ACHTZEHNTES KAPITEL
Bill legte auf. Er hatte nun Netties Nummer zum vierten Mal gewählt. Auch in der Kirche hob niemand ab. Sie war auch nicht in ihrer Wohnung gewesen, als er sie dort um elf Uhr treffen wollte. Sie hatte ihn sitzen lassen.
Und das, nachdem was heute gewesen war. Nachdem sie heute alles geteilt hatten. Nachdem Bill seinen eigenen Vorsätzen untreu geworden war. Nach der Sünde, die sich gar nicht wie eine Sünde anfühlte.
Nachdem er das Wort Liebe ausgesprochen hatte. Das unsinnigste Wort, das ihm jemals über die Lippen gekommen war.
Er packte das Lenkrad und schaute durch die Windschutzscheibe seines Pickups. Die Verkaufsstände des bevorstehenden Blütenfests waren noch stumm, mit Plastik verhängt und in Erwartung des morgigen Besucheransturms. Die Häuserfronten schliefen noch, die Straßen waren schwarz und leer. Ein Polizeiwagen fuhr weiter oben auf der Straße durch die Verkaufsstände, seine Scheinwerfer erleuchteten für einen Moment Holzschilder, aufeinander gestapelte Kisten und vorbereitete Kulissen.
Bill blickte auf die weiße Fassade des Haynes Hauses, das morgen von Kinderlachen, Touristen in lächerlichen Polyester-Trainingsanzügen, Studenten mit nachlässigen Haarschnitten und den Einheimischen in Overalls und gestärkten rosa Kleidern erfüllt sein würde.
Er schaute auch auf die Bühne, auf der Sammy Ray Hawkins morgen vor einem ihn anhimmelnden Publikum spielen würde. Seine Ex-Frau würde in der ersten Reihe sitzen und in der Menge nach Bills Gesicht suchen. Ihr Mund würde dick mit rotem Lippenstift geschminkt und ihr Haar nach der letzten Mode gestylt sein. Sie würde eine mohnrote Bluse mit tiefem V-Ausschnitt tragen, damit ihre frei zur Schau getragene Brust besser zur Geltung käme. Ihr Haar würde ihr lachendes Gesicht umschmeicheln und von einer leichten Brise, die ihr immer zu folgen schien, aufgewirbelt werden.
Und Bill wusste, dass er sie begehren würde, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Aber wenn er sich jetzt schon darauf vorbereitete, wenn er um Festigkeit betete, dann würde sich sein Verlangen vielleicht gemeinsam mit seinem Hass in Nichts auflösen. Und die Narben in seinem Herzen, die der Herr schon heilen lassen hatte, würden nicht wieder aufbrechen und zu bluten beginnen. Es war komisch, dass er gerade jetzt an sie dachte, wenn er doch Nettie hatte, die ihn voll und ganz erfüllte, seine Haut, seinen Verstand und seine Erinnerungen beherrschte und sein Ohr mit ihrer weichen Stimme erfüllte. Aber die Wurzeln seiner ersten Bindung waren noch tief und sein Eheversprechen, obwohl bereits oft gebrochen, war noch präsent.
Er hoffte nur, dass Nettie den Nachmittag mit ihm nicht schon bereute. Er konnte es eigentlich nicht glauben, aber warum hatte sie nicht wie vereinbart in ihrer Wohnung auf ihn gewartet?
Bills Magen krampfte sich zusammen. Er war sich sicher, dass irgendwo der Teufel gerade jetzt über ihn lachte. Was für einen Streich der Dämon ihm gespielt hatte. Hatte Bill vom Weg des Herrn abgebracht und auf sein schwaches Herz hören lassen. Hatte Bill dazu verführt, mit einer rechtschaffenen Frau eine Sünde zu begehen, eine Tat, die auch sie zur Verdammung verurteilte. Er konnte in seiner Vorstellung schon den Teufel mit den Lippen schmatzen hören, in Vorfreude auf die Qualen, die er Nettie bereiten würde.
Aber, verdammt noch mal – verzeih mir, Herr – es hatte sich weder falsch noch schmutzig angefühlt. Ganz im Gegenteil, es war schön und richtig, auf einer Decke inmitten einer Wiese unter den Blicken des Herrn. Es war wie Liebe, etwas, das so wunderbar war und nichts, das der pferdefüßige und rotschwänzige gefallene Engel in etwas Schmutziges und Widerliches verdrehen konnte. Und verdammt sei – verzeih mir, Herr – jeder Dämon oder jeder Mensch, der versucht, mich und meine neue Liebe auseinander zu bringen.
Aber Zweifel waren noch immer da. Der Teufel war trickreich. Der Teufel hatte die Kraft, dass Nettie ihre Liebe nur vorspielte. Satan konnte sie ihre Bluse öffnen und ihr Fleisch zur Schau stellen lassen, als wäre es ein rituelles Opfer. Satan konnte Nettie als sein Instrument benutzen, um seine Seele zu erlangen.
Warum konnte sich Satan nicht mit seiner Ex-Frau zufrieden geben, anstatt auch die im Herzen Reinen zu verführen? Aber vielleicht war das ja viel interessanter, die Verführung der Unschuldigen. Das hatte wahrscheinlich eine so große Anziehungskraft für den Herrn der Verdammnis wie die Schokoglasur einer Torte für ein Kind.
