Achtzehn

Sie war sich nicht sicher, wie spät es war. Sie sah auf, und die Krabben waren verschwunden, wahrscheinlich war ihnen bereits von den mürrisch dreinblickenden Bewohnern Alaskas das Innenleben herausgepult worden.

Katy fühlte sich, als hätte man ihr selbst die Eingeweide herausgerissen. Das war kein normales Weinen mehr. Nein, das war eine Sturzflut, eine übermächtige Lawine, ein wilder Taifun des Weinens, der sie zu ertränken drohte und sie wohl taub machen würde. Jedes Mal, wenn sie das Gefühl hatte, den Sturm zu meistern, kam eine neue Front aus dem Nichts und knüppelte sie gnadenlos zu Boden.

Sie lag noch immer zusammengesunken in der Diele, wo Ben sie verlassen hatte, unfähig, einen Grund zu finden, weshalb sie sich bewegen sollte. Ihre Hände und Arme waren nass vor Tränen, denn längst hatte sie die Papiertaschentücher durchweicht, die sie sich bei ihrer Aufräumaktion vorhin in die Ärmel gestopft hatte.

Schließlich konnte sie so weit klar denken, um einzusehen, dass sie Hilfe brauchte. Dass die Situation ohne Hilfe von außen nicht besser würde. Sie stemmte sich auf Hände und Knie und krabbelte langsam in Richtung Telefon, das auf einem Beistelltisch auf der anderen Seite der Diele stand. Als sie es erreicht hatte, sackte sie wieder zusammen, als wäre sie gerade einen Marathon gelaufen. Sie wartete ein paar Minuten ab und bemühte sich, wieder zu einer halbwegs geregelten Atmung zurückzufinden. Schließlich atmete sie tief durch und griff nach dem Telefon, um Daniels Handynummer zu wählen.

Natürlich ging der Anruf direkt auf die Mailbox. Als sie Daniels Ansage hörte, sackte sie erneut in sich zusammen, wobei sie gleichzeitig versuchte, die Kraft zum Sprechen aufzubringen.

»Hallo Leutchen. Ich habe gerade etwas wirklich Wichtiges zu erledigen – oder ich sehe euch auf dem Display und will einfach nicht mit euch reden. Wie auch immer, hinterlasst mir einfach eine Nachricht, und ich rufe euch dann zurück, sobald ich meine Auszeichnung als kreativstes Genie der Werbebranche entgegengenommen habe.«

»Daniel. Daniel. Nimm den Hörer ab. Bitte, nimm den Hörer ab«, sagte sie vor sich hin schniefend.

Schließlich fiel ihr ein, dass sie auf die Mailbox eines Mobiltelefons sprach und er sie ja nicht hören konnte.

»Daniel. Ruf mich an. Sofort. Ben weiß alles – und er ist weg, für immer. Was soll ich jetzt tun? Lass alles stehen und liegen und ruf mich an, Daniel. Ich brauche dich.«

Sie stellte das Telefon wieder in die Station und zuckte zusammen, als das Baby ihr einen kräftigen Tritt versetzte.

Sie sah an sich herunter und beobachtete, wie eine Hand oder ein Bein verzweifelt versuchte, die Dehnfähigkeit ihres Bauches auszutesten auf der Suche nach irgendeinem Spalt, der ans Tageslicht führen könnte.

Das passiert mir wirklich, dachte sie und starrte auf den kleinen Maulwurfshügel, der sich vorne über ihren Bauch bewegte. Ich werde wirklich mutterseelenallein ein Baby bekommen.

Die Tränen begannen erneut zu fließen, diesmal allerdings nicht stürmisch, sondern eher wie ein lästiger Sprühregen, der niemals aufzuhören scheint.

Der Sprühregen hielt an, während Katy unglücklich über ihr Leben als alleinerziehende Mutter nachdachte. Als das Telefon endlich zum Leben erwachte, nahm Katy noch vor dem zweiten Läuten den Hörer ab.

