Elf
Matthew hatte die letzten beiden Stunden in seinem schwarzen Lederchefsessel in seinem Home-Office gesessen und auf ein leeres Tabellenblatt auf seinem Computer gestarrt. Gelegentlich hatte seine Hand plötzlich eine Aktion ausgeführt und hatte erwartungsvoll über der Tastatur geschwebt – um in letzter Minute zurückgezogen und wieder auf die gepolsterte Armlehne gelegt zu werden.
Alison hatte immer wieder hereingeschaut, um sich nach seiner Meinung zu den verschiedenen Menüvarianten für die Dinnerparty am Samstag zu erkundigen, so groß war ihre Aufregung, bei ihren ersten Gästen mit ihrem Haus zu prahlen. In der Tat war sie, nachdem sie vom Kurs heimgekommen waren, sofort hinter einem wahren Bollwerk von Kochbüchern berühmter Küchenchefs verschwunden. Der Anblick so vieler herablassend lächelnder Gesichter, so vieler überfütterter, überbezahlter Kochstars auf den Covern dieser überteuerten Passierscheine in die gesellschaftliche Akzeptanz hatte ihn schließlich veranlasst, sich in sein innerstes Heiligtum zurückzuziehen.
Jedes Mal, wenn Alison hereingeschaut hatte, hatte er seinen Kopf eilig über eine Ausgabe, von Verordnungen zur Einkommensteuer, Band 6 gebeugt und sie gebeten, ihn nicht noch einmal zu stören.
Schließlich hatte er um 23.04 Uhr ein Kästchen auf dem Bildschirm ausgewählt – oberste Reihe, drittes von links – und das Wort Katy eingetippt, bevor er es umgehend wieder gelöscht hatte.
Komm schon, sagte er sich angespannt. Er konnte nicht verstehen, was los war. Normalerweise brauchte er genau das, wenn er sich über etwas Klarheit verschaffen musste. Ein schön ausgearbeitetes Tabellenblatt vollbrachte normalerweise das Wunder, ihn von einem herumpfuschenden Nervenbündel in einen Meister seiner Geistesgaben und Fähigkeiten zu verwandeln.
Es war Alison gewesen, die ihn anfangs dazu gebracht hatte, diese Beschäftigung als Fetisch zur Strukturierung seiner Gedanken zu entwickeln. Als sie sich kennengelernt hatten, war sie entsetzt gewesen, dass er keine blasse Ahnung hatte, wo er in zehn Jahren überhaupt stehen wollte. Seine fehlende Perspektive in allen Bereichen seines Lebens hatte sie anfangs schier in den Wahnsinn getrieben, aber schließlich hatte sie seine Unentschlossenheit reizvoll gefunden und es sich zum Ziel gesetzt, ihn in den Mann zu verwandeln, der in ihm steckte.
Deshalb hatte sie ihn eines Abends, als er bei ihr vorbeikam, um sie zu einem Kinobesuch abzuholen, in ihre Küche gezerrt. Mit Hilfe mehrerer DIN-A3-Blätter und einer Handvoll bunter Filzstifte hatte sie ihn nach und nach ermutigt, gedrängt und aus ihm herausgekitzelt, was er mit seinem Leben anfangen wollte. Am Ende des Abends war er so erschöpft, wenn nicht gar gerührt gewesen, dass er ihr Dinge eingestanden hatte, die er sich vorher nicht einmal selbst eingestanden hatte.
Zwei Tage später hatte er in seiner Post ein wunderbar getipptes Diagramm mit dem Titel MATTHEWS PLAN samt einer Zeitachse und Listen zur Umsetzung gefunden. Alles schien so einfach, wie sie es aufgeschrieben hatte. So einfach, dass er noch am selben Morgen, bevor er das Haus verlassen hatte, den Telefonhörer genommen und den Prospekt eines Colleges angefordert hatte, das Abendkurse in Buchhaltung anbot.
Außerdem hatte er seinen Kumpel angerufen, der zeitweise auf seiner Couch nächtigte, und ihm mitgeteilt, dass er, sollte er nicht bis zum Wochenende ausgezogen sein, Miete von ihm kassieren würde.
