Siebzehn
Katy sah sich The Deadliest Catch – Der gefährlichste Job Alaskas im Discovery Channel an. Fischer rangen mit Hunderten von lebendigen Krabben, die aus den Netzen auf das betriebsame Deck eines Fischerboots fielen – und von alledem wurde ihr ein wenig schlecht. Sie wusste nicht recht, warum sie sich ansah, wie diese Männer durch die Hölle gingen, aber sie vermutete, dass es sie tröstete, jemanden zu sehen, dessen Leben noch schlimmer war als das ihre. Es war erst der zweite Tag ihres Mutterschaftsurlaubs, und das Tagesfernsehen hatte bereits seine Attraktivität eingebüßt, zumal ihre Fernbedienung darauf bestand, sie zu den Baby-Programmen zu zappen, die wunderbare, liebevolle Paare zeigten, die miteinander eine wunderbare, liebevolle Erfahrung machten. Um ein Haar hätte sie aus Entrüstung ihr Abo gekündigt und den Sky Channel wegen seelischer Grausamkeit verklagt. Doch dann war sie zufällig auf The Deadliest Catch gestoßen. Es hatte sie enorm aufgemuntert, die Männer derart grauenvollen Bedingungen ausgesetzt zu sehen. Zufällig mochte Ben diese Serie auch am liebsten, und sie vermutete, dass sie unbewusst dabeigeblieben war in der Hoffnung, sie könnte als eine Art von Rückrufsignal für Ben fungieren, wieder zurück zu ihr in die Wohnung zu kommen.
Katy hatte Ben seit dem Abend auf dem Hochzeitsfest vor drei Tagen nicht mehr gesehen. Zum Glück hatte es Matthew die Augen geöffnet, als ihm Scott, hilfsbereit wie er war, eine Halbe kaltes Bier ins Gesicht gekippt hatte. Zu diesem Zeitpunkt war Alison auf die Auseinandersetzung aufmerksam geworden und am Tatort erschienen. Sie saß unbequem auf einem Stuhl, mitten auf der Tanzfläche, direkt neben seinem Kopf.
»Was ist passiert, frag ihn, was passiert ist!«, kreischte sie Katy an.
Katy blickte auf Matthew herunter, der wieder zu sich gekommen, aber noch nicht ganz bei Sinnen war. Dann schaute sie sich nach Ben um, doch der war nirgends zu sehen.
»Der andere Typ hat ihm eins verpasst«, erklärte Scott. »Genau in die Fresse. Es war ein perfekter Schlag. Ich habe versucht, die beiden aufzuhalten, ehrlich, ich hab’s probiert. Ich war in der Toilette, wissen Sie, als mir klar wurde, dass Ärger in der Luft lag, und ich stand zwischen ihnen und habe ihnen gesagt, sie sollten damit aufhören, aber dieser andere Typ sagte mir, ich solle einen Abgang machen. Offensichtlich wollte er nicht, dass ich zuschaue, wie er ihm eine reinhaut.«
»Von wem redest du überhaupt? Wer hat ihn geschlagen? «, schrie Alison Scott an.
»Sie wissen schon, Ihr Typ, groß, bisschen abgerissen«, erwiderte Scott und deutete auf Katy.
»Katy, er meint doch nicht etwa Ben, oder? Warum sollte Ben auf Matthew losgehen?«
»Ich weiß es nicht, Alison. Ich hatte keine Gelegenheit, ihn zu fragen, und jetzt ist er weg.«
Alison starrte Katy an, dann riss sie sich zusammen und fragte Charlenes Vater, ob er ihr behilflich sein könnte, Matthew zu ihrem Auto zu schaffen.
»Natürlich«, antwortete er. »Soll ich mal schauen, ob wir ein paar heiße Handtücher bekommen?«, fragte er verwirrt vom Alkohol, dem Anblick so vieler schwangerer Frauen und einem Mann, der platt auf dem Rücken lag.
»Nein, ich glaube nicht, dass wir sie brauchen. Schaffen Sie ihn einfach zum Auto, und ich fahre ihn dann nach Hause.«
»Kann ich mitkommen und dir helfen, ihn ins Haus zu schaffen?«, bat Katy, als Charlenes Vater sich Matthew über die Schultern wuchtete.