»Was soll ich nur machen? Ben ist weg! Er ist endgültig gegangen«, platzte sie heraus, ehe Daniel auch nur Hallo sagen konnte.

»Er kam, und da war alles gut – bis ich dämliche, dämliche Kuh dachte, dass er sich alles zusammengereimt hatte. Dass er möglicherweise eben nicht der Vater ist. Aber er hatte es sich nicht zusammengereimt. Und er schrie mich an, forderte eine Erklärung, und dann musste ich ihm natürlich alles erzählen, und plötzlich hörte er auf zu schreien und sagte gar nichts mehr. Kein Wort. Er starrte nur vor sich hin und sah furchtbar traurig aus. Ich habe ihn noch nie so traurig gesehen. Und dann sagte er schließlich, dass ich ihn nicht verdient hätte. Und dass er nicht über die Lügen hinwegkommen würde. Und er hat ja so recht! Natürlich hat er recht. Ich bin ja so blöd gewesen! Und was soll ich jetzt machen? Wie soll ich dem Baby erzählen, was ich getan habe? Dass es mein Fehler ist, dass es keinen Daddy hat. Dass ich alles total verbockt habe. Dass ich sein Leben schon ruiniert habe, bevor es überhaupt zur Welt gekommen ist.«

»Ich bin schon unterwegs«, antwortete Matthew.

 

Die Leitung war tot, noch bevor Katy Zeit hatte, den Hörer vor Schreck auf den Boden fallen zu lassen. Er gab ein ungesund knackendes Geräusch von sich, als er auf das Holzparkett knallte, und dann hörte man den sanft schnurrenden Ton, der bestätigte, dass der andere Teilnehmer aufgelegt hatte. Der Schock, Matthews Stimme zu hören, hatte Katy betäubt. Wie ferngesteuert nahm sie das Telefon und wählte 1471, um den Anrufer zurückzurufen. Sie kam auf den Anrufbeantworter.

»Hallo, das ist die Mailbox von Matthew Chesterman. Ich kann Ihren Anruf leider im Moment nicht entgegennehmen, aber wenn Sie Ihren Namen und Ihre Nummer hinterlassen, rufe ich Sie so schnell wie möglich zurück. Bitte sprechen Sie nach dem Signalton. Vielen Dank.«

»Geh ans Telefon«, murmelte Katy, der dieses Mal jedoch völlig klar war, dass er sie nicht hören konnte.

Der Signalton erklang.

»Ich dachte, du wärst Daniel. Wenn du das hörst – ich finde, dass du nicht zu mir kommen solltest. Bleib weg, Matthew, bitte.«

Sie legte auf, schlurfte durchs Wohnzimmer und ließ sich auf das Sofa fallen. Der Discovery Channel war von den Krabben zu einem neuen Programm übergegangen und zeigte jetzt frei lebende Elche, die sich in einem abgelegenen Waldgebiet paarten. Das Ritual wirkte ohne Ton besonders unerfreulich. Katy sah zu, wie der männliche Elch fertig wurde, herunterkletterte, sich schüttelte und dann die restlichen weiblichen Elche betrachtete, bevor er nonchalant zu seinem nächsten Ziel weiterzog.

Typisch Mann, dachte sie, doch da wurde ihr siedend heiß bewusst, dass sie sich genau wie der unbeteiligt dreinschauende männliche Elch verhalten hatte. War sie nicht von Partner zu Partner gewandert, ohne Angst vor möglichen Konsequenzen?

Die Handlung änderte sich. Nun rannte der männliche Elch durch den dichten Wald. Der Bildschirm wurde schwarz, dann sah sie eine Szene, in der der Elch tot auf dem Boden lag. Anschließend wurden zwei Jäger gezeigt, die ihre Gewehre reinigten.

Ich habe es genauso verdient, erschossen zu werden, ging es Kary durch den Kopf.

Das Baby versetzte ihr einen weiteren kräftigen Tritt.

»Mein Gott, da ist ein Baby, ein richtiges Baby«, weinte sie. »Ich kann mir nicht einmal wünschen, in Frieden erschossen zu werden.«

Das Baby trat sie noch einmal.