Das Gefühl, Fortschritte zu machen, war so positiv gewesen, dass er bald feststellte, dass er in jeder schwierigen Situation auf seinem Computer mit der Tabellenfunktion Diagramme erstellte. Welches Jobangebot sollte er annehmen, nachdem er sich als Buchhalter qualifiziert hatte? Was waren seine Kriterien für den ersten Firmenwagen? Wie sollte er Alison fragen, ob sie ihn heiraten wollte? Wie würden sie sich die endlosen künstlichen Befruchtungen leisten können?
Er hatte all das auf der Festplatte unter dem Dateinamen DAS IST DEIN LEBEN, MATTHEW CHESTERMAN abgelegt. Mit einem Passwort geschützt, natürlich.
Aber an diesem Abend ließ ihn die Magie des Tabellenblatts im Stich. Heute Abend wollten diese besonderen Kräfte nicht bewirken, dass seine Gedanken sich auf die richtigen Aspekte konzentrierten. In seinem tiefsten Inneren wusste er, dass er nicht wirklich etwas zu entscheiden hatte. Sie hatte das Heft in der Hand und bestimmte, dass alle möglichen Konsequenzen ihres One-Night-Stands ignoriert werden sollten. Eigentlich könnte er ein Gefühl der Erleichterung empfinden. Erleichtert, dass er kein Tabellenblatt mit der Überschrift SICH UM DREI KINDER GLEICHZEITIG KÜMMERN anlegen musste.
Aber er fühlte sich nicht erleichtert, das war der Knackpunkt, und das verdammte Tabellenblatt würde ihm auch nicht dabei helfen herauszufinden, weshalb. Oder vielleicht konnte er sich nur nicht dazu durchringen, ein Tabellenblatt mit dem Titel anzulegen WARUM KATY MIR DAS GEFÜHL VERMITTELT, DASS ICH BEI MATTHEWS PLAN EINEN FEHLER GEMACHT HABE?
In Ermangelung eines Tabellenblatts, das ihn wirklich tröstete, fand sich Matthew am nächsten Tag vor Katys Werbeagentur wieder, wo er auf dem Gehsteig auf und ab tigerte. Nach zwanzig überaus schmerzhaften Minuten ging er schließlich hinein, lief auf die Empfangsdame mit rosa Haaren und einem Lippenpiercing zu und fragte nach Ms. Chapman.
Sie rief per Headset bei ihrer Privatassistentin an und half ihm, mit Louise über die Möglichkeit zu verhandeln, in Katys Büro zu warten, bis diese aus einem Meeting zurückkam. Während sie telefonierte, schäumte sie ihm gleichzeitig eine entkoffeinierte Latte macchiato an der voll ausgerüsteten Kaffeebar hinter ihr auf.
Da saß er nun also und starrte in Katys überaus individuell eingerichtetem Büro auf ein messingfarben gerahmtes Smash-Hits-Poster von Patrick Swayze aus seinen Dirty Dancing-Tagen. Er konnte dieses Poster noch in Katys Schlafzimmer vor ewigen Zeiten hängen sehen. Matthew hatte den Eindruck, als würde er, seit er Katy wiedergetroffen hatte, recht viel Zeit damit verbringen, über seine Teenagerjahre nachzudenken. Es beschäftigte ihn, ob der Teenager, der er einst gewesen war, von dem Mann beeindruckt wäre, zu dem er geworden war.
Er fuhr zusammen, als sein Telefon an seinem Gürtelclip summte. Als er es herausholte, sah er Ians Namen auf dem Display aufleuchten.
»Was willst du? Ich bin beschäftigt«, sagte Matthew leise, besorgt, dass Louise, die draußen direkt vor der Tür saß, etwas mitbekommen könnte.
»Wo bist du? Du klingst irgendwie merkwürdig?«, fragte Ian.
»Das willst du nicht wirklich wissen«, flüsterte Matthew.
»Ach, komm schon. Wenn du so daherredest, dann muss ich natürlich erst recht darauf bestehen, genauestens zu erfahren, wo du bist. Aber wenn du mir erzählst, dass du ohne mich für einen Mittagsquickie in diese neue Lap-Dancing-Bar gegangen bist, dann muss ich dich leider umbringen.«
»Glaub mir, ich bin nicht in einer Lap-Dancing-Bar.«
Louise sah so schnell auf, dass kein Zweifel bestand, dass sie gehört hatte, was Matthew gesagt hatte.
