Drei

Etwa acht Monate vorher

 

Der Tag war mies gewesen. Es hatte zwei nervtötende Stunden gedauert, nur um aus London herauszukommen, gefolgt von weiteren drei anstrengenden Stunden, um Leeds zu erreichen. Matthews Handy hatte ununterbrochen geklingelt. Klienten hatten angerufen, die Blut, Schweiß und Tränen, aber auch kleine Wunder von ihm erwarteten. Als Finanzberater zu arbeiten bedeutete nicht, einen Zauberstab zu schwenken und dann auf wundersame Weise einen Weg zu entdecken, damit man keinerlei Steuern zu zahlen brauchte; am liebsten hätte er sie alle angebrüllt. Er verstand, dass alle seine Klienten jemanden hatten, der ihnen schier die Eier auspresste, um höheren Profit zu machen; aber ihn sollten sie in Ruhe lassen – und abzischen und einfach mehr Geld verdienen. Es war eigentlich ganz einfach.

Matthew stellte sein Handy schließlich auf stumm und entschied, dass ein schlechter Handyempfang auf der M1 eine plausible Ausrede war, um an diesem Morgen nicht nach jedermanns Pfeife zu tanzen. Davon abgesehen war der Luxus, an einem Wochentag Radio 5 Live zu hören und dabei seine Gedanken weg vom privaten Stress und hin zu den Möglichkeiten der Transferfenster dieser Fußballsaison schweifen zu lassen, einfach eine zu gute Gelegenheit, um sie verstreichen zu lassen.

Er dachte gerade darüber nach, welche Möglichkeiten Leeds United hatte, neue Spieler einzukaufen, als Alisons Name hartnäckig auf dem Display seines Telefons aufblinkte. Zu seiner Bestürzung stellte er fest, dass er zögerte, bevor er den Anruf entgegennahm – vor lauter Angst, dass er wieder das Falsche sagen könnte. Sie war in Tränen aufgelöst gewesen, als er an diesem Morgen das Haus verlassen hatte. Die Anspannung, eine weitere künstliche Befruchtung über sich ergehen lassen zu müssen, veranlasste sie, bei der kleinsten Bemerkung durchzudrehen. Er konnte sehen, dass jeder Funken ihrer Energie darauf konzentriert war, den Erfolg diesmal mit aller Macht zu erzwingen. Jedes Ablenkungsmanöver, das er vergeblich unternahm, um sie zu beruhigen, stieß auf völlige Verachtung und brachte ihm bloß einen vernichtenden Blick ein. Sie konnte nicht verstehen, wie um alle Welt er über etwas anderes als ihre angestrebte Schwangerschaft sprechen konnte, ganz zu schweigen, wie er ihr etwas so Triviales vorschlagen konnte, wie ihn nach Leeds zu begleiten, um sich mit ihm am Samstag das Fußballspiel anzusehen.

Er erinnerte sich flüchtig an die Zeit, als sein Herz noch einen Sprung gemacht hatte, wenn er Alisons Name auf dem Handydisplay aufleuchten sah. Aber jene Alison war eine andere Alison. Jene Alison hatte ihn fasziniert. Jene Alison, so kühl und ruhig und elegant, interessierte ihn noch immer. Jene Alison, deretwegen er sich wie der König auf Erden gefühlt hatte, sobald sie nur ihre perfekt manikürte Hand auf seinen Arm legte. Jene Alison, deren Zielstrebigkeit, etwas im Leben zu erreichen, langsam seinen chaotischen Ansatz verändert hatte, wie man mit dem Geschäft des Lebens umging. Jene Alison, die ihn immer sanft ermutigt hatte, eine Karriere anzustreben und nicht von einem Job zum nächsten zu tändeln, in eine Immobilie zu investieren, anstatt mit seinen Kumpels ein Dach über dem Kopf zu mieten, zum Abendessen auszugehen anstatt ins Pub, Wein aus dem obersten Regal zu kaufen anstatt aus dem untersten, hochwertige Zeitungen zu lesen anstatt Revolverblätter – all die Dinge, die richtige Erwachsene eben so tun.

