26. Ein besonderes Mahl
»Wie mundet euch dieses Mahl?«, fragte ich später. Wir befanden uns im Raum des Genusses und hatten eine fürstliche Tafel vor uns, die mit ihren Delikatessen sogar Fahrds letzte Meisterleistung übertraf.
»Hervorragend«, sagte Varosch. Alle drei sahen deutlich besser aus als vorhin; das Bad hatte ihnen gutgetan, und auch die neuen Kleider standen ihnen. Natalyia war gekleidet, wie man es hierzulande von der Schwester eines Fürsten erwartete, in weite wallende Gewänder, die ihre Figur zugleich betonten und sittsam verbargen. Zokora und Varosch trugen Schwarz, jedoch nicht die dunklen Burnusse eines Sklavenhändlers, sondern weite Hosen mit kniehohen Stiefeln und weiten Blusen, über die eine verstärkte Lederweste gezogen wurde. Zokora trug die schwere silberne Kette mit dem Katzensymbol offen um den Hals und wirkte mysteriös, mehr als nur gefährlich. Unter dem Stoff, das wusste ich, trug sie wieder ihre eigene schwarze Rüstung aus so feinen Kettenringen, dass es wirkte, als wäre sie aus Dunkelheit gefertigt statt aus einem berührbaren Metall.
Varosch hatte den Schutz der verstärkten Weste mit Armschienen ergänzt, an seinem linken Arm war ein Stück Stahl angeschnallt, das schräg gezackt war und es ihm erlaubte, mit seinem Unterarm eine Klinge abzuwehren und sie zugleich zu brechen, wenn sie sich in diesen Zähnen verfing. Ich kannte diese Art von Rüstung aus Lassahndaar, Klingenbrecher nannte man sie dort und wohl zu Recht. Stadt- und Tempelwachen waren damit ausgestattet.
Armin hatte darauf bestanden, dass er, Selim und seine Schwester Helis an einem anderen, niedrigeren Tisch speisten. In diesem Moment half er ihr liebevoll beim Essen, sie war so ungeschickt wie ein Kleinkind. Faraisa schlief in einer kunstvollen Krippe neben Helis, die das Kind immer wieder liebevoll angluckste. Es brach mir fast das Herz, diese leeren Augen zu sehen.
Ich wandte mich wieder meinen Gefährten zu. »Diese Stadt wird mich immer wieder neu überraschen können. Aber am meisten beeindruckt mich die kulinarische Vielfalt.« Ich lehnte mich satt zurück und nahm einen Schluck gekühlten Wein. Es war kein Fiorenzer – der Hüter des Weins hatte noch nie von diesem Tropfen gehört –, aber dieser Traubensaft kam dem Fiorenzer recht nahe.
»Delikatessen gibt es auch andernorts«, sagte Zokora.
Ich warf ihr einen Blick zu. »Gibt es auch bei Euch eine besondere Delikatesse?«, fragte ich höflich.
»O ja«, antwortete sie, und zum ersten Mal sah ich einen verträumten Ausdruck auf ihren ebenmäßigen Zügen. Sie schloss die Augen und befeuchtete mit ihrer Zunge die geöffneten Lippen. »Es gibt eine ganz besondere Delikatesse bei uns, die nur auf den Tischen der hohen Häuser zu finden ist«, fuhr sie mit rauchiger Stimme fort. »Gefüllte Haantar-Spinne, noch lebend, nur eine Sekunde in heißes Öl getaucht, um den Saft in ihr zu halten!« Es hätte nur noch gefehlt, dass sie zu schmatzen anfing. »Ich kann sie fast vor mir sehen.« Sie machte eine Geste mit ihrer linken Hand, als ob sie etwas in ihr wog, was sie dann als einen einzigen Happen zu ihrem Mund führte. »Es ist unvergleichlich, wenn die Schale bricht und sich der kühlende Saft ihres Blutes mit der heißen Füllung mischt.«
Sie öffnete ihre Augen und sah mich in einer Weise an, die mich verzweifelt an Leandra denken ließ.
»Nichts auf der Welt gleicht diesem Genuss«, sagte sie dann ehrfürchtig.
Stille herrschte an unserem Tisch, vom anderen Tisch kam ein leises, würgendes Geräusch. Ich hustete leicht und nahm rasch einen weiteren Schluck Wein.
Varosch blickte wie gebannt zu Zokora hinüber, schluckte dann, als er den Ausdruck in ihrem Gesicht sah.
»Das … das ist in der Tat eine besondere Delikatesse«, beeilte sich Natalyia zu sagen. »Ich selbst mag allerdings gebratene Äpfel lieber.«
Ich hatte meine Geschichte bereits erzählt, Varosch lächelte, als ich berichtete, wie der Schlag der Wache auf meinen Kopf mir das Augenlicht wiedergab. Ich beschrieb, wie Ordun mich mit seiner dunklen Magie mühelos besiegt hatte und Armin mich rettete, woraufhin Zokora Armin lobte, er rot anlief und ziemlich verzweifelt aussah, als sie ihm einen überraschend freundlichen Blick gönnte.
Ich wusste nicht, warum Zokora die Menschen so erschreckte. Hier, so hatte ich mittlerweile erkannt, wusste man von Dunkelelfen nur, dass es Elfen mit dunkler Hautfarbe waren, so wie man hierzulande auch Menschen mit derselben dunklen Tönung finden konnte. Es waren hier keine fürchterlichen Legenden über Dunkelelfen im Umlauf, also war es sie selbst, von der der Schrecken ausging.
Sie war von meinen Gefährten die kleinste und zierlichste, reichte wohl nicht höher als mein Brustbein, und ich vermochte sie mit einer Hand anzuheben. Ihre ebenmäßigen, fein gezeichneten Züge machten sie, nach Leandra, zu einer der schönsten Frauen, die ich jemals erblickt hatte. Schon lange erschien mir die Farbe ihrer Haut nicht mehr fremd, ich fand sie sogar anziehend, denn sie war glatt und glänzte wie feinstes geöltes, altersdunkles Mahagoni. Manchmal, wie jetzt, saß sie absolut still, schien nicht einmal zu atmen, war wie eine Statue. Nur die Schöpfung der Götter ließ solche Schönheit entstehen.
Das erinnerte mich an etwas.
Ich griff in meinen Beutel und entnahm ihm eine kleine Spielfigur, gefertigt aus der Schale eines Tiefenkrabblers. Eine Nacht hatten wir auf dem Weg hierher rasten müssen. Ich konnte wieder sehen und hatte mein Schnitzmesser dabei. Beim Schnitzen der schwarzen Königin hatte ich mir besondere Mühe gegeben, denn ich hatte zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, ob ich Zokora jemals wiedersehen würde.
Sie nahm die Figur schweigend entgegen und studierte sie, drehte sie in ihren Händen, fuhr leicht mit ihrem Finger über das Gesicht, das ihre Züge trug. Sie sah mich an, stellte die Figur wortlos auf den Tisch und eilte aus dem Raum.
Überrascht sah ich ihr nach.
»Was hat sie denn?«, fragte ich Varosch.
»Ihr werdet es mir nicht glauben«, sagte er dann und nahm selbst die Figur auf, um sie liebevoll zu betrachten. Ich wartete und erkannte auch in Natalyias Augen, dass sie eine Antwort suchte.
Er gab mir die Figur zurück. »Die Figur ist vortrefflich gelungen. Es ist, als ob sie leben und atmen würde. Ihr habt meine Herrin gut getroffen. Habt ihr Wesen in Eurem Werk gefunden. Aber manches seht Ihr eben doch noch nicht.« Er erhob sich. »Sie ist scheu in gewissen Dingen«, sagte er und eilte seiner Herrin nach.
Armin erlitt am anderen Tisch einen Hustenanfall.