Und vielleicht lag ja Nettie gerade unter ihrer weißen Bettdecke in ihrem winzig kleinen Zimmer und weinte vor Scham, dass sie von ihm benutzt worden war. Nettie würde sich schlecht fühlen und Gott um Vergebung bitten. Nettie war vielleicht nichts anderes als der Spielball für den schwefelgelben Bastard, der versuchte, über die Welt zu herrschen. Der zumindest versuchte, ein wenig Elend auf dem goldenen Weg, der zum ewigen Leben führte, zu verbreiten.
Aber wenn der Teufel Nettie verletzt hatte, dann würde er sie in der Hölle rächen. Denn Bill würde in die Erde kriechen und den ziegenbärtigen Trottel beim Hals packen und würgen. Denn niemand würde Nettie etwas antun, solange er lebte und beten konnte.
Entschuldige, Herr. Ich habe ein wenig übertrieben, aber wenn ich an Nettie denke, passiert mir das, falls du es noch nicht gemerkt hast. Aber wenn es Dein Wille ist, dann führe uns bitte zusammen. Zu Deiner Ehre.
Er schaute auf die Hauptstraße. Vier Uhr morgens und nichts war los. Er wollte zwar seine Aufgabe erledigen, aber er konnte nicht länger hier auf seinen vier Buchstaben sitzen und nicht wissen, was Nettie über den heutigen Nachmittag dachte. Die Polizei konnte ja hier alles überwachen. Er konnte nicht länger warten.
Bill entschied sich, zur Kirche zu fahren, in der Nettie heute Nacht noch arbeiten musste. Er wusste, dass es viel zu tun gab, so kurz vor dem Osterfest. Aber auch die Fleißigen mussten manchmal schlafen. Und Nettie hätte ihn angerufen, wenn sie keine Zeit für ihre Verabredung gehabt hätte. Oder etwa nicht?
Oder war sie plötzlich der Meinung, dass jemand, der bereits in einer Ehe gescheitert war, ihrer doch nicht mehr wert war? Oder dass Bill ein verdammter Lügner war, der seinem eigenen Verlangen eher diente als dem Herrn?
Er startete den Motor. Die Wege des Herrn und die der Frauen waren unergründlich.
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Crosley lenkte sein Fahrzeug über den Wohnwagenabstellplatz. Seine Reifen knirschten auf dem Kies. Jemand hatte angerufen und einen Herumtreiber gemeldet und Crosley wollte der Sache persönlich nachgehen.
Wahrscheinlich nur ein Betrunkener, der spät nachts nach Hause stolperte, aber das gab ihm wenigstens etwas anderes zu tun, als nach Leuten Ausschau zu halten, die nicht gefunden werden wollten. Soviel er wusste, vögelte Emerland gerade diese Leon und Mull schlief gerade seinen Kater in irgendeinem billigen Bordell aus. Er wollte lieber mit etwas Einfachem und Lösbarem zu tun haben, wie einem Einbrecher, den man einsperren musste, oder einem Teenager, der einen Joint rauchte.
Mit keinem Menschen, der in der Sonne wegschmolz, keinem großen Fragezeichen. Er konnte der Bürgermeisterin keinen Vorwurf machen, dass sie ihm die Geschichte nicht abnahm. Zum Teufel, er selbst konnte es kaum glauben, obwohl er es mit eigenen Augen gesehen hatte.
Er strich sich über seinen Bauch und überlegte, ob er sich nicht noch einen Schluck aus der Flasche unter seinem Sitz gönnen sollte. Aber er war schon knapp an der Grenze der erlaubten Promille. Und er hatte das Gefühl, dass Speerhorn nur auf eine Gelegenheit wartete, seinen fetten Arsch aus dem Polizeirevier zu schießen. Trunkenheit am Steuer war gerade kein Kavaliersdelikt für jemanden, der sich um die öffentliche Sicherheit kümmern sollte.
Aber schau dir mal die Öffentlichkeit hier an. Weißarschige Idioten, die der Wind wegblasen würde – genauso wie den geschmolzenen Mann -, wenn sie nicht ihre Arbeitslosengelder erhalten würden. Nur ein Drittel des Geldes wurde tatsächlich für Lebensmittel ausgegeben. Der Rest ging für schwarzgebrannten Alkohol und Speed oder Marihuana drauf. Für irgendetwas, das ihnen ein paar Stunden das Denken ersparte.
Einer seiner Onkel lebte hier und das drehte ihm den Magen um. Das größte Problem war, und das ging ihm wirklich auf den Sack, dass sich die Leute wie die Karnickel vermehrten.
Egal, wie viele gratis Kondome sie verteilten, egal, wie oft man ihnen etwas über Geburtenkontrolle erklärte, diese Bauerntölpel hinterließen nichts außer einem Haufen Kinder. Und alle hatten die gleichen leeren Augen, den gleichen hängenden Mund, knurrenden Magen und das angeborene Verlangen, auf jede erdenkliche Art und Weise high zu werden.
