Ein Gespräch mit Oloïn


Kelric floh weiter durch das Gebirge in das Innere des Landes; er hielt kaum inne, denn er war Entbehrungen und wenig Schlaf gewöhnt, aber das Bewusstsein, verfolgt zu werden, belastete ihn. Und der Gott folgte ihm; Kelric spürte ihn oft hinter sich oder sah gegen Sonnenuntergang auf einem hohen Felsen eine riesige Gestalt, die ihn zu beobachten schien. Er wandte schnell den Blick und floh weiter – aber wohin? Wohin auf dieser Welt sollte er sich wenden, um der Verfolgung eines Gottes zu entgehen? Kelric verspürte einen Hauch von Zweifel in sich. Der Gelbe Gott schien fest entschlossen, den Kampf zwischen ihnen zu beenden, sei es, dass er endlich seinen Versuchungen nachgab und sein Diener wurde, oder den Tod fand.

Kelric floh tagelang vor dem Frühling immer höher ins Gebirge hinauf, bis die Luft dünn und der Himmel dunkel wurde. Schließlich schaute er an einem klaren Tag von der westlichen Seite des Großen Gebirges hinab auf die langgestreckten Höhenzüge von Loïree, hinter denen das Riesental begann. Es war ein schöner warmer Sonnentag; Kelric genoss die schmeichelnden Strahlen auf dem Rücken und schaute zufrieden umher, als sich schräg hinter und über ihm einige Felsbrocken lösten und polternd herabfielen. Er fuhr herum und erblickte gerade noch einen kleinen huschenden Schatten, der über das nächsthöhere Plateau davon schoss. Kelric schickte augenblicklich seinen Geist hinterher und prallte mit solcher Wucht auf Widerstand, dass er fast gestürzt wäre.

Zornentbrannt hob er die Arme und schrie in die Stille hinein: »Also gut! Jetzt habe ich genug. Komm und zeige dich, und wir handeln es aus! Ich habe es satt!« Wütend drehte er sich um und begann den Abstieg. Bis zum Abend wollte er die Pflanzenregion erreichen, damit er ein Feuer entfachen konnte.



Am Abend saß er dann bei einem fröhlich flackernden Feuerchen und wartete. Ich wünschte, Wogryn wäre bei mir, dachte er. Erinnerungen an Erlebnisse mit dem possierlichen Tierfreund durchzogen seinen Verstand wie Rinnsale die Bergwelt: klar und frisch und eilig. Er hatte nach der Zaubererprüfung viel Zeit mit dem Wompet verbracht, der nun sicherlich schon einen langen weißen Bart trug und als uraltes Oberhaupt eines großen Stammes auf dem bequemsten Baum faulenzte und sich versorgen ließ. Wäre Wogryn bei ihm gewesen, hätte Kelric sich nicht ganz so verloren gefühlt.

So musste er sich damit begnügen, ein paar Wurzeln und bittere Beeren gegen den Hunger zu kauen und schwermütigen Gedanken nachzuhängen. Ab und zu warf er kleine Zweige ins Feuer; in erfahrener Vorsicht hatte er einen großen Stapel gesammelt; dann steckte er sich mit einer genau eingeteilten Ration seines spärlichen Tabaksvorrats eine Pfeife an; aber auch sie war bald aufgeraucht, und so blieb er still und regungslos in Gedanken versunken viele Stunden sitzen.