Matthew drehte ihr mit einer Geste, von der er hoffte, sie würde lässig wirkte, den Rücken zu.
»Okay, also keine Lap-Dancing-Bar. Nächste Frage: Bist du mit irgendwelchen attraktiven Vögelchen zusammen? «, wollte Ian wissen.
Matthew betrachtete den ausgestopften Papageientaucher, der misstrauisch auf Katys Schreibtisch saß. Der Geselle hatte ihn seit dem Moment, als er sich gesetzt hatte, mit einem überaus missbilligendem Blick betrachtet.
»Ja, man könnte durchaus sagen, dass Vögel involviert sind«, gab Matthew zu.
»Interessant«, sagte Ian. »Sind sie nackt?«
Matthew ließ seinen Blick zum Aktenschrank in der Ecke des Raums wandern, auf dem der Gipsabdruck von Katys schwangerem Bauch und ihren Brüsten stand. Er wusste, dass sie es war, weil sich am Sockel eine praktische Plakette befand, die ihren Namen und – zu seiner Verblüffung – ihre neu erworbene Körbchengröße angab.
»Bist du noch dran?«, fragte Ian. »Komm schon, beantworte meine Frage. Dieses Spiel macht mir Spaß.«
»Na ja, man könnte sagen, dass ich in diesem ganz speziellen Moment eine Art Nacktheit sehe, ja«, murmelte Matthew und warf einen nervösen Blick über die Schulter zu Louise hinüber.
»Wow, und es ist jetzt erst halb zwölf am Vormittag. Du lässt es also echt krachen, Matthew. Also wer ist es? Komm schon, sag’s mir. Beobachtest du gerade Sue aus der Buchhaltung durch dieses kaputte Fenster im Klo auf der zweiten Etage, wie sie das Oberteil ihrer Fahrradkluft auszieht?«
»Nein, bestimmt nicht.«
»Also, wer ist es dann? Erzähl es mir auf der Stelle, bevor mir der Schädel explodiert«, insistierte Ian.
»Na ja, eigentlich schaue ich auf Katys … «, setzte Matthew an.
»Katy? Die Katy? Die Bonus-Baby-Katy?«, unterbrach ihn Ian.
»Halt den Mund, Ian. Das ist jetzt völlig unangebracht. «
»Unangebracht? Du kannst gut reden. Du schaust auf ihre Titten.«
»Es sind nicht ihre echten Titten. Pass auf, ich bin in ihrem Büro. Ich erzähl dir später, warum, aber hier steht so eine Art Skulptur von ihrem nackten schwangeren Körper.«
»Wow! Gib mir einen Moment Zeit, damit ich auch kapiere, was du da gerade gesagt hast«, erwiderte Ian.
Stille in der Leitung.
»Okay, nun kann ich mir die Szene vorstellen. Jetzt konzentrier dich, die nächste Frage ist nämlich wirklich wichtig: Bist du allein im Büro?«, fragte Ian.
»Ehm, ja. Katy wusste nicht, dass ich komme, deshalb muss ich auf sie warten, bis ihr Meeting zu Ende ist.«
»Gut. Also sag’s mir. Hast du?«
»Habe ich was?«
»Du weißt schon. Kurz ihre Titten gedrückt?«
»Nein, das habe ich nicht getan«, erklärte Matthew geschockt.
»Ach, komm schon. Kein Mann, der mit einem unbelebten Objekt in Form einer nackten Frau in einem Raum ist, kann widerstehen, sie schnell mal zu begrapschen.«
»Nicht alle Männer sind wie du, Ian.«
»Sag das nicht. Ich habe nur den Mut auszusprechen, was alle anderen denken«, erklärte Ian. »Also, jetzt mach schon. Willst du nicht wenigstens wissen, ob sie sich anders anfühlen, nun, da sie schwanger ist?«
Matthew äugte über seine Schulter, um zu sehen, ob Louise immer noch herumspionierte. Ihr Stuhl war leer.
»Mach schon. Nur mal kurz für die Jungs, Matthew. Bist du ein Mann oder eine Maschine? Ich werde es dir nie verzeihen, wenn du es nicht tust«, fuhr Ian fort.
