36. Die Tochter des Löwen
»Legen wir nun ab, Esseri?«, fragte mich Deral, als ich meine bloßen Füße auf die warmen Planken der Lanze setzte. Seine Männer sammelten die Armbrüste auf, die außer Sichtweite hinter der Bordwand gelegen hatten, und entspannten sie.
»Nein«, sagte ich. »Wir müssen noch warten. Oder einen Entschluss fassen.«
Derals Augen weiteten sich, als er sah, wie Armin vorsichtig die junge Adlige neben die Feuerstelle unter den Schatten der Plane bettete. »Götter! Das kann nicht sein!«, rief er und wollte zu ihr eilen. Ich hielt ihn zurück.
»Deral. Bei unserem Leben, es ist nicht gut, sie zu kennen, nicht bevor es an der Zeit ist.«
Er zögerte.
»Nennt auch nicht den Namen.« Ich machte eine diskrete Geste gen Himmel. Er schaute hoch und erblickte den einsamen Aasgeier, der immer noch über uns seine Kreise zog.
Ich ging nach achtern, sah nach Natalyia, die mir unverändert erschien, und fing an, mich aus meinen verdreckten Gewändern zu schälen. Helis, die dort in der Ecke einen Platz für sich und Faraisa gefunden hatte, sah mit einem kindlichen Lächeln zu mir auf und wiegte Faraisa in den Armen. Der Säugling schlief, ruhig und gesättigt, an ihrer Brust.
Zokora trat an mich heran. »Das ist die Frau von der Karawane«, sagte sie leise.
»Ja. Es ist wahrscheinlich die Mutter.«
Zokora trug immer noch dieses luftige Kleid. »Diese Gewänder stehen Euch.«
»Ich werde Varosch sagen, dass du meinen Körper bewunderst. Es wird ihn anspornen, sich mehr Mühe zu geben. Bist du ein guter Liebhaber?«, fragte sie mit einem aufreizenden Lächeln.
»Das, Zokora, geht Euch nichts an.«
Ihr Lächeln wurde breiter. »Ich werde Leandra fragen, ob sie dich mir für eine Nacht leiht.«
»Das werdet Ihr nicht tun!«, rief ich erschrocken, aber sie lachte nur.
Vom Lager her hörte ich eine wütende weibliche Stimme. Die beiden Geschwister saßen ruhig im Sand neben dem Kochfeuer und tranken aus einem Wasserschlauch, den Varosch ihnen reichte. Dafür, dass die Sklavenhändler sie als so gefährlich erachteten, waren sie ruhig und gesittet. Das konnte man von der jungen Adligen nicht behaupten. Ich sah, wie sich die junge Frau auf Armin stürzte und ihn mit einem Hagel aus Schlägen bedachte.
Er wehrte sich nicht, hielt nur die Arme schützend über sein Gesicht, während er versuchte, auf sie einzureden.
Ich rannte los, Zokora an meiner Seite.
»Beruhigt Euch, o Blume der Barmherzigkeit! Ihr seid … Au! … unter Freunden hier … ich bitte Euch … hört, Au! … hört auf … nicht das!« Sie trat zu.
Er krümmte sich und fiel zur Seite weg.
Sie sprang auf, rannte auf einen der Schiffer zu, der völlig perplex mit erhobenen Händen vor ihr zurückwich, aber sie wollte nichts außer seinem Dolch, den sie ihm aus seiner Schärpe riss. Blanker Stahl funkelte in der mittäglichen Sonne, als sie ihn drohend vor sich hielt. Ihre eine Hand war erhoben, während der Stahl in ihrer anderen Hand ein langsames Muster wob. »Wagt nicht, näherzukommen!«, rief sie, als ich ans Ufer sprang. »Ich schlitze euch auf und werfe euch den Krokodilen zum Fraß vor!«
Sie wich vor mir zurück. Varosch sah mich fragend an, auch der Schiffer blickte verwirrt und ängstlich.
Ich beachtete sie erst gar nicht und begab mich zu Armin. Als ich ihn hochzog, sah ich, dass er Tränen in den Augen hatte.
»Geht es?«, fragte ich. Er nickte nur und sah mich hilflos an. Zokora erschien, sie hielt ihr Blasrohr in der Hand und blickte fragend zu mir.
»Geh an Bord und wasch dich, kleide dich sauber an«, sagte ich zu Armin.