Vom schwarzen Himmel herab blinkten unzählige Sterne; der größte von ihnen, Volira Rotstern, schien heute noch intensiver als sonst zu leuchten; als wollte er Kelric das fehlende Sonnenlicht ersetzen und ihm beistehen. Erst nach langem Warten wurde die Geduld des Zauberers das erste Mal belohnt: Auf lautlosen Flügeln ließ sich auf dem Holzstapel schräg vor ihm ein riesiger Nachtvogel ohne Namen nieder; mit pechschwarzem Gefieder, weißem Schnabel und riesigen, schrecklich flammenden gelben Augen. Kelric rührte sich nicht und sprach auch kein Wort, und er betrachtete das Tier auch nur mit seinen geistigen Fühlern. Der Nachtvogel verharrte so wohl eine halbe Stunde, dann flog er davon. Kelric legte rasch Holz nach, da das Feuer kurz vor dem Erlöschen war – und erstarrte mitten in der Bewegung, als hinter ihm ein großer Fuchs mit einer dicken weißen buschigen Rute und denselben gelben Augen heranschlich und sich ihm gegenüber beim Holzstapel niedersetzte. Kelric rührte sich nicht und schenkte dem Fuchs keinen Blick. Auch dieses Tier verschwand kurze Zeit, bevor das Feuer ausging; und Kelric, den mehr und mehr lähmende Müdigkeit befiel, bewegte die erstarrten Glieder und massierte die schmerzenden Muskeln, warf rasch Holz nach und wickelte sich dann fester in seinen Umhang, als ein kühler zauberischer Wind ihn frösteln machte. Als er zufällig den Blick hob, saß eine gewaltige schwarze Katze neben dem Holzstapel und putzte ausgiebig eine weiße Pfote, bevor sie auf das Holz deutete und ihn mit brennenden gelben Augen ansah. Kelric wandte angestrengt den Blick ab und starrte stumm ins Feuer, mit der Müdigkeit kämpfend, alle Gedanken verbannend. Die Katze begann zu schnurren, sie schien ihn auszulachen und tupfte verspielt immer wieder an das Holz. Kelric wollte einen trotzigen Ruf ausstoßen, aber er schwieg verbissen. Als seine Füße völlig eingeschlafen und taub waren, erhob die Katze sich endlich anmutig, streckte und dehnte sich genüsslich und war dann plötzlich verschwunden. Kelric sprang sofort auf, stampfte heftig mit den Beinen, um das Blut wieder zum Zirkulieren zu bringen; er wollte gerade Feuer nachlegen, als eine kindsgroße schwarze Ratte mit einem weißen Schwanz heranhuschte und eilig herum schnupperte. Kelric sah voll verzweifelter Sorge, wie das Feuer kleiner und kleiner wurde. Auch die Ratte schien es zu bemerken, denn sie setzte sich auf die Hinterbeine und witterte in den aufsteigenden Rauch; dann sprang sie plötzlich auf Kelric zu, der eisern in seiner halbgebückten Stellung verharrte und sich nicht regte, als sie knabbernd in seine hohen Stiefel biss. Dann stieß sie einen schrillen Pfiff aus und sprang in weiten Sätzen in die Dunkelheit davon.

Kelric, dem kalter Schweiß in Strömen den Körper hinablief, wäre fast gestürzt, als er sich aus seiner unnatürlichen Starre löste. In rasender Geschwindigkeit brachte er das Feuer, das nur noch aus einer winzigen flackernden Flamme bestand, wieder in Gang. Natürlich wäre es einfacher gewesen, Magie anzuwenden, aber das wagte er nicht. Er durfte jetzt nicht mehr sein als ein Mensch mit einem starken Willen. Er saß kaum, als er ein Grollen im Rücken hörte, das ihm unwillkürlich einen Schauer den Rücken hinunterjagte, aber er drehte sich nicht um.

Auf leisen Pfoten kam ein schwarzer Wolf heran, groß wie ein Pony mit weißem Kopf, und setzte sich lautlos dicht neben ihn.

Kelric, der immer verzweifelter gegen den bleiernen Schlaf ankämpfte, der ihm die Lider zudrückte und seinen Körper vor Kälte zittern ließ, musste seinen ganzen Willen aufbringen, um nicht den Kopf zu heben in die Sonnenaugen zu blicken. Lange Zeit kauerte der riesige Wolf neben ihm und beobachtete ihn wie das Feuer, ohne sich zu bewegen oder einen Laut von sich zu geben; er war so unheimlich und die Ausstrahlung so stark, dass Kelric es kaum mehr ertragen konnte. Schließlich stand der Wolf auf und ging um Kelric herum, der die scharfe vitale Ausdünstung eines wilden Tieres roch, darüber hinaus aber auch die göttliche Macht spürte. Der Wolf suchte seinen Blick, doch der Zauberer legte den Kopf auf die angezogenen Knie und reagierte nicht, als die weiße Schnauze ihn mehrmals anstupste. Dann spürte er, dass der Riesenwolf verschwunden war, und er hob rasch den Kopf.



Neben ihm, an der Stelle des Wolfes, saß nun ein Mann, gut zwei Köpfe größer als Kelric und doppelt so breit in den Schultern; er trug schwarze Kleidung, auch die Haut war schwarz, und die Augen waren brennende gelbe Sonnen.

»Du bist der erste«, dröhnte tief wie ein Donner die Stimme des Gottes Oloïn durch die stille Bergnacht. »Noch nie widerstand ein Wesen mir so lange Zeit. Du regtest dich nicht, sprachst nicht, sahst mich nicht an.«

»Ich sehe dich jetzt an«, erwiderte Kelric ruhig, dann verharrte er überrascht. »Keine weiße Stelle!«, rief er.

