Auf See


Viele Tage später befanden sie sich auf See. Kelric, dem anfangs trotz herrlichsten Wetters einige Male übel geworden war, gewöhnte sich schließlich an das ewige leichte Schaukeln wie an das leise Knarzen des Schiffsholzes in der Nacht. Am meisten hatte ihn, den Bergbewohner, die riesige, endlos scheinende Weite ohne Höhen und Tiefen ringsum beängstigt; er kam sich hilflos und schutzlos vor, denn es gab keinen Ort, wo er sich hätte verstecken können. Einige Zeit streckte er die Nasenspitze kaum zur Kajütentür hinaus. Als er jedoch feststellte, welch aufregender Ort so ein Schiff war, tobte er vergnügt auf dem Deck herum. Die frische Seeluft machte ihm solchen Appetit, dass die beiden Zauberer jeden Abend die Köpfe schüttelten und die Matrosen Tränen lachten. Zu jener Zeit schon begann Kelric sich seinen Namen zu machen, denn die Seeleute der Windsbraut erzählten überall eine lange fröhliche Geschichte; es wurde zwar nicht alles davon geglaubt, denn niemand wagte an der Ehrwürdigkeit der Heiligen Wanderer zu zweifeln, aber immerhin entwickelte sich doch eine recht heitere Anekdote daraus, die später durch die Ballade Kelrics Kinderjahre so berühmt wurde, dass ihm stets die Sagen vorausliefen, wohin er sich später als Zauberer auch wenden mochte.

Der Kapitän behauptete, dass sie in spätestens vier Tagen in Labron landen würden. Kelric, dem allmählich schon recht langweilig wurde, weil es kaum mehr Abwechslung gab, machte ein enttäuschtes Gesicht. Die ungeheure Weite der See begann ihn wieder zu bedrücken, und er sehnte sich nach der vertrauten Enge seiner Berge. Fergon und Melwin, die unter seinen pausenlosen Fragen litten, entschlossen sich dazu, ihm ein paar magische Spielereien beizubringen und leichte Konzentrationsübungen mit ihm zu machen, damit er endlich Ruhe gab. So lernte Kelric, aus einzelnen Wassertropfen kleine Hüpfwesen zu formen, die lustig umherhopsten; das Spiel machte ihm bald genauso viel Freude wie die Verwandlung der Wanderblumen, und die beiden Zauberer ließen ihn zufrieden allein.

Einige Zeit ging das Spiel recht gut, bis er einmal nicht aufpasste und die kleinen Illusionswesen sich zu einer großen nassen Kugel mit vier Füßen zusammenschlossen, die wie ein Riesenwollbär umherpatschte und eimergroße Lachen als Spuren hinterließ. Kelric wollte sich vor Lachen ausschütten, als er aus der angrenzenden Kombüse einen schrecklichen Lärm hörte; denn der Schiffskoch, der zu Recht annehmen konnte, dass ihm in seinem Heiligtum keine Gefahr drohte, glitt auf einer Pfütze der Wasserkugel aus, die wie ein Ball quer durch die Kornbüse sprang, wuselnd durch den Türspalt entkam und mit einem Satz über die Reling hüpfte und auf ewig verschwand. Der erschrockene Mann hingegen schlidderte mit heftig rudernden Armen auf dem nassen Boden dahin und kam erst zum Halten, als er nach den aufgehängten Töpfen griff; wobei einige Haken unter der Überbeanspruchung des Gewichts nachgaben und er zusammen mit dern Geschirr stürzte. Kelric wartete nicht ab, was weiter geschah, sondern ergriff vorsorglich die Flucht auf das Kapitänsdeck, wo er den Kapitän derart in ein geschicktes Gespräch verwickelte, dass der sich nicht wenig wunderte, als der Schiffskoch wutschnaubend mit feuerrotem Gesicht und einer großen Pfanne in der rechten Hand herangetobt kam. Nur die mächtige Gestalt des Kapitäns bewahrte Kelric davor, dass der zornige Mann ihn erwischte; und während die Matrosen schallend lachten, brüllte der Schiffsführer um Ruhe, bevor er sich an Kelric wendete:

»Was hast du angestellt, Junge?«

Kelric sah ihn mit seiner treuherzigsten Miene an und erwiderte unschuldig: »Nichts, Herr Kapitän, das wissen Sie doch. Ich war schließlich die ganze Zeit bei Ihnen und unterhielt mich mit Ihnen über die Orientierung in der Nacht anhand des nördlichen Sternenhimmels. Sie verstehen es so gut, mir Ihr großes Wissen verständlich zu vermitteln.«

»Hm«, brummte der Kapitän geschmeichelt.