»Ach, Herrgott noch mal«, fluchte Matthew, als er aufstand und zu der Figur hinüberging. »Ich mache das jetzt also, okay? Bist du jetzt zufrieden?«, bellte er ins Telefon, als er mit seiner rechten Hand die linke Brust umfasste.
»Aber voll und ganz«, schnurrte eine Stimme aus dem Korridor.
»Scheiße«, rief Matthew, warf sein Telefon auf den Boden und zog seine Hand in Lichtgeschwindigkeit weg.
»Findest du nicht auch, dass sie einfach wunderbar ist?«, fuhr der perfekt posierende Mann, eine Hand auf der vorgeschobenen Hüfte, die andere gegen den Türrahmen gelehnt, fort. »Und dass ein so gut geratenes Exemplar wie du mein Werk zu schätzen weiß, ist echt ein Kompliment. Ich bin übrigens Daniel. Das kreative Genie hinter dem Objekt deiner Bewunderung.«
»Hallo. Ich bin Matthew. Es tut mir leid, ich habe, ehm, gerade …«
»Matthew, hast du gesagt?«, fragte Daniel.
»Ja, Matthew. Ich warte nur auf Katy.«
»Verstehe«, sagte Daniel und bemühte sich nicht zu verbergen, dass er Matthew von Kopf bis Fuß einer genauen Musterung unterzog. »Ich bin beeindruckt«, erklärte er schließlich. »Sie hat nie erwähnt, dass du so gut aussiehst.«
Es entstand eine peinliche Stille, die nur vom Geräusch der Stimme Ians unterbrochen wurde, die noch aus dem Telefon quäkte, das irgendwo auf dem Boden lag.
»Die Markenmanagerin von Crispy Bix ist ein absolutes Miststück!«, sagte Katy, als sie an Daniel vorbei in ihr Büro stürmte. Bei Matthews Anblick, der immer noch neben ihrem nackten Körper herumscharwenzelte, blieb sie wie angewurzelt stehen.
»Matthew, was zum Teufel tust du denn hier?«, fragte sie und sah nervös zwischen Matthew, Daniel und der Gipsskulptur hin und her.
»Er hat gerade dein Geschenk von der Babyfete bestaunt«, erklärte Daniel mit einem süffisanten Lächeln. »Du siehst Katy, manche Leute bewundern wahre Kunst.«
»Nein, wirklich, das stimmt nicht«, sagte Matthew. »Ich habe mir nur gerade angesehen, aus welchem Material das Ding da gefertigt ist. Was für eine interessante Textur. Ja, wirklich interessant. Du musst mir erklären, wie du sie gemacht hast, Daniel.«
»Genau genommen, hat er deine Brüste berührt«, informierte Daniel Katy. »Als ob ihm das beim letzten Mal nicht schon genug Schwierigkeiten eingebracht hätte.«
»Daniel!«, rief Katy.
»Also, ich muss losflitzen. Muss noch in ein paar andere Partys reinplatzen«, verkündete Daniel. »Wir sprechen uns später«, sagte er demonstrativ zu Katy, als er ging.
Katy zog die Tür fest hinter ihm ins Schloss.
»Mein Gott, warum in aller Welt hast du ihm das erzählen müssen?«, fragte Matthew, flüchtete aus dem Dunstkreis der Gipsskulptur und hob sein nun verstummtes Handy vom Fußboden auf.
»Na ja, mit irgendjemandem habe ich ja wohl reden müssen, und selbst wenn er nicht den Anschein erweckt, weiß ich, dass ich ihm vertrauen kann.«
»Wirklich? Für mich ist er eher der typische zickige, geschwätzige Schwule«, meinte Matthew, als er sich auf die Kante des Schreibtischs setzte und auf diese Weise den Papageientaucher gefährlich ins Schwanken brachte.
»Pass auf Gloria auf«, sagte Katy und machte einen Satz, um den Vogel zu stabilisieren.
»Gloria? Das Vieh hat einen Namen? Gibt es einen bestimmten Grund, dass du einen ausgestopften Papageientaucher in deinem Büro hast, Katy?«, fragte Matthew.
»Wir haben sie letzte Nacht geklaut«, erklärte Katy.
»Wer wir?«, fragte Matthew.