»Sie sollte dich in meine Gewalt bringen«, fauchte Oloïn. »Aber du dachtest nicht daran.«

»Ich hatte keine Zeit«, gestand Kelric, während er nach Holz griff und nachlegte. »Ich hatte zu viel Angst um das Feuer.«

»Du hattest Glück«, sagte der Gott, »unverschämtes Glück. Nun gut, du hast mich gerufen, und ich bin hier. Sprich denn!«

»Was willst du von mir, dass du mich verfolgst?«, fragte Kelric geradeheraus.

»Ich will dich zu meinem Diener«, antwortete Oloïn. »Du hast mir einen guten Kampf geliefert.«

»Warum nur mich allein und nicht auch Melwin?«

»Melwin?«, schnaubte Oloïn. »Melwins Wissen ist zu groß. Er gehört einem anderen. Ich reagierte zu spät. Aber du bist ohnehin der bessere Diener.«

Seltsam, dachte Kelric. »Selbst wenn es Melwin nicht gäbe, würde ich nie dein Diener werden. Mein Herr ist Elwin. Du hast mir nichts zu bieten.«

»O doch. Ich kann dir das wiedergeben, was ich dir stahl.«

Kelric spürte einen dumpfen Schmerz in den Lenden; er glaubte das scharfe Messer wieder an den Hoden zu spüren.

»Dazu ist es zu spät. Es verlockt mich nicht mehr«, lehnte er ab.

Der Gott entblößte in einem Lächeln ein schneeweißes Wolfsgebiss. Die weiße Stelle!, dachte Kelric hastig und triumphierend. Wölfe haben gelbe Zähne! Es wird mir später nutzen ...

»Du lügst, Kelric«, sprach der Gott. »Du wünschst dir nichts sehnlicher als deine Männlichkeit, denn die Erinnerung an warme weiche Frauenhaut mit den damit verbundenen Gefühlen ist nur zu süß, nicht wahr? Vor einem Abendessen umarmtest du einst als Jüngling hastig ein Dienstmädchen, hast sie berührt und geküsst, ihren verlockenden Duft eingeatmet, ehe sie dich ohrfeigte und dem Lordmeister alles erzählte.«

»Er war verständnisvoll«, sinnierte Kelric träumerisch vor sich hin. »Ich war nicht der Einzige, was verständlich ist, wenn man gerade zum Manne wird und jedes Stück weiblicher Haut, oder auch nur ein flüchtiges Zwinkern, lockende Sinnlichkeit und Begehren verheißt.« Er lächelte in sich hinein. »Die Mädchen durften uns danach nicht mehr begegnen. Ich bin dem Lordmeister heute dankbar dafür. Melwin trägt schwerer an der Bürde als ich, wenn er es auch nie zugeben würde. Und im übrigen ist es dennoch nichts weiter als eine Erinnerung. Fühlen kann ich nicht mehr.«

»Weil du es verdrängst, doch du träumst davon, mach dir nichts vor! Komm zu mir!«, fuhr Oloïn fort. »Ich gebe dir alles, was du willst, wenn du mir nur treu dienst und das verhasste Menschenvolk ausrotten hilfst.«

»Weshalb sollte ich dir glauben? Ich bin selbst ein Mensch.«

»Das ist zu ertragen, denn du bist ein Zauberer. Ich kann dich nicht zwingen, das weißt du. Aber Kelric, sei nicht dumm! Verlasse dieses armselige Zaubererdasein, das dich nur unglücklich macht. Du bist der beste Diener, den ich mir vorstellen kann. Und höre: Mit deiner Zusage wirst du nicht nur ein Mann, sondern auch unsterblich. Hör gut zu, Kelric, was du erhalten kannst! Manchmal sind Dienste unbezahlbar, wenn die Mittel begrenzt sind. Meine Mittel jedoch sind unbegrenzt. Und ich kann dir einen Preis bezahlen, den kein Mensch wert ist: Ich biete dir die Unsterblichkeit.«

Kelric schwieg und starrte ins Feuer. Die Unsterblichkeit, ewige Jugend war etwas, was sich jeder Sterbliche insgeheim wünschte, eine ungeheure Verlockung, der man sich nicht entziehen konnte. Lange Zeit dachte er nach, dann erinnerte er sich an eine alte Geschichte.

»War es das, was du Aranwir botest, damit er unsere Brüder umbringt? Hat er dafür das lange Leben erhalten?«

Der Gott gab keine Antwort.