Der Schiffskoch stand zunächst da, sprachlos und mit offenem Mund, dann hob er die Hand mit der Pfanne und wies auf Kelric.

»Der ist ja raffiniert!«, protestierte er anklagend. »Zuerst spielt er mir einen solchen Streich, dann wickelt er Sie auch noch um den Finger ... «

»Niemand wickelt hier irgendwen um irgendwas herum!«, brüllte der Kapitän und wedelte wütend mit beiden Händen. »Und überhaupt, fuchtle hier nicht mit deiner Pfanne herum! Der Junge war bei mir, das weißt du schließlich selbst! Du wirst schon wieder vollgesoffen sein, du Faultier, und Wahnvorstellungen haben – nimm dir ruhig ein Beispiel an Kelric, der vor Wissbegier nahezu platzt!«

»Ich platze gleich vor Wut!«, schrie der Koch verzweifelt zurück. »Ich bin stocknüchtern, bei meiner Seele, und der Bengel da hat mir einen Wasserball in die Kombüse gezaubert und eine Überschwemmung angerichtet, bevor er nach draußen hüpfte!«

Die Augen des Kapitäns blitzten, und er grinste sardonisch.

»Aaahh«, machte er lang gedehnt und blickte in die kichernde Runde. »Hat einer von euch etwa so ein Ding gesehen?«, fragte er rhetorisch mit dröhnender Stimme. Ein Brüllgelächter antwortete ihm, die Matrosen schnitten Grimassen und feixten; sie rächten sich nun für jedes misslungene und schlecht zubereitete Essen, dem sie wehrlos ausgeliefert waren.

Einer rief: »Aber ja, ich sah eine weiße Riesenmaus mit blauer Nase, die aus der Kombüse lief und sang:


O mein Liebling Zara, jetzt is der Verhau noch immer da,

weil ich bin so blau au

Und sehe nur noch grau au ... «


Ein anderer fiel sogleich ein: »Und der Smutje kam mit der Pfanne hinterher und rief: ›Wehe, wenn ich dich nochmal an meinen Schnitzeln erwisch!‹«

Der Rest ging im lauten Hohn unter. Der Schiffskoch erkannte, dass jegliche Verteidigung zwecklos war, und schlich unglücklich an seinen Arbeitsplatz zurück.

Kelric, den nun doch das Gewissen plagte, lief ins Unterdeck hinab, weckte die beiden Zauberer aus ihrem Mittagsschlaf und beichtete ihnen alles. Fergon starrte ihn erstaunt an, während Melwin sich nicht mehr zurückhalten konnte und Tränen lachte. Der Ältere blickte ihn missbilligend an und sagte streng:

»Herr Melwin, Euer Verhalten lässt zu wünschen übrig! Es ist eines Zauberers unwürdig!«

»Bitte um Entschuldigung«, kicherte Melwin und versuchte mit seinem Ärmel die Tränen zu trocknen, »aber die Vorstellung ist so erheiternd ... stellt Euch doch so ein Patschewesen vor ...« Er kämpfte wiederum mit einem Lachausbruch und flüchtete keuchend und nach Luft schnappend in eine entfernte Ecke.

Kelric schrumpfte sichtlich zusammen, als er den harten tiefblauen Blick aus Fergons Augen auf sich fühlte; auch das sonst so freundliche runde Gesicht war streng geworden.

»Auch du, mein Sohn«, fuhr der alte Zauberer energisch fort, »hast dich absolut unwürdig verhalten. Wenn ich kein Magier wäre, würde ich dir jetzt den Hintern versohlen, aber so etwas tun wir nicht. Und es spricht für dich, dass du gebeichtet hast. Außerdem sind wir beide auch nicht ganz unschuldig an dem Geschehen, denn wir haben dir diesen Unsinn b eigebracht und dich allein spielen lassen. Darum lassen wir eine Bestrafung lieber sein, aber von nun an tust du derartige Dinge nur noch unter Aufsicht, verstanden?«

Kelric ließ den Kopf sinken. »Ja, Herr«, murmelte er beschämt.