Crosley fuhr langsam an den dunklen, stummen Wohnwagen vorbei und stellte sich das Leben der Menschen in diesen besseren Sardinendosen vor. Wahrscheinlich träumen sie gerade von ihrem nächsten Scheck. Hoffe, dass keiner von denen unser Blütenfest stören wird. Aber wahrscheinlich blieben sie das ganze Wochenende hier, tauschen Ehefrauen und Starterkabel aus.
Er sah keine Herumtreiber. Hier gab es ja auch nichts zu stehlen. Er entschied sich, zur nächsten Tankstelle zu fahren und einen Snickersriegel und die letzte Ausgabe von Penthouse zu kaufen. Dann würde er irgendwo parken und seine Flasche leeren, bevor die Sonne aufging.
Er hatte schon fast seine Runde auf dem Abstellplatz beendet, als er in den Büschen am Rande des Platzes sah, wie sich etwas bewegte. Eine ungepflasterte Straße führte in den Wald und die Lichter der Tankstelle konnte man durch die Bäume blinken sehen. Wahrscheinlich gingen die Leute hier zu Fuß zur Tanke, um dort ihren Fusel und ihre Wegwerfwindeln zu kaufen. Er stellte seinen Wagen ab und hievte sich aus dem Fahrzeug.
Crosley ging zu dem Fußweg, seine Hand am Revolver, der an seiner Hüfte baumelte. Kein Grund zur Panik. Diese Bastarde waren nicht besonders gerissen. Er stapfte in den Büschen herum, als ob er einen Schwarm Wachteln aufschrecken wollte. »Kommt heraus! Ich weiß, dass ihr da seid!«
Ein Rascheln im Gras und weggebogene Zweige waren die Antwort. Er zog seine Pistole und zielte in die Dunkelheit.
»B-Bitte nicht schießen, Herr Polizist«, ertönte eine leise, schnupfende Stimme.
Einer von den nutzlosen Bälgern. Was machte der da noch um diese Zeit?
»Ich tue dir nichts, Junge«, sagte Crosley in seiner ruhigen Polizistenstimme. »Komm nur heraus ins Licht, wo ich dich gut sehen kann.«
Ein vielleicht acht- oder neunjähriger Junge erschien aus den nieder hängenden Buschzweigen. Auf seinen Wangen waren Spuren von Tränen zu sehen. Crosley kniete sich zu dem Jungen nieder und hoffte, dass er keine Läuse hatte. »Wie heißt du denn, mein Junge?«
»Mackey Mull. Sie sagen Klein Mack zu mir.« Der Junge zog einen halben Kilo Rotz in seiner Nase hoch.
»Aha, Klein Mack. Und was zum Himmel machst du um diese Zeit noch draußen, Klein Mack?«
Der Junge schaute auf seine Füße. »Erschießen Sie mich wirklich nicht?«
Crosley bemerkte, dass er noch immer seine Pistole in der Hand hielt. »Er lächelte und steckte sie wieder in den Halfter. Er wollte schon den Jungen über den Kopf streicheln, ließ es dann aber sein.
»Ich würde dir nie weh tun.« Außer für viel Geld.
»Ich verstecke mich hier«, sagte der Junge. »Schon seit gestern.«
»Und wovor versteckst du dich?« Crosley hoffte nur, dass es hier nicht um Kindesmissbrauch ging. Häusliche Gewalt bedeutete eine Menge Papierkram und das Jugendamt konnte nie etwas ausrichten oder gar ändern. Seiner Meinung nach hatte eine gute Ohrfeige noch niemandem geschadet. Würde den meisten hier guttun.
»Vor den bösen Männern. Mit den grünen Augen.« Der Junge schluchzte und seine Schultern bebten. »Sie haben schon meine Mama.«
»Deine Mama? »Welche bösen Männer?«
»Die bösen Männer. Wie in den Horrorfilmen.«
»Schau, mein Junge. Mach dir keine Sorgen. Der Herr Polizist wird wieder alles gut machen.«
»Mein Bruder Junior sagt, dass Polizisten Schweine sind. Bist du ein Schwein?«
Genau. Kein Wunder, dass einem da die Hand auszukommen drohte.
»Nein, mein Junge, wir sind nur normale Menschen, die hart dafür arbeiten, dass die Welt ein sicherer Ort wird. Wohnst du hier in einem Wohnwagen?«
»Ja. Dort drüben.« Er deutete mit seiner Hand.
»Okay. Führ mich nur zu eurem Wohnwagen und ich werde mich um alles kümmern.«
»Und was ist mit den bösen Männern?«
Crosley grinste. »Ich kümmere mich um die bösen Männer«, sagte er, aber er bemerkte, dass er sich seinen Bauch rieb. Das, was der Junge über die grünen Augen gesagt hatte, hatte ihn an den geschmolzenen Mann denken lassen.
Der Polizeichef folgte dem Balg zum Ende des Fußweges. Sie waren schon fast auf dem offenen Rasenstück angekommen, als er Zweige knacken hörte. Er drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um seinen Onkel in zerrissener und schmutziger Militäruniform zu sehen. Der alte Bastard kümmerte sich normalerweise um sein Aussehen, besonders wenn er Uniform trug.
