FÜNFTES KAPITEL
Junior Mull saß unter ein paar Büschen und blickte auf den Punkt, an dem seine silbrige Angelschnur in das dunkle Wasser des Stony Creek eintauchte. Verdammte Forellen hatten wohl einen freien Tag, dachte er. Nicht einmal geknabbert haben sie am Köder.
Seine Jeans waren vom schwarzen Schlamm des Bachufers nass, weil er sich achtlos hingesetzt hatte. Trotzdem war das noch um Längen besser als seinen Arsch auf einem harten Stuhl der Pickett High-School platt zu drücken. Er könnte genauso gut jetzt dort sein und nasenbohrend auf die Decke starren, während diese alte Hure Moody über ganze Zahlen laberte.
Der herbe Duft der Fische und der schwere modrige Geruch der verrottenden Wasserpflanzen erfüllten seine Nase. Das Wasser war wegen des gestrigen Regens noch ein bisschen trüb, aber die Fische sollten eigentlich nach einem Regenguss besser anbeißen. Diese Theorie konnte ab heute angezweifelt werden. Lasen diese schuppigen Viecher denn vielleicht Petri Heil, die Fischereizeitung?
Er trocknete seine Finger an seiner Armeejacke, bevor er seine Hand in die Brusttasche steckte. Kann mir ruhig noch einen Joint anrauchen. Um bei Laune zu bleiben.
Junior hielt die Angelrute mit der linken Hand, während er mit der rechten sein Feuerzeug bediente und mit einem tiefen Zug den süßlich-beißenden Rauch einatmete. Er atmete aus und versuchte mit seiner Hand den Rauch wegzuwedeln. Es war zwar um diese Tageszeit nicht viel Verkehr auf der Straße, aber er wollte trotzdem niemanden auf sein Versteck aufmerksam machen. Er hatte schon seit der fünften Klasse immer wieder wegen Schulschwänzens Probleme gehabt. Außerdem war er jetzt wegen Ladendiebstahls auf Bewährung und es ist besser, dass man sich bedeckt hält, wenn man gegen das Gesetz verstößt.
Er nahm noch einen Zug und betrachtete sein Versteck. Ein Lorbeerbusch schützte ihn vor den neugierigen Blicken der Autofahrer und eine alte Zeder beugte sich beschützend über ihn. Leere Alkoholflaschen und verrostete Dosen lagen verstreut in seinem Versteck herum und angekohlte Holzstücke lehnten in einem Kreis aus Steinen aneinander. Der Geruch nach dem ausgegangenen Lagerfeuer mischte sich mit dem Nebel, der aus dem Bachbett stieg, als die Sonne stärker wurde.
Sein Vater hatte ihm das Plätzchen gezeigt. Sylvester war kein schlechtes Vorbild, wenn es um das Schulschwänzen ging, und Junior hatte diese Eigenschaft von seinem Vater geerbt. Dies und dazu noch das, was sein Vater "Verwandtschaft mit der Natur" nannte. Junior kicherte und nahm noch einen tiefen Zug.
Verwandtschaft, einfach Scheiße. Seine Verwandtschaft konnte ihm gestohlen bleiben, so standen die Dinge. So wie Opa, der auf der großen alten Farm herumhing und in Geld schwamm. Aber bekam er auch nur einmal einen Cent? Nein, verdammte Kacke.
Junior war früher oft auf der Farm gewesen, besonders im Sommer, wenn sein Vater auf seinen Jagdausflügen war und seine Mutter die Leintücher mit dem Hinterwäldler Jimmy Morris warm hielt. Junior mochte den Geruch nach Heu in der Scheune und den schweren Duft des Tabaks, der zum Trocknen auf den Sparren hing. Er mochte sogar den Geruch der Hühnerscheiße.