»Ich werde in Borons Tempel Myrrhe verbrennen und für Eure ewigen Qualen beten. Der Gott der Gerechtigkeit wird mich erhören und dem Henker göttliches Geschick verleihen, auf dass ihr tausend Tage sterben werdet. Dann werde ich ein Fest geben und Euer Kopf, in Aspik und auf einer silbernen Schale, mit einem Apfel im Maul wie ein Schwein, wird meine Tafel krönen.« Tränen liefen ihr über das Gesicht, und die Wut, Trauer und der Hass in ihren Augen sagten mir, dass sie zur Zeit zu allem bereit war.
Zokora war neben mich getreten und sprach nun zu der Frau. »Bist du blind? Du siehst nicht«, sagte sie. Ihre Stimme war ruhig und gelassen. »Sieh.«
Die junge Frau blinzelte.
»Sieh die frischen Kleider. Sieh den Braten auf dem Feuer, die Schale Obst und das Wasser daneben. Sieh ein Lager aus Kissen, im kühlen Schatten.« Zokora hielt die Hand vor die Augen und blinzelte hoch zur Sonne. »Das ist wohl die Erklärung, Havald«, sagte sie. »Zuviel Hitze versengt den Geist.« Sie drehte sich um und ging an mir vorbei Richtung Schiff. »Nimm ihr den Dolch ab, sonst schneidet sie sich noch«, sagte sie im Vorbeigehen und verschwand an Bord.
»Wer ist sie, dass sie es wagt, so mit mir zu sprechen?«, fragte die junge Frau fassungslos.
Ich sagte kein Wort, ließ mich am Feuer nieder und legte Seelenreißer neben mich. Aus der Obstschale nahm ich einen Apfel und biss hinein. Vor nicht ganz einem Mond waren die einzigen Äpfel, die ich essen konnte, verschrumpelte Winteräpfel gewesen. Ich genoss den frischen Geschmack.
»Geht«, sagte ich dann zu ihr. »Wenn Ihr sterben und Eure Tochter nie mehr wiedersehen wollt, dann geht!«
Sie spuckte mir vor die Füße. »Du bist ein Ungeheuer!«, rief sie und stürzte sich auf mich.
Idiot!, dachte ich und meinte damit mich selbst, denn ungeschickter hätte ich es wohl kaum sagen können. Ich wich ihrem Dolch mit einiger Mühe aus. Sie verstand sogar, damit umzugehen.
»Hört auf, Essera, es war ungeschickt … formuliert!« Ich sprang zurück und griff ihre Dolchhand. »Was ich meinte … hört auf zu kratzen! … war … Ihr seid frei … und könnt … verflucht! … gehen!«
Ich stieß sie zurück und warf den Dolch zur Seite weg.
Sie stand schwer atmend vor mir.
»Bravo, Havald«, sagte Varosch von dort, wo er mit den Geschwistern stand. »Das war taktvoll.«
Ich warf ihm einen bösen Blick zu, er grinste. Die beiden Geschwister standen da und verfolgten das Geschehen mit Neugier in den Augen.
»Setzt euch endlich! Ihr seid Gäste!«, rief ich, und zu meinem Erstaunen ließen sie sich gleichzeitig nieder, so gut aufeinander abgestimmt, dass sie silbernen Ketten sich nicht einmal spannten.
Soviel also dazu, dass sie nichts verstanden.
»Wie meint Ihr das?«, fragte die junge Frau misstrauisch.
»Hättet Ihr drei Wünsche frei, welche wären das?«
»Meine Tochter, meine Freiheit, deinen Kopf.«
Götter, war die Frau stur.
»Ich gewähre euch die ersten zwei. Meinen Kopf will ich allerdings behalten«, antwortete ich. »War das jetzt klarer?«
»Ich verstehe nicht!«, rief sie und fing an zu weinen. »Meine Tochter ist verloren!«
Götter, warum ich?
Ich griff in meinen Beutel, und als ich ihr meine Hand hinhielt, lagen sechs Perlen aus Bernstein auf meiner Handfläche.
Ihre Augen weiteten sich. »Wo ist sie? Wo ist meine Tochter!« Sie machte Anstalten, sich wieder auf mich zu stürzen.
»Wenn Ihr Euch nicht sofort hinsetzt und mir zuhört, ich schwöre es bei den Göttern, versohle ich Euch den Hintern! Sie ist wohlauf, und wenn Ihr mir zuhören würdet, könntet Ihr sie schon längst in Euren Armen halten.«
Sie hörte nicht zu. Natürlich nicht. Sie sah sich um. Hier an Land war sie nicht. Also blieb das Schiff. Sie rannte los.
»Nein, wartet!«
Zu spät.
