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass Matthew recht haben könnte. Trotz Bens plötzlicher positiver Einstellung könnte er in der entscheidenden Phase nicht in der Lage sein, den Druck auszuhalten. Sie sah sich hektisch nach ihm um, weil sie sofortige Rückenstärkung brauchte. Er unterhielt sich mit ein paar von Lukes Freunden an der Bar. Sie holte tief Luft, um nicht in Tränen auszubrechen, und machte sich auf den Weg zu ihm. Gerade als sie bloß noch ein paar Meter von ihm entfernt war, merkte sie, wie die Tränen sich Bahn brachen – wie ein Rasensprenger mit einer auf spätnachts gestellten Zeitschaltuhr. Sie versuchte, energisch zu schniefen, aber es war nichts mehr zu machen. Die Tränen strömten nur so.
Ben sah erschreckt auf das heulende Elend, das da auf ihn zukam. Er murmelte ein paar Worte zu den drei Jungs, mit denen er sich gerade unterhielt. Sie warfen einen Blick auf Katy und traten dann schweigend und völlig verschreckt den Rückzug an.
»Was ist los? Was ist denn passiert?«, fragte Ben und legte ihr seinen Arm um die Schultern.
Katy atmete stoßweise und versuchte verzweifelt, sich wieder in den Griff zu bekommen.
»Katy, Liebes, war es das Dessert?«, fragte Ben. »Hat Charlenes Mutter dich gezwungen, davon zu essen? Ich weiß, es schmeckt wie Rattengift, aber ich glaube, niemand, der seine Kinder nach den Charakteren aus Neighbours nennt, würde absichtlich versuchen, dir Schaden zuzufügen. Obwohl ich gehört habe, dass sie am liebsten alle Gäste umbringen würde, damit sie nicht die Geschenke zurückgeben müssen, wenn die Zeit der Scheidung gekommen ist.«
Katy konnte nicht anders: Sie musste lächeln. Dann begannen ihre Schultern langsam, aber sicher vor Lachen zu beben, wobei sie ihren Kopf in einem Taschentuch verbarg. Sie trocknete sich die Augen und seufzte tief. Gott, war es gut, dass Ben zu seiner alten Form zurückgefunden hatte.
»Also, was hat der Wichser denn diesmal gesagt? Ich habe gesehen, wie du mit ihm geredet hast«, fragte Ben und wurde ernst. »Er hat dir doch keine Vorwürfe gemacht, weil du mir von dir und ihm erzählt hast, oder? Wenn doch, dann werde ich ein Wörtchen mit ihm reden. Es ist seine Lüge, nicht deine. Es war nicht deine Idee, es ihr zu verheimlichen.«
»Nein, Ben. Darum ging es nicht. Er war nur ein wenig besorgt, na ja, weißt du, dass du es schlecht aufgenommen und dann an mir ausgelassen haben könntest. Das war alles, nichts Wichtiges.«
»Wie bitte? Er glaubt, dass ich immer noch sauer auf ihn und sein verdammtes Geheimnis bin? Und er meint, dass ich dir deshalb das Leben schwermache? Junge, Junge, der hat vielleicht Nerven! Für wen zum Teufel hält er sich denn, dass er all diese Spielchen spielen kann?«
»Ehrlich, es sind keine Spielchen, Ben. Bloß eine dumme Lüge, die außer Kontrolle geraten ist, das ist alles.«
»Eine dumme Lüge, die von vornherein lächerlich war. Was für eine behämmerte Beziehung müssen die beiden führen, dass Matthew der Arsch auf Grundeis geht, wenn er eine frühere Freundin beichten muss«, sagte Ben, der sich immer mehr in Rage redete.
»Ben, bitte, vergiss es einfach, das ist es echt nicht wert.«
»Bin gleich wieder da«, murmelte er und war auch schon verschwunden.