»Onkel Paul«, sagte Crosley. »Was machst du da noch um diese Zeit?«
Onkel Paul stolperte auf ihn zu und hob seine Arme. Sein Auge glühte wie ein grüner Leuchtturm. Crosley blickte in das Auge und sah abgrundtiefe Albträume, als sich das faltige und feuchte Gesicht dem seinen näherte.
»Ich hab´s ja gesagt, er ist einer von ihnen«, schrie der Junge neben ihm.
Crosley befahl seiner Hand zum Revolver zu greifen, aber seine Muskeln gehorchten nicht mehr. Der modrige Gestank von Onkel Paul überflutete seine Sinne und stahl sich in seine Nasenlöcher. Dann wurden ihre Gesichter aufeinander gepresst und Crosley schmeckte bitteren Saft. Die Sporen trafen auf seine Zunge, überfluteten, brachen und verbrannten ihn. Sein Verstand war gerade dabei, zu kippen, er verband sich gerade mit dem Anderen, war schon halb dort.
»Siehst du?«, hörte Crosley den Kleinen noch brüllen, dann trieb er in den Nebel des absoluten Glücks hinüber. »Siehst du? Ich habe dir doch gesagt, dass böse Menschen da waren. Dummes Schwein!«
Dann wurde Crosley von dem feuchten Zungenkuss seines Onkels überwältigt, von der fauligen Schwarte, die ihn zur Begrüßung und zum Abschied küsste. Als die Schritte des Kindes in der Dunkelheit verschwanden, betrat Crosley auch eine Art von Dunkelheit, eine, die niemals endete und von der er auch nicht wollte, dass sie jemals enden würde.
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Nettie kroch über den Hof der Pfarre, ihren Bauch gegen die kalten, glatten Fliesen gepresst. Ihre Arme schmerzten, ihr Knöchel war dick geschwollen, ihre Knie waren blutig geschürft und in ihrem Kopf pochte ein metallischer Schmerz. Aber sie war am Leben.
Sie war vielleicht die letzte normale Person auf der Erde, aber sie war noch am Leben. Sie hörte den Lärm aus der Kirche, als diese Kreaturen ihre blasigen Hymnen zu den Dachbalken aufsteigen ließen, ihre unverständlichen Lieder sangen und alles, was gut und heilig war, schon durch ihre Existenz schmähten. Wenn sie nicht schon die Beschreibungen der Hölle aus der Bibel gekannt hätte, hätte Nettie geglaubt, dass sie verrückt geworden war. Ein Seher sollte nicht von Zweifeln geplagt sein, aber das, was sie sah, war sicherlich schon ein Blick in die Hölle gewesen.
Sie hatte die Frau des Predigers durch die Sakristei gleiten sehen. Sie hatte gesehen, wie der schlangenäugige Prediger seine Verwandlung vollzogen hatte. Sie hatte die überreifen Gemeindemitglieder den heiligen Boden auf ihren zitternden Beinstümpfen, die aussahen wie die von Leprakranken, überqueren sehen. Sie hatte gesehen und sie glaubte noch immer.
Nettie zog sich auf, so dass sie zum Sitzen kam. Sie versuche den Türknopf. Versperrt. Nettie hoffte, dass Sarah zuhause war. Das war ihre einzige Chance. Sie ergriff den Türknopf mit beiden Händen und zog sich auf die Knie. Dann klopfte sie fest gegen das Glas in der Tür.
Niemand antwortete.
In einem Flügel des Hauses war noch Licht. Vielleicht war das Sarahs Schlafzimmer. Nettie glaubte nicht, dass sie noch einen einzige Meter weit kriechen konnte. Sie klopfte noch einmal, diesmal lauter und fester. Ihr Knöchel schmerzte wie ein fauler Zahn.
Sie wollte gerade noch einmal klopfen, als sie die langen Schatten derjenigen sah, die in der Kirchentüre standen. Diejenigen, die sich umgewendet hatten. Gegen die Natur gewendet. Gegen Gott. Gegen das Licht und gegen sie.
Sie schlurften unter dem stillen Sternenhimmel die Kirchenstufen hinunter. Der Prediger selbst führte die Meute an, sie kamen über den Friedhof und dabei hatte Blevins seine dünnen Arme in Ekstase erhoben. Amanda war dicht hinter ihm, nun wieder eine gehorsame Ehefrau, nur dass sie jetzt die Kraft eines Dämons besaß. Danach kamen die Painters, schüchtern, sumpfig und mit Freude erfüllt. Der nicht identifizierbare tropfende Stängel, der einmal ein Mensch gewesen war und dem nun ein Arm fehlte, bildete das Schlusslicht.
Nettie klopfte lauter und begann zu schreien. Der Priester war schon so nahe, dass sie seinen birnenförmigen Kopf, der jetzt wie von einem grünen Leuchtdraht erhellt schien, sehen konnte. Er lächelte so, als ob sie ein Lamm wäre, das sich im Zaun eines Schlachthauses verfangen hatte. Der Moschusgeruch der anderen wehte in der taufrischen Nacht zu ihr her. Sie roch den Gestank von aufgeplatzten, gärigen Melonen und fauligem Morast.