»Allerdings wirst du nicht darum herumkommen, dich bei dem Schiffskoch zu entschuldigen.«

Kelric fuhr hoch. »G-ganz allein?«, stotterte er schreckensbleich und suchte hilflos nach Melwin, der zurückgekehrt war und an seiner Koje lehnte.

»Tja, Kleiner«, sagte er freundlich. »Was man gepflanzt hat, das muss man auch ernten. Wenn du gleich zu ihm gehst, hast du es schneller hinter dir. Und er wird dich schon nicht gleich fressen.«

Kelric versuchte verzweifelt, den Kloß hinunterzuschlucken, der ihm plötzlich im Hals steckte, während er mit zitternden und weichen Knien und klopfendem Herzen hinüber zum Zwischendeck tapste; blass und verstohlen drückte er sich langsam um die Ecken herum, bis er genug Mut gefunden hatte, um die Stufen hinabzusteigen, ohne zu fallen. Wackelig stand er in der Kombüse und verhakte die Finger ineinander, bis der Koch ihn bemerkte.

»Nun?«, brummte er böse. »Was hast du jetzt wieder für einen Spaß, mit dem du mich lächerlich machen kannst?«

»Aber das wollte ich doch gar nicht ...«, begann Kelric piepsig (der dumme Kloß im Hals!) und räusperte sich. »Bestimmt, Herr, ich wollte Sie nicht lächerlich machen! Das Dings ist mir ausgerückt, und bevor ich es einfangen konnte, war alles schon passiert, und dann habe ich solche Angst bekommen, dass ich den Unschuldigen spielte. Bitte, glauben Sie mir, es war keine Absicht!«

Der Mann musterte ihn eindringlich, und als er sah, dass der Junge mit den Zähnen klapperte, verrauchte sein Zorn.

»Na ja ... hm ... gut, in Ordnung«, murmelte er schließlich. »Ich will dir glauben, weil du eigentlich ein nettes Kerlchen bist ... und du hast mein Essen immer verdrückt. Also, vergessen wir's.« Er streckte Kelric die Hand hin, der sie freudestrahlend drückte.

»Sind wir Freunde, ja?«

»Hu? Na ja, schön, das eben auch noch. Hier hast du ein Stück Räucherschinken, und nun troll dich und lass dich hier nicht mehr blicken!«

Kelric schoss wie ein Pfeil davon, um ganze Steine erleichtert, und kehrte zu den Zauberern zurück, um den Schinken mit ihnen zu teilen.



Schon am nächsten Tag bequengelte er Melwin wieder so lange, bis dieser. seufzend aufgab und den Kapitän bat, ihnen seine Kabine zu überlassen, damit sie Ruhe hätten. Der Kapitän beeilte sich, geflissentlich zu versichern, welch große Ehre es für ihn sei, seine bescheidene und unwürdige Kajüte einem Heiligen Wanderer überlassen zu dürfen, und hoffentlich widerstrebe ihm die spartanische Einrichtung nicht allzusehr, und selbstverständlich könne er alles haben, was er nur wünsche, es würde sofort alles erfüllt, und ... Und hier brach er ab, als er merkte, dass er längst allein war. Beleidigt, weil er keinen überschwenglichen Dank für seine Großzügigkeit bekommen hatte, stapfte er auf seinem Deck umher und starrte sinnend Löcher in die Wellen.

»Sind die immer so zuvorkommend?« wollte Kelric wissen.

Melwin lächelte stillvergnügt. »Immer, Söhnchen. Wir Zauberer sind so etwas wie Halbgötter für sie, da wir noch dazu die Aura der Unnahbarkeit haben. Es ist von großem Vorteil – man braucht kaum Geld, denn alle Türen stehen einem offen.« Er wurde plötzlich ernst. »Dafür zahlen wir einen hohen Preis. Und wir schützen sie vor Unheil mit unserer Kraft. Wir dienen ihnen, und sie gewähren uns dafür Achtung und Gastlichkeit. Das ist nur gerecht.«

