9. Von Nordmännern und Bärenpelz
Es war nicht besonders warm in der Ecke der Höhle, die wir uns als Lager ausgesucht hatten, aber ich schwitzte dennoch.
»… neunundvierzig … fünfzig!«, sagte Sieglinde neben mir. Sie hielt sich auf den ausgestreckten Armen, ich ließ mich einfach aus dem Liegestütz auf den Boden fallen. Ich bemühte mich, nicht allzu heftig zu keuchen, bis meine Kräfte zurückkehrten.
Zwei Tage warteten wir nun darauf, dass der Schneesturm vorbeiging. Ich denke, es war Stolz, der mich dazu brachte, an Sieglindes Ertüchtigungsprogramm teilzunehmen, oder sollte man besser sagen, Serafines?
Vor nicht langer Zeit hatte ich einen alten Körper besessen, durch die verfluchte Magie meines Bannschwerts hatte ich nun meine Jugend zurückgewonnen. Oder fast. Ich schätzte mein körperliches Alter auf etwa zwei Dutzend und sechs.
Jugend allein aber verlieh keine Kondition, und auf der Reise durch die Höhlen hatte ich gemerkt, wie sträflich ich meinen Körper vernachlässigt hatte. Sieglinde, die Tochter eines Wirts, war besser in Form als ich. Also schloss ich mich ihrem Training an, sehr zum Amüsement der anderen. Serafine musste nicht nur Kundschafterin gewesen sein, sondern auch Foltermeisterin. Wenn es einen Muskel in meinem Körper gab, der nicht brannte, so hatte ich ihn noch nicht entdeckt. Das Schlimmste aber war, dass Sieglinde offensichtlich weniger Schwierigkeiten hatte als ich. Vielleicht besaß sie aber auch nur den gleichen Stolz wie ich, sodass keiner von uns zugab, wie sehr die Muskeln schmerzten.
»Seht!«, rief Varosch, als ich mich mit Schnee abwusch. »Der Sturm hat aufgehört.«
Ich zog mich fertig an und begab mich zu Varosch, der mit seinen Händen die Schneemauer, die wir im Eingang errichtet hatten, durchstieß und auf das kleine Plateau hinaustrat.
Es war Morgen.
Manchmal gab es Tage, an denen die Götter alles so richteten, dass es perfekt war. Als ob sie sich zurücklehnen würden und sagen: Seht, dies ist unsere Schöpfung!
Das war einer dieser Tage.
Die kleine Plattform befand sich etwa sechzig Ellen über dem schneebedeckten Pass in einer Steilwand. Von hier aus hatten wir einen perfekten Blick auf die Donnerschlucht. Der funkelnde Schnee krönte jeden einzelnen Stein, Eis glitzerte in den Felsspalten, und die Luft war so klar und kalt, dass sie beim Atmen schmerzte und der Blick auf die Landschaft einem Tränen in die Augen treiben konnte.
Noch lag der größte Teil des Tals im Schatten, aber die aufgehende Sonne entflammte den Kamm des gegenüberliegenden Berges.
»Sind wir richtig?«, fragte Sieglinde. Sie trug nur ein dünnes Leinenhemd und Lederhosen, und ich konnte sehen, dass auch ihr kalt war, doch schien es ihr von Mal zu Mal weniger auszumachen.
Ich beugte mich vor und warf einen Blick Richtung Norden. Der Anblick kam mir bekannt vor. »Ich denke schon.«
»Wie weit ist es noch?«, wollte Janos wissen. Er hielt einen der Schneeschuhe in der Hand, die wir während unserer Rast angefertigt hatten, und betrachtete ihn misstrauisch. »Seid Ihr sicher, dass das etwas taugt?«
»Ich schätze, etwa drei Tage, und ja, ich bin sicher.«
Ich hatte darauf bestanden, dass jeder von uns in seinem Gepäck sechs lange Weidenruten und etliche Längen Leder mitnahm. Während der letzten zwei Tage hatten wir diese Schneeschuhe gefertigt, im Prinzip musste man nur in einen Rahmen aus Weidenruten ein Geflecht aus Leder einfügen.