Sie wollte gerade ein letztes Stoßgebet in den Himmel schicken, auf dass sie sterben möge, bevor sie in die Hölle auf Erden müsse, als plötzlich in einem Fenster der Pfarre ein Licht anging. Zur exakt gleichen Zeit tauchten auf der Straße die Scheinwerfer eines Pickups auf und glitten über die marmornen Zähne des Friedhofs.
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»Wartet mal kurz«, sagte Chester.
Tamara und DeWalt blieben stehen. Die beiden sahen im blassen Mondlicht wie zwei überdimensionale Vogelscheuchen aus. Emerland war mit verschränkten Armen bei seinem Mercedes stehen geblieben. Sie alle waren auf Mulls Farm und gerade dabei, wieder in die dunklen Wälder über ihnen aufzubrechen. Chester hoffte, dass die anderen drei genauso viel Angst hatten wie er, denn Angst wirkte wie ein mentaler Puffer, der noch funktionierte, wenn Schnaps den Dienst versagte.
Chester gab DeWalt das Gewehr und deutete in Emerlands Richtung. »Ich glaube nicht, dass er irgendwohin gehen wird, aber nur für den Fall des Falles. Bin gleich wieder da. Mir ist nämlich gerade etwas eingefallen.«
»Chester? Ich glaube, es wäre besser, wenn wir uns beeilen würden.« Tamaras Hände lagen auf ihren ausgebeulten Taschen, aus denen die Dynamitstangen wie braune Lakritze hervorstanden.
»Ich glaube, die paar Minuten könnten sich lohnen. Wir können nämlich jede Unterstützung brauchen, die wir kriegen können.«
Er ging über den Hof zu dem eingefallenen Schuppen. Mit einem Fußtritt öffnete er das Tor zur Scheune. Trockener Staub und pulverisierte Hühnerscheiße füllten seine Nase. Ein Strahl des Mondes durchstieß die Dunkelheit in der Scheune dort, wo ein paar lose Planken aus der Holzwand gefallen waren. Säcke voll Futter, Dünger und anderem Zeug waren in der Nähe der Türe gestapelt. Die dazugehörigen Spinnweben leuchteten neben den verrottenden Papiersäcken silbern im Mondeslicht.
Gegen eine andere Holzwand waren Statuen und Vogelbäder aus Beton gelehnt. Plastikeimer voll Dreck und ein paar Holzstangen bildeten hinter den Futtersäcken einen toten Wald.
Genug Zeug hier, um ein Geschäft für Gartenartikel zu eröffnen. Ich bin froh, dass ich Johnny Mack nie gesagt habe, dass er das Zeug wegschaffen solle. So wie jeder hier - außer Hattie, Gott hab sie selig – hab ich mich auch nicht um die Farm gekümmert. Und sie wäre wohl in Ohnmacht gefallen, wenn sie gewusst hätte, dass ihr jüngster Sohn hier Diebesgut versteckte. Bin ja auch nicht stolz darauf, dass ich einen verlogenen, diebischen Nichtsnutz zum Sohn habe, aber ich glaube, jetzt kann ich ihm vergeben.
Jedes Mal wenn Sylvester mit dem Bryson Futtermittelwagen auf die Farm hinaufgefahren war, damals, noch bevor er endgültig ausgezogen war, hatte Johnny Mack etwas von dem Zeug, das auf der Ladefläche war, geklaut. Es war Johnny Mack vollkommen egal, ob das Zeug irgendeinen Nutzen hatte oder nicht. Er klaute aus dem gleichen Grund wie ein Hahn, der jeden Morgen krähte: aus Freude, dass die Sonne wieder aufgegangen war.
Die Ratten hatten die Säcke mit Hirse aufgerissen und die Hühner hatten sich durch die Löcher zum Korn vorgearbeitet, bis das Getreide so alt und verbraucht war, dass nicht einmal mehr die Würmer daran interessiert waren. Die anderen Säcke waren zwar dick mit Staub bedeckt, aber fast unberührt. Chester kniete sich zu einem Stapel kleinerer Säcke. Seine arthritischen Knie rebellierten und nannten ihn einen alten Idioten, sich noch zu solchen Kunststücken hinreißen zu lassen. Er würde später noch genug Zeit haben, auf die Schmerzen zu hören. Außerdem war es ihm so oder so scheißegal.
Chester blickte durch die geöffnete Tür auf die anderen. Sie schienen sich über die kleine Pause zu freuen. Obwohl alle nervös auf und ab gingen, schien niemand wirklich darauf zu brennen, in den dunklen Wald zurückzugehen, wo der Erdmund klaffte und die Weichbirnen herum wankten. DeWalt hielt das Gewehr an seiner Hüfte wie ein Großstadtcowboy, aber Emerland schien keinen Gedanken an Flucht mehr zu verschwenden. Seitdem er einen von diesen Matsch-Zombies am Zaun seiner Baufirma gesehen hatte, war er verstummt.