Katy wollte gerade wieder nach ihren Taschentüchern greifen, als sie bemerkte, wohin Ben ging. Kurz darauf quietschte die Tür zur Herrentoilette, dann schloss sie sich mit einem Unheil verkündendem Knall.
Als Ben eintrat, stand Matthew mit dem Rücken zur Tür auf unsicheren Beinen am Urinal. Die Toilette war leer bis auf irgendwelche Bewohner, die sich von jahrzehntelangem Dreck und schaler Pisse angezogen fühlten. Zwei Kabinen fanden sich auf der rechten Seite, von denen nur eine noch eine Tür aufwies, und in der Mitte des Raums flackerte eine nackte Glühbirne, die alles wie eine Szene aus einem billigen Film aussehen ließ.
Es waren drei Urinale vorhanden, und Matthew hatte das ganz rechts außen genommen, so dass es jedem Neuankömmling möglich war, gemäß der Etikette in Herrentoiletten, das Urinal in der Mitte frei zu lassen.
Ben spürte, dass Matthew ein wenig überrascht war, als jemand direkt links neben ihm auftauchte.
»Also, Katy hat mir erzählt, dass es dir Sorgen bereitet, ich könnte ihr das Leben schwer machen, weil es irgendwie eurem Gedächtnis entfallen ist, dass ihr früher miteinander gegangen seid. Und das der Tatsache zum Trotz, dass du seit Gott weiß wie vielen Jahren eine Erinnerung daran auf die Schulter tätowiert hast.«
Der Schock über den Eindringling ließ Matthew mitten im Pinkeln innehalten. Er sah zu Ben hinüber und warf sich in die Brust. »Nein, Ben. Ich habe mich nur überzeugt, ob auch alles in Ordnung mit ihr ist. Sie braucht jemanden, der sich um sie kümmert. Sie bekommt ein Baby.«
»Meinst du nicht, dass ich das weiß? Ich mache das schon. Ich mache alles – und dann kommst du daher und bringst alles durcheinander«, sagte Ben.
»Du machst – was?«, Matthew lachte kurz auf. »Was genau tust du, Ben? Denn um ehrlich zu sein: Ich sehe nicht, dass du besonders viel tust.«
Matthew gebot seinem unterbrochenen Strahl nun gänzlich Einhalt und steckte sein bestes Stück weg, bevor er sich umdrehte, um Ben ins Gesicht zu sehen.
»Alles, was du je getan hast, war, im Kurs herumzugammeln. Du bist die ganze Zeit mit deinen Kumpels auf Tour und hältst es immer noch für eine gute Idee, auf einen Junggesellenabschied zu gehen, wenn das Baby fällig ist. Du kannst aber nicht davonrennen, um dir eine gute Zeit zu machen. Ehrlich, Ben, ich glaube nicht, dass du der Situation gewachsen bist. Du musst erwachsen werden oder Katy alles überlassen. Kein Vater ist besser als ein Vater, der sich einen Dreck kümmert, und Katy hat wirklich etwas Besseres verdient!«
Die Tür flog auf, und Scott sauste herein. »He, Sie … «, sagte er atemlos zu Ben. »Ihre Freundin ist draußen, und sie sagt, dass ich Sie sofort rausschaffen soll, dann spendiert sie mir ein Glas Radler, wenn ich es meiner Mutter nicht erzähle.« Scott griff nach Bens Hand und begann mit aller Kraft zu ziehen.
Bens steinerner Blick wich nicht von Matthews Gesicht.
»Wenn du abzischst, kauf ich dir eine Halbe«, erwiderte Ben.
»Was? Radler oder meinen Sie richtiges Bier?«
»Was du willst. Zieh Leine!«
»Ja, Sir, ganz wie Sie wünschen, Sir«, sagte Scott und verschwand.