»Also«, fuhr Kelric fort, »er ist der größte aller Zauberer, größer noch als Melwin, dem ich an Zauberkraft höchstens ebenbürtig bin, und trotzdem bist du immer noch nicht der Sieger.«

Oloïn ließ die Augen umherschweifen, ehe er sich wieder Kelric zuwendete. »Du hast nicht gegen ihn gekämpft«, stellte er fest. »Warum nicht?«

»Oh, ich werde mich hüten. Der Lordmeister Marbon bat mich einst auf Knien; ich war seine einzige und große Hoffnung. Aber dafür fühle ich mich noch nicht reif genug. Aranwir ist stärker als ich, auch wenn er nicht Gedanken lesen kann. Aber er hat die Erfahrung von dreitausend Jahren, und da kann ich nicht mithalten. Er kann mich überlisten, ohne dass ich es merke.«

»Schön«, sagte Oloïn ruhig. »Ich möchte, dass du gegen ihn kämpfst. Aranwir verfolgt nur seine eigenen Ziele, er war mir niemals hörig.«

Kelric lachte. »O nein, das glaube ich dir nicht! Er erlag wahrscheinlich deiner Versuchung, konnte sich jedoch freikämpfen von dir und ein eigenes Reich aufbauen; ist es nicht so? Er hat dich überlistet, wie soll ich da gegen ihn bestehen?«

Der Gott schwieg vor Zorn.

Kelric lachte wieder. »Er hat dich hereingelegt und dafür willst du mich hereinlegen. Ich werde dein weltlicher Handlanger, und sollte ich das Glück haben, gute Dienste zu leisten und zu überleben, wirst du mich nach getaner Arbeit vernichten, bevor ich meine Seele von dir lösen kann. Du kannst mir nicht trauen, aber ich habe ebenso wenig Grund, dir zu vertrauen. Und gegen Aranwir werde ich niemals ziehen, ich habe keinen Grund dazu. Ich bin nicht der Rächer von Laïre. Du jedoch bist für mich der Inbegriff des Bösen, du willst nur Herrschaft und Sklaverei. Aber mein Volk ist frei, und ich werde dafür kämpfen. Deine Angebote sind nicht gut genug für mich. «

»Ist das dein letztes Wort?«

»Nein. Ich will, dass du mich endlich in Ruhe lässt. Schick meinetwegen deine hässlichen Geschöpfe gegen mich, ich werde sie alle auf magische Weise vernichten, denn auch ich habe ein oder zwei Listen auf meinen Reisen gelernt, und deine Angehörigen sind dumm und gewalttätig, nicht feinsinnig. Aber du selbst hältst dich ab sofort fern von mir. Dieser Kampf wird auf meine Weise geführt. Ich habe dich herausgefordert und bestimme die Regeln. Du weißt sehr wohl, dass sich kein Gott in das Geschehen seiner Welt einmischen darf.«

»Du vergisst, dass Lerranee keine meiner Schöpfungen trägt, nur meine Angehörigen«, erwiderte Oloïn gelassen.

»Ich habe nicht vergessen, dass du als Bittsteller mit deinen Völkern gekommen bist. Nur deswegen kannst du dich überhaupt gefahrlos hier unten aufhalten, ohne vernichtet zu werden. Das erhebt dich aber nicht über mich. Wir werden also weiterkämpfen, wenn es dich danach verlangt, aber noch bist du nicht der Sieger, Oloïn.«

Der Gott erhob sich langsam zu seiner mächtigen Größe. »Noch nicht«, grollte er. »Aber bald, mein armes Kind. Deine Unwissenheit hilft meinen Plänen genauso. Es dauert nicht mehr lange, und Lerranee ist mein, und dann werde ich dich in eine Folterkammer bringen, die ich nur für dich baue. Du wirst büßen, Kelric, in jahrtausendelanger Pein Qualen erdulden dafür, dass du es wagtest, mir die Stirn zu bieten.«

Er verschwand in einem wirbelnden Sturm, der den Zauberer umwarf und sein Feuer löschte. Er blieb zitternd und zähneklappernd am Boden liegen; für einen langen Augenblick fühlte er nichts als Kälte und Entsetzen in sich; doch als er am anderen Morgen von strahlendem Sonnenschein geweckt wurde, erschien ihm die Begegnung mit dem Gott nur noch wie ein böser Traum, und er setzte munter seinen Abstieg fort. Er wurde nicht mehr verfolgt.