Chester wischte den Schmutz von der Beschriftung der Säcke. »Dampfende Kacke«, murmelte er. »Hätte früher daran denken sollen.«
Er hob den Sack auf und der Staub wirbelte im Mondschein wie fliegende Würmer. Er war sich nicht sicher, ob der den zehn-Kilo-Sack drei Kilometer durch den Wald tragen konnte, aber er hatte das Gefühl, dass er keine andere Wahl hatte. Wenn sie das Ding, das weiß-Gott-woher gekommen war, vernichten wollten, dann sollten sie besser mit allen Waffen anrücken, die sie finden konnten.
Chester warf sich den Sack auf eine Schulter, sackte unter der Last kurz zusammen, bevor er seine Balance wiederfinden konnte. So, mit beiden Händen beschäftigt, würde er keinen Schluck aus seiner Flasche mehr nehmen können, aber der Korn hatte ihm sowieso nicht besonders gut getan. Je länger die Nacht gedauert hatte, desto nüchterner war er geworden, egal wie viel er getrunken hatte. Er hatte eigentlich mehr aus Angewohnheit getrunken, um das angenehme Brennen in seinem Hals nicht vermissen zu müssen.
»Was ist das?«, fragte DeWalt, als Chester aus dem Schuppen kam.
»Sevin. Ein Pilzvernichtungsmittel. Das gibt man auf die Tomatenpflanzen und so, um den Schimmel und andere Krankheiten abzutöten.«
DeWalts Mund fiel herab und Tamara lächelte. Chester war von ihrem Lächeln begeistert. Wenn er dreißig Jahre jünger wäre…zum Teufel, dann wäre sie auch dreißig Jahre jünger.
»Ich weiß, das Shu-shaaa-Ding dürfte irgendeine pflanzliche Kreatur sein«, sagte DeWalt. »Aber wie können wir wissen, ob seine Zusammensetzung der Vegetation auf der Erde überhaupt ähnlich ist?«
»Ich glaube, es passt sich an die chemische Zusammensetzung seines Wirtes an. Das gehört zu seiner Strategie«, erwiderte Tamara. »Wie das alte Sprichwort: "Du bist, was du isst". Vielleicht ist ja das Ding in seiner natürlichen Form absolut unbesiegbar. Aber ich glaube, dass es jetzt noch verwundbar ist, zumindest verglichen mit dem, was es später werden könnte. Wenn es durch seine Anpassung intelligenter wird, nimmt es vielleicht auch ein paar Schwächen seiner Umgebung in sich auf.«
»So wie es eben auch die Sprache der Menschen adaptiert hat, nachdem es sie, …äh… verändert hat, oder?«, sagte DeWalt.
»Ja. Und Shu-shaaa spricht außerdem auch noch die Sprache der Pflanzen und Steine und des Drecks und des Wassers. Erinnert ihr euch an die komische Musik, die ihr gehört habt?«
»Vollkommener Scheiß«, sagte Chester. »Genauso wie es Don Oscar immer gesagt hatte. Das Zeug macht dein Gehirn total kaputt, soviel ist sicher.«
»Außerdem, was haben wir zu verlieren?«, sagte DeWalt.
»Ich habe übrigens noch mehr davon«, sagte Chester. »Wenn ihr es schleppen könnt.«
DeWalt und Tamara gingen zum Schuppen. Emerland folgte ihnen mit gesenktem Kopf. Der Bautycoon hatte seine Krawatte abgelegt und schien sich nicht darum zu kümmern, dass seine teuren Schuhe nie wieder gesellschaftstauglich sein würden. Denn die Regeln der gesellschaftlichen Etikette hatten sich verändert. Sogar ein Idiot wie Emerland konnte das sehen und dem Erdschlund war es wohl scheißegal, wie viel Geld man besaß. Es würde ihn verschlingen und seinen Schulterknochen als Zahnstocher verwenden.
Emerland sah wie ein Mann aus, den die Wahrheit wie ein Schnellzug überfahren hatte. Wie ein Mann, der herausfindet, dass die Kinder, die er großgezogen hat, von einem anderen sind. Oder dass ein Krebs an seinen Eingeweiden nagt und er nichts anderes tun kann als zu beten. Oder dass Gott sich nicht mehr um die menschliche Rasse kümmert, denn sonst würde Er nicht so furchtbare Dinge zulassen. Eine schreckliche Wahrheit, die nicht stimmen sollte, es aber tut.
Tamara ging in die Scheune und DeWalt folgte ihr. »He, hier ist eine zwanzig Liter-Flasche mit dem Herbizid Roundup«, rief Tamara Chester zu.
»Das würde ganz schön knallen, aber wenn wir das durch den Wald tragen müssen, wird es ziemlich schwer«, hustete Chester, dessen Worte wegen einem großen Stück Kautabak fast in einem Speichelsee untergingen. Er spuckte aus und grinste. Chester fühlte sich trotz seiner 67 Jahre, die er auf dem Buckel hatte, lebendig und wegen des Abenteuers aufgeregt. Oder waren es schon 68? Oder 168?
»Ich schaffe das schon, Chester«, bekräftigte Tamara. »Ich weiß mehr als jeder andere, um was es hier geht.«
Chester dachte, dass jetzt nicht der passende Zeitpunkt wäre, über Gleichberechtigung und anderen Blödsinn, von dem er schon gehört hatte, zu diskutieren. Das war Geschwafel aus der Großstadt. In Windshake wussten die Frauen, wo sie hingehörten. Machten keine Probleme. Trotzdem war sie wahrscheinlich fitter als er und DeWalt zusammen.
