13. Jäger und Spinnenangst

 

Am nächsten Morgen bereitete Sieglinde das Frühstück und fuhr danach mit ihren Übungen fort. Ich versuchte mich zu beteiligen, aber meine Seite ließ es noch nicht zu. Jeder sagte mir natürlich, dass ich das hätte vorher wissen müssen.

»Wenn ich mich schone, dauert es noch länger«, erklärte ich. »Außerdem muss ich darauf achten, dass ich nicht steif werde.«

»Übe weiter, wenn die Seite verheilt ist«, sagte Leandra.

Ich fühlte mich nutzlos, als die anderen ihre Ausrüstung überprüften. Leandra half mir, mein eigenes Gepäck zu verstauen, was fast so lange dauerte wie bei den anderen zusammen. Aber Sieglindes heißer Kafje half mir, meine Lebensgeister wieder etwas zu wecken.

Es bedurfte einiger Kraft, die stählerne Falltür zu öffnen. Obwohl sie im Eis eingeschlossen gewesen war, waren die Angeln leicht verrostet und mussten mit Gewalt überzeugt werden. Mit einem lauten Kreischen gab das Metall schließlich nach.

Kalte, aber muffige Luft schlug uns entgegen.

»Irgendetwas zu sehen?«, fragte Leandra. Varosch hatte sich auch heute wieder angeboten vorzugehen.

»Die Treppe führt weiter nach unten. Was zu erwarten war.« Ich hörte, wie er vorsichtig die Treppe hinunterstieg. Dann: »Ihr könnt kommen.«

Poppet beschrieb mir den Raum, den wir nun erreichten. Er ähnelte dem oberen und enthielt nichts von Belang. Wir stiegen in das nächste Stockwerk hinunter, ohne etwas Besonderes zu Gesicht zu bekommen.

»Weiß jemand, ob hier ein Kampf stattfand?«, fragte Zokora, als wir unten im Turm ankamen.

»Keine Ahnung«, sagte Sieglinde. »Ich habe jedenfalls nie etwas davon gehört.«

»Seht Ihr Kampfspuren, Zokora?«, fragte ich.

»Nein. Es ist mir nur zu ordentlich.«

»Was weiß Serafine über die Feste?«, fragte ich Sieglinde.

»Nicht viel mehr als wir«, antwortete sie. »Ihre Einheit kam durch das Tor im Gasthof. Sie sagt, sie wisse nur, dass hier oben dreihundert Mann stationiert waren.«

»Die Feste ist zu groß für dreihundert Mann«, meinte Janos. »Vielleicht war sie für eine ganze Legion bestimmt.«

»Dazu wäre sie fast zu klein«, entgegnete Sieglinde, oder vielleicht war es Serafine.

»Hier ist eine Tür«, rief Varosch von vorn. Ich hörte ein Knirschen, als die Türangeln protestierten.

»Uugh …«

Der Geruch, der uns entgegenschlug, wurde durch die Kälte abgemildert. Aber er war zu erkennen. Leichenfäulnis. Niemand vergaß diesen Geruch jemals wieder.

»Was ist?«, fragte ich.

»Ich kann nichts erkennen«, erklang Poppets Stimme.

»Ich schon«, sagte Varosch leise. »Ich glaube, die Geschichten haben einen wahren Kern.«

Die Tür führte zu einem großen Raum, der wohl am Fuß der Mauern parallel zur Wand verlief. Wenn ich mich nicht sehr täuschte, befanden wir uns immer noch hoch über dem Pass.

»Hier ist die Anlage zum Öffnen der Donnerpforte. Ich sehe große Zahnräder, Ketten und Gewichte. Es ist gigantisch. Die Ketten haben Glieder, die dicker sind, als ich es bin.«

»Und was stinkt so?«, fragte Sieglinde.

»Kann ich noch nicht erkennen«, gab Varosch zur Antwort. Meine Nase war in den letzten Tagen besser geworden, oft kam es mir vor, als ob ich die anderen wittern konnte, selbst wenn sie nicht sehr nahe standen. Mit dem Leichengeruch zusammen roch ich etwas anderes. Säuerlich und scharf. Die Ausscheidung eines Raubtiers.

Vorsichtig tasteten wir uns weiter in den Raum hinein. Ich hatte die Hand an Seelenreißers Heft und konnte so meine Umgebung erahnen.

Varosch und Janos gingen voran, gefolgt von Zokora und Sieglinde. Leandra, Poppet und ich bildeten den Abschluss.

»Hier geht ein Luftzug. Der Raum hat eine Öffnung ins Freie«, sagte Zokora leise.

»Vorsicht«, kam Janos’ Stimme. »Wir müssen hier über einen Steg gehen. Unter uns ist ein Raum mit großen Winden, dieser Weg führt über ihn drüber. Er ist nicht breit, vielleicht eine Mannslänge.«

»Und spiegelglatt«, ergänzte Varosch.

Was sonst. Vielleicht erlebte ich es ja doch irgendwann wieder, dass ich den Fuß auf Boden setzen konnte, der nicht vereist war.

»Auf der anderen Seite ist eine Tür. Sie steht offen«, verkündete Janos. »Dort geht es weiter.«

Seelenreißer nahm Eis oder Stein nur mit Mühe wahr, Holz dagegen konnte er erkennen. So erschien es mir, als ob ich mich über einen bodenlosen dunklen Abgrund bewegte, denn ich sah den Boden nicht, der meine Füße trug.

Dennoch kamen wir ohne größere Schwierigkeiten auf der anderen Seite an.

»Was ist das?«, fragte Varosch, und ich sah, wie er die Lampe anhob.

»Unsere Schatzsucher«, sagte Janos trocken.

»Poppet, was siehst du?«

»Unter uns, in einer Ecke neben den Winden, liegen Leichen. Vielleicht zwanzig oder so. Vier von ihnen scheinen älter zu sein, andere wirken frischer. Sie sind in irgendetwas eingewickelt.«

»Kannst du erkennen, woran sie gestorben sind?«, fragte ich sie.

»Das kann ich dir sagen, Havald«, hörte ich leise Zokora. »Sie wurden von innen heraus aufgefressen. Nachtspinnen.«

»Nachtspinnen?«

»Ja. Vierfach faustgroß und sehr schnell. Sie sind blind, folgen aber Vibrationen im Boden. Wir sollten vorsichtig sein.«

»Spinnen?«, fragte Janos. »Spinnen haben das angerichtet?«

»Ihre Netze sind sehr stabil, aber fast nicht zu sehen. Sie können einen erwachsenen Mann aufhalten. Berührt man mit der Haut das Netz, wird man gelähmt. Das Gift, mit dem ich Poppet betäubte, ist ein Extrakt aus Nachtspinnengift.«

»Hat jeder Handschuhe und Hauben an?«, fragte ich.

»Ich noch nicht«, sagte Janos.

»Dann seht zu, dass Ihr eine Haube aufzieht. Wir vermummen uns, bis keine Haut mehr frei ist. Was gibt es noch über die Spinnen zu sagen, Zokora?«

»Sie greifen in Mengen an. Wenn sie kommen, dann mit zwanzig oder mehr. Pro Opfer. Sie haben nadelspitze Mandibeln, die leicht durch Leder hindurchdringen können.«

»Wovor haben sie Angst?«

»Vor nichts. Sie sehen nichts, deshalb fürchten sie nicht einmal Feuer.«

Ich schüttelte den Kopf. »Und womit bekämpft ihr sie?«

»Mit Feuer und Gift. Wir wählen einen Sklaven aus, der mit Gift gefüllte Fruchtkapseln schluckt, und schicken ihn in ein Nest. Die Spinnen fangen ihn, lähmen ihn und legen ihre Eier in ihn ab. Dann frisst der Nachwuchs den Sklaven auf, wobei das Gift freigesetzt wird. Wenn wir eine Futterstelle wie diese finden, müssen wir um die zwanzig Sklaven hinschicken. Ein halbes Jahr später sind die Spinnen tot.«

Ich schluckte. »Warum schickt ihr keine Tiere? Eine Kuh oder so etwas.«

»Wir haben kein Nutzvieh außer den Sklaven.«

Manchmal vergaß ich, woher Zokora kam. Auskünfte wie diese erinnerten mich wieder daran.

»Und jetzt?«, fragte Janos. »Wir haben gerade keine Sklaven dabei.«

»Wir könnten nach einem anderen Weg suchen«, sagte Sieglinde leise.

Ich schüttelte den Kopf. Bisher hatten wir nur diesen Weg gefunden.

»Wieso erfrieren sie nicht?«, fragte Leandra. »Spinnen leben normalerweise an wärmeren Orten. Es gibt keine Spinnen dort, wo es friert.«

»Außer Nachtspinnen. Sie haben etwas in ihrem Blut, das ein Gefrieren verhindert. Ich weiß nicht, was es ist. Wir halten Nachtspinnen in Zuchten. Mit ihrem Blut tränken wir Fackeln. Es brennt sehr gut.«

»Brennen die Spinnen selbst?«

»Wie Zunder.«

»Warum fackelt ihr sie dann nicht einfach ab?«

»Das tun wir, wenn wir es können.«

Wir alle trugen Eisotterfelle mit einem sehr dichten Pelz. Darunter Kette und Leder. Ich selbst hatte stabile Stiefel an den Füßen. An und für sich bezweifelte ich, dass die Biester sich durch all diese Lagen beißen konnten. Aber sie brauchten nur eine Stelle. Und wenn die Netze so stabil waren, wie Zokora sagte, hingen wir vielleicht wehrlos in ihnen, bis sie eine Stelle zum Knabbern fanden.

»Wieviel Öl haben wir noch?«, fragte ich.

»Insgesamt vielleicht fünf Flaschen«, antwortete Sieglinde.

»Holt die Flaschen heraus und bringt ölgetränkte Tücher als Lunten an. Zokora, Ihr seht hier unten am besten. Seid vorsichtig, aber schaut Euch die Tür an, ob Ihr Spinnweben findet. Das Nest ist unter uns, vielleicht haben wir Glück und sie bleiben auf der unteren Etage. Der Rest von uns sieht zu, dass er oder sie seine schärfste Klinge griffbereit hat.« Ich griff Seelenreißer, zog ihn aber nicht.

»Es ist ein Netz an der Tür. Ein Jagdnetz, nur Alarmstränge«, kam Zokoras leise Stimme von der offenen Tür.

»Ich bin sicher, dass einige von ihnen über der Tür sitzen.«

»Wieso sind die Biester noch nicht verhungert?«, fragte Janos. »So viele Schatzsucher gibt es ja auch wieder nicht.«

»Sie können Jahrzehnte lang in einer Art Starre aushalten, ohne zu fressen.«

Also konnten sie überall lauern.

»Leandra. Kannst du Feuermagie bereithalten?«

»Ich kann es versuchen«, kam Leandras Antwort. »Havald, ich hasse Spinnen.«

»Jeder hasst Spinnen.«

»Nicht so wie ich. Wenn ich eine sehe, kann ich mich nicht rühren vor Angst. Ich glaube, mir wird schlecht.«

Ich ergriff sie beim Arm. »Nein, wird dir nicht. Ziehe Steinherz.«

»Varosch?«

»Hier.«

»Lass dir von Sieglinde helfen. Ich möchte, dass du einen Bolzen mit einem ölgetränkten Lappen umwickelst und ihn brennend durch diese Tür schießt. Zokora, kommt zurück. Janos, Ihr sagt, Ihr könnt gut werfen?«

»Ja. Ich habe schon eine der Flaschen vorbereitet.«

»Wir brauchen eine Fackel zum Anzünden.«

»Ich habe eine«, sagte Leandra.

»Gib sie mir.« Es war ein kleiner Trick, aber manchmal war er praktisch. Ich hielt die Fackel hoch und stellte mir vor, wie die Spitze immer heißer und heißer wurde, bis sie schließlich entflammte. Wenn ich auf diese Art mehr als bloß einen Kerzendocht anzündete, bekam ich immer rasende Kopfschmerzen, aber diesmal war es mir das wert; hier mit Feuerstein und Zunder zu hantieren erschien mir nicht sinnvoll.

»Und du sagst, du kennst keine Magie«, sagte Leandra fast vorwurfsvoll.

»Es ist nur ein kleiner Trick. Und auch schon fast mein ganzes Repertoire.«

»Ich bin so weit«, sagte Varosch. Ich reichte Sieglinde die Fackel und zog meinen Pelz dichter um mich, Seelenreißers blassen Stahl in der Hand.

»Sag mal, Zokora, wie viele Spinnen, schätzt du, wird es hier geben?«, fragte Janos leise.

»Nur ein paar Hundert. Wohl kaum mehr als tausend«, kam die Antwort.

»Nur«, hauchte Leandra und fing an, schneller zu atmen.

»Ruhig, mein Herz«, sagte ich und legte ihr eine Hand auf die Schulter.

Ich erkannte Sieglindes Umriss, als sie sich vorbeugte. Ich sah nicht das Feuer, aber ich hörte es knistern, dann kam der metallische Schlag, als Varosch den Bolzen abschoss. Ich hörte, wie er in die entfernte Wand einschlug, gefolgt von einem Rascheln wie von Tausenden trockenen Blättern, die über einen rauen Boden geweht wurden.

»Heiliges Exkrement!«, flüsterte Janos neben mir. »Ich brauche Feuer! Schnell!«

Sieglinde wirbelte zu ihm herum und hielt die Fackel an die Lunte, dann sah ich, wie Janos warf.

»Was ist?«, rief ich.

»Das sind Hunderte!«

»Was passiert?«, fragte ich. »Götter! Kann mir endlich einer sagen, was ihr seht!«

»Spinnen, jede Menge Spinnen«, sagte Poppet. »Sie stürzen sich auf den Bolzen. Janos hat ein paar mit seiner Ölflasche erwischt und angezündet. Sie rennen wie wild hin und her. Und brennen. Je mehr brennen, desto mehr stürzen sie sich auf das Feuer.«

Ich hörte ein leises Geräusch, als ob eine Melone platzte.

»Bewegt euch nicht«, zischte Zokora plötzlich. »Nicht einmal atmen!« Ich wusste nicht, was sie meinte, bis ich sah, dass sich die Decke über uns absenkte. Aber ich konnte nur Lebendes wahrnehmen … Also war es … Götter, es waren Tausende von Spinnen, die von der Decke herabregneten, auf uns fielen, an uns herabkletterten und durch die Tür in den anderen Raum rannten, wo die seltsam poppenden Geräusche nun verstärkt auftraten.

Wie Zokora befahl, hielt ich die Luft an, wagte nicht einmal zu atmen. Ich hatte die Klinge in der Hand, also sah ich, wie die Spinnen an mir herabkrabbelten. Es fiel mir nicht schwer, stocksteif dazustehen, irgendwie schien es mir kaum möglich, mich zu bewegen.

Es dauerte eine Ewigkeit. Dann war es vorbei.

»Was war das?«, fragte ich leise. »Warum haben sie sich alle in das Feuer gestürzt?«

»Ich glaube, dass sie nicht ins Feuer rennen, sondern zu einer Spinne, die irgendwie Hilfe benötigt. Es ist ein Instinkt«, antwortete Zokora. »Normalerweise hilft ihnen das. Es gibt nicht viel offenes Feuer in den Höhlen. Feuer allein beachten sie gar nicht. Bis eine hineinläuft.«

»Sind sie weg? Kann ich die Augen öffnen?«, hörte ich Leandra leise neben mir fragen. Ich streckte meine Hand aus, berührte sie. Sie zitterte wie Espenlaub.

»Sie brennen.«

»Das war einfach. Warum nehmt ihr dafür Sklaven? Eine Fackel reichte«, sagte Janos.

»Weil sie normalerweise nicht alle in einem Raum sind. Ich frage mich, wieso sie das waren.«

Nach einer Weile erhielten wir die Antwort darauf. Der Gestank war unerträglich, und wir zogen uns in den Fuß des anderen Turms zurück, bis das Gröbste vorbei war. Als wir den anderen Raum ein paar Stunden später passierten, musste ich immer noch mit einem Brechreiz kämpfen. Unter unseren Stiefeln knirschten die verbrannten Hüllen der Spinnen.

Die Antwort war simpel: In dem anderen Raum endete der Aufgang zum südlichen Turm. Die Tür stand offen. Eine weitere Tür führte von diesem Raum in Richtung Osten, dorthin, wohin wir wollten. Sie war aus Stahl und von der anderen Seite verriegelt. Der Turm, den wir benutzt hatten, war auch auf Bodenniveau verschlossen gewesen. Die Spinnen hatten nur den Windenraum und den Vorraum zum anderen Turm.

»Ich denke, die anderen Schatzsucher haben alle den südlichen Turm genommen. Warum auch immer. Sie kamen hier herunter und gerieten in das Netz. Für die Spinnen kam die Nahrung immer aus einer Richtung, deshalb haben sie dort über dem Eingang gewartet«, sagte Varosch, als er die Fackel hochhielt, um sich das Ganze anzusehen.

»Und die Spinnen konnten nirgendwo anders hin. Türen konnten sie eben immer noch nicht öffnen. Deshalb waren sie alle in diesen beiden Räumen.«

»Und warum kamen die Schatzsucher immer durch den Südturm?«, fragte Sieglinde.

Varosch zuckte mit den Schultern. »Vielleicht steht die Tür offen.«

»Warum haben wir uns eigentlich für den Nordturm entschieden?«, fragte Janos leise nach. »War es eine Eurer Eingebungen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Kennard beschrieb uns den Weg vom nördlichen Turm aus. Sonst hätten wir vielleicht auch den südlichen genommen.«

»Pures Glück also«, stellte Janos fest. »Ich bin gespannt, wie lange es anhält.«

Ich hatte so meine Zweifel, ob es nur pures Glück war.

»Was meinst du, sind die Spinnen die Ungeheuer, von denen die Rede war?«, fragte mich Leandra leise. Sie hielt meine Hand noch immer fest umklammert.

»Sie sind schlimm genug. Wenn man nicht vorgewarnt ist und durch den anderen Turm hereinkommt … Ich glaube nicht, dass wir ihnen entgangen wären.«

Sie schüttelte sich.

Poppet öffnete uns die dritte Tür, und wir erreichten einen überdachten offenen Gang, der auf der Innenseite um den ganzen Hof herumlief. Er war, wie nicht anders zu erwarten, vereist. Aber wir konnten nun zum ersten Mal die Festung überblicken. Sie war einfach aufgebaut. Der Grundriss war rechteckig, mit Türmen an jeder Ecke. An der Südseite befanden sich drei Gebäude nebeneinander, ein großes, gute drei Stockwerke hoch, in der Mitte, flankiert von zwei kleineren. Die Überraschung war ein großes Tor in der Ostmauer.

»Warum kein Tor zum Pass?«, fragte Varosch, als er die Anlage musterte. »Das würde mehr Sinn ergeben.«

»Es gab mal eine Rampe, die zur Feste hochführte. Sie endete dort an dem Tor nahe dem Südturm«, sagte Sieglinde. »Aber die Rampe ist schon vor Jahrhunderten weggebrochen.«

»Ich glaube, sie wurde absichtlich zerstört«, sagte Janos. »Nun, hier geht es weiter. Ich nehme an, die Messe befindet sich in dem großen Gebäude.«

»Still!«, sagte ich. Ich hatte etwas gehört … ein entferntes Flappen. Aber nein, da war nichts.

»Also sind wir bald da«, sagte Janos mit unverhohlener Erleichterung. »Nur um den Wehrgang herum und dann ins Gebäude.«

»Sieht so aus«, sagte Zokora.

Auch wenn der Boden vereist war, dauerte es nicht lange, bis wir an einer Pforte angelangt waren, die vom Wehrgang aus ins Hauptgebäude führte. Wieder öffnete Poppet uns die Pforte von innen.

Wir fanden die Messe bald. Poppet beschrieb mir gut zwei Dutzend lange, schwere Holztische. Alles glitzerte vor Eis, und unter dem Eis konnte sie Reihen von Tellern sehen, als ob die Soldaten jeden Moment zum Essenfassen antreten würden.

Wortlos passierten wir eine lange Theke, ich konnte mir gut vorstellen, wie die Soldaten hier Schlange gestanden hatten, um ihr Essen zu empfangen.

Ein Torbogen mit einem eingemeißelten Bullen führte uns in einen langen Gang, dieser wiederum in einen großen Flur, von dem mehrere Türen abgingen. Die Tür geradeaus war die Tür, die wir suchten, auch hier war ein Bulle in den Rahmen eingemeißelt.

Dieses Arbeitszimmer war aufgeräumt zurückgelassen worden. Keine Karte hing an der Wand, der große Schreibtisch war leer. Wir suchten und fanden das Geheimfach, das im Gasthof die Flagge enthalten hatte, aber auch dieses war leer.

»Das sieht nach einem geordneten Rückzug aus. Offensichtlich kamen sie irgendwann einmal doch noch nach Hause«, sagte Sieglinde leise. »Sie hatten Glück.«

»Und hier soll das Tor sein?«, fragte Janos skeptisch. Ich hörte, wie er mit der Hand über die Wand fuhr und sie auch mal abklopfte. »Für mich sieht das wie gewachsener Fels aus.«

»Eine Geheimtür ist wohl nur dann geheim, wenn man sie nicht auf Anhieb findet«, sagte ich. »Der Mechanismus ist einfach, aber dennoch schlau. Es braucht immer zwei Leute, um die Tür zu öffnen. Janos, stellt Euch in die östliche Ecke des Raums, auf die letzte der Platten.« Ich tastete mich an der Wand entlang, bis ich die westliche Ecke erreichte. Es klickte leise unter meinen Füßen, dann polterte und rumpelte es, als die Wand hinter dem Schreibtisch im Boden versank.

»Was siehst du?«, fragte ich Poppet.

»Einen achteckigen Raum, vielleicht neun Schritt im Durchmesser. Ein goldenes Achteck im Boden.«

»Sind Steine vorhanden?«

»Nein.«

»Also, dann …«

»Schsch!«, rief Zokora, gerade als auch ich glaubte, etwas gehört zu haben. Dann wurde die Tür von außen aufgestoßen. Jemand trat ein.

»Schön, euch wiederzusehen«, sagte eine Stimme, die mir wohlbekannt war. Die Gehässigkeit war die gleiche, aber diesmal schwang auch Selbstsicherheit und Überheblichkeit mit.

»Holgar?«, rief Varosch ungläubig.

»Wie, bei Soltars Höllen, hast du uns gefunden?« Auch Janos klang erstaunt.

Der Händler lachte.

»Ihr seid der Jäger«, sagte Leandra. Es war eine Feststellung, keine Frage.

»Ihr seht so überrascht aus! Meint ihr wirklich, der erlauchte Thalak würde euch erlauben, seine Pläne zu durchkreuzen? Oder seid ihr überrascht, dass ich ihm diene?« Er lachte wieder. »Ich sehe, dass ihr mir den Torraum geöffnet habt. Wie nett von euch. Es wird Zeit, dieses andere Reich zu besuchen!«

Ich berührte Seelenreißer. Holgar stand direkt neben der Tür, mit dem Rücken zur Wand.

»Schön, dass du dich freust«, sagte Janos. »Also stirbst du mit einem Lächeln.«

Ich hörte, wie er sein Schwert zog, und sah fassungslos, dass er sich auf die offene Tür stürzte. Er schlug meilenweit vorbei. Holgar streckte die Hand aus und berührte ihn leicht im Nacken. Janos brüllte auf und griff sich mit der freien Hand an den Hals. »Welcher Zauber ist das?«

Varosch hob seine Armbrust und drückte ab, ich konnte weder Armbrust noch Bolzen wahrnehmen, aber die Haltung seines Umrisses zeigte mir, dass auch er in eine falsche Richtung zielte – in Leandras.

Seelenreißer zuckte hoch und schlug den Bolzen beiseite, im nächsten Moment stürzte sich Sieglinde auf Zokora, die dem Schlag knapp auswich und dann selbst in die Offensive ging.

Holgar lachte. Neben mir hob Leandra eine Hand und deutete auf Poppet, die still dastand.

Ich verstand das alles nicht, aber ich stieß Leandras Hand zur Seite, gerade als sich der Blitz entlud. Den Blitz wiederum konnte ich sehr wohl erkennen, er schlug in eine Wand ein, prallte in den Raum zurück und traf Sieglinde, die mit einem Aufschrei nach hinten taumelte.

Holgar tat … nichts.

Janos hingegen stürzte in den Raum hinein und fand ein neues Ziel, mich. Ich hatte Mühe, ihm auszuweichen, ich sah seine Klinge nicht, aber Seelenreißer zuckte hoch und zur Seite, und hätte ich es nicht im letzten Moment zurückgehalten, hätte Seelenreißer Janos aufgespießt.

Ich wusste nicht, weshalb ich so lange brauchte, um zu verstehen, vielleicht war ich selbst zu überrumpelt, aber irgendwie hatte Holgar es fertig gebracht, dass wir uns gegenseitig angriffen, während er einfach zusah und lachte. Ich rollte unter Janos’ zweitem Schlag weg, rutschte gerade noch unter Zokoras Klinge hindurch, dann war ich bei dem Jäger des dunklen Reiches.

Ich glaube, er begriff, dass ich ihn sehen konnte, denn ich hatte das Gefühl, dass er noch zu entkommen versuchte, als ich ihn von schräg unten mit Seelenreißer an die Wand nagelte.

»Zokora!«, rief Varosch in einem Ton der Verzweiflung und warf sich auf mich. Ich konnte die Waffe nicht sehen, aber seiner Haltung nach führte er wohl einen Dolch. Ich war denkbar ungünstig positioniert, Seelenreißer steckte im Stein der Wand fest, also versuchte ich unter seinem Hieb hindurchzutauchen. Er traf mich trotzdem, wenn auch nicht mit voller Wucht. Meine Kette hielt. Holgar war noch nicht tot. Varosch stach wieder und wieder auf mich ein, und unser gemeinsames Gewicht löste Seelenreißer aus der Wand.

Ich hatte einen einzigen Moment, und ich nutzte ihn. Die fahle Klinge beschrieb einen Kreis in Halshöhe des an der Wand herabrutschenden Händlers, ich spürte, wie Seelenreißer zuckte, dann sprang ich zur Seite und Janos’ Schwert traf die Wand, gerade dort, wo ich eben noch gestanden hatte, mit der Spitze ritzte es meinen Wangenknochen an.

»Halt! Einhalten!«, rief ich, vollständig außer Atem. »Es ist Täuschung und Trug! Haltet ein!«

»Das«, keuchte Zokora, »sehe ich jetzt auch.«

»Götter!«, rief Janos und eilte dorthin, wo Sieglinde von Leandras Blitz zu Boden geschleudert worden war.

»Leandra?«, rief ich und eilte zu ihr. Einen sehr langen Moment hielten wir uns gegenseitig.

»Was ist passiert?«, fragte Janos später. Er hatte sich etwas beruhigt. Sieglinde war nur ohnmächtig, Leandras Blitz hatte durch den Umweg über die Wand viel von seiner Macht verloren. Auch wenn wir glimpflich davongekommen waren, so hatte sich jeder außer Zokora doch Blessuren eingehandelt.

»Das gibt eine hübsche Narbe«, sagte Leandra, als sie meine Wunde abtupfte. Sie warf einen bösen Blick in Richtung Janos.

»Tut mir leid, aber ich sah nur Holgar«, antwortete der. »Wie kann das sein?«

»Magie«, antwortete Leandra. »Magie, wie ich sie noch nie gesehen habe. Jeder von uns hielt einen anderen für Holgar, so bekämpften wir uns gegenseitig.«

»Aber Havald nicht«, sagte Varosch.

»Richtig«, bemerkte Zokora trocken. »Der ist ja auch blind.«

»Du blutest auch hier«, sagte Leandra und fuhr über meine Schulter.

»Autsch!« Offensichtlich gab es doch eine Stelle, an der Varosch durch meinen Kettenmantel gedrungen war. Die Wunde war nicht tief, aber sie schmerzte.

Mein Kopf schmerzte, meine Seite schmerzte, mein linkes Knie – dunkel konnte ich mich daran erinnern, dass Sieglinde dagegen getreten hatte –, mein Rücken und mein Gesicht … die Wunde an der Schulter fiel kaum mehr auf. Langsam wurde ich zu alt für so etwas!

»Das«, presste Janos hervor, »ist eine ziemlich fiese Magie. Unehrenhaft ist das.« Und dann fiel er zu Boden.

»Verdammt!«, rief Varosch. »Ich habe gar nicht gesehen, dass er verwundet ist!«

»Ist er auch nicht«, antwortete Zokora und kniete sich neben Janos nieder, um seinen Kopf auf die Seite zu drehen. »Seht.«

»Sein Hals ist geschwollen«, sagte Poppets ruhige Stimme neben mir. »Gift.«

»Kennst du das Gift?«, fragte ich sie.

»Ja.«

»Gibt es ein Gegenmittel?«

»Ja.«

Götter. Das war wie einer Henne Zähne ziehen!

»Hilf ihm!«

Poppet bewegte sich hinüber zu Janos und schlug ihm in die Mitte des Brustkorbs. Janos bäumte sich auf und fing an zu husten.

»Poppet! Warum hast du das getan?«, fragte Leandra.

»Feuerlilie«, hörte ich Poppet sagen. »Der Extrakt brennt zuerst wie Feuer, dann verursacht er nach ein bis zwei Minuten einen Atemstillstand. Dann ist die Wirkung auch schon vorbei. Ich musste nur die Atmung neu anregen.«

»Nett«, vernahm ich Varosch. »Gift und Magie … wirklich nicht sehr ehrenhaft.«

»Aber wirkungsvoll«, kam es von Zokora.

»Stimmt. Wir haben beinahe seine Arbeit getan«, pflichtete ihr Leandra bei. Ich kannte diesen Unterton, sie war sauer.

»Ist er tot?«, hörte ich Sieglindes schwache Stimme. Sie war wieder zu sich gekommen.

»Ja«, sagte Zokora.

Sieglinde gab ein leises Stöhnen von sich.

»Nein, bin ich nicht«, hustete Janos.

»Holgar ist tot«, erklärte Varosch.

»Ich kann immer noch nicht glauben, dass Holgar der Jäger war«, sagte ich.

»Das zeigt nur, wie gut er war«, sagte Zokora.

Sie hatte recht. Bislang hatte ich das Imperium von Thalak als einen langsamen, schwerfälligen Moloch angesehen, der gemächlich und unaufhaltsam über die Reiche hinwegrollte und sie mit der schieren Masse von Soldaten erdrückte, jetzt erkannte ich, dass es durchaus in der Lage war, schnell und direkt zu handeln. Der Hammerkopf, wo wir Holgar zum ersten Mal getroffen hatten, war weit weg von der Front, gute vierzehn Tagesritte auf einem schnellen Pferd. Der Imperator wusste sehr wohl um die Bedeutung des Gasthofs, da er nicht nur Balthasar geschickt, sondern auch einen Agenten vor Ort platziert hatte. Die Frage, die sich mir stellte, war, ob er nun wohl auch über die jüngsten Geschehnisse Bescheid wusste.

»Rigurd … war er auch ein Agent?«, fragte Zokora leise. Rigurd war zusammen mit Holgar in den Gasthof gekommen; angeblich war er ein Freund Holgars.

»Ich glaube nicht«, sagte ich. »Sonst hätte er sich nicht dem Bolzen in den Weg geworfen und sein Leben für Eures gegeben.«

Ich merkte, wie meine Beine anfingen zu zittern. Ich suchte mir eine Stelle an der Wand, schloss die Augen und wartete. Die Wärme stieg in mir hoch, berührte meine Verletzungen. Die Wunde an meiner Seite hörte auf zu spannen, und auch der Schnitt in meinem Gesicht brannte nicht mehr. Ich war unendlich müde. Ich schob mit zitternden Fingern eine gesättigte Klinge in die Scheide zurück und überließ mich der Dunkelheit. Wie so oft vorher schwor ich mir, Seelenreißer nicht mehr zu verwenden, ich wollte nichts von Holgar in mir. Aber es war zu spät, ich hatte das Bannschwert gehalten, als Holgar starb. Dieses Schwert war wahrlich verflucht.

Als ich wieder erwachte, reichte mir Sieglinde einen Kanten Brot und eine Schale Tee. Ich war immer noch blind. Was auch immer Seelenreißer mir an Heilung gab, wenn er jemanden tötete, es reichte nicht, um meine Blindheit zu besiegen.

»Danke«, sagte ich. »Hat man bei Holgars Leiche etwas von Belang gefunden?«

»Sieglinde schüttelt den Kopf«, sagte Poppet neben mir.

Ich hörte Leandras Stimme aus dem Torraum. »Ich bin mir sicher, dass dies der richtige Stein ist.«

»So sicher, dass Ihr bereit seid, unser Leben darauf zu verwetten?« Das war Janos. Wer sonst?

»Was machen die anderen?«, fragte ich Sieglinde.

»Poppet kniet neben Euch. Die anderen diskutieren die ganze Zeit, ob die Steine richtig ausgelegt sind. Ich glaube, es geht darum, dass es zwei Steine mit unterschiedlichen Blautönen gibt. Aber Meister Kennard hat nur dunkelblau niedergeschrieben.«

Ich erhob mich, wankte auf butterweichen Knien und spürte sofort, wie Poppet mich stützte. Es war mir peinlich, aber Zokora hatte Poppet die Aufgabe übertragen, mir in jeder Form zu helfen.

Ich begab mich zum Eingang des Torraums. Meine Hand glitt über Seelenreißers Heft, und ich sah die anderen. Sie standen um das Muster im Boden herum, das ich deutlich wahrnehmen konnte. Es schien mir wie ein Band aus glühendem Metall. Leandra kniete in der Mitte. Auch die Torsteine waren für mich deutlich zu erkennen. Mittlerweile hatte ich eine Ahnung, wie mein Schwert die Dinge wahrnahm. Je mehr Energie etwas in sich trug, desto deutlicher trat es hervor.

»Was ist das Problem?«

»Kennard schrieb, dass der dunkelblaue Stein auf die sechste Position gehört. Wir haben zwei dunkelblaue Steine«, erklärte mir Leandra.

»Und sie sind nicht gleich«, tönte Janos.

»Aber die Farben sind sehr nahe beieinander.«

»Wir haben fünfundzwanzig Steine, davon sind einige doppelt. Es ist egal«, sagte ich.

»Wisst Ihr das genau?«, fragte Janos.

»Nun, die zweite Reihenfolge, die wir beim nächsten Tor benötigen werden, braucht ebenfalls einen dunkelblauen Stein und zwei rote. Rot wird hier nicht gebraucht. Leandra, sind die beiden roten Steine gleich?«

Ich hörte, wie Leandra in den Beutel griff und die Steine in ihrer Hand klickten. »Nein. Sehr ähnlich, aber nicht exakt gleich.«

»Seht ihr?«, sagte ich. »Wir legen einen der Steine aus, und damit hat es sich.«

»Und wenn es falsch ist?«, wollte Janos wissen.

»Ihr müsst es so sehen. Es wäre unlogisch, wenn man die Steine verwechseln könnte. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Tore auch schon mal hastig verwendet wurden. So ergibt es Sinn. Ist es anders, können wir die Frage nicht beantworten.«

Leandra bückte sich und ließ den letzten Stein im Außenrand in das Muster fallen. Nun fehlte nur noch der Stein in der Mitte.

»Habt ihr das Zeichen im Stein gefunden, von dem aus man zählt?«, fragte ich.

»Ja«, sagte Varosch. »Wir haben lange danach gesucht. Es ist ein kleiner Pfeil an der zweiten Position, von der Tür aus gesehen.«

»Ich finde, diese Tore sind heimtückisch«, brummte Janos. »Macht man einen Fehler, ist man hinüber. Und es gibt viele Möglichkeiten, einen Fehler zu machen.«

»Das war ja auch die Idee«, sagte Zokora.

»Wie geht es dir?«, fragte mich Leandra und strich mir über die Wange. »Der Schnitt ist beinahe verheilt.«

»Danke, mir geht es gut.« Ich drückte ihre Hand und lehnte mich an die Wand. »Wir sind so weit, nicht wahr?«, fragte ich nach einer Weile.

»Ein bisschen angeschlagen, aber ja, wir sind so weit«, antwortete Janos.

In Seelenreißers Sicht leuchtete der achteckige Ring und schien in der Dunkelheit zu schweben. Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber mir kam es vor, als ob er langsam pulsierte.

»Wo führt das Tor eigentlich hin?«, fragte Sieglinde.

Ich lachte. »Ich glaube, keiner von uns hat geglaubt, dass wir es finden«, sagte ich dann. »Sie ist die Erste, die überhaupt fragt. Wie heißt das Land? Bessarein, nicht wahr?«

»Es müsste Bessarein sein«, erklärte Leandra. »Eines der sieben Königreiche. Das Tor sollte zu einer Wegestation führen. Diese Wegestationen sind so aufgebaut wie der Gasthof, erklärte mir Kennard. Sie sehen alle fast gleich aus. Von dort aus sind es nur wenige Wochen zu Pferd nach Askir. Es soll dort gute Straßen geben.«

»Von welcher zweiten Kombination sprach Havald dann?«, wollte Janos wissen.

Ich stieß mich von der Wand ab. »Dem Weg zurück zu diesem Tor.«

»Was wissen wir über Bessarein?«, fragte mich Sieglinde, als wir unsere Ausrüstung in das Zentrum des goldenen Achtecks verfrachteten.

Ich runzelte die Stirn. »Nicht viel. Es muss ein trockenes Gebiet sein, Steppe und Wüste. Auf jeden Fall ist es wärmer dort.«

»Warum? Ist dort nicht auch Winter?«

»Frag Leandra, wenn du eine Erklärung haben willst. Aber erwarte nicht, dass du es verstehst. Sie sagt, dass die Weltenscheibe eine Kugel ist.«

»Ich brauche Leandra nicht zu fragen. Serafine sagt, die Welt sei eine Kugel und Bessarein liege am Äquator. Deshalb sei es dort wärmer, weil die Sonne direkter auf die Erde strahlt.«

»Siehst du, da hast du deine Erklärung.« Ich seufzte. Wenn die Erde eine Kugel wäre, müsste man dann nicht von ihr herunterfallen oder zumindest abrutschen? Oder auf dem Kopf stehen? »Auf jeden Fall«, fuhr ich fort, »sagte Kennard, dass die Leute dort sehr geschäftstüchtig seien. Es gibt dort wenige Städte, aber viele Nomadenreiche. Er sprach von einer prächtigen Kultur. Der König dort nennt sich Kalif. Es gebe Silber- und Kupferminen, aber nur wenig Wasser. Wenn es Wasser gibt, nennt man das eine Oase. An großen Oasen und entlang der wenigen Flüsse gibt es oft Städte. In den Steppen und Wüsten sollen Nomaden leben.«

»Wird man uns dort helfen können?«, fragte sie.

»Ich denke, wir werden so schnell wie möglich Pferde kaufen und nach Askir weiterreiten. Ich glaube nicht, dass Leandra vorhat, sich lange im Bessarein aufzuhalten. Das ist übrigens auch der Rat, den Kennard uns gab. Die Leute seien recht verschlossen und in manchen ihrer Bräuche seltsam.«

»Was meinte er mit seltsam?«, fragte Janos. Er ließ etwas Schweres auf den Boden fallen.

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Er sagte nur noch, dass in den Wegestationen und auf den imperialen Straßen noch imperiales Recht gelte. Aber abseits der Straßen und der Stationen gelten die Gesetze der Königreiche. Wir sollten uns an die Straßen halten.«

»Bessarein gehört zu den Reichen, in denen das Wirken von Magie verboten ist. Man wird verbrannt, wenn man erwischt wird.« Leandra stellte etwas auf den Boden.

»Ich glaube, wir haben alles, nicht wahr?«, fragte sie.

»Ich denke schon«, antwortete Varosch.

»Wie groß ist die Entfernung?«, wollte Janos wissen.

»Sie entspricht über dreihundertzwanzig Wegstunden. Auf ebenen Wegen.«

Janos pfiff leise durch die Zähne. »Das ist eine ganz schöne Strecke. Vierzig Tagesreisen.«

»Auf offenen, ebenen und trockenen Wegen. Es liegen Gebirge zwischen Bessarein und uns, auch Wüsten soll es dazwischen geben. Ich glaube, es ist im Sommer eine Reise von gut drei Monaten.«

»Moment, die Tür«, rief ich. Es polterte hinter uns, als die Wand wieder vor die Öffnung glitt.

»Ist zu«, teilte mir Varosch mit. »Ihr seid nicht ganz im Kreis, Havald.«

Ich trat einen Schritt vor. »In Ordnung?«, fragte ich und schluckte. Ich hatte nicht vergessen, dass der Kreis alles abschnitt. Also auch mich.

»Ja, alles drin«, gab Varosch zur Antwort.

»Tja«, sagte Janos. »Was meint ihr, wird man etwas merken?«

»Ich habe nicht die geringste Ahnung.«

»Ich hoffe, die Steine liegen richtig«, sagte Sieglinde leise.

»Jemand lege den letzten Stein«, sagte Zokora ungeduldig. »Es wird langweilig.«

Ich berührte Seelenreißer und sah, wie Leandra sich bückte.