»Ich und Ben und ein paar seiner Kumpels«, antwortete Katy und lächelte in sich hinein.
Matthew starrte sie wortlos an.
»Was? Was ist los?«, fragte Katy.
Matthew stellte fest, dass er kein Wort mehr herausbrachte.
»Matthew, warum stehst du hier rum und siehst so enttäuscht aus?«, fragte Katy schließlich, während sie nach dem Schwangerschaftsratgeber schielte, der fast aus seiner Aktentasche fiel.
Matthew stopfte Das zufriedene Baby wieder in seine Tasche.
»Alison hat mir das Buch heute Morgen gegeben und erwartet, dass ich beim Mittagessen die Abläufe von null bis sechs Wochen auswendig lerne«, erklärte Matthew.
»Na prima«, sagte Katy. »Absolut vernünftig. Aber kannst du bitte diesen enttäuschten Gesichtsausdruck unterlassen. «
»Ich bin ja nicht von dir enttäuscht«, erwiderte Matthew und drehte sich um. »Eigentlich bin ich enttäuscht, dass es in meinem Lebens nie einen Moment gegeben hat, an dem ich beim Klauen eines Papageientauchers hätte erwischt werden können.«
Katy sah verwirrt aus.
Er drehte sich schnell wieder zu ihr um. »Ich hätte doch einen ausgestopften Papageientaucher gestohlen, oder? Ich meine, als ich jünger war? Die anderen hatten damals doch Spaß mit mir, oder?«, fragte Matthew mit einem leicht verzweifelten Unterton in der Stimme.
»Ich glaube nicht, dass du dein Leben nach deinen Fähigkeiten, einen ausgestopften Papageientaucher zu klauen, beurteilen solltest«, erwiderte Katy eindeutig ratlos wegen Matthews Ausbruch.
»Es liegt nur daran, dass ich zur Arbeit gehe und den ganzen Tag lang über diese blöden, verdammten Steuern rede. Und dann komme ich heim und rede über den Alltag mit einem Baby und ob wir es um 17.45 Uhr oder um 18.00 Uhr baden sollten oder über anderen Schwachsinn dieser Art«, sagte er und versetzte seiner Aktentasche just an der Stelle einen Tritt, an der die Bibel des Babylagers herauslugte.
Er war einen Augenblick still, hing seinen Gedanken nach. Katy fummelte an ihren Post-it-Notizzetteln herum.
»Und ich habe noch nicht einmal eine Pflanze in meinem Büro, von einem ausgestopften Papageientaucher oder einem Gipsabdruck meines nackten Körpers oder einem Bild von Patrick Swayze ganz zu schweigen«, meinte Matthew und deutete auf das verblichene Poster.
»Nun, ich stehe eben immer noch auf Patrick Swayze«, verkündete Katy ruhig.
»Das ist mir schon klar«, sagte Matthew und schlug mit seiner Hand so kräftig auf den Schreibtisch, dass Katy und Gloria zusammenzuckten. »Als ich auf dich gewartet habe, ist mir eingefallen, wie wir beide nach Devon gefahren sind und du mich den ganzen Weg über gezwungen hast, diese verdammte Dirty Dancing-Kassette anzuhören. «
»Ich habe dich nicht gezwungen. Du hast lauthals mitgesungen«, widersprach Katy.
»Das stimmt, das habe ich wirklich, und genau darum geht es ja, Katy. Ich singe überhaupt nicht mehr. Was ist nur mit mir passiert?«
Matthew ließ sich in den Stuhl fallen. Langsam glaubte er, dass es bei MATTHEWS PLAN ein paar wesentliche Leerstellen gab.
»Dann sing doch jetzt«, schlug Katy vor.
»Was?«
»Sing jetzt!«
»Das ist doch lächerlich.«
»Um Himmels willen, Matthew. Du beschwerst dich darüber, dass du nicht mehr singst, und jetzt willst du nicht. Komm schon, wir singen miteinander.«
Katy stand auf und räusperte sich. Sie streckte stolz ihren Kugelbauch nach vorn und setzte zu einem erschreckend schlechten Versuch an, die ersten Takte von I’ve Had the Time of My Life zu trällern.
Plötzlich war er wieder im Rover seines Vaters, das Fenster nach unten gekurbelt, Wind in den Haaren, die Musik dröhnte, und eine Hand lag auf Katys Knie, als sie aus vollem Halse sang.