Wenn sie wirklich die Gedanken der Zombies lesen konnte – und Chester glaubte ihr jetzt Dinge, über die er sonst lachte, wenn er sie in der Zeitung las – dann könnte es eine gute Idee sein, ihren Ausführungen zu glauben.
»Nimm es also«, sagte er. »In dem braunen Sack ist Acrobat M-Z, DeWalt. Das war damals ein neuartiges Mittel, mit dem man Schimmelpilz auf Tabakspflanzen abtöten wollte. Man musste eine schriftliche Erlaubnis haben, um es zu kaufen.« Er lachte, verschluckte sich am Tabakssaft, spuckte aus und sagte: »Aber nicht, um es zu stehlen!«
»Das ist geballtes Gift«, sagte DeWalt. »Hier auf der Anleitung steht, dass ein Suppenlöffel von dem Konzentrat vier Liter Fungizid ergibt. Das heißt, dass aus diesem Sack hier mehrere tausend Liter gemischt werden können.«
»Vielleicht können wir Emerland dazu bringen, dass er das Zeug trägt, weil ja deine Hände mit dem Dynamit und dem Gewehr voll sind. Was sagen Sie, Emerland?«
Emerland starrte ausdruckslos vor sich hin, nickte dann aber, so als ob er eine Puppe wäre, die bei einem Bauchredner auf dem Knie sitzt. Er stolperte in die Scheune und gab dabei fast eine Kopie der Weichbirnen ab.
»Jedes bisschen hilft«, sagte DeWalt. »Oder besser gesagt zerstört, wenn man es genau betrachten will.«
Emerland überraschte mit seiner Kraft, als er den zwanzig-Kilo-Sack auf seine Schulter hob. Chester dachte sich, dass er wahrscheinlich in einem dieser Fitnessclubs trainierte, mit Seilen und Gewichten, die von Metallstangen hingen und Schweiß, der auf einen Teppichboden tropfte. Hatte wahrscheinlich noch keinen Tag in seinem Leben ehrliche Arbeit geleistet, aber das war in Chesters Augen nicht unbedingt eine schlechte Sache. Emerlands Kiefer zeigte seine Entschlossenheit und seine Augen leuchteten entweder vor finsterer Entschlossenheit oder vor Verrücktheit.
Sie versammelten sich alle vor der Scheune und blickten stumm auf das entfernte, schwache Leuten am Bergrücken. Eine Eule schrie in der Scheune, einsam und alleine auf den hohen hölzernen Dachsprossen. Ein Windstoß versuchte die braunen Blätter von den Ecken des Zaunes zu vertreiben, gab aber vom langen Winter ermüdet wieder auf. Ein Hund bellte, dann noch einer und ihr Gebell wurde von den kalten Bergflanken reflektiert. Chester dachte an den alten Boomer.
Tamara unterbrach die Stille der wartenden Nacht. »Chester, kann ich ganz schnell das Telefon benutzen?«
Chester blickte in den dunklen Himmel und die wunderbar hellen Lichter, die wohl für immer am Himmelszelt leuchten würde. Sie waren wie kleine Löcher, die es möglich machten, dass die Menschen atmen konnten. Er dachte daran, wievielte andere Erdmäuler wohl da oben waren, bereit sich auf neue Opfer zu stürzen. Er hasste es, global zu denken oder sich über das verfluchte "Warum" Gedanken zu machen. Das war etwas für Priester oder Schuljungen. Einige Dinge waren einfach zu komplex, als dass sie ein heruntergekommener Bauer wie er hätte verstehen können.
»Kein Strom. Telefon funktioniert auch nicht mehr. «Wahrscheinlich ist ein Baum auf die Leitungen gefallen«, sagte Chester.
»Ich muss es zumindest versuchen«, sagte Tamara. »Mein Mann stirbt wahrscheinlich schon vor Sorgen.«
»Ich komme besser mit Ihnen mit. Sie könnten sich in der Unordnung sonst den Hals brechen.«
Er legte den Sack mit Sevin auf den Roundup-Kanister und führte Tamara über den Hof. Chester fragte sich, ob all seine Hühner schon verwandelt waren und mit ihren dummen Köpfen unter den Flügeln auf einer Stange sitzen würden, ihre grünen Augen vor der Welt verborgen. Träumten wahrscheinlich davon, am Morgen kleine faulige Pflaumen in ihre Nester zu legen.
Chester fragte sich, was wohl aus diesen Eiern schlüpfen würde.
Und ob er noch immer da sein würde, wenn die Sonne ihr gelbes Licht wieder auf die Erde werfen würde.
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Klein Mack krabbelte noch weiter unter den Wohnwagen, sein Gesicht im Schmutz. Er hatte Angst.
Er konnte Stimmen hören, aber keine richtigen Wörter. Nur nasse Geräusche. Und er konnte irgendwie die Stimme seiner Mutter erkennen. Er fragte sich, ob sie nun auch eine von denen war.