Ich lief ihr hinterher. Varosch klatschte langsam in die Hände. »Gut gemacht!« rief er. Am besten brachte ich ihn später um. Ich spurtete hinter ihr her.
Sie hatte das Schiff erreicht, die Mannschaft wich vor ihr zurück, eine Entscheidung, die ich nicht gutheißen, aber verstehen konnte. Sie erblickte Helis und stürzte sich auf sie.
»Du Hexe! Gib mir meine Tochter!«
Helis warf sich schützend über Faraisa, Armin versuchte zwischen die beiden Frauen zu gelangen, aber die junge Frau war zu schnell und packte Helis an den Haaren. Armins Schwester fing an zu weinen.
Armin versuchte die junge Frau von seiner Schwester zu lösen, aber sie schien ihn gar nicht wahrzunehmen.
»Hexe! Tochter einer Sumpfnatter, gib mir mein Kind!« Sie fuhr Helis mit ihren Fingern durchs Gesicht, und Helis schrie angstvoll auf.
Armin griff die junge Adlige am Arm, schwang sie herum und gab ihr eine Ohrfeige.
»Niemand, auch Ihr nicht, spricht so zu meiner Schwester!«, schrie er sie an, und diesmal nahm sie ihn wahr, kein Wunder, denn noch nie hatte ich Armin so laut gehört.
»Sie ist ein größeres Opfer, als Ihr es seid!«, rief er. »Ein Nekromant nahm ihr den Geist und ihr Kind. Sie ist die Amme Eurer Tochter und liebt sie von Herzen, und auch Ihr rührt sie nicht an! Ihre Muttermilch hat Eurer Tochter das Leben gerettet, und so werdet Ihr es ihr nicht danken!« Empört stieß er sie zurück.
Fast in Zokoras Arme. Diese ergriff die junge Frau mit der rechten Hand an der Schulter. »Setz dich«, sagte Zokora in einem Tonfall, der zu der jungen Frau durchdrang. Oder war es Zokoras Griff, der die Adlige auf die Planken der Lanze niederzwang?
»Götter«, sagte ich, als ich mich vor ihr niederließ. Sie sah an mir vorbei zu Helis, die weinend versuchte, Faraisa zu beruhigen. Jedes Mal wenn die junge Adlige sich bewegen wollte, spannten sich die Sehnen in Zokoras Hand, und die junge Frau saß wieder still.
»Wie schwer kann es sein, gute Nachrichten zu überbringen, Marinae, Tochter des Löwen! Ihr seid frei, und Euer Kind lebt!«
»Was?«, fragte sie, und jetzt endlich sah ich, dass ich sie erreicht hatte. Ich seufzte.
»Hör auf, wie ein hysterischer Mann herumzukreischen!«, sagte Zokora mit Stahl in der Stimme. »Du bist eine Frau, benimm dich auch so!«
Ich blinzelte.
»Ist es in Euren Geist eingedrungen?«, fragte Armin, immer noch in empörtem Tonfall. »Die Götter haben Euer Flehen erhört.« Er sah mich fragend an. »Es ist ihr Kind?«
Ich nickte.
Er beugte sich vor, nahm der leicht widerstrebenden Helis den Säugling aus dem Arm und reichte ihn vorsichtig der jungen Adligen.
Ein Schatten huschte über das Deck. Ich gab Varosch ein Zeichen. Er stand auf und kam näher, die beiden Geschwister sahen sich gegenseitig an und erhoben sich ebenfalls.
»Varosch«, sagte ich, als er nahe genug war. Ich sah hoch zu dem Aasgeier. »Ist er Euch zu hoch?«
Er folgte meinem Blick. »Nur fast.«
»Es wäre nett, wenn er herunterfällt. Es wäre mir auch lieb, wenn es eine Überraschung für ihn wäre.«
»Ich werde es einrichten.«
Die beiden Geschwister standen an Land und sahen mit einem feinen Lächeln zu, wie Marinae ihr Kind in die Arme schloss. Die junge Adlige weinte leise, aber herzerweichend. Zokora ließ sie los.
»Ich wusste, dass es nicht Euer Kind sein kann, Esseri«, sagte Armin leise. »Nicht mit der Haut und den Augen. Aber dass es ihr Kind wäre … Ihr wisst, wer sie ist?«
»Ja.«
»Seit wann?«
»Seit heute Morgen, als du von dem Haus des Löwen gesprochen hast.«
Er sah zu der jungen Mutter hinüber, dann wieder zu mir. »Ihr seid nicht aufgebrochen, um sie zu retten?«
»Du weißt, wen ich suche. Achte auf die beiden und Helis.«
Ich verließ das Schiff wieder und stand bei den Geschwistern. »Folgt mir«, sagte ich und entfernte mich ein wenig vom Schiff. Sie folgten mir, und als ich mich setzte, ließen auch sie sich nieder und sahen mich aufmerksam an.