»Okay, okay. Es reicht schon.«

Katy stand vom Sofa auf, marschierte ins Kinderzimmer und blickte zuerst auf die Einzelteile eines Kinderbetts, die am Boden herumlagen, dann auf einen Haufen völlig unberührter Plastiktüten mit Babysachen. Sie griff nach dem nächsten Plastikbeutel und leerte ihn aus. Dann kniete sie sich auf den Boden und begann, Zellophanverpackungen und Kartons aufzureißen, als würde ihr Leben davon abhängen. Sie schmiss die Verpackungen in die eine Ecke, ihren Inhalt in die andere. Jedes Mal, wenn sich ein Gegenstand nicht von seiner Umhüllung trennen wollte, fluchte sie frustriert.

Als sie damit fertig war, die Plastiktüten zu durchwühlen, war sie bereits ziemlich durchgeschwitzt. Der Schraubenzieher, den Ben im Zimmer liegen gelassen hatte, als er das Babybett hatte zusammenbauen wollen, stach ihr ins Auge. Sie nahm ihn und fing an, die Schrauben ins Holz zu drehen – ohne die blasseste Ahnung, ob sie dort überhaupt hingehörten. Es dauerte nicht lange, dann hatte sie ein Babybett fertig, das einem avantgardistischen Indianerzelt für Zwerge ähnelte. Mittlerweile atmete sie ziemlich heftig, traute sich jedoch nicht aufzuhören, traute sich nicht, langsamer zu machen, weil das ihrem Verstand ermöglicht hätte, von ihrer künstlerischen Konstruktion zu deutlich Destruktiverem abzuschweifen.

Als sie keine Schrauben mehr fand, die sie hätte eindrehen können, warf sie den Schraubenzieher quer durchs Zimmer und stemmte sich hoch. Sie ging in die Ecke hinüber und schaufelte sich eine Ladung Bodys, Strampelanzüge, Bettlaken und Decken auf ihre Arme und watschelte dann vom Kinderzimmer in die Küche. Gelegentlich stolperte sie, wenn ihre Füße sich in den herunterhängenden Kleidungsstücken verfingen.

Gerade als sie in der Diele angekommen war, klingelte die Türglocke. Unglaublich, doch sie hatte in ihrem hektischen Eifer komplett vergessen, dass Matthew bei ihr angerufen hatte. Jetzt fragte sie sich überrascht, wer da wohl klingeln könnte. Einen Moment lang dachte sie, dass Ben zurückkäme, und ihr Herz machte einen Sprung. Doch dann erinnerte sie sich an ihren versehentlichen Ausbruch Matthew gegenüber, und ihr wurde klar, dass er ihre Nachricht offensichtlich nicht mehr abgehört hatte.

Sie blieb zögernd in der Diele stehen und vergrub ihren Kopf im Kleiderhaufen. Sie merkte, dass ihre Schultern schon wieder erbebten und eine neue Woge der Verzweiflung über sie hereinbrach.

»Lass mich rein, Katy. Bitte! Lass mich nach dir sehen. Nur eine Minute. Ich will nur wissen, ob alles in Ordnung mit dir ist!«, rief Matthew durch die Tür.

Er klang so sanft und beruhigend, dass sie erleichtert zur Tür stürzte. Und trotz ihrer beladenen Arme gelang es ihr, sie auch zu öffnen.

Matthew spähte um den Wäschehaufen herum, der ihn begrüßte, als die Tür aufging.

»Wo bist du?«, fragte er.

»Ich bin hier«, schluchzte sie und versuchte, ihr verschwollenes rotes Gesicht in der Wäsche zu verbergen.

»Pass auf, warum legen wir nicht die ganzen Sachen hier auf dem Fußboden ab? Dann können wir uns hinsetzen, und du erzählst mir, was passiert ist.«

»Nein«, sagte Katy, wobei ihr Kopf aus der kurzzeitigen Tarnung auftauchte. »Ich muss die Sachen hier in die Waschmaschine stecken. Ich kann sie nicht auf den Boden legen. Sie müssen sofort gewaschen werden. Das Baby kann jede Minute kommen.«

Sie riss Matthew den Stapel weg und ging mit großen Schritten in Richtung Küche.