Denn er hatte gesehen, wie sie aus dem Wohnwagen gefallen war, aus der Türe glitt, während er sich noch in den Büschen versteckt hielt. Das war, als gerade die Sonne unterging, und er begann sich wirklich einsam zu fühlen.
Jimmy, der böse Mann, den er nackt auf seiner Mama gesehen hatte, war wie ein Betrunkener über den Campingplatz gegangen und in den Wohnwagen der Wellborns gestiegen. Mack hatte dann Kreischen und Schreien gehört, dann gingen auch die Wellborns, Sue und Grady und ihre kleine Tochter Anita, wie Betrunkene herum, bevor sie in den Wald stolperten.
Anita hatte einmal ihr Kleidchen gehoben und ihm ihre Unterhose gezeigt, weil er ihr fünf Cent gegeben hatte. Für das Doppelte, hatte sie gesagt, würde sie auch ihre Unterhose ausziehen. Aber Klein Mack hatte nie die vollen zehn Cent beisammen bekommen, immerhin war das viel Geld. Jetzt würde er nicht einmal mehr gratis unter ihr Kleid schauen wollen. Denn ihre Haut war schleimig und ihre Augen leuchteten wie die von Jimmy. Und Jimmy war auch so schleimig, als er aus dem Wellborn-Wohnwagen kam, dass er so aussah, als würde er tropfen.
Mack hielt den Atem an, als er ein ihm bekanntes Paar Stiefel auf den Stufen des Wohnwagens sah. Mack kannte diese Stiefel nur allzu gut. Sie hatten dicke braune Absätze und rochen wie ein alter Baseballhandschuh. Mack hatte einmal ekeligen Haferflockenbrei darin versteckt. Das waren die Stiefel von Papa.
Daddy war zu Hause und würde alles wieder gut machen, genauso wie es der dumme Polizist gesagt hatte, nur dass das dumme Schwein sich vom Einäugigen hatte küssen lassen, er musste also das sein, was Junior "Schwuchtel" nannte.
Papa würde den bösen Jimmy verprügeln und dann würden sie alle glücklich sein und vielleicht würde Mama Würstchen in die Nudeln schneiden, so wie sie das manchmal zu besonderen Anlässen tat. Und vielleicht würde sogar Junior nach Hause kommen, aber es war ja Freitagnacht und Junior kam Freitagnacht nie nach Hause.
Zumindest war Papa da und vielleicht hatte er etwas geschossen und war guter Laune. Manchmal hatte er ein Fell von einem Eichkätzchen oder einem Waschbären auf ein Holzbrett genagelt und Mack konnte es streicheln und daran riechen und sich vorstellen, dass er im Wald spielen würde. Aber jetzt hatte er Angst vor dem Wald, weil er voll von diesen schleimigen Leuten war.
Er kroch auf Händen und Knien zu der Vorderseite des Wohnwagens und wollte gerade aufstehen, als er sah, dass Papa auch betrunken war, obwohl Papa nie trank, obwohl Opa Mull trank und Junior trank und seine Mama trank und der Einäugige und auch Jimmy und jeder, den er kannte. Aber Papa nicht. Warum konnte Papa also nicht gerade gehen?
Dann sah Mack, dass Papas Jeans feucht waren, so als ob er in die Hose gemacht hätte. Nur, dass es eine schleimige Feuchtigkeit war, wie Motoröl oder Sirup. Und das konnte nur heißen, dass…. . .
Was bedeutete, dass Mack lieber still war.
Was bedeutete, dass, falls er weinen sollte, er die Tränen einfach in den Staub kullern lassen musste. Er konnte nicht schreien. Junior sagte sowieso immer, dass Mack eine richtige Heulsuse war. Vielleicht stimmte es ja, aber er hatte Angst, so sehr Angst, dass er sich in die Hosen machte, und es war finster und Papa war schleimig.
Seine Mutter kam aus dem Wohnwagen.
Sie stand vor dem Wagen und versuchte zu rufen. »Muh . . . aaaaaaaahck.«
Sie stand nackt im Mondlicht und war voll mit milchigem Rotz. Mack biss sich auf die Zunge und antwortete nicht.
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Das Alien pulsierte und sein klebriger Saft durchflutete sein Wurzelsystem. Seine Sporen verteilten sich noch immer, aber ohne Sonneneinstrahlung hatte seine Zellaktivität nachgelassen. Es hatte jetzt Zeit, die anderen Symbole, die es aufgenommen hatte, zu analysieren.
May-ziii. Matsch. Muh-aaack. Kish.
Jeesh-ush. Ahhm-fiiil.
Chesh-urrr.
Und diese, die er schon zuvor aufgelesen hatte: Shu-shaaa, Maz-zuh, Nig-errr, Peg-hiii, Auuugen, Chreez.
Und das eine, zu dem sein Herz-Verstand immer wieder zurückkehrte, das eine, das tief im Ofen seines Metabolismus glühte: Tah-mah-raaa.
Das Symbol musste eine besondere Bedeutung haben. Das Alien hatte auf seiner Reise durch den Kosmos viele verschiedene Muster seziert. Diese zu bestimmen, konnte nur eine Frage der Zeit sein. Und es hatte eine ganze Ewigkeit vor sich.