Es gab immer genug zu tun, in seiner Fantasie hatte er mit seinem Bruder Mack den kleinen Kornspeicher zu einem Fort verwandelt und sie konnten dort spielen, oder sie konnten in einem nahegelegenen Flussarm fischen. Oder zu den Beerensträuchern gehen, wo man Stachelbeeren essen konnte, bis einem der Bauch platzte. Sogar das Jäten im Garten fand er viel besser, als in einer Billard-Bude in Windshake herumzuhängen.
Aber dann hatte Opa ihn erwischt, wie er den Alkohol verkostet hatte. Dabei hatte er ohnehin nur ein halbes Glas genommen und den Krug wieder mit Wasser aufgefüllt, damit Opa nichts merken würde. Aber der alte Bastard hatte nur einen Schluck gemacht, dann am Krug geschnüffelt wie ein Hund zwischen den Beinen eines Mädchens und dann ist er so wild geworden, dass er ihn sogar mit seinem Gewehr bedroht hatte.
Er und sein Alkohol können mich am Arsch lecken.
Junior füllte seine Lungen noch einmal mit dem Marihuana-Rauch. Junior könnte selbst zu Don Oscar gehen und den Schwarzgebrannten kaufen. Und Opa kann in seinem Schaukelstuhl sitzen und schaukeln bis seine Knochen brechen, aber er wird sicher nie mehr auch nur einen Fuß auf diese beschissene Seite des Berges setzen. Verrückter alter Bastard.
Junior kicherte leise vor sich hin.
Das Marihuana fing langsam zu wirken an und ließ seine Augenlider zucken. Das Wasser glitzerte in der Sonne wie eine Milliarde kleiner gesprenkelter Diamanten und die Brise war wie ein Handbesen in den Baumwipfeln und sieben Vögel sangen sieben verschiedene Lieder, aber die Melodien passten genau zu einander, wenn man genau hinhörte. Und sein Magen krampfte sich zusammen und sein Nacken kribbelte und er starrte auf seine Angelschnur, genau da, wo sie ins Wasser eintauchte und auf das Gekräusel des Wassers, das dadurch entstand, ein kleiner Ring in einem anderen und dann kam noch einer, perfekte Ringe, die sich ständig ausbreiteten, aber nie den vor ihnen erreichten konnten.
Und das Wasser lachte sogar mit ihm mit, schwappte gegen das Bachufer und kitzelte die schlammigen Rippen der Erde. Stony Creek war OK.
Er schnaubte und blies den Rauch durch die Nase aus. Er nahm einen letzten Zug und verbrannte sich dabei die Finger, als er den Glimmstängel zusammendrückte, aber sogar der Schmerz war irgendwie lustig, irgendwie weit weg und irreal, so als ob er zu jemandem anderen gehören würde und er ihn sich nur für eine Sekunde ausgeborgt hätte.
Er blickte wieder auf die leichten Wellen, die seine Angelschnur im Wasser verursachte. Vielleicht hätte ich Mais als Köder verwenden sollen. Bei Regenwürmern beißen sie heute nicht. Aber ich mag es einfach, diese glitschigen Viecher auf den Haken zu stecken. Und ich bin so tierisch zugedröhnt, dass ich hoch über den Wolken fliege.
Plötzlich spannte sich die Angelschnur, war aber im nächsten Moment wieder lose. Junior hielt die Angelrute nun fest in seiner Hand.
Komm schon, du Arsch. Beiß noch einmal an.
Dann stand er da und die Rute zitterte in seiner Hand und das Wasser explodierte in weißen und silbernen Fontänen. Es fühlte sich wie ein Riesenfisch an, mindestens zwei Kilo. Er hatte bereits angebissen und versuchte nun, die Angelschnur um einen alten schwarzen Baumstrunk zu wickeln, der wie ein umgedrehter Backenzahn aus dem Wasser ragte.
Junior zog an der Angelrute und kurbelte mit aller Kraft die gewonnenen Meter an Leine wieder ein. Er schaffte es, den Fisch von dem Baumstumpf weg zu bringen, aber er könnte genauso gut hinter einem Felsen verschwinden und die Angelleine an einer scharfen Kante durchscheuern. Dann tauchte der Fisch plötzlich wieder an die Wasseroberfläche, zuckte wie ein Verurteilter auf dem elektrischen Stuhl, aber der Kampf war eigentlich schon gewonnen und der Bastard gehörte jetzt Junior.