»Nein«, gab Alison zurück. »Ich finde, ihr beide, du und Ben, ihr habt bereits genug getan, meinst du nicht auch?«
Katy war schockiert gewesen, wie still so ein Telefon sein konnte. In ihrem normalen Leben klingelten Telefone ständig und verlangten ihre Aufmerksamkeit. Sie stellte fest, dass sie sich nicht an diese gespenstische Stille gewöhnen konnte, zumal ihr Körper vor Anspannung, das leiseste Läuten könnte ein Anruf von Ben sein, mit der Alarmstufe Rot reagierte.
Und so musste Katy zugeben, dass sie nur zwei Wochen vor der Entbindung ein Häufchen Elend war. Sie fühlte sich wie eine dieser Krabben im Fernsehen, die hoffnungslos herumkrabbelten und versuchten, einen Fluchtweg zu finden, jedoch in keiner Richtung weiterkamen und dabei die ganze Zeit wussten, dass das Unausweichliche bevorstand. Für die Krabben war es mit Sicherheit der Tod, für Katy war es mit Sicherheit das Leben. Das Leben eines neugeborenen Babys, das derzeit keine Chance auf einen Vater hatte, geschweige denn auf zwei. Jedes Mal, wenn sie sich daran erinnerte, wie Ben mitten auf der Tanzfläche ihren Bauch gestreichelt hatte, löste dies eine Welle unkontrollierter Schluchzer aus. Es brachte sie schier um, daran zu denken, dass sie es sich zum ersten Mal seit Matthew – wenn auch nur für eine halbe Stunde – erlaubt hatte, sich gedanklich den Fantasien einer Langzeitbeziehung mit einem Mann hinzugeben. Während sich Ben fröhlich an Daniels Wodka bedient hatte, da hatte sie sich dabei ertappt, wie sie von einer schlichten, aber wunderbaren Hochzeitszeremonie an einem Strand träumte, bei der sich ihr Kind an Bens Hand klammerte und die Schleife hielt, an der ihre Eheringe baumelten. Es war herrlich gewesen, endlich ihre Gedanken vertrauensvoll in die Zukunft schweifen zu lassen, und sie empfand es als schrecklich grausam, dass es nun wieder so aussah, als würden sich ihre Hoffnungen nicht erfüllen.
Sie schaltete den mittlerweile verzweifelten Krabben den Ton ab und krabbelte unter der Bettdecke hervor, die zur Dauereinrichtung auf ihrem Sofa geworden war. Ihr wurde klar, dass nichts in ihrem Leben so war, wie es sein sollte. Die Bettdecke immer auf dem Sofa, den Schlafanzug immer am Körper, das schmutzige Geschirr immer in der Spüle, die Krankenhaustasche noch immer leer hinten im Wandschrank, die eingekauften Babysachen noch immer in den Plastikhüllen in den Einkaufstüten – und Ben irgendwo anders.
Durch den Nebel ihrer Verzweiflung kam sie zu dem Schluss, dass sie etwas tun musste. Vielleicht würde es ihr ja helfen, wenn sie alles wieder an seinen Platz brachte. Der Plan war eigentlich nicht schlecht. Besser jedenfalls als gar kein Plan. Besser, als heulend wegen der todgeweihten Krabben herumzusitzen.
Also stemmte sich Katy von der Couch hoch, die erleichtert ein zischendes Geräusch hören ließ, und bückte sich, um die üblichen wirklich deprimierenden Überreste vom Fußboden einzusammeln. Durchweichte Taschentücher, Schokoladenpapiere, Fastfood-Verpackungen und veraltete Ausgaben von Hello. Sie ging auf allen vieren und suchte systematisch das Wohnzimmer ab wie eine Art menschlicher Staubsauger, wobei sie sich den Abfall in die Taschen und die Ärmel stopfte, damit sie nicht zig Mal zum Mülleimer gehen musste. Der Anblick einer lang vermissten DVD-Fernbedienung hinter dem Sofa zauberte schließlich den Anflug eines Lächelns in ihr Gesicht, als sie sich bemühte, dem Ding dicht auf den Fersen, sich zwischen die Couch und die Wand zu quetschen. Just in dem Moment, als sie dachte, sie wäre hier für immer und ewig eingekeilt, hörte sie ein Klicken an der Eingangstür und Schritte in der Diele. Falls es bewaffnete Räuber sind, ist es am besten, wenn ich in meinem Versteck bleibe, ging es ihr durch den Kopf – aber ihre Beine lugten hervor und würden sie verraten. Außerdem könnte es ja auch Ben sein. Katy wuchtete sich also hoch und sprang so plötzlich hinter dem Sofa hervor wie ein Kaninchen aus seinem Bau.