Doch nun zu dieser Alison. Diese Alison hatte sich ihre gelassene, coole Erhabenheit gnadenlos selbst entzogen und sich stattdessen mit Angst, Zweifel und einem absolut lähmenden Gefühl des Scheiterns vollgepumpt. Jene Alison hatte kein Scheitern toleriert. Diese Alison hatte die Erkenntnis, dass sie auf natürlichem Weg kein Kind empfangen konnte, wie ein Schwamm in sich aufgesogen und war schier durchdrungen von negativen Gefühlen, die sie nun mit ihrem Wissen in Verbindung brachte, dass ihr Körper unvollkommen war. Sie war jetzt nervös, gereizt und besessen.

Die Entscheidung, es mit künstlicher Befruchtung zu versuchen, hatte kurzzeitig die alte Alison zu neuem Leben erweckt, weil sie ansatzweise gespürt hatte, wieder alles unter Kontrolle zu haben. Sie war die ganze Sache wie einen Ganztagsjob angegangen. Die Erleichterung, tatsächlich irgendetwas tun zu können, stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie hatte Bestätigung aus der Tatsache gezogen, dass niemand dieses Thema gründlicher recherchiert haben konnte als sie, niemand seinen Körper besser darauf vorbereitet haben konnte als sie, niemand sorgfältiger bei der Durchführung der Behandlung sein konnte als sie. Dennoch war langsam, aber sicher die Erleichterung aus ihrem Gesicht gewichen. Sie wurde anfangs vertrieben durch einen Anflug von Ungläubigkeit, dem eine schwarze Wolke aus schlichter, einfacher Angst folgte, als sich ihr Körper wieder und wieder geweigert hatte zu tun, was sie sich so verzweifelt von ihm wünschte.

Daher wappnete Matthew sich nun, bevor er die Taste mit dem grünen Hörer drückte, für das Minenfeld eines weiteren Gesprächs.

»Hey«, sagte er und versuchte, so lebhaft und fröhlich wie möglich zu klingen in der Hoffnung, auf diese Weise zumindest dem Anfang des Gesprächs etwas positiven Auftrieb zu verleihen.

»Hi. Ich wollte dir nur sagen, dass ich heute nicht zur Arbeit gegangen bin«, sagte Alison.

»Verstehe«, antwortete Matthew. »Geht es dir gut?«, erkundigte er sich zögernd.

»Was glaubst du denn? Ich bin ein Nervenbündel, Matthew. Ich sitze wieder einmal hier, besessen von der Frage, ob ich bald darüber nachdenken kann, wie wir das Kinderzimmer einrichten werden, oder ob ich wieder am Boden zerstört sein werde, weil wir erneut gescheitert sind. Vielleicht könntest du ja doch heute Abend nach Hause kommen?«

»Alison, es tut mir wirklich leid. Das würde ich ja gern, das weißt du, aber ich bin der Einzige aus unserer Unternehmensberatung, der morgen da ist, und irgendjemand muss ja im Büro sein und sich um die Kunden kümmern. Ian fällt aus, weil seine Tochter jetzt die Hauptrolle im Schulmusical bekommen hat. Sie war die Zweitbesetzung, aber das andere Mädchen ist nun in einen riesigen Skandal verwickelt, weil sie mit einem Lehrer geschlafen hat oder so was in dem Dreh, und jetzt darf sie nicht auftreten. Der arme alte Ian muss nun zwei Stunden neben seiner Exfrau leiden und Kindern zuhören, die den Ton nicht treffen, wenn sie »Der Zauberer von Oz« trällern, anstatt beim Leeds-Spiel die gesammelten Freuden einer Firmenveranstaltung zu genießen. Er ist ziemlich sauer, das kann ich dir sagen.«

Totenstille am anderen Ende der Leitung.

»Alison, bist du noch dran?«

Eine lange Pause, dann hörte er ein Schluchzen, und er wusste, dass sie weinte.

»Wenigstens hat er eine Tochter, die er bei einem Schulmusical sehen kann. Ich würde das für eine Million doofer, dämlicher Firmenveranstaltungen eintauschen. Weiß er eigentlich, wie viel Glück er hat?«, stieß sie hervor.