»Wo habt Ihr denn diese Idee schon wieder her?«, hatte mich Janos gefragt, als ich ihm zeigte, wie man die Ruten binden musste.
»Kennst du das nicht?«, sagte Sieglinde. »Es sind Schneeschuhe.« Ihre Hände waren bereits eifrig am Werk.
Ich setzte mich bequemer hin und fing an, meine eigenen Ruten zu binden. »Vor einigen Jahren traf ich in Coldenstatt einen Krieger. Zuerst hielt ich ihn für einen Barbaren, er trug einen Fellumhang und nicht wenig Bart im Gesicht. Er erzählte mir eine absonderliche Geschichte. Sein Name war Ragnar, und er behauptete, der Sohn eines Königs zu sein. Dieses Königreich heiße Ragnagard und liege hoch im Norden. Zusammen mit einigen Getreuen brach er auf, um die Meere zu erkunden. Sein Vater, der König, hatte drei weitere, ältere Söhne, und so dachte Ragnar, dass er sich einen Namen machen könne, wenn er mit einer Karte der Welt zurückkäme.« Ich lächelte zu Leandra hinüber. »Du siehst, du bist nicht die Einzige, die eine Faszination darin sieht, die Welt auf ein Pergament zu bannen. Wie so viele stand diese Expedition unter keinem glücklichen Stern. Es gab einen Schiffbruch, gefolgt von einer Flaute, dann mussten sie sich gegen Piraten wehren, und zum Schluss erlag der größte Teil der Mannschaft einer Krankheit. Mit Mühe gelangten sie ans nächste Ufer, und mit vier Überlebenden, so Ragnar, setzte er den Weg zu Fuß fort. Als ich ihn traf, war sein Glück sowohl zu Ende als auch wieder im Kommen. Er war allein, gerade erst von einer Krankheit genesen, und für sein letztes Kupferstück trank er ein Bier im Borosta, einer recht guten Kneipe in Coldenstatt.«
»Borosta? Den Namen habe ich schon einmal gehört«, sagte Janos überrascht. »Allerdings war ich noch nie in Coldenstatt.«
»Ein Borosta ist ein Untier. Ein Mittelding zwischen einem Hund und einer Katze, mit rudimentären Flügeln, welche ihm ermöglichen, seine Sprünge zu verlängern«, sagte Leandra. »Ich habe ein Bild in einem alten Folianten gesehen. Niemand weiß, ob es sie wirklich gibt oder ob sie Legenden sind.«
Ich nickte zustimmend. »Aber an manchen Legenden ist etwas Wahres dran. Auf jeden Fall trägt der Gasthof die Figur eines solchen Wesens über dem Eingang. Nun, nachdem nur an seinem Tisch Platz war, ließ ich mich dort nieder und kam mit ihm ins Gespräch. Er erzählte mir, dass die Götter ein übles Spiel mit ihm trieben. Nicht nur dass seine Reise vom Pech verfolgt war, jetzt, da er wieder genesen war, hatte er sich auch noch verliebt. In die Tochter eines Händlers. Doch der sah nicht ein, seinen größten Schatz einem Krieger ohne Geld zu geben. Als Söldner wollte er sich nicht verdingen, das hätte ihn nur wieder weit weg von seiner Liebsten geführt, also arbeitete er beim Schmied. Schmieden konnte er wohl. Der Schmied wiederum hatte einen Sohn, dem das Handwerk nicht passte, und einen Gesellen, der stahl. Gern hätte er die Schmiede Ragnar übergeben, doch er musste an seine Zukunft denken. Und so hätte Ragnar sein Glück machen können, hätte er nur ein paar Goldstücke mehr gehabt, um die Schmiede zu erwerben.«
Janos lachte bitter. »Eine solche Geschichte höre ich jeden Tag in jeder Kneipe! Ein Betrüger war er, sonst nichts, der einem gutgläubigen Wanderer seine letzten Münzen aus dem Säckel reden wollte. Lasst mich raten, er bot Euch eine Teilhabe an der Schmiede an, nicht wahr?«
»In der Tat.« Ich lächelte.