»Du hast doch keine Wehen, oder?«, fragte Matthew.

Sie drehte sich im Türrahmen um. »Mach dich nicht lächerlich. Glaubst du, dass ich dann noch hier wäre? Das alles hier muss sofort gewaschen werden, ich habe keine Zeit zu verlieren. Ich muss alles fertig haben, denn später wird niemand da sein, der mir hilft.«

Matthew holte sie in der Küche ein, als sie versuchte, mindestens zwei Wäscheladungen auf einmal in die Maschine zu stopfen.

»Warum lässt du mich nicht helfen?«, fragte er, wobei er versuchte, ihr sanft ein paar cremefarbene Strampelanzüge aus der Hand zu nehmen.

»Nein, ich krieg das schon hin. Ich muss das machen. Ben ist weg. Ich bin jetzt ganz allein. Ich muss jetzt lernen, wie ich alles ganz allein auf die Reihe kriege.«

Wie wahnsinnig versuchte sie, alles, was ihr in die Hände fiel, in die Waschmaschine zu stopfen. Sie hatte es beinahe geschafft, als der Zipfel einer Decke einfach nicht hineingehen wollte. Sie zerrte und zerrte, doch nichts bewegte sich.

»Lass los, Matthew, so bist du mir keine Hilfe!«, kreischte sie. Doch als sie aufsah, lehnte Matthew ein ganzes Stück von ihr entfernt an der Wand und wartete geduldig darauf, dass sie ihre Arbeit zu Ende brachte. Sie sah auf das Stück Decke und zerrte mit einem so kräftigen Ruck daran, dass sie beinahe das Gleichgewicht verlor.

»Katy, du versuchst gerade, einen Bademantel in die Maschine zu stecken, den du noch anhast«, sagte Matthew, kniete sich neben sie und streichelte ihr über den Rücken. »Bitte setz dich und beruhige dich einen Moment, ja?«

»Hör auf, mich aufzuhalten«, schrie sie ihm ins Gesicht. »Ich habe keine Zeit, das habe ich dir doch bereits gesagt. Nichts ist fertig, und ich muss alles allein schaffen. «

Plötzlich starrte sie Matthew entsetzt an. »Ach Gott, ach Gott, ich habe ja noch nicht einmal meine Krankenhaustasche gepackt. Das sollte ich als Allererstes tun.« Katy zog sich auf die Beine, ließ die Wäsche aus der Maschine herausquellen und hastete zurück ins Kinderzimmer.

Matthew folgte ihr und sah ihr bei dem Versuch zu, ihre Übernachtungstasche vom obersten Regal des Schranks zu angeln. Er bemerkte das Zwergenzelt, das – welch eine Überraschung! – noch immer aufrecht in der Mitte des Zimmers stand. Er überlegte, ob er Katy fragen sollte, was eigentlich los sei, besann sich dann aber eines Besseren. Er stellte sich hinter sie und fasste über ihren Kopf hinweg nach der Tasche.

»Danke«, keuchte sie. »Ich werde bald alles weiter unten ablegen müssen, damit ich niemanden brauche, der mir die Sachen herunterholt.« Sie hastete wieder davon, diesmal ins Bad.

Er dachte, er könnte im Wohnzimmer warten, bis sich dieser Wirbelwind gelegt hatte, aber da hörte er ein Krachen und kam zu dem Schluss, dass er seine Beschattung doch lieber fortsetzen sollte.

»Es ist alles in Ordnung. Es ist alles in Ordnung. Geh einfach. Lass mich allein. Es ist nur die Flasche mit dem Schaumbad in der Badewanne zerbrochen, ich spüle die Soße später weg. Lass einfach, Matthew, bitte.«

Katy warf sämtliche Parfümflakons, die sie besaß, in die Krankenhaustasche.