Ben stand mitten im Zimmer und sah mit einem Auge auf die stummen – und toten – Krabben und mit dem anderen auf sie.
»Die Folge ist gut; ein Typ verliert sein Bein«, murmelte er, als Katy vor ihm stand.
Sie bemerkte, dass er keine Anstalten gemacht hatte, ihr zu helfen.
»Wo bist du gewesen? Ich habe mir schreckliche Sorgen gemacht«, sagte sie.
Er löste seinen Blick von den Krabben und sah sie verständnislos an. »Bei meiner Mutter.«
»Was ist passiert, Ben? Warum bist du einfach so verduftet? «
»Nun, du wolltest ja nicht, dass ich bleibe, oder?«
»Das wollte ich sehr wohl, natürlich wollte ich das!«
»Ach ja, richtig. Ich bin hier, um meine Sachen zu holen.«
»Ben, halt! Setz dich hin. Bitte. Erzähl mir einfach, was passiert ist«, bat ihn Katy. »Hat Matthew dich provoziert? Du solltest dich nicht von ihm ärgern lassen, weißt du. Jetzt können wir ihn vergessen.«
»So, können wir das?«
Ben setzte sich und starrte auf den Fernseher, ohne etwas zu sagen.
»Ja, Ben. Lass uns das alles vergessen und an das Baby denken. Das ist doch das Einzige, worauf es jetzt ankommt, oder etwa nicht?«, bettelte sie ihn.
Unvermittelt stand er wieder auf. »Nein, so läuft das nicht. So kann das nicht laufen.«
»Aber warum?«, flehte Katy und packte ihn mit aufsteigender Panik am Handgelenk. »Na komm, Ben, das kriegen wir doch hin?«
Ben antwortete ruhig und überlegt: »Nein, wir kriegen es nicht hin. Er ist es, den du in Wirklichkeit willst, nicht wahr? Na ja, vielleicht nicht genau ihn, aber einen Mann wie ihn. Nicht so einen Typen wie mich. Ich denke, ich hab’s jetzt verstanden. Ich kapiere, wie du mich siehst. Ich hänge nur den ganzen Tag herum, spiele dämliche Spiele mit dämlichen Kindern, und dann hänge ich den ganzen Abend herum und spiele dämliche Spiele mit meinen dämlichen Kumpels. Was gibt es da für dich zu holen? Du und dein schickes Büro und deine Sekretärin und deine schicken Mittagessen und dein großzügiges Spesenkonto. Wie konnte ich nur je glauben, dass ich mehr für dich bin als nur ein bisschen Zeitvertreib? Kein Wunder, dass du mit Matthew geschlafen hast.«
Katy setzte sich schlagartig auf. Das war es also, deshalb hatte Ben ihn geschlagen. Matthew hatte es ihm erzählt. Tränen strömten ihr über die Wangen.
»Es tut mir so leid«, schluchzte sie in ihre Hände. »Es war ein dummer, dummer Fehler. Ich wollte dich nicht verletzen.«
»Klar, wir sind ja nie eine Verpflichtung oder so was in der Art eingegangen, oder?«, fuhr er fort, ohne dass er ein Wort von dem, was Katy gesagt hatte, wahrgenommen zu haben schien. »Wir haben nicht vereinbart, dass wir nicht mit anderen schlafen. Ich wünschte nur, du hättest es mir erzählt – das ist alles. Dann hätte ich gewusst, wo ich stehe. Weil ich mich jetzt ziemlich bescheuert fühle, denn ich hatte gedacht, wir würden alles hinbekommen. «
Er stierte auf den Fußboden und begann rhythmisch seitlich gegen das Sofa zu treten.