Janos klatschte sich lachend auf den Oberschenkel. »Ihr wollt mir doch nicht sagen, dass Ihr auf diesen Schwindel hereingefallen seid?«
»Ich gab ihm vierzig Goldstücke, alles, was ich hatte«, sagte ich und band die Ruten zusammen, sodass sie ein Oval ergaben.
»Das ist ein Vermögen. Wo hattet Ihr das her?«, fragte Varosch.
»Das ist eine andere Geschichte. Aber ja, ich gab sie ihm.«
»Ich kann nicht glauben, dass Ihr auf diesen Trick hereingefallen seid!«, meinte Janos. »Ich dachte, in Euren Jahren hättet Ihr Menschenkenntnis erworben.«
»Nun, hört weiter. Um seine Dankbarkeit zu bekunden, gab Ragnar mir einen Anhänger. Ich trage ihn noch heute. Seht.« Ich zog den Anhänger aus meinem Kragen. Er war aus Obsidian und hatte die Form eines Kriegshammers.
»Nettes Stück. Aber für vierzig Gold…«
»Zudem zeigte er mir zwei Tricks mit dem Schwert, die ich noch nicht kannte, nannte mir den Namen einer Pflanze, deren Sud vor Kälte schützt, des weiteren, wie man ein Haus aus Schnee baut, und auch, wie man diese Schneeschuhe fertigt.«
»Ihr bindet mir einen Bären auf«, sagte Janos ungläubig. »Ein Haus aus Schnee, das ist ein guter Scherz!«
»Zudem eine Partnerschaft von dreißig von Hundert an der Schmiede und eine Einladung zu seiner Hochzeit«, fuhr ich fort. Ich sah Janos an und grinste. »Die Hochzeit fand statt, die Schmiede ist sehr erfolgreich, ich habe einen Freund gewonnen, und sein erster Sohn wurde nach mir benannt. Mehr als die Hälfte der vierzig Goldstücke sind bereits zurückgezahlt. Nicht immer ist das, was einem erzählt wird, gelogen. Es gibt auch ehrliche Menschen.«
»Nun denn, wenn Ihr es sagt, glaube ich Euch. Aber Ihr scheint sie häufiger zu treffen als ich«, sagte Janos.
»Wenn ich bis zum Hals im Schnee versinke, erwarte ich, dass ihr mich wieder herausholt!«, meinte Janos, als er Varosch half, ein Seil sicher an einem Felszacken zu verankern.
»Ihr solltet lieber hoffen, dass es gut geht«, antwortete ihm Varosch. »Wenn nicht, werden wir kaum vorankommen. Es gibt nichts Ermüdenderes, als durch den hüfthohen Schnee zu waten.«
Zokora kam aus dem hinteren Teil der Höhle hervor und nickte uns zu. Sie hatte sich ausgerüstet und war aufbruchbereit. Aber über ihren Augen sah ich etwas, was ich noch nie vorher erblickt hatte: ein schwarzes Lederband, etwa drei Daumen breit. Sie hatte es sich um den Kopf gebunden, sodass es ihre Augen bedeckte; nur jeweils drei kleine Löcher über den Augen zeigten, dass sie nicht ganz blind sein wollte.
»Wofür ist das?«, fragte ich sie.
»Ohne dieses Band macht das Licht mich blind.«
»Werdet Ihr genug sehen?«
»Ja.«
Zokoras Volk lebte in den Höhlen unter der Erde. Immer wieder hatte ich bemerkt, wie gut sie in der Dunkelheit sehen konnte, nur daran, dass es auch einen Nachteil geben konnte, hatte ich nicht gedacht. Mir schmerzten die Augen nach den langen Tagen der Dunkelheit ebenfalls, aber ich wusste, es würde vorbeigehen.
Wir seilten uns von dem Höhleneingang ab. Die Schneeschuhe erfüllten ihren Zweck, wir sanken nur wenig mehr als über den Knöchel ein. Zokora brauchte solcherart Hilfsmittel natürlich nicht. Sie schwebte einen Daumenbreit über dem Schnee.