Matthew sah sich um und erinnerte sich mit einem stechenden Schmerz an die Gefühle, die er vor ein paar Monaten in der Nacht des Schülertreffens in diesem Raum empfunden hatte. Das Bad hatte wie Katys beschauliche kleine Oase gewirkt, in die er eindrang. Es hatte eine exotische Atmosphäre verströmt, wie auch Katy in dieser verhängnisvollen Nacht exotisch ausgesehen hatte, als er es gewagt hatte, sich wie ein ungebundener Mann zu verhalten. Wer hätte gedacht, dass er beim nächsten Mal in diesem Zimmer neben einer hysterischen Schwangeren stehen würde, die mit Parfümfläschchen um sich warf?

Katy drückte sich unsanft an ihm vorbei.

Niedergeschlagen folgte er ihr ins Schlafzimmer, nicht sicher, welchen Zug er als Nächstes machen sollte.

Sie steckte nun bis über die Ellbogen in einer Kommode und warf all ihre Sachen auf den Boden.

»Das habe ich, verdammt noch mal, auch nicht gemacht. Gott, ich bin eine absolute Niete. Diese eine Sache hätte ich erledigen sollen, aber ich habe es nicht gemacht. Ich tauge zu gar nichts und bin völlig ungeeignet, Mutter zu werden. Ich muss jetzt gehen. Bevor die Geschäfte schließen. Ehe es zu spät ist.« Sie riss den Kleiderschrank auf, zog ein Paar Stiefel heraus, setzte sich dann auf das Bett und versuchte, sie anzuziehen – obwohl sie noch ihren Schlafanzug anhatte und es nahezu unmöglich ist, Schnürsenkel zu binden, wenn man im neunten Monat schwanger ist.

Matthew kniete sich vor ihr auf den Fußboden und hob sanft ihr Gesicht an. »Wohin willst du gehen?«, fragte er so ruhig, wie er nur konnte.

»Ich muss los und ein Nachthemd für die Geburt kaufen; es muss vorne Knöpfe haben, wie Joan das im Kurs gesagt hat, weil man sich dann das Baby auf die bloße Haut legen kann, ohne etwas ausziehen zu müssen. Und man soll sich das Baby auf die bloße Haut legen, weil das hilft, sofort eine Bindung zu schaffen. Und ich muss sofort eine Bindung schaffen, verstehst du. Wenn ich das nämlich nicht tue, wer dann? Schließlich bin ja nur ich da. Nur ich.«

Die Tränenflut brach sich wieder Bahn, und Katy fiel Matthew in die Arme, als die Schluchzer ihren Körper schier schüttelten. Sie saßen auf der Kante ihres Betts, als er sie langsam wiegte, und sie vergrub ihren Kopf in seinem gebügelten, mit einem Monogramm bestickten Taschentuch.

Eine gute halbe Stunde lang fiel kein Wort, bis Katy völlig erschöpft war. Sie saß da und zerknüllte in ihrem Schoß sein durchweichtes Taschentuch und schniefte gelegentlich, während er ihr sanft über den Rücken strich.

»Willst du mir nicht erzählen, was passiert ist?«, fragte Matthew schließlich, als er meinte, dass die Tränen gänzlich versiegt waren.

Katy nahm einen Anlauf, wurde aber gleich zu Beginn ihrer Erzählung von einer weiteren Welle der Verzweiflung gepackt, die es ihr unmöglich machte, zu sprechen. Sie warf sich auf ihr Bett und hämmerte auf die Kissen.

»Ich bin so mies, so mies«, kam ein gedämpftes Heulen. »Was habe ich getan? Ich habe niemanden verdient! Ich habe ein solches Chaos angerichtet«, sagte sie schließlich und hob den Kopf.

»Dann hat er dich also verlassen?«, fragte Matthew.