»Und weißt du was? Ich kann die Anziehung bei einem Typen wie Matthew sogar nachvollziehen, ehrlich, das kann ich«, sprach er weiter. »Ich meine, er hat schließlich alles, oder nicht? Ich meine, ein Typ wie er kann für eine Frau sorgen. Guter Job, großes Haus – und er ist vernünftig, weißt du, das ist ein verdammt gutes Potential für einen Vater. Er würde seine Kinder nicht vom rechten Weg abkommen lassen wie ich vielleicht. Sicherheit, das ist es, worauf es ankommt, oder nicht? Das ist es, was du jetzt brauchst. Was habe ich schon vorzuweisen? Ein klappriger alter Ford Focus und ein Saison-Ticket für Leeds United sind alle Sicherheiten, die ich zu bieten habe.« »Halt, Ben, bitte, hör auf!«, bat Katy. »Du hast das alles falsch verstanden, ehrlich, ganz bestimmt!«
»Nein, Katy«, sagte er und sah sie endlich an. »Ich denke zum ersten Mal, dass ich nichts falsch verstanden habe. Ich habe darüber nachgedacht, und mir ist klar geworden, dass ich ein Idiot war. Mit dir habe ich einen Ball weit über meiner eigenen Liga gespielt, und irgendwann musste ja ein Typ wie Matthew daherkommen, der auf derselben Ebene ist wie du. Und selbst wenn du nur ein Mal mit ihm geschlafen hast, gibt es da draußen eine Million anderer Matthews, die dir ebenbürtig und eine Million Mal besser geeignet sind, für dich zu sorgen, als ich das je kann.«
Ihm versagte die Stimme, und er drehte sich rasch um, denn er wollte die dicke, fette Träne verbergen, die ihm die Wange hinunterlief.
»Aber Ben, es gibt nicht eine Million Männer, die so sind wie du. Es gibt niemanden sonst, bei dem ich mich so fühle wie bei dir«, schluchzte Katy.
Er rieb sich müde die Augen, bevor er antwortete. »Und wie soll ich das verstehen?«, fragte er.
»Nun«, sagte sie und spürte einen kleinen Hoffnungsschimmer aufflackern. Sie suchte verzweifelt nach den richtigen Worten, aber sie hatte keine Ahnung, wo sie überhaupt anfangen sollte. »Ben, du bist anders als all die anderen Typen. Du bringst mich zum Lachen und, und …«
»Ganz genau. Das reicht nicht«, erklärte Ben grimmig.
»Nein, warte, hör mir zu! Es ist mehr als nur das. Wie soll ich dir das erklären? Du bist derjenige, der mich davon abhält, mein eigener größter Alptraum zu sein. O Gott, ich bin so schlecht bei solchen Sachen«, sagte sie und fuchtelte verzweifelt mit den Armen herum.
»Wenn ich dir zum Beispiel erzähle, dass wir in der Arbeit darüber diskutiert haben, wie wir einen Toilettenreiniger beschreiben sollen, dann schlägst du vor, dass wir einfach sagen sollten: Er putzt Scheiße weg.«
»Na ja, das tut er ja auch.«
»Genau. Aber nur du kannst das so sagen!«
»Was? Dass ein Toilettenreiniger Scheiße wegputzt? Na, da bin ich aber echt stolz drauf! Denke, ich sollte mich um den Nobelpreis für Lebensweisheiten bewerben.«
»Nein, Ben. Ich versuche, dir etwas zu erklären«, sagte sie, stand auf und griff nach seinem Handgelenk. »Ich habe auch über uns nachgedacht, und der Grund, weshalb die Sache mit uns beiden so richtig ist, liegt ganz genau darin: dass wir so unterschiedlich sind! Ich will nicht jemanden, der so ist wie ich, weil ich mich dann bloß in so eine fürchterliche Mittelschichtfrau aus der Vorstadt verwandle, die unbedingt eine Blumenampel haben möchte.«
Ben blickte verwirrt drein.
»Aber, aber …«, stotterte er. »Aber du bist einfach besser als ich«, sagte er plötzlich mit einem tiefen Seufzer.
»Das stimmt nicht«, antwortete sie und berührte mit ihrer Hand vorsichtig seine Wange, um sie zu streicheln. Sie spürte seine Tränen an ihren Fingerspitzen.
»Du, Ben King«, sagte sie liebevoll, »bist der lustigste, liebenswürdigste, loyalste und großartigste Mann, den ich kenne; und ich bin das glücklichste Mädchen auf Erden, weil ich dich habe.«
Ben starrte völlig perplex auf sie. Er begann, heftig zu blinzeln, und versuchte, die Tränen hinter der Staumauer zu halten.
»Wirklich?«, fragte er und suchte tief in ihren Augen nach irgendeinem Anzeichen von Täuschung.
»Wirklich«, antwortete sie, nickte bestimmt mit dem Kopf und spannte jeden Körperteil an, als könnte sie ihn so dazu bringen, ihr zu glauben.
»Ich denke, das musst du wiederholen«, sagte er ruhig.
