Der Kampf des Sternwolfs
Kelric war abgemagert, das Gesicht gezeichnet von seinem schweren Kampf; aber seine Stimme war kräftig wie immer, als er Gorwynas Namen rief, und auch die Augen glänzten in unternehmungslustigem Blau. Er wirkte um einige Jahre jünger, da er nun wieder ganz gesund war. Gorwyna sah die stillvergnügte Heiterkeit und Bewunderung in seinen Augen, als er sie betrachtete. Durch die langen weißen Haare, die nunmehr wissenden blauen Augen und die Goldbronzehaut wirkte sie reifer, vor allem aber noch lieblicher und graziler.
»Meine Libelle«, sagte er, als er sie umarmte, zitternd vor Freude. »Ich konnte es kaum mehr erwarten, dich wiederzusehen, nachdem Fandor mir so viel erzählte.«
Sie lachte unter Tränen. »Ich habe mich so sehr nach dir gesehnt, dass es schmerzte, mein Magier. So viele Aufgaben ich auch zu bewältigen hatte, dafür war immer noch Zeit. Und nun sieh mich an, ich bin eine von euch, die erste Frau Laïres! Es ist unglaublich, und ich bin so durcheinander, dass ich nicht weiß, was ich empfinde ... so viel auf einmal.«
An diesem Tag schien Laïre noch heller und reiner zu strahlen als sonst. Die ganze Schule versammelte sich vor der Mittagsstunde in der großen Halle zu einem Festmahl zu Ehren von Lord Kelric und Lady Gorwyna, und auch im nochmaligen stillen Gedenken an Lord Melwin, dessen Verlust nach wie vor tief schmerzte.
Gorwyna konnte immer noch nicht fassen, wie freundlich sie aufgenommen wurde. Die Zauberer schienen überglücklich zu sein, dass die strengen Regeln der Bruderschaft aufgebrochen waren; es war fast, als würde die Last der Einsamkeit von ihnen genommen.
»Du bist die lebendige Hoffnung, dass sich eines Tages alles ändern wird und Oloïns Fluch seine Kraft verliert«, erklärte Kelric ihr lächelnd. »Du bist wie ein Wunder für sie, dein Liebreiz verzaubert sie, und sie liegen dir zu Füßen. Und, weißt du, mir verzeihen sie ohnehin alles, das war schon immer so. Ich habe ihr beschauliches Leben in den vergangenen Jahrzehnten ziemlich spannend gestaltet.«
»Aber nie hätte ich gedacht, dass es hier so ... so ...«, fing sie an und suchte nach Worten. »... liebevoll ist«, fasste sie schließlich zusammen. »Ich hatte eigentlich düstere Gewölbe, verschlossene, verbitterte Asketen und strenge Lehrmeister erwartet. Ich dachte, du und Melwin, den ich als Kind kennenlernte, ihr seid eine Ausnahme. Aber ihr seid alle gleichermaßen herzlich und voller Wärme. Wenn dies auf Oloïns Fluch zurückzuführen ist, so ist euer Opfer nicht umsonst gewesen, sondern durch etwas Wunderbares ersetzt worden.«
»Dessen sind wir uns bewusst«, mischte sich Fandor ein, der ihre Worte gehört hatte, und stieß mit seinem Becher an ihren. In die große Runde sprach er: »Lasst uns auf diesen Tag trinken, als den ersten einer langen Reihe freier Fröhlichkeit, die folgen mögen. Lord Kelric hat bewiesen, dass die Menschen stärker sind als Gottesmächte, und unsere Lady Gorwyna wird uns eine wertvolle Hilfe sein in unserem Kampf. Heute will ich weder Ernst noch Trauer sehen auf den Gesichtern, sondern Heiterkeit und Zuversicht!«
Darauf stießen alle an. Während die Unterhaltungen fortgesetzt wurden, wandte Fandor sich an Kelric und Gorwyna. »Und für euch ist wohl der Tag des Aufbruchs gekommen«, sagte er leise.