»Du glaubst also, dass ich es nicht wert bin, Vater zu sein? Daher beziehst du diese schnöselig arrogante Haltung, oder? Nun, ich will mal ehrlich sein, Matthew. Es hat etwas gedauert, bis ich mich an die neue Situation gewöhnt hatte. Und ja, es hat viele Momente gegeben, da hatte ich das Gefühl, auf und davon rennen zu wollen. Aber ich bin nicht davongelaufen, oder? Und das alles nur, weil ich Katy bekommen habe und du eine Frau, der man einen Stock in den Arsch geschoben hat? Dein Fehler, oder? Und jetzt hörst du mir mal einen Moment zu, Kumpel. Du hast deine Chance gehabt. Jetzt würde sie dich keines Blickes mehr würdigen, also hau ab, du arrogantes Arschloch.«
Matthew griff nach einem abgebrochenen Handtuchhalter und versuchte, sich zu beruhigen, sichtlich geschockt von Bens verbaler Attacke.
»Erbärmlich, einfach nur erbärmlich«, lachte Ben.
Das Nächste, was Ben spürte, war, wie er zurücktaumelte und sein Kinn wie Feuer brannte. Er knallte in die Schwingtür der Toilette, stolperte in den vollen Saal und auf den Rand der Tanzfläche. Und dann war Matthew auch schon über ihm und zog ihn am Kragen in die Höhe.
»Sie würde mich nicht wollen, sagst du? Würde mich nicht wollen?«, zischte er wutentbrannt Ben ins Ohr. »Ich finde, das solltest du lieber mal sie fragen! Weil sie mich an dem Abend beim Schülertreffen nämlich ganz bestimmt wollte. Nette Wohnung, die sie da hat. Warst du nicht gerade auf einem Junggesellenabschied? Erstaunlich, was der Mensch so alles verpasst, wenn er auf einen Junggesellenabschied geht, nicht wahr?« Matthew drückte Bens Kopf wieder auf den Fußboden, stand auf und machte sich schwankend quer über die Tanzfläche davon in Richtung Tür.
Die Aufregung war den alten Mädels nicht entgangen, die auf der Tanzfläche vornehm mit dem Kopf zu einem Song von Eminem wackelten. Sie stürzten zur Stelle, wo Matthew Ben liegen gelassen hatte.
»Was tust du denn dort auf dem Boden, mein Lieber«, sagte eine.
»Möchtest du einen Sherry?«, fragte eine andere.
»Gib’s ihm, dem Wüstling, hau ihm eine von mir rein«, sagte eine überdrehte Dame, die vorne auf ihr Polyesterkleid die Soße gekleckert hatte.
Ben kämpfte sich seinen Weg durch seine Anhängerschaft und erreichte Matthew, gerade als dieser die Mitte der Tanzfläche ereicht hatte. Er packte ihn an der Schulter, wirbelte ihn herum und legte ihn mit einem extrem gut gezielten linken Haken flach. Matthew fiel zu Boden, als hätte man ihn erschossen. Da lag er, regungslos.
»Ben!«, tönte der erste Schrei. »Was machst du denn da?«
Katy schob sich durch die Menge der Teenager, die schneller als sie am Schauplatz des Geschehens angelangt waren und von Ben überaus beeindruckt schienen.
Ben starrte sie an und wusste nicht, was er sagen oder empfinden sollte. Er öffnete seinen Mund zum Sprechen, schloss ihn aber wieder, als sich Katy auf die Knie fallen ließ und neben Matthew niederkniete, der immer noch außer Gefecht war.
»Matthew, wach auf, bitte, wach auf«, flehte sie das blasse Gesicht an.
»Wie konntest du nur?«, sie drehte sich zu Ben um, warf ihm einen eisigen Blick zu und schüttelte den Kopf.
Wieder öffnete er seinen Mund; er wollte etwas sagen oder schreien oder sonst etwas, doch es kamen keine Worte. Er warf einen letzten Blick auf die Szene vor ihm, dann drehte er sich um und ging weg, zur Tür hinaus in die Nacht.