»Ich sagte, dass du der lustigste, liebenswürdigste, loyalste und großartigste Mann bist, den ich kenne, und dass ich das glücklichste Mädchen auf Erden bin, weil ich dich habe«, wiederholte sie atemlos.
Ein Lächeln brach sich an seinen Mundwinkeln Bahn.
Es musste einfach funktionieren. Katy versuchte verzweifelt, sich zu erinnern, was sie in ihrem benebelten Zustand in den letzten paar Tagen gedacht hatte, das Ben von ihrer gemeinsamen Zukunft überzeugen könnte.
»Und du bist zehnmal so viel wert wie Matthew oder ein anderer Typ seines Schlags, und ich werde es für den Rest meines Lebens bereuen, dass ich mit ihm geschlafen habe,« sagte sie und wusste, dass sie noch nie zuvor in ihrem Leben ein wahreres Wort gesprochen hatte. »Ben, ich habe es nicht verdient, dass du mir vergibst, aber ich will dich, Ben. Mehr als alles auf der Welt – weil ich nicht mehr leben kann, ohne dass du meinen Bauch streichelst.«
Sie griff nach seiner Hand, zog sie an ihre Lippen und küsste sie ganz sanft, um sie dann auf ihren Bauch zu legen.
Bevor sie ihre Hände auf Katys Bauch verschränkten, sah ihr Ben noch einmal tief in die Augen. Plötzlich taumelte er nach vorn, nahm sie in seine Arme und schluchzte unkontrolliert.
Katy hielt ihn so fest wie möglich und atmete schwer. Sie war total erschöpft von ihrem beispiellosen emotionalen Ausbruch – und von der Erleichterung, dass sie trotz allem vielleicht doch noch eine gemeinsame Zukunft haben könnten.
Aber dann plötzlich, ohne Vorwarnung, zog Ben sich zurück und wischte sich mit der Hand über seine Triefnase.
»Aber Katy, ich weiß nicht, ob ich wirklich ein guter Vater sein werde«, meinte er kopfschüttelnd. »Und du kannst das Risiko nicht eingehen, dir womöglich einen Scheißvater aufzuhalsen.«
Katy seufzte; sie war sich nicht sicher, ob ihre Energie noch ausreichte, um seine Unsicherheiten hinsichtlich der Vaterschaft auszuräumen. Aber sie musste durchhalten, sagte sie sich, das Ende war in Sicht.
»Ben, ich weiß, dass du ein großartiger Vater sein wirst, ich weiß es einfach. Aber ich weiß auch, dass es ziemlich hart für dich sein muss, denn schließlich besteht die winzige Möglichkeit, dass das Baby nicht von dir ist. Aber das spielt keine Rolle, weil du für mich der Vater bist. Ende der Geschichte.«
Ben wich so schnell zurück, als hätte ihm jemand einen Schlag verpasst. »Was? Was meinst du damit, dass es nicht von mir sein könnte? Wovon sprichst du, verdammt noch mal?«, fragte er ungläubig mit weit aufgerissenen Augen.
»Was …, du meinst …, o mein Gott!« Katy schlug sich die Hände vors Gesicht.
»Wovon sprichst du, Katy?«, fragte Ben erneut.
Katy konnte ihren Kopf nicht heben, während sie unter dem Schock hin und her taumelte.
Ben griff nach ihr und zog ihr unsanft die Hand vom Gesicht.
»Wovon sprichst du?«, fragte er wieder, doch dieses Mal schrie er fast.
»Ich dachte, du hättest es herausgefunden. Ach, Ben, es tut mir so leid!«
»Was herausgefunden, Katy? Erklär mir, wovon du sprichst. Und zwar augenblicklich!«, brüllte er.
Unter beträchtlicher Anstrengung platzte Katy mit einer Erklärung heraus. »Als Matthew und ich Sex hatten – und ich schwöre dir, dass es nur ein Mal war –, da war das so um die Zeit, als ich schwanger geworden bin; und somit besteht eine sehr, sehr geringe Möglichkeit, dass Matthew der Vater sein könnte. Aber Ben, sie ist minimal«, sagte sie und sah ihn flehend an. »Du und ich, wir hatten zu dieser Zeit so viel Sex, dass das Baby aller Wahrscheinlichkeit nach von dir ist. Ich meine, es muss so sein. Es muss einfach so sein, Ben. Das Baby ist von dir, ich verspreche es«, sagte sie. Dann griff sie mit ihren Händen nach seinen Schultern und schüttelte ihn, als wolle sie, was sie gesagt hatte, in ihn hineinzwingen.