Mit den letzten Worten öffnete er die Kajütentür, und sie betrachteten beide staunend den überwältigenden Reichtum des mittelgroßen Raumes: Pelze, Teppiche mit Goldstickerei, Kristallleuchter, Goldpokale, große weiche Sessel, wertvoll geschnitzte Stühle mit dem dazu passenden Tisch, auf dem Karten und Navigationsgeräte durcheinander lagen; ein großes Bett mit wolkenweicher und dicker Decke; an den Wänden hingen alte kunstverzierte Waffen und Bilder eines begnadeten Künstlers. Während Kelric mit offenem Mund gaffte, bemerkte Melwin trocken: »Oh, welch bescheidener Glanz in dieser Hütte! Wie sehr muss er sich seiner Armut schämen. Ich glaube, Kelric, unser freundlicher Kapitän war früher Pirat, denn mit der normalen Passagierschiffahrt kann man nicht soviel Geld verdienen, um das hier anzusammeln. Dann lass uns lieber vorsichtig sein mit unseren Übungen.«



Einige Zeit herrschte erholsame Ruhe auf der Windsbraut, und Fergon gesellte sich zum Kapitän, um sich zu erkundigen, ob Kelric seine Nerven auch nicht zu sehr belastete.

»Aber keineswegs!«, beeilte der Kapitän sich zu versichern. »Er ist doch ein lieber kleiner Kerl, nur ein wenig ... hm ... lebhaft. Aber das ist bei Kindern in seinem Alter ganz natürlich. Wie alt ist er denn genau?«

»Zehn«, antwortete Fergon. »Als wir die Reise begannen, war er sehr viel ruhiger. Er entdeckt eben jetzt erst so richtig, was es alles zum Spielen gibt, und das nützt er weidlich aus. Das soll er ruhig auch, denn wenn er erst in Laïre ist, wird sich vieles ändern.«

Der Kapitän, erstaunt über die vielen Worte des Zauberers, äußerte eine neugierige Frage: »Ist er denn besonders begabt? Ich meine, wo er doch aus Loïree kommt ...«

»Kann sein«, antwortete Fergon unbestimmt. »Das wird sich alles herausstellen.« Er drehte sich der Reling zu und blickte still und versonnen auf die See hinaus; der Kapitän schwieg sofort und respektierte den unausgesprochenen Wunsch, keine Worte mehr zu wechseln. Nach einiger Zeit stellte er sich neben den alten Zauberer und versuchte, ebenso erhaben und würdig auszusehen wie er, und in seinem eifrigen Bemühen entging ihm das stille Lächeln auf dem erleuchteten Antlitz von Fergon.



Nach einiger Zeit drang plötzlich ein erstickter Laut (»Nicht so!«) durch die halbgeschlossene Tür der Kapitänskajüte, und zum Erstaunen des Kapitäns kam Kelric flink wie ein Wiesel heraufgerannt und schlüpfte zwischen den Masten zum Mannschaftsdeck davon. Hinter ihm erschien Melwin, tropfnass, die Arme weit von sich gestreckt, Fergon einen resignierten Blick zuwerfend. Als begriffe er nun, stürzte der Kapitän in aller Hast erbleichend zu seiner Kajüte, riss die Tür auf und starrte voller Entsetzen auf ein kleines rosa Wölkchen, das mitten im Raum schwebte und einen sanften lila Schauer über seiner kostbaren Einrichtung niedergehen ließ.

Langsam drehte er sich um, kehrte auf sein Deck zurück und deutete mit gewitterverhüllter Miene auf seine Kabine.

»Wer immer das getan hat«, sagte er mit mühsam bezähmter, leicht höher geratener lauter Stimme, »macht das wieder weg. Ich mag keine rosa Wölkchen, keinen lila Regen, und am allerwenigsten mag ich das in meiner Kabine.« Seine Stimme wurde um eine winzige Nuance schärfer, als er fortfuhr, sein Gesicht ein ganz klein wenig röter: »Ich verlange, dass dieses ... dieses Gebilde aus meiner Kajüte entfernt wird! Sofort!«

Die Zauberer, die niemals auch nur ein Körnchen ihrer Würde oder ihrer Ruhe verloren, gingen gelassen in die Kabine und schlossen die Tür hinter sich.