Er bemerkte, dass er Katy anlachte, als sie sich immer besser an den Songtext erinnerte, und er fing an, sich ein wenig im Takt zu bewegen, als sie auf den Refrain zusteuerte.
»Komm schon. Sing mit. Sei doch nicht so schüchtern! «, animierte sie ihn atemlos zwischen den Textzeilen.
Matthew begann, den Wortlaut zu murmeln; er konnte es nicht fassen, dass er sich wirklich noch daran erinnern konnte.
»You’re the one
thing
I can’t get enough of
So I tell you something,
This could be love because
I’ve had the time of my life
No I never felt this way before
Yes I swear it’s the truth
And I owe it all to you.«
Katy ließ sich lachend rückwärts in ihren Stuhl fallen.
»Du singst immer noch beschissen«, verkündete sie. »Gut, dass du damit aufgehört hast. Aber egal, was machen wir mit dieser Verabredung zum Abendessen? Ich nehme an, dass du deshalb hier bist?«, fragte Katy, wobei sie auf ihre Uhr sah.
»Was? Ach ja, natürlich. Deshalb bin ich vorbeigekommen – um mit dir zu reden«, sagte Matthew und versuchte, seine Gedanken wieder in die richtigen Bahnen zu bringen.
»Also ich weiß, dass das wirklich merkwürdig klingt, aber Alison ist wirklich ganz aus dem Häuschen deswegen. Sie ist gestern Abend nach Hause gekommen und sofort in ihren Gordon Ramsey abgetaucht – sie hat praktisch schon das ganze Menü geplant! Sie ist so fröhlich, wie ich sie nicht mehr gesehen habe, seitdem wir hierhergezogen sind. Und ihr habt keine Chance, dass sie euch vom Haken lässt. Glaub mir, wenn Alison einmal angebissen hat, kann nichts und niemand sie mehr aufhalten. Ich weiß, dass quer über die ganze Situation ›Desaster‹ geschrieben steht, aber meinst du, wir könnten das durchziehen? Das Leben ist so viel schöner, wenn sie fröhlich ist.«
»Gott, Matthew, dir ist eigentlich klar, dass wir unser Glück überstrapazieren?«
»Ich weiß, aber wenn es ihr das Gefühl gibt, hier angekommen zu sein, und wenn sie sich ein bisschen entspannen kann, dann wäre das doch eine Riesenerleichterung. Ich weiß, diese Situation ist verrückt; und ich kann es selbst nicht glauben, dass ich dich bitte, aber trotzdem: Kommt! Bitte! Nicht auszudenken, was mit ihr passieren würde, wenn du mit einer Entschuldigung anrufen würdest und absagtest.«
»Aber du bist dir doch darüber im Klaren, dass wir keine Freunde sein können?«, fragte Katy langsam.
»Das weiß ich, aber das Essen könnte der Anstoß sein, der sie beflügelt, neue Freundinnen zu finden und nicht wie besessen von dem Baby zu sein. Nicht dich, natürlich. Kommt nur dieses eine Mal, und dann verspreche ich dir, dass wir nie wieder …«, Matthew verstummte jäh.
Er stand auf und ging um den Schreibtisch herum auf sie zu.
»Was machst du da?«, fragte sie, als er näher kam.
»Ist das hier das Baby?«, wollte er wissen, als er an ihr vorbei auf die Ultraschallaufnahme zuging, die sie an die Pinnwand hinter ihrem Schreibtisch geheftet hatte.
Er konnte seine Finger nicht in Zaum halten, er musste das Bild berühren. Langsam zeichnete er den Umriss des Babys nach, genau wie er es mit dem Foto der Zwillinge gemacht hatte. Er spürte, wie die Welt stillstand oder zumindest langsamer wurde.
Katy starrte ihn entsetzt an.
»Ja, das ist es«, sagte sie ruhig.
Er schluckte. Dann wandte er sich um und sah ihr tief in die Augen, bevor er murmelte: »Ich gehe jetzt. Wir sehen uns dann am Samstag.«
Dann hastete er wieder um den Schreibtisch, packte seine Aktentasche und ging aus dem Büro, ohne sich noch einmal umzusehen.