»Wenn Ihr auch noch über Wasser gehen könnt, ertrag ich es nicht mehr«, sagte ich, als ich sah, wie sie mühelos ein paar Schritte machte.
»Das kann ich nicht. Nur über Eis. Für den Wassergang müsste ich in einem Gebet bitten«, sagte Zokora. »Ich verstehe nicht, wie ihr Menschen überall hin kommt, so schwerfällig, wie ihr euch bewegt. Dennoch gibt es euch an jedem denkbaren Fleck.«
Ich überprüfte den Sitz meiner Schneeschuhe. »Zokora, wir haben viel gemeinsam, Ihr und ich«, sagte ich mit einem Lächeln.
Sie wandte mir den Kopf zu und legte ihn auf die Seite. Durch die Binde über ihren Augen konnte ich es nicht erkennen, aber ich dachte, sie sah fragend drein.
»Wir können beide nicht fliegen, ewig leben, unter Wasser atmen oder einen Titanen im Armdrücken besiegen. Wir haben mehr gemeinsam, als uns trennt«, beantwortete ich ihre unausgesprochene Frage.
Sie schüttelte den Kopf und lachte leicht. »Du bist ein komischer Kauz, Havald«, sagte sie dann. »Oft weiß ich nicht, ob deine Worte eine tiefere Bedeutung haben oder nicht. Sind wir dann so weit?«
»Ja, sind wir, o Ungeduldige«, sagte Janos.
»Ich bin nicht ungeduldig.« In ihrer Stimme klang Überraschung mit.
Varosch lachte. »Er hat dich nur auf den Arm genommen«, erklärte er ihr.
Sie blieb stehen. »Ist das eine Beleidigung?«
»Nein«, meinte Leandra lachend. »Freunde tun das manchmal.«
»Freundschaft«, sagte Zokora in einem nachdenklichen Ton. »Also, sind wir so weit?«
Wir legten eine gute Wegstrecke zurück. Das Wetter war hervorragend. Die Sonne schien, als ob sie sich extra für uns Mühe gab, und so dauerte es nicht lange, bis wir unsere Umhänge ablegten und um unsere Hüften banden.
Als der Abend nahte, suchten wir einen geeigneten Ort für die Rast. Hier an der Oberfläche war Zokora nicht mehr unser Kundschafter, Varosch hatte sich angeboten, dies zu übernehmen. Er hatte auch diese Höhle gefunden.
»Es gibt nur ein Problem«, sagte Varosch, als er zurückkam. »Sie ist noch bewohnt.«
»Dann schicken wir den Bewohner in den Schnee«, sagte Janos. »Ich habe keine Lust, mir heute Nacht die Eier abzufrieren.«
»Geht hin und tut es«, meinte Varosch mit einem Grinsen. »Ihr werdet Eure Freude haben.«
»Was wartet in der Höhle?«, fragte ich.
»Nichts weiter als ein paar Höhlenbären. Erwachsene Exemplare, vielleicht auch ein Junges dabei, ich weiß es nicht, ich wollte nicht näher heran.«
Eine vernünftige Entscheidung. Götter, Höhlenbären!
Lieber eine Horde Orcs. So ein Höhlenbär war viermal so groß wie ich, wog zwanzigmal mehr, hatte Krallen länger als mein Dolch, ein Fell, an dem ein Schwert stumpf wurde, bevor es Fleisch erreichte. Wir besaßen nur Schwerter, keine Speere. Es wäre sinnlos.
»Andererseits, warum sollten wir solch rechtschaffene Bewohner stören?«, meinte Janos. »Sie haben auch ein Recht auf ihre Höhle.«
»Wenn niemand sie angreift, kann ich helfen«, sagte Leandra. »Aber das bedeutet, dass wirklich niemand auf die Idee kommt, sie auch nur zu berühren. Schlafen sie?«, fragte sie Varosch.
Er nickte. »Ja. Aber wenn wir ihre Höhle betreten, werden sie es merken.«
Leandra klopfte sich an die Brust. »In meinem Buch ist ein Spruch, der uns für die Dauer eines Tages unaufdringlich wirken lässt.«
»Unaufdringlich?«, fragte ich nach. »Wie meinst du das?«
»Sie werden uns nicht wahrnehmen oder wenn, als etwas ansehen, das für sie in Ordnung ist und sie nicht stört. In der Beschreibung des Rituals wird ausdrücklich davor gewarnt, die Tiere zu berühren. Das würde den Spruch zusammenfallen lassen.«
»Ein wenig Magie, und wir schleichen vorbei und teilen uns die Höhle mit ihnen?«, fragte Janos ungläubig.
Leandra nickte strahlend. »Ist das nicht ein toller Spruch?«
»Gut«, sagte ich. Auch wenn ich Leandra liebte, konnte ich ihre Begeisterung für Magie nicht ganz teilen. Auch fiel es mir schwer, mich auf etwas zu verlassen, das ich nicht wahrnehmen konnte. Aber es war immer noch besser, als sich mit den Höhlenbären um ihre Behausung zu streiten. »Dann werden wir das so machen.«
Leandra sah in die Runde. »Ich brauche nicht lange. Hat jemand von euch ein Stück Bärenfell dabei?«
Ich schüttelte den Kopf. Das Einzige, was ich an Fell mit mir führte, war der Fellumhang aus Eisotterpelz, den mir Eberhard gegeben hatte.
Nacheinander schüttelten wir alle den Kopf.
»Hattest du nicht Bärenfelle?«, fragte Sieglinde Janos.
Der verneinte bedauernd. »Sie waren Teil meiner Verkleidung, aber danach habe ich sie verbrannt. Sie stanken.«
»Soll das heißen, dass keiner von uns Bärenfell dabei hat? Ich brauche nur ein kleines Stück. So groß!«, fragte Leandra ungläubig und zeigte mit Daumen und Zeigefinger, wie groß das Stück nur sein musste. Es half nichts.
»Also gut«, sagte ich. »Das mit der Magie wird nichts.« Ich ignorierte Leandras enttäuschten Blick. Was konnte ich dafür, dass keiner von uns Bärenfell dabei hatte? »Andere Vorschläge?«
»Ja. Eine andere Höhle«, sagte Varosch.
Ich sah zum Himmel hinauf. Die untergehende Sonne färbte bereits die Bergspitzen rot, uns blieb nicht viel Zeit. Ich traute dem Wetter nicht.
»Vielleicht …«, fing ich an, aber Zokora trat neben mich.
»Havald. Siehst du den Schnee dort an den Hängen?«, sagte sie leise. Ich folgte ihrem ausgestreckten Zeigefinger. Wochenlang hatte hier der Sturm gewütet und den Schnee über die Bergkämme getrieben. Hoch oben sah ich, was Zokora mir zeigen wollte. Ein riesiges Schneebrett hatte sich gebildet und hing über uns, kleine v-förmige Spuren führten von ihm ausgehend durch den Schnee die Steilwand hinunter.
»Den ganzen Tag schien die Sonne«, sagte sie leise. »Ich weiß nicht, warum, aber das macht eine Lawine wahrscheinlicher.«
Ich nickte. Vielleicht hielt das Brett aus Schnee und Eis, aber auf keinen Fall wollte ich hier im Tal rasten.
»Wir könnten einfach weitergehen«, sagte Janos. »Wir sind die Dunkelheit gewohnt.«
Ich schüttelte den Kopf. »Wir brauchen für die Nacht einen sicheren Unterschlupf.« Ich wandte mich an die anderen. »Wir müssen die Bären überzeugen. Hier können wir nicht bleiben.« Ich wandte mich an Zokora. »Habt Ihr noch dieses lähmende Gift, das Ihr bei Poppet verwendet habt?«
Sie nickte.
»Gebt es Varosch. Er soll es auf seine Bolzen streichen. Ich gehe mit ihm hinein.«
»Ich mache das. Du bist zu langsam«, teilte sie mir mit.
»Dann gehen wir alle«, entschied ich. Sie sah mich an, als ob sie widersprechen wollte, ließ es dann aber sein.
Die Höhle, die Varosch gefunden hatte, war größer als die letzte, in der wir genächtigt hatten. Der Eingang war hoch genug, um auf einem Pferd hineinzureiten.
Vorsichtig bewegten wir uns heran. Varosch, einen vergifteten Bolzen auf seine Armbrust aufgelegt, ging knapp hinter mir, Zokora zu meiner Linken, Leandra, Janos und Sieglinde folgten. Poppet sollte draußen warten. Kämen wir nicht wieder, würde sie warten, bis sie erfror. Ich schob den Gedanken beiseite. Warum sollten wir nicht wiederkommen? Es waren nur Tiere.
Wir waren leise genug, dass wir die Höhle betreten konnten, ohne dass die Bären auf uns aufmerksam wurden.
Mittlerweile hatte sich die Sonne weiter gesenkt, die Dunkelheit hier in der Höhle war nach dem gleißenden Schnee wie eine Mauer. Ich hob die Hand; ich wollte warten, bis sich meine Augen an das trübe Licht hier angepasst hatten.
Zuerst dachte ich, dass Varosch uns in die falsche Höhle geführt hatte. Ich sah die üblichen vereisten Kalksteinsäulen und nicht viel mehr – bis sich aus dem Dunkel zwei massive Umrisse herausschälten.
Ich zog leise die Luft ein, denn ich hatte noch nie zuvor einen Höhlenbären gesehen. Dass sie groß waren, wusste ich, aber es war etwas anderes, davon zu hören, als sie selbst zu sehen.
Sie waren eisgrau, mit ein Grund, warum ich sie vorher nicht bemerkt hatte. Zuerst hatte ich sie wohl für Felsen gehalten, denn wenn etwas so groß war, wollte man es nicht sofort als Lebewesen wahrnehmen.
Varosch hob seine Armbrust. Janos zog langsam sein Schwert. Das Geräusch war wirklich nicht laut, man hörte es kaum.
Mit einem lauten Drenggg löste sich Varoschs Bolzen und traf den einen Bären in der Flanke. Im nächsten Moment explodierten die Tiere in Bewegung. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass etwas so Großes sich so schnell bewegte.
Einer der Bären stürzte sich auf Varosch, der andere erkor mich zu seinem Ziel.
Seelenreißer sprang fast von allein in meine Hand, hier gab ich mich ihm hin, fühlte die Kälte und die Berechnung, spürte, wie sich die Klinge meiner bemächtigte. War sie es, die so nüchtern die Chancen abwog, oder ich? Oder gab es nur ein uns? Durch ein solches Fell drang auch Seelenreißer nicht hindurch, die einzige Möglichkeit war ein Stich. Der Bär kam auf allen vieren auf mich zu, das Herz war nicht erreichbar. Seelenreißers fahl leuchtende Spitze hob sich, und ich bereitete mich auf den Ansturm vor, kühl und sachlich, als ob mein Leben nicht im nächsten Moment enden könnte. Das gewaltige Maul des Bären öffnete sich, und ich beugte mich ihm entgegen, alle Muskeln angespannt. Es schien, als würde die Zeit langsamer fließen. Ich sah die Augen des Bären, braun waren sie und wütend. Ich konnte ihn verstehen. Ich wäre an seiner Stelle auch übellaunig gewesen. In diesem Moment bedauerte ich, dass Leandra ihren Spruch nicht hatte wirken können, dieser Bär hatte etwas Gewaltiges, etwas Majestätisches an sich … Er war im Recht, und wir waren die Eindringlinge.
So perfekt war Seelenreißer ausgerichtet, dass die Klinge in den Bärenrachen glitt, ohne auch nur einen der enormen Fänge zu streifen, dann erreichte die Spitze den Knochen … fast hätte meine Kraft nicht gereicht … Ich spürte, wie der Knochen nachgab und Seelenreißers Spitze das Gehirn erreichte.
Er war schon tot, als mich die gewaltige Pranke traf. Ich hörte, wie die Glieder meines Kettenmantels rissen, spürte den dumpfen Schlag gegen meine Seite, der mich umwarf. Ich konnte das Schwert nicht halten, es steckte fest im Gebein des Bären. Ich wusste nur noch, dass ich flog, dann prallte ich gegen die Wand.