Der Kapitän sank jammernd auf eine Taurolle. »Ich bin ein geschlagener Mann!«, klagte er bitter. »Das ist doch jetzt alles ruiniert, und ich habe so viele Jahre dafür gebraucht ...« Als er das gedämpfte Prusten eines versteckten Matrosen vernahm, raffte er seinen Stolz zusammen und erhob sich mit drohend geschüttelter Faust. »Na warte, du Bengel!«, rief er theatralisch. »Wenn ich dich erwische!«

Kelrics schmale Nase, die soeben vorsichtig um eine Ecke spitzte, begleitet von einem linsenden Auge, verschwand auf der Stelle, und er flüchtete zu seiner Koje und versteckte sich unter der Decke.

Nicht lange darauf erschienen die Zauberer bei ihm. Kelric saß wie eine verschüchterte Maus vor ihnen und ließ ihre Strafpredigt beschämt über sich ergehen; er nahm auch klaglos das Verbot jeglicher weiterer Spielereien hin, denn er verspürte ohnehin keine Neigung, wieder an Deck zu gehen.

Nachdem Fergon gegangen war, um den Kapitän zu beruhigen, setzte Melwin sich neben Kelric.

»Ihr seid wieder trocken?« fragte der Junge zaghaft und schüchtern.

Der junge Zauberer lächelte. »Ja, Kerlchen. Die Sachen vom Kapitän auch. Aber mach das nicht noch mal mit mir! Du solltest inzwischen festgestellt haben, dass du sehr große, schwer kontrollierbare Kräfte besitzt. Ich hatte geglaubt, du seist in deinem Alter vernünftig genug, dich trotz deiner Besonderheit nicht einfach über alle erheben zu wollen. Du kannst einen hohen Stand erreichen, gewiss, aber bis dahin vergehen viele Jahre mit ungeheurer Mühe, Entbehrung und Demut. Wer nach solch hohen Zielen verlangt, muss dafür auch etwas leisten.«

»Ja, Herr«, murmelte Kelric niedergeschlagen, dann brach er unvermittelt in Tränen aus. Melwin zog ihn an sich und streichelte ihm den dunklen Kopf.

»Ich weiß, Söhnchen«, sagte er tröstend. »Es ist schwer, fern der Heimat und der Familie zu sein und soviel lernen zu müssen, wenn man doch viel lieber spielen möchte.«

»Ich habe Angst vor Laïre«, flüsterte Kelric.

»Das verstehe ich. Aber du wirst dort auf viele Kameraden in deinem Alter treffen, denen es ebenso ergeht wie dir.«

»Werde ... werde ich Euch sehen?« Kelric sah zu dem jungen Mann hoch.

Melwin lächelte. »Ich werde da sein, wenn du mich brauchst. Ich habe viele Aufgaben vor mir, Kelric, aber ich werde kommen, wenn deine große Zeit anbricht.«

Kelric schwieg einige Zeit, dann sagte er leise: »Ich werde ganz allein sein, nicht wahr?«

Melwin musterte ihn. »Wir sind immer allein, Kelric«, erwiderte er schließlich. »Kind, das erste, was du in dieser Schule lernst, ist die Einsamkeit zu ertragen. Sie wird dich dein Leben lang begleiten. Denn du bist etwas Besonderes, in dir lebt Magie, ein göttliches Geschenk, und diese kannst du nicht einmal mit Gleichgesinnten teilen, weil jeder anders begabt ist.«

»Und wenn ich fortlaufe und nach Hause fliehe?«

»So nimmst du die Einsamkeit mit dir. Selbst wenn du nie eine Ausbildung erhalten würdest, wärest du immer anders als alle Menschen, und sie würden dich stets als Fremden ansehen.«

»Auch meine Eltern?«

»Ja.«

»Und Ihr und ich?«

»Wir verstehen einander, Kelric, und wir können uns gegenseitig Trost für unsere Bürde geben. Aber wirklich teilen können auch wir sie nicht.«

»Kann man denn überhaupt damit glücklich werden?« Kelric schluckte.

»Junge, du machst mir Angst mit deinen Reden. So spricht kein Kind ... egal. Ja, man kann glücklich damit werden. Sehr sogar. Gleichermaßen glücklich und unglücklich, Kelric, und beides zusammen ergibt jene Ekstase, die Erfüllung, die wir durch die Hingabe an die Magie erfahren.«

Kelric schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht.«

»Jetzt nicht, aber in wenigen Jahren wirst du dich an meine Worte erinnern. So, und nun hole ich dir etwas zu essen, und dann gehörst du ins Bett. Bald landen wir in Labron, und dann geht es in die Koboldark.«