»Aber das verstehe ich nicht«, erwiderte Ben und wich vor ihr zurück. »Willst du mir damit sagen, dass du das die ganze Zeit gewusst hast?«
»Na ja, vermutet. Aber wie gesagt, die Wahrscheinlichkeit ist so gering, dass … dass …«
»Dass was? Dass du dir gedacht hast, du würdest es mir nicht sagen. Hast du mit Matthew darüber geredet?«
»Ehm, ja, aber nur, weil er es ebenfalls vermutet hat, also musste ich das ja tun. Und wir haben uns darauf verständigt, dass die Wahrscheinlichkeit so gering ist, dass es besser für alle Beteiligten ist, wenn wir das einfach vergessen. «
»Wann hast du mit ihm gesprochen?«
»Vor ewigen Zeiten, ich kann mich nicht mehr erinnern. «
»Wann, Katy?«, fragte Ben aggressiv.
»Himmel, ich weiß es nicht mehr!«, sagte Katy völlig verwirrt. »Ich schätze, es war damals, als wir die beiden zum ersten Mal in dem Geburtsvorbereitungskurs getroffen haben. Ich hatte gedacht, dass ich ihn nach dem Schülertreffen nie wiedersehen würde, aber als er im Kurs auftauchte, da musste ich natürlich mit ihm reden.«
»Also, ihr beide habt über Wochen hinweg diese Gespräche geführt – und mich habt ihr die ganze Zeit glauben lassen, dass das Baby von mir ist.«
»Ben, bitte, wenn du das so sagst, hört sich das schrecklich an. Ich schwöre, dass ich versucht habe, das Richtige zu tun. Ich habe nicht versucht, dich absichtlich zu täuschen.«
»Was? Du lässt mich die ganze Zeit über glauben, dass das Baby von mir ist, obwohl du genau weißt, dass dies nicht unbedingt der Fall ist. Findest du nicht, dass ich das Recht habe, das zu wissen? Offensichtlich dachtest du ja, dass Matthew dieses Recht durchaus hat.«
»Nein. So war es nicht! Es war nicht meine Entscheidung, es Matthew zu erzählen. Er hat es vermutet, und ich musste mit ihm reden, damit er nicht alles kaputtmacht. Ich konnte nicht zulassen, dass er für nichts und wieder nichts alles ruiniert. Bitte Ben, hör mir zu«, bettelte Katy. »Du bist der Vater.«
Ben war still, starrte aus dem Fenster in die Ferne.
Katy traute sich nicht, etwas zu äußern, da sie Angst hatte, womöglich wieder das Falsche zu sagen. Still betete sie um ein Wunder.
Schließlich schoss Ben seinen letzten Schuss ab. »Es spielt keine Rolle, wie winzig die Chance ist; es besteht immerhin eine Möglichkeit, und ich weiß nicht, ob ich damit leben kann. Aber eines ist sicher: dass du mich angelogen hast! Nicht nur hinsichtlich des Babys, sondern auch, was Matthew betrifft. Du bist nicht die Frau, für die ich dich gehalten habe, Katy. Und ich dachte, ich wäre nicht gut genug für dich.«
Tränen liefen ihm nun über die Wangen – fast so schnell wie die von Katy.
»Natürlich bist du gut genug für mich, natürlich bist du das, Ben. Und du hast recht: Ich bin nicht gut genug für dich! Was ich getan habe, ist schrecklich. Aber ich wollte doch nur das Richtige tun. Ich wollte dich niemals verletzen.«
»Na, das ist dir gerade gelungen.«
Ben drehte sich um und stürmte aus dem Zimmer.
»Geh nicht! Bitte, geh nicht, Ben«, sagte Katy, die hinter ihm herstolperte. »Ich brauche dich. Ich schaffe das nicht allein. Ben, bitte. Bitte, verlass mich nicht!«
Ben war in seiner Verzweiflung kaum wiederzuerkennen. Tiefe Linien hatten sich plötzlich in sein junges Gesicht gegraben. Er drehte sich kurz um und starrte sie einen Augenblick an. Dann wandte er sich um und ging zur Tür hinaus.
Katy sackte auf dem Fußboden zusammen – wie auch die toten Krabben noch immer stumm irgendwo auf einem Pier in Alaska in die finsterste Nacht fielen –, und sie weinte, wie sie noch nie in ihrem Leben geweint hatte.