Junior zog ihn an Land und warf ihn auf das Ufer. Es war der hässlichste Fisch, den er jemals gesehen hatte. Wenn es überhaupt ein Fisch war.
Das Ding hatte die Form eines Bowling-Kegels, einen stumpfen Kopf und einen großen, schweren Schwanz. Es hatte Flossen, die wie Finger aussahen, auf jeder Seite drei. Komischerweise hatte es nur eine Kieme, die sich wie ein grauer Schnitt über die gesamte Stirn zog. Ekeliger Schleim tropfte aus dieser Kieme, die sich auf der Suche nach Wasser kontinuierlich öffnete und schloss. Die Augen sahen aus wie Weintrauben, grün und rund und ohne Pupillen kamen sie aus den Augenhöhlen hervor. Und der Mund…
Der Arsch hat ZÄHNE! Nicht so kleine Knorpel wie sie Forellen hatten. Dieses Ding hier hat das ganze Maul voll mit spitzen Zähnen und ich werde todsicher nicht meine Hand da reinstecken, um den Haken zu lösen.
Das Fisch-Ding hörte auf zu zappeln, als sich Schmutz und kleinere Zweige in der Kieme verfingen. Junior stieg mit seinem Stiefel auf den Fischkörper, damit er nicht wegspringen konnte, während er überlegte, was er mit dem Ding tun sollte.
Vielleicht bin ich gerade high. Nach zwei Joints ist das sogar ziemlich sicher. Aber ich bin sicher nicht so durchgeknallt wie dieses Fisch-Ding da.
Also Junior, nimm dieses Ding mit nach Hause und zeig es deinem alten Vater und frag ihn, ob er schon jemals so etwas gesehen hat. Er, der schon alles gefangen und getötet hat, was hier in den Appalachen so kreucht und fleucht. Aber das würde auch bedeuten, dass du erklären musst, warum du angeln warst, anstatt in der Schule zu sitzen. Das bringt dir wahrscheinlich eine Tracht Prügel ein oder zumindest eine ordentliche Standpauke.
Oder du kickst diese verfluchte Ausgeburt von einem Fisch zurück in den Bach und tust so, als hättest du ihn nie gesehen.
Junior zog sein Taschenmesser heraus und begann die Angelschnur zu kappen. Das Fisch-Ding zappelte unter seinem Fuß, konnte sich befreien und schnappte nach seinem Bein.
»Verdammt noch einmal!«, schrie Junior und sprang zurück. Die Augen der seltsamen Kreatur leuchteten grün und so hell wie die Neonlichter der Flipperautomaten in einer Spielhölle. Junior riss an der Angel, schleuderte so das Ding in die Luft und ließ es schließlich wieder auf den Boden klatschen. Er zog noch einmal fest daran und ließ den Kopf der Kreatur mit aller Kraft auf einen Felsen aufschlagen. Es machte ein Geräusch wie eine Wassermelone, die man auf den Boden fallen lässt.
In Panik ließ er ihn nochmal hart aufschlagen und noch einmal, so lange, bis das Ding nur mehr ein rötlich-grüner Haufen von zerfetztem Fleisch war. Dann stieg er mit seinem Stiefel auf den zerfleischten Körper und riss mit aller Kraft an der Angel, bis die Schnur endlich riss.
»Arschloch«, schnaufte er, noch völlig außer Atem. Er kickte das Ding ins Wasser und sah ihm zu, wie es sich um die eigene Achse drehte und dann langsam wie ein vollgesogenes Stück Holz auf den Boden des Bachbetts sank. Er blickte auf die zwei langen Risse im Hosensaum seiner Jeans.
Dann schaute er wieder auf das Ding im Wasser und wünschte sofort, er hätte das lieber nicht getan. Das zu Fischfilet zermatschte Stück Fleisch bewegte seine verstümmelten Finger-Flossen und zuckte mit seiner zerfetzten Schwanzflosse. Dann schwamm es entschlossen flussaufwärts.