»Ja, sicher. Würdest du das nicht auch tun? Er weiß alles, Matthew. Er weiß, dass du der Vater sein könntest. Warum hast du ihm erzählt, dass wir miteinander geschlafen haben?«, fragte sie wütend. »Warum, Matthew? Er musste es erfahren – das ist mir jetzt klar. Er hat mir das klargemacht, aber ich hätte es ihm sagen sollen, nicht du! Woher hast du das Recht genommen, es ihm zu erzählen? Du Mistkerl. Du absoluter Mistkerl!«

Sie begann, mit aller Kraft auf seine Brust einzuschlagen, bis er sie an den Handgelenken zu fassen bekam.

»Es tut mir leid, es tut mir wirklich leid. Ich war betrunken – und ich war wütend auf Alison, weil sie mich vor allen wie ein Kind behandelt und mich wegen des Wodkas abgekanzelt hat. Dann kam Ben in die Toilette und verspottete mich. Er hat mir erzählt, dass du mich heute keines zweiten Blickes würdigen würdest, weil ich viel zu langweilig sei, also … Also konnte ich nicht anders. Ich musste die Sache geraderücken, oder? Ich war blöd, und es war ein Fehler. Es tut mir leid, Katy, es tut mir schrecklich leid.«

Sie sackte in sich zusammen und verbarg ihren Kopf in den Händen.

»Weißt du was, eigentlich spielt es gar keine Rolle. Er hätte es sowieso irgendwie herausgefunden. Wie ich um alles in der Welt glauben konnte, dass ich ein solches Geheimnis bewahren könnte, ist mir völlig schleierhaft. Wie man sich bettet, so liegt man, heißt es so schön, und jetzt muss ich es wohl aushalten. Es ist mein Problem.«

»Nein, es ist nicht nur dein Problem, es ist ebenso meines«, erwiderte er, schlang einen Arm um sie und legte eine Hand auf die ihre. »Wir haben uns das eingebrockt, alle beide. Ich werde nicht abhauen und dich allein mit dieser Sache klarkommen lassen. Mir wird schon etwas einfallen. Ich werde für dich sorgen, Katy, irgendwie. Ich habe dich all die Jahre im Stich gelassen und werde es nicht noch einmal tun. Es muss einen Weg geben. Du musst das nicht ganz allein ausbaden.«

Die Tränen liefen Katy nun lautlos übers Gesicht, als sie zu Matthew aufsah. »Aber du hast eine Frau und Zwillinge, die unterwegs sind.«

»Lass das meine Sorge sein, Katy. Das Kind könnte von mir sein, Katy. Ich werde nicht davonlaufen. Dazu kannst du mich nicht bringen. Ich werde für dich sorgen, Katy, ich verspreche es dir.«

Er neigte sich zu ihr und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die heiße, nasse Wange, was zu seiner Beunruhigung die lautlosen Tränen nur noch vehementer fließen ließ.

»Es tut mir leid«, sagte sie – eine leise Entschuldigung, weil sie die Kontrolle über ihre Gefühle verloren hatte.

»Nein, mir tut es leid«. Er neigte sich erneut vor, und dieses Mal drückte er seine Lippen fest auf die ihren.

Sie leistete einen Moment lang Widerstand und gab dann der beruhigenden Wärme seines Mundes nach.

Seine Hände kreisten weiterhin über ihren Rücken, und sie fühlte sich benommen und wunderbar schläfrig. Plötzlich erschien wie aus dem Nichts Bens Gesicht vor ihrem geistigen Auge, und sie schreckte zurück, als hätte sie ein elektrischer Schlag getroffen.

»Halt! Halt, genug! Raus hier. Was tue ich bloß? Ach Gott, ich habe heute nicht schon genug kaputt gemacht?«

Sie schoss in die Höhe und hastete aus dem Zimmer, während sie Matthew anbrüllte, er solle sich davonmachen.

Als er in die Diele stolperte, hielt sie bereits die Tür auf.

»Geh jetzt. Und lass mich in Ruhe.«

»Katy, bitte, ich …«

»Geh!«, kreischte sie.

»Aber Katy.«

»Sofort!«, brüllte sie.