»Ach Alison, das weiß er bestimmt. Es ist einfach nur Murphys Gesetz, dass immer alles am selben Tag zusammenkommt. «

»Murphys Gesetz, dass er eine Tochter hat und keine Lust, das Mädchen in einem Schulmusical zu sehen, während wir nichts haben.«

»He, beruhige dich, diesmal wird es schon klappen.«

»Aber was, wenn es nicht klappt? Ich darf nicht mal daran denken, wie ich damit fertig werden soll. Ich glaube einfach nicht, dass ich mich wieder zusammenreißen und zur Tagesordnung übergehen kann.«

»Alison, es tut dir nicht gut, so darüber zu denken. Wir werden damit fertig werden, weil wir nämlich gar keine andere Möglichkeit haben, als damit fertig zu werden. Pass auf: Warum ruft du nicht Karen an und fragst sie, ob sie sich mit dir zum Mittagessen treffen will, dann bist du für einige Zeit abgelenkt?«

Er hoffte, sie würde daraufhin auflegen. Er fühlte sich schuldig, aber er wusste schon gar nicht mehr, wie oft sie bereits eine ähnliche Unterhaltung geführt hatten, und es zermürbte ihn. Ja, er wollte ein Kind, aber was dieser Wunsch ihnen beiden antat, war ihm verhasst. Vor dieser ganzen Sache war es Alison gewesen, die ihr Leben in der Spur gehalten hatte, weil sie irgendwie immer gewusst hatte, was zu tun das Richtige war. Aber jene Alison gehörte längst der Vergangenheit an, und nun war er es, der verzweifelt versuchte, das Leben für sie beide zusammenzuhalten. Und er fürchtete, er könnte kläglich scheitern.

»O Gott, Matthew, du willst einfach nie darüber reden, oder? Warum kannst du nicht wie ein ganz normaler Erwachsener einfach mit mir darüber sprechen?«, schluchzte sie.

Er schloss kurz die Augen. Es brachte ihn schier um, wenn sie solche Sachen sagte, denn so kamen all seine Unsicherheiten zutage. Dass er in Wirklichkeit nicht gut genug für sie war. Dass er sie mit seinem verzweifelten Versuch nicht beeindruckte, der Typ zu sein, von dem er glaubte, dass sie ihn haben wollte – mit seiner Karriere als Finanzberater, seinem Firmenwagen und seinem Spesenkonto. Dass er unter der Oberfläche noch immer der Windhund war, der er gewesen war, als sie sich kennengelernt hatten.

»Ich versuche es ja, Alison, glaube mir, ich versuche es wirklich. Aber du musst diese Sache in der richtigen Perspektive sehen. Es ist ja nicht so, als ob jemand gestorben wäre, oder?«

Sobald er es gesagt hatte, war ihm klar, dass das wohl das Idiotischste war, was er je von sich gegeben hatte.

»Na, das sagt ja nun alles, oder? Du hast doch keinen blassen Schimmer!«

Gespräch beendet blinkte auf seinem Display.

Er empfand nur eines: Erleichterung. Er wusste, dass er sie zurückrufen sollte, aber er wusste auch, dass er es wieder völlig falsch anfangen würde. Wo war das Handbuch, wie man mit einer Ehefrau umgehen sollte, die sich von dem Augenblick an, als sie sich damit abzuquälen begann, ein Kind zu bekommen, bis zur Unkenntlichkeit veränderte?

Das Radio blendete sich wieder ein, und er hörte den Typen zu, die beim Sender anriefen und ihre Meinung äußerten, welcher Spieler in welcher Mannschaft spielen sollte. Er wünschte, er wäre so sorglos wie sie und hätte die Zeit, dem überregionalen Radiosender zu verklickern, dass sie die einzigen Menschen im Lande wären, die wirklich über die Sorgen und Nöte des britischen Fußballs Bescheid wüssten, und dass sie, wenn diese Leute nicht einen Brotberuf hätten, die besten Manager wären, die das Land je gesehen hätte.

 

Er kam zu spät, als er schließlich zu seiner Besprechung im Büro in Leeds eintraf. Seine Kollegen, die zu diesem Standort gehörten, konnten nicht widerstehen, die üblichen Sticheleien vom Stapel zu lassen, mit denen sie alle aufzogen, die im Londoner Büro arbeiteten.

»Hast du dich verfahren? Hast du vergessen, dass England auch außerhalb der M25 existiert?«, fragte Ian.

»Sehr witzig«, antwortete Matthew.

»Die Tatsache, dass ich in Yorkshire geboren und aufgewachsen bin und dass du ein Weichei aus dem Süden bist, das sich als harter Junge aus dem Norden verkleidet, scheint deinem Gedächtnis entfallen zu sein.«

»Weichei aus dem Süden!«, rief Ian aus und schnappte sich die abgelegte Krawatte vom Kleiderständer. »Dabei bin ich es, der den Kunden eifrig erzählt, dass du der aufsteigende Stern bist, der den ganzen weiten Weg aus der Großstadt London kommt, um sie mit seiner Power-Point-Präsentation zu beeindrucken.«

»Hoffentlich hast du ihnen keine falschen Hoffnungen gemacht«, sagte Matthew und wurde langsam nervös.

»Überhaupt nicht. Ich habe ihnen nur erzählt, dass deine Balkendiagramme bei Finanzdirektoren dieselbe Ehrfurcht auslösen wie Kunstliebhaber sie empfinden, die zum ersten Mal einen echten van Gogh sehen – und dass sie bei deinen Witzen über die Steuern auf Hedgefonds vor Lachen unter dem Tisch liegen werden.«

»Danke, das weiß ich wirklich zu schätzen«, gab Matthew grimmig zurück.

»Jederzeit gerne, mein Freund. Jederzeit. Noch Lust auf ein paar flotte Bierchen danach?«, fragte Ian. »Ich muss meinen Kummer ertränken, wenn ich daran denke, dass ich morgen nicht mit dir zu dem Spiel gehen kann.«

»Auf jeden Fall, die kann ich auch vertragen«, antwortete Matthew.

 

Ian redete wie ein Wasserfall weiter, aber Matthew hatte sich geistig ausgeklinkt. Das Bier hatte seinen Zweck erfüllt und die Welt freundlicher gestaltet. Er lächelte ein wenig, fühlte sich entspannt und fast sorglos – ein Gefühl, das ihm in letzter Zeit arg fremd geworden war. Er hatte Alison angerufen, nachdem er sein Hotelzimmer bezogen hatte. Das Gespräch war kurz und gespannt gewesen. Er hatte ihr versprochen, morgen gleich nach dem Spiel zurückzufahren, was der Sache mit dem Freibier, das er hätte trinken können, einen Dämpfer verpasst hatte.

»Hörst du mir überhaupt zu, Kumpel? Mann, du warst meilenweit weg, während ich dir gerade erzählt habe, dass Chris die Firma verlässt und du dich für den Job bewerben solltest. Komm zurück in die Gegenwart.«

»Entschuldige, ich habe dir schon zugehört. Na ja, vielleicht. Ich weiß nicht recht, ob Alison im Moment mit einem Umzug fertig werden würde. Außerdem ist es irgendwie komisch, dorthin zurückzukehren, wo ich groß geworden bin. Wie es der Zufall will, bin ich heute Abend zu einem Schülertreffen mit Ehemaligen eingeladen, aber ich wäre mir da irgendwie seltsam vorgekommen. Lauter Vollidioten, mit denen ich früher schon nicht geredet habe, die jedem erzählen, wie weit sie es gebracht haben.«

»Schülertreffen? Hast du Schülertreffen gesagt? Willst du mir etwa erzählen, dass wir ausgegangen sind und ich die ganze Zeit versuche, ein Lächeln auf dein pathetisch betretenes Gesicht zu zaubern, während ich mich auf die leichte Beute dreißigjähriger Frauen hätte stürzen können, die gerade lange genug verheiratet sind, um festzustellen, dass das nicht so lustig ist?«

Ian lehnte sich in seinem Stuhl zurück, legte die Hände hinter seinen Kopf und schloss die Augen.