Juniors Drogenrausch verließ ihn mit einem Schlag, genauso schnell wie die Seele eines gehenkten Mörders in die Hölle fährt.
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Chester stieg von der Veranda und Boomer folgte ihm zögerlich. Sogar der Hund konnte spüren, dass etwas faul war. Boomer senkte den Kopf und knurrte in Richtung des Dickichts, das dicht entlang des Zaunes wuchs. Boomer ärgerte sich nie genug, als dass er bloß Schatten anknurren würde.
Irgendetwas mit den Bäumen stimmt nicht, dachte Chester. Ich weiß, dass ich heute nur ein bisschen getrunken habe, aber dadurch sieht man höchstens doppelt oder man sieht Dinge, die nicht da sind. Aber etwas IST da, was auch immer es ist.
Chester schaute auf den Wald, der an sein Kornfeld, das voll Unkraut war, grenzte. Die Bäume waren gerade dabei auszutreiben. Der Löwenzahn zeigte sich auch bereits auf der Wiese. Zu dieser Jahreszeit konnte Chester normalerweise schon fühlen, wie sich die Bäume mit ihren frischen Blättern in Richtung Himmel streckten, um möglichst viel vom Sonnenlicht zu erhaschen.
Aber die Bäume oberhalb seines Hauses sahen seltsam krank aus. Nicht verwelkt, aber doch schlaff und niedergeschlagen, so als ob sie wegen irgendetwas traurig wären.
Im Frühling sollten die Bäume fröhlich sein. Im Winter war ihr Saft eingefroren und alles, was sie tun konnten, war im Nordwind zu zittern, während ihre Knochen hilflos abbrachen. Aber jetzt war das Tauwetter gekommen und man müsste meinen, diese hölzernen Wesen würden vor Freude zerspringen.
Und das grüne Leuchten war wieder da, obwohl es jetzt so schwach war, dass nur ein Bergbewohner mit einem Adlerauge wie er selbst das bemerken würde. Die wenigen Flugzeuge, die über die Berge flogen, würden nichts Ungewöhnliches bemerken.
Er hörte ein berstendes Geräusch und dann das Dröhnen von einem Baum, der auf den Boden aufschlug. Bäume fielen nur dann so um, wenn sie vom Blitz getroffen oder von einem Schneesturm in Eis gehüllt zum Fallen gebracht wurden. Aber im März, wenn ihre Wurzeln sich mit dem Schmelzwasser, das im Erdboden gespeichert war, vollsogen, fielen sie nicht einfach so um.
»Ich glaube nicht, dass das der saure Regen ist, von dem DeWalt mir die ganze Zeit die Ohren vollsingt«, sagte Chester zu Boomer, nachdem er es sich wieder in seinem Schaukelstuhl auf der Veranda gemütlich gemacht hatte. »Nicht einmal, wenn der Baum …. welchen schicken Ausdruck hat DeWalt dafür verwendet?«
Boomer schaute ihn erwartungsvoll an.
»Ja, genau. "Verstört" Nicht einmal wenn die Bäume "verstört" sind, sollte sie ohne guten Grund einfach so umfallen.«
Noch ein Baum stürzte in der Nähe der Bergklippe zu Boden, etwa hundert Meter entfernt, und das krachende Geräusch wurde mehrfach von den feuchten Bergflanken als Echo zurückgeworfen. Chester sah die wogenden Wipfel einer Kiefer, die vom fallenden Baum getroffen worden war. Irgendetwas Seltsames war im Gange. Chester war unentschlossen, ob er sich darum kümmern sollte. Aber das konnte er genauso gut später machen. Später war vielleicht sogar besser als jetzt. Chester war überzeugt, dass man nur mit dieser Einstellung ein hohes Lebensalter erreichen könne.
»Ich sollte vielleicht DeWalt anrufen«, sagte Chester und öffnete den