Klangggg!
Aus der Höhe ertönte ein Schrei, der für einen Aasgeier sehr menschlich klang. Ich folgte dem Sturz des Vogels mit meinen Augen, bis er unweit von uns auf die Erde aufschlug.
Varosch trat aus dem Schatten der Plane heraus und gesellte sich zu mir. »Guter Schuss«, sagte ich zu ihm.
Er nickte. »Ich bin auch ganz zufrieden. Habt Ihr den Schrei gehört?«
»Ja. Ich glaube, Ihr habt jemanden tief getroffen.«
»Das, Havald, war auch die Absicht.«
Ich wandte mich dem Geschwisterpaar zu. »Versteht ihr meine Sprache?«
Das Mädchen sah ihren Bruder an. Dieser schüttelte den Kopf.
»Aber vorhin hast du mich verstanden?«
Er nickte. Varosch setzte sich neben mich, sah von ihnen zu mir und zuckte mit den Schultern.
»Du verstehst mich?«
Er nickte erneut.
Götter. Er verstand mich, aber nicht meine Sprache … von mir aus.
»Ihr seid frei und könnt gehen.«
Er schüttelte den Kopf und hob den Arm mit der silbernen Kette. Was war nur mit der Kette? Sie war so dünn, dass er sie mühelos zerreißen könnte.
Beide rissen gleichzeitig an der Kette, sodass sie straff gespannt wurde … Ein hoher Ton ertönte, als sie Kette vibrierte, aber sie hielt.
Götter, die beiden lasen meine Gedanken!
Der Bruder nickte.
»Zeigt mir die Kette.«
Er hielt mir seinen Arm hin. Die Manschetten wurden durch einen einfachen Splint gesichert, ein Kind konnte ihn herausziehen. Er hielt einen Finger in die Nähe, und ich roch plötzlich verbranntes Fleisch, er zog den Finger wieder weg und schüttelte den Arm, sodass die Manschette leicht verrutschte. Ich sah, wie sich dort frische Brandblasen bildeten.
»Ihr seid keine Barbaren.«
Er schüttelte den Kopf.
Ich blickte zu Varosch hinüber.
»Was soll ich Euch raten? Ich wüsste es auch nicht«, meinte er.
Der Sklavenhändler hatte gesagt, dass ich die Kette niemals lösen sollte. Grund genug für mich, es zu tun. Ich zog den Splint heraus, und die Manschette öffnete sich. Ich wartete auf eine Reaktion, aber beide sahen mich nur an. Dann hielt sie mir ihren Arm hin.
Ich löste die beiden Ketten von ihnen und warf sie zur Seite in den Sand. Beide knieten sich vor und scharrten gleichzeitig mit der rechten Hand im Sand. Dann erhoben sie sich, drehten sich um und gingen davon, immer noch so nackt, wie die Götter sie schufen.
Varosch und ich sahen ihnen hinterher.
»War das ihr Danke?«, fragte Varosch. Ich musterte die Spuren im Sand und konnte nichts Besonderes an ihnen erkennen.
»Vielleicht. Ich hoffe, die Götter wachen über sie.« Ich sah den Geschwistern nach, bis sie hinter einem Hügel verschwanden.
»Die beiden waren seltsam«, sagte Varosch dann.
»Weißt du, Varosch, der Sklavenhändler sagte, sie seien extrem gefährlich. Siehst du einen Grund, ihm das zu glauben?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Kein Grund. Ich glaube trotzdem, dass er die Wahrheit sagte.« Er bückte sich und nahm die Fesseln auf. »Ich habe noch nie von magischen Fesseln gehört. Aber es scheint sie zu geben. Ich denke, ohne Grund trugen die beiden sie nicht.«
Armin kam angerannt. »Wo sind sie hin?«
»Ich habe sie freigelassen.«
»Esseri, ich danke Euch! Es wäre eine Sünde gewesen, die beiden weiterhin gefangen zu halten.« Er sah die Fesseln in Varoschs Hand. »Werft diese unheiligen Fesseln weg! Verscharrt sie tief im Sand oder versenkt sie im Gazar!«
»Was weißt du über die beiden?«, fragte ich Armin.
»Sie gehören einem heiligen Volk an, das in der Wüste lebt. Immer wieder wird von ihnen erzählt, aber gesehen hat sie bisher niemand. Aber die zwei entsprachen genau der Beschreibung.«
»Nackt in der Wüste? Und dabei bleich und blond?«, fragte Varosch.
Armin nickte. »Sie sind heilig. Die Sonne scheint sie nicht so zu berühren wie Euch.« Er sah zu mir hoch. »Die Haut auf Eurer Nase löst sich bereits.«
»Ich danke dir. Ich hätte es sonst wohl nicht bemerkt.«
»Was nun?«, fragte Varosch. Der Braten war soweit durch, und Armin hatte für uns einen niedrigen Tisch an Bord der Lanze gedeckt. Es war früher Nachmittag.
»Ich weiß es nicht. In dem schwarzen Zelt der Sklavenhändler stehen drei Käfige für eine ›besondere‹ Lieferung. Der Händler sagte, dass er auf eine Lieferung warte, die sich verspätet habe, ist sich aber sicher, dass sie heute Nacht eintrifft.«
Zokora schnitt sich ein Stück Braten ab. »Vielleicht Leandra, Sieglinde und Janos?«
Ich sah sie missmutig an. »Ich weiß es nicht! Das ist ja das Problem! Ich hoffe, dass sich Leandra befreien konnte und die Sklavenhändler umsonst warten.«
»Ihr habt vermutet, dass, wenn unsere Gefährten sich befreien konnten, sie vielleicht zur Wegestation unterwegs sind, um nach Euch zu suchen, Havald«, sagte Varosch. »Wenn sie dort sind, wird man ihnen mitteilen, dass Ihr nach Gasalabad geritten seid. Und dort wird man unsere Gefährten wohl bald an das Haus der Hundert Brunnen verweisen. Es ist genügend Zeit vergangen, dass sie vielleicht schon dort auf uns warten.«
»Oder aber man hält sie betäubt, und sie liegt in einem Käfig auf dem Weg hierher.«
»Dann bleibt uns nichts, als die Nacht abzuwarten, nicht wahr?«, sagte Zokora.
»Ja, aber mir gefällt es nicht. Es gibt auch andere Dinge zu bedenken. Essera Marinae und Faraisa. Natalyia. Der Maestro oder Nekromant, der uns durch diesen Vogel beobachtete. Diese Porträtbilder, die nicht hier sein dürften. Und der Angriff auf Faihlyd.«
»Marinaes Schwester?«, fragte Zokora.
Ich nickte. »Armin erzählte mir, dass das halbe Land sie wie eine Heilige verehrt. Er meint sogar, dass die Emire sie zur Kalifa bestimmen könnten. Ich weiß, dass der Angriff des Greifen auf sie kein Unfall war, aber sonst scheint niemand diese Möglichkeit auch nur in Betracht zu ziehen.«
»Wenn wir ihr helfen, kann es sein, dass sie uns etwas schuldet, wenn Leandra vor dem Rat der Könige sprechen will«, meinte Varosch. »Das könnte von Vorteil sein.«
Ich nickte nur und aß weiter. Der Braten war gut. Hase. Varosch hatte ihn geschossen. Hasen hatte ich schon oft gegessen, aber es waren Armins Gewürze, die den Unterschied machten.
Varosch streckte sich. »Es ist schon seltsam, dass man sie so nahe an der Stadt gefangen hielt.«
»Vielleicht weiß man in der Stadt noch nicht einmal etwas von dem Schicksal der Essera.« Ich wischte mir den Mund ab und lehnte mich zurück. »Abgesehen davon glaube ich nicht, dass sie verschleppt werden sollte. Jemand benutzte die Sklavenhändler, um sie nahe der Stadt bereitzuhalten. Das ist das nächste Problem. Der Sklavenhändler sagte, er erwarte den ursprünglichen Käufer bald. So wie er tat, ist der Käufer eine wichtige Person. Es könnte von Nutzen sein zu wissen, wer er ist.«
»Meint Ihr, er erscheint noch?«, fragte Varosch.
»Das kommt darauf an, wer die Vögel auf uns regnen ließ.« Ich blickte in die Richtung, in der sich hinter der Flussbiegung das Lager der Sklavenhändler befand.
»Habt ihr etwas gehört?«, fragte ich.
Varosch schüttelte den Kopf, aber Zokora nickte. »Schreie im Sklavenlager.«
Ich ergriff Seelenreißer, sprang auf und rannte los, Varosch und Zokora dicht hinter mir.