»Ich sehe die Szene direkt vor mir: Hunderte von ihnen, die es kaum erwarten können. Alle hoffen auf einen Kuss ihrer Jugendliebe, der sie aus ihrer häuslichen Hölle in das Märchen entführt, das ihnen Enid Blyton einst mal versprochen hat. Natürlich sind sie dann alle enttäuscht, weil der Traumjunge sich in einen alten Knaben mit einem dicken Wanst verwandelt hat – und nun den Weg freimacht für einen armen, frisch geschiedenen, charmanten, jungen Mann wie mich, der die verzweifelten jungen Damen tröstet.«

Er öffnete die Augen und sah Matthew mit ernstem Blick an. »Hoffentlich haben sie ein paar Pfund zugelegt, denn wenn sie darüber ein wenig deprimiert sind, ist die Dankbarkeit für ein bisschen männliche Aufmerksamkeit umso größer.«

Ian sprang von seinem Stuhl auf. »Also, worauf warten wir noch?«, fragte er Matthew und zog sich schon seinen Mantel über.

»Du kannst da nicht hingehen, du warst ja noch nicht mal auf dieser Schule«, protestierte Matthew.

»Ach was, scheiß drauf. Ich behaupte einfach, dass ich im vierten Jahr dazugekommen bin. Niemand erinnert sich an die Spätzugänge. Jetzt lass uns gehen!«

»Nein, wirklich. Ich will da nicht hingehen.«

»Warum denn nicht? Das wird ein Spaß, und du kannst mit ein paar alten Freundinnen zu Spandau Ballett tanzen. Oder besteht darin das Problem? Bist du mit ein paar hässlichen Fratzen ausgegangen und hast Schiss, dass ich sie jetzt kennenlerne? Ich wette, das ist es, oder?«

»Wenn du es unbedingt wissen willst: Ich bin während der Schule nur mit einem Mädchen gegangen. Das eigentliche Problem ist, dass wir uns nicht gerade im Guten getrennt haben«, erwiderte Matthew und war selbst überrascht, dass seine Wangen heiß wurden.

»Ach, komm schon, wie lange ist das denn her? Fast zwanzig Jahre? Sie wird verheiratet sein, Schwangerschaftsstreifen bis zu den Ohren haben und Gott und die Welt mit den Fotos ihrer kleinen Lieblinge beglücken. Sie wird sich einen Dreck um ein längst vergessenes Schultechtelmechtel scheren.«

Ian ließ sich auf die Knie fallen und umklammerte Matthews Arm. »Bring mich nicht um die Chance einer Vögelei, Kumpel, ich könnte dir das nie verzeihen«, flehte er.

Ians blanker Optimismus brachte Matthew schließlich zum Lachen. Dieser Typ war nicht gerade Gottes Geschenk an die Frauenwelt, auch wenn er ganz offensichtlich mit einem lockeren Mundwerk gesegnet war. Schwamm drüber, dachte er. Wer wusste schon, wann sich ihm wieder einmal die Gelegenheit bot, einen draufzumachen? Und Ian hatte recht. Selbst wenn Katy da wäre – das alles war vor so langer Zeit passiert, dass sie ihn entweder längst vergessen oder ihm das unschöne Ende zumindest verziehen hatte. Nicht, dass er es sich selbst je verziehen hätte. Sein Magen krampfte sich noch immer zusammen, wenn er an sie dachte. Was erstaunlich oft war, denn es gab immer wieder Momente, die ihn aus irgendeinem Grund an Katy erinnerten. Etwas Witziges wie ein kurzer Blick auf Mickymaus im Fernsehen. Katy hatte einen schon irrationalen Hass auf Mickymaus gehabt. »Ein arroganter Dämel, der erst einmal lernen sollte, anständig zu sprechen«, hatte sie oft jedem mitgeteilt, der mehr oder auch weniger an ihrer Meinung über den kleinen Superstar interessiert war.

»Also gut, meinetwegen, gehen wir. Aber wenn es blöd ist, hauen wir sofort ab. Und blamier mich nicht«, willigte Matthew schließlich ein und stand auf.

»Fantastisch! Move closer, move your body real close until iiiiiiiiiiiiit feels like we’re really making love … Woh… woh… woh.«

Ian sang den Schmuseklassiker der Achtzigerjahre, während er so tat, als würde er eng umschlungen eine arme anlehnungsbedürftige Frau begrapschen.

»Wahrscheinlich wird mir das ja noch leid tun«, murmelte Matthew leise.