Kelric nickte. »Schon morgen. Es duldet keinen Aufschub mehr, Fandor. Wir müssen jede Stunde nutzen, die uns bleibt.«
»Ja. Erfülle deinen ersten Schwur, mein Freund, und kehre gesund zurück. Und von Euch, Lady, erwarte ich, dass Ihr auf Kelric achtet und ihn keine Dummheiten machen lasst.«
Sie lachte. »Ich versuche es, Lordmeister, aber was Euch bisher nicht gelungen ist, wird eine kaum zu bewältigende Aufgabe für mich sein!«
Fandor grinste. »Ihr gehört zu ihm, und das ist alles, was es braucht.«
Den restlichen Tag verbrachten Kelric und Gorwyna in vergnügter Zweisamkeit. Er zeigte ihr die Schule und wusste zu jedem Wandelgang und jedem Raum eine Geschichte, meistens aus seiner eigenen Zeit.
»Dies muss bewahrt werden«, sagte sie am Ende des Rundgangs entschlossen. »Laïre muss aus Aranwirs Schatten treten! Und dann werden wir vereint gegen Oloïn ziehen.«
»Ich wünschte, du würdest hier bleiben«, sagte er.
»Natürlich, damit ich in wohlbehüteter Sicherheit bin. Und dasselbe sage ich jetzt zu dir, mit derselben Berechtigung. Was antwortest du?«
Er lächelte und schwieg.
Doch am Abend tat er etwas, das sie nie erwartet hätte. »Komm«, sagte er und führte sie zu einem Zimmer, das bescheiden, aber gemütlich wie alle Schlafkammern Laïres eingerichtet war. Als er innen die Tür schloss, sah sie ihn staunend an.
»Niemals war mir meine Vergänglichkeit deutlicher bewusst als in den vergangenen Wochen, während ich um mein Leben kämpfte«, sagte er. »Das Leben ist so kostbar, Gorwyna, und wir verbringen viel zu viel Zeit damit, es durch Regelwerke, Gesetze und Traditionen in kleine, vergitterte Schachteln zu pressen.« Er trat auf sie zu und fing an, die Verschlüsse ihres Kleides zu öffnen.
»Bist du sicher?«, flüsterte sie. Ihre Augen waren groß und dunkel, beinahe so wie früher. Sie hob die Hände und löste langsam, scheu, die Brustverschnürung seines Hemdes. Ihre Finger zitterten leicht.
»Ich bin sicher«, antwortete Kelric. »Ich muss mich erst daran gewöhnen, aber ich will es. Dies ist vielleicht unsere letzte gemeinsame Nacht in Ruhe und Abgeschiedenheit, in der Geborgenheit meines Zuhauses, meine Libelle. Schon einmal lagen wir beieinander, doch du warst krank, und ich hielt dich, um dir zu helfen. Aber ich spüre seither immer noch deine Wärme bei mir, deinen weichen zarten Körper, deine Rundungen. Ich habe nicht vergessen, wie sich eine Frau anfühlt, es ist in mein Gedächtnis gebrannt, und so verlangt mein Verstand nach dir. Es soll heute Nacht keine Grenze zwischen uns geben, ich will dich spüren und in meinen Armen halten, und ich will deine Gedanken in mir aufnehmen. Ich will, dass du mir zeigst, wie du berührt werden willst. Und ich werde dir zeigen, was du mit deiner nunmehr entwickelten Gedankengabe alles tun kannst.«
»Dann werden wir endlich Eins sein?«, wisperte sie.
»Ganz und gar«, murmelte er und küsste sie.
An Kelrics Seite zog Gorwyna am nächsten Tag aus Laïre fort, dem Alten Zauberer entgegen. Sie spürte sehr wohl den Hass in Kelric, der ihm die Kraft zum Überleben gegeben hatte, aber sie sprach nicht darüber; alle Furcht vor der Zukunft, alle Fragen und quälende Unsicherheit waren vergessen, seit sie auch körperlich zu seiner Frau geworden war. Sie war zufrieden, ständig bei ihm sein zu dürfen und die Gedanken mit ihm zu teilen.
Während sie in gutem Schritt durch das frühlingshaft erwachende Land wanderten, von strahlendem Wetter begleitet, brach Gorwynas natürliche Fröhlichkeit und Jugend wieder hervor.
»Kelric, ist das schön!«, jubelte sie, als sie helle Mischwälder durchquerten, die sich im ersten zarten Grün färbten. Selbst die Stämme der Nadelbäume standen so weit auseinander, dass der von neuem Gras und Moos bedeckte Boden gesprenkelt war von Sonnenlicht, das wärmend kleine Veilchen und Moosröschen streichelte. Die Wälder zogen sich, abgewechselt von Obsthainen, über Hügel hin, mit Kolonien von mächtigen Linden, zarten Birken, vereinzelten Buchen und Weiden mit Büschen an den Rändern, mit finsteren Eichengruppen und stillen Fichten und Kiefern; in den Senken versteckten sich liebliche Lichtungen, manche von bereits hohem Gras und Buschwerk durchwuchert; andere besaßen kleine, von laut quakenden Fröschen bewohnte Tümpel. Da sie leise und gleichmäßig gingen, erhaschten sie oft einen Blick auf scheue Waldbewohner, die die freie Sonne und die leckeren Kräuter auf den Lichtungen genossen. Die würzige Luft machte Gorwyna immer lebendiger, und sie begann spielerisch zu tanzen, sich in leichten Sprüngen zu drehen und zu wenden, während sie sich selbst mit Gesang begleitete; ihr Gesicht leuchtete und strahlte vor Freude, und sie sah mehr denn je wie eine Fee aus.
Kelric fühlte Zärtlichkeit in sich, während er ihr zusah und die Helligkeit ihrer übersprudelnden Gedanken fühlte. Für diese Augenblicke war die Wirklichkeit vergessen, und sie fühlten sich als die einzigen Menschen der Welt.
»Kleiner Wirbelwind«, murmelte er lächelnd und fing sie auf, als sie an ihm vorbeiflog. »Langsam, Kind!«
Sie lachte ihn atemlos an. »Aber es ist so wunderbar!«, rief sie. »Ich muss mich freuen!« Sie schlang die Arme um seinen Hals und küsste ihn. »Ich bin so glücklich, Kelric! Kommen wir bald wieder hierher?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete er. »Alles zu seiner Zeit.« Sein Blick schweifte versonnen in die Ferne. »Als Kind war ich genauso glücklich wie du, als ich hier zum ersten Mal war. Es war schön, aber ich konnte nicht verweilen. Solche Augenblicke, mein Herz, gibt es nie zweimal im Leben. Ähnliche Momente ja, aber nie dieselben. Denn stets wird man älter, und die Gedanken und Gefühle wandeln wie die Natur ihr Antlitz.«
Er legte einen Arm um ihre Schultern und ging langsam mit ihr weiter. Die Wirklichkeit nahm sie gefangen.
Schließlich verließen sie die Wälder und durchquerten grüne Täler, auf deren Hügelkuppen mächtige einzelne Wächterbäume standen. Nach dem langen finsteren Weg durch das Nebelgebirge betraten sie im voll erwachten Frühling das Grau Land; eine große steppenartige, wilde und fremde Landschaft, an der Gorwyna fasziniert Gefallen fand. Es gab immer neue Gegenden zu entdecken.
Noch während sie Kelric staunend folgte, merkte sie, wie er plötzlich zusammenzuckte und stehen blieb und einen seltsam gehetzten Blick um sich warf.
»Was hast du?«, fragte sie erschrocken.
»Warte hier!«, bat er und lief schnell den Weg ein ganzes Stück zurück in die Berge, bis sie ihn aus den Augen verlor. Von unerklärlicher Furcht ergriffen, wagte sie weder zu rufen noch ihm zu folgen; unruhig und voller Sorge setzte sie sich auf den braunen Erdboden und ließ ihren Geist in dem Land herumschweifen, ohne einen Hinweis für Kelrics seltsames Benehmen zu erhalten.
Nach einigen Stunden kehrte er zurück, sein Gesicht zeigte Betroffenheit, und er setzte sich neben sie und ergriff ihre Hand.
»Vor dir siehst du den größten Narr dieser Welt«, sagte er ernst. »Dank meiner eitlen Überheblichkeit habe ich uns beide Oloïn in die Hände gespielt.« Er verstummte und richtete seinen Blick in die Ferne. »Es war alles sein Plan, und ganz gleich, wie ich auch handeln würde, musste er in Erfüllung gehen. Oloïn jagte mich damals durch ganz Loïree, damit ich nach Gorga ginge und dich mit mir nähme. Er schickte das Phantomheer gegen mich, um unsere Krieger zu vernichten, und er ließ Laïmor besetzen, um dich mir ganz in die Hände zu spielen. Er sah voraus, dass ich mich wegen unserer gemeinsamen Gabe zu dir hingezogen fühlen würde. Nachdem Laïmor besetzt war, wusste er, dass ich dich nach Laïre mitnehmen musste, um dich keiner Gefahr auszusetzen. Du wurdest ausgebildet, deine Macht geschult, soweit es in der kurzen Zeit eben möglich war. Dass ich den Kampf mit dem Ghûlen überlebte, versetzte ihn zwar in ohnmächtige Wut, aber andererseits diente ich ihm auch als Lebender, indem ich dich nun wieder aus Laïre fortbringe. Die ganze Zeit über stand es offen vor meinen Augen, doch ich beachtete die bedrohlichen Zeichen nicht, weil mein Herz blind vor Hass geworden war. Melwins Tod kam Oloïn so gelegen wie nie, denn damit geriet ich vollends außer Fassung. Im Grunde wussten wir alle, dass Melwin eines Tages durch Aranwir sterben musste, denn seine Macht war zu groß, und er stammte aus Lindala. Aber ich wollte es nicht wahrhaben; wir alle schoben diesen Gedanken weit von uns, und daher war sein Tod ein solcher Schock für mich. Ich dachte nur noch an meine Rache und ließ dich mit mir ziehen. Erst hier öffnete ich meinen Geist wieder, und Elwin sprach zu mir, zum ersten Mal nach langer Zeit. Oloïn hat bald alles, was er will. Einer von uns, Aranwir oder ich, wird in diesem Kampf sicher sterben, und so muss er nur noch gegen einen kämpfen.«
»Aber ... aber was will er?«, fragte sie entgeistert.
»Dich«, antwortete er. »Als er sah, dass du die Gabe besitzt, benutzte er mich nur noch, um dich zu bekommen.«
Sie starrte ihn an, als wäre er verrückt geworden. »Warum?«, flüsterte sie.
Er sah ihr in die Augen. »Du bist eine Frau«, sagte er. »Du bist jung und schön, und deine Gabe ist einzigartig. Du bist die menschgewordene Erdkönigin, und er will dich und deine Macht. Er will die Menschlichkeit in dir töten und dich zu seiner Dienerin machen. Er will deinen Geist und deinen Körper.«
Sie presste die Hände gegen ihre Brust. »Nein!«, stieß sie gepresst hervor. »Nein!«
Er zog sie an sich. »Als er mich nicht bekam, suchte er nach neuen Möglichkeiten, und er fand dich. Und ich Narr dachte nie daran und führte dich zu ihm.«
»Aber warum hat er mich nicht längst geholt?«, fragte sie.
»Er wollte abwarten, bis du deine Macht entfalten konntest und gleichzeitig ... mich, Melwin, eben alle ausschalten, die ihm im Wege standen. Elwin durchschaute Oloïns Pläne zu spät, und als er mich warnen wollte, konnte ich ihn nicht hören. Und nun können wir nicht mehr nach Laïre zurück, Gorwyna«, verkündete er. »Oloïn hat den Weg versperrt. Heute Nacht fällt die Entscheidung, denn er und Elwin haben im Augenblick Gleichstand, und er kann frei herumstreifen.«
Sie wischte mit zitternder Hand über ihre Augen. »Dann ist diesmal wirklich das Ende für uns gekommen?«, flüsterte sie.
»Ja, mein Herz. Es war ein dämonisches Spiel, das wir in jedem Fall verlieren mussten, sobald wir Laïre verließen. Es ist nur ein Trost für mich, dass Laïre noch lange Zeit gegen den Gelben bestehen kann dank unseres Dunklen Freundes.« Er zögerte, ehe er weitersprach: »Nur in Gestalt des Sternwolfs kann ich dich beschützen. Aber je länger ich dieses Ungeheuer sein werde, desto mehr wird Kelric sterben.«
»Und ich mit ihm«, sagte sie leise. »Ich habe einen Dolch bei mir und werde sterben, bevor Oloïn mich bekommt.« Sie schloss die Augen, und er drückte sie stumm an sich. Es gab keine Worte mehr.
Kurze Zeit darauf fegte eine gewaltige Wolfskreatur mit einer Frau auf dem Rücken in weiten Sätzen über das Land davon. Der Sternwolf lief schnell, aber nicht so rasend wie das letzte Mal, um seine Kräfte für den Kampf zu schonen. Als die Nacht hereinbrach, machten sie Rast.
Gorwyna entfachte ein Feuer und verzehrte ein einfaches Mahl, während der Wolf ruhend dicht bei ihr lag. Das Mädchen starrte grübelnd in die Flammen, ohne recht zu bemerken, wie die Stunden verrannen, als der Sternwolf plötzlich den Kopf hob, die spitzen Ohren steil aufrichtete und die gelben Zähne in einem grollenden Knurren fletschte. Mit einem Satz war er auf den Beinen, die Diamantaugen versprühten weiße Blitze, das sternglitzernde Fell war gesträubt, die lange Rute steil aufgestellt. Aufrecht und wie ein Standbild so groß erhob sich der mächtige funkelnde Sternwolf neben dem Feuer, stand beschützend vor dem Mädchen, das sich zitternd zusammenkauerte; ein heißer Feueratem entströmte seinem weit aufgerissenen Rachen, die spitze Nase runzelte sich in dem Fletschen der Zähne und machte das Tiergesicht zu einer drohenden Maske wilden Hasses.
Ein schauerliches langgezogenes Heulen antwortete dem geifernden Knurren des Tieres, und zwei schräge sonnenflammende Augen stachen schmerzhaft durch die Finsternis, als in dem Lichtkreis des Feuers ein riesiger schwarzer Wolf mit geöffnetem weißen Fang erschien, dem ein eiskristallener Hauch entströmte.
Langsam, in lauernder geduckter Haltung, begannen sich die beiden gewaltigen Tiere zu umkreisen, geifernd und knurrend, flammenspeienden und eisnebligen Atem ausstoßend; die scharfen Krallen der großen Pfoten wühlten den Erdboden auf, als sie vor und zurücktraten und sich voller Hass und Ingrimm umlauerten: beide ein Zeugnis geballter Kraft und voll verhaltener Macht, mit stählernen Muskeln, die durch das gesträubte Fell hervortraten, mit blitzenden und strahlenden Augen; feiner Dampf trat aus den Nasenlöchern.
Gorwyna saß reglos und stumm. Kelric hatte ihr genauestens eingeschärft, wie sie sich verhalten musste. Ihre Augen waren weit aufgerissen, und ihr Mund öffnete sich zu einem lautlosen Schrei, als die Wölfe gleichzeitig aufheulten, sich auf die Hinterbeine erhoben und sich wild ansprangen. Es entstand ein funkensprühendes undurchschaubares Durcheinander, als sie sich knurrend und schnappend ineinander verbissen und sich umherwälzten, zu einem wütenden Knäuel verstrickt. Fellfetzen flogen, Blut spritzte, sie heulten und knurrten, die Ruten peitschten die Erde, die Pfoten schlugen wild um sich, die Rachen blitzten rot und tödlich, gelbe und weiße Reißzähne packten zu und rissen tiefe Wunden. Plötzlich ließ der eine vom anderen ab und jagte in weiten Sätzen in die Dunkelheit davon, nur um mit um so größerer Wucht zurückzustürmen und den Feind erneut anzugreifen Dann rasten sie Seite an Seite davon, versuchten, einander zu schnappen und sich zu Fall zu bringen. Aber immer wieder kehrten sie zum Feuer zurück, verbissen und verschlangen sich erneut ineinander und versuchten, sich gegenseitig zu Boden zu drücken und festzuhalten, um den tödlichen Biss anzubringen.
Schließlich standen sie sich hechelnd gegenüber, blutüberströmt, zerrissen und erschöpft, und fixierten sich schweigend, lange und gnadenlos. Und dann wandte der Sternwolf den Kopf, der Schwanz sank herab, und er kroch winselnd und jaulend auf dem Bauch zu Gorwyna; legte das blutende Haupt in ihren Schoß und schloss die strahlenden Augen vor Schmerz. Sein Körper kauerte sich zitternd zusammen. Gorwyna streichelte verzweifelt das von Blut und Schweiß klebende, erloschene Fell und redete beruhigend auf das Tier ein.
Der schwarze Wolf näherte sich ihr langsam, er öffnete seinen Rachen, und das schreckliche triumphierende Lachen des Gelben Gottes dröhnte durch die Nacht.
Immer näher kam das Ungeheuer. Gorwyna spürte bald den tödlichen Eisatem und die Gluthitze der Augen; ihre Hand suchte und tastete unter dem Kleid nach dem verborgenen Dolch, als der sonnengelbe Blick sie bannte. Ihr Mund öffnete sich, während ihr Geist in namenloser Angst schrie und versuchte, sich vor dem göttlichen Zugriff zu verstecken. Da drängte sich eine vertraute Macht in ihren Verstand und verband sich mit ihm. Sie spürte ein heftiges Ziehen und Zerren in ihrem Kopf, als Kelric ihre Macht an sich riss und zusammenballte, und dann begann sie zu sprechen, mit einer fremden, vor Hass zischenden Stimme:
»Gott der Gelben Sonne!«, keuchte der Geist, in dem sich der Mann und die Frau miteinander verbunden hatten. »Ich habe eine Stimme und einen Gedanken, der dir deinen Sieg rauben wird. Ich kenne deine weiße Stelle, die einzige Lüge an deiner ganzen Gestalt, deine Schwäche, die dich der Vollkommenheit beraubt. Kein Wolf, o Oloïn, hat weiße Zähne, und du verrietest dich, als wir das letzte Mal miteinander sprachen! Deine weltliche Gestalt mag ein Wolf sein, aber sie ist nicht wahr, und ich verfluche dein weißes Gebiss, auf dass es sich schließen möge und nie wieder ein weltliches Leben verletze! Keine Macht kannst du über etwas haben, das nicht naturgemäß ist, und du bist kein weltliches Leben, auch nicht in Gestalt des Wolfes! Hiermit banne ich dich durch Erdzauber, durch weltliche Magie, die in mir ist, durch die Macht von Laïre und der Erdkönigin!«
Der schwarze Wolf verharrte überrascht. Das letzte Wort war noch nicht gesprochen, als der Sternwolf heulend und tollwütig knurrend aufschoss und dem Feind an die Kehle fuhr. Er prallte mit solcher Wucht auf das schwarze Untier, dass er den Leib unter sich begrub, und er stemmte seine Vorderpfoten mit aller Kraft auf die mächtige Brust und umschloss die Kehle mit seinem scharfen Gebiss. Bevor er jedoch zubeißen konnte, schleuderte der schwarze Wolf ihn mühelos von sich; er versuchte jedoch vergeblich die weißen Zähne zu fletschen, warf sich daraufhin herum und stürmte in die Dunkelheit davon.
Der Sternwolf brach beim Feuer zusammen. Gorwyna, die erschöpft und zitternd zu ihm kroch, suchte Kelrics Gedanken, aber sie fand sie nicht mehr. Aufschluchzend warf sie sich neben das Tier.
»Kelric!«, schrie sie. »Was soll ich jetzt tun? Was soll ich tun?«
Achtet auf ihn, hatte der Lordmeister befohlen. Sie durfte sich jetzt nicht so gehen lassen, sondern musste sich zusammennehmen. Sie holte die Vorräte zu sich, und während der Wolf sich erschöpft im Schlaf zusammenrollte, versorgte sie seine Wunden, bevor sie sich neben ihm niederlegte. Sie fühlte sich ausgezehrt, dem Verschwinden nah. So war es also, wenn man Magie anwandte.
Gorwyna erwachte am Morgen, als eine weiche Schnauze ihr Gesicht anstupste. Sie schlug die Augen auf und erblickte den Sternwolf, stärker und prachtvoller denn je; alle Wunden der Nacht waren verheilt, und seine Diamantaugen blitzten sie unternehmungslustig an. Hastig packte sie zusammen und sprang auf seinen Rücken, und während der Wolf in rasender Geschwindigkeit davonjagte, begann sie ihre Gedanken zu sammeln, um Kelric wiederzufinden und zurückzuholen. Sie hatte den Schrecken und die Erschöpfung der Nacht überwunden und erinnerte sich an die Lehren Laïres. Sie wusste, dass sie es schaffen konnte.
Jene letzte Nacht in Laïre, die sie mit Kelric verbracht hatte, hatte eine Verbindung zwischen ihnen geschaffen, die nie mehr zu trennen war. Sie musste nur den richtigen Pfad beschreiten und geduldig nach dem feinen Band suchen, das irgendwo schimmernd schwang. Daran entlang musste sie gehen, um Kelrics Geist zu finden und zu wecken. Sie waren Eins gewesen, sie konnten es wieder sein.
»Nichts kann uns mehr aufhalten!«, rief Gorwyna ins Land. »Kein Gelber Gott, und kein Alter Zauberer!«
In der Ferne konnten sie schon die nebelverhüllten Gipfel der Blutberge sehen. Lindala war nicht mehr fern, und das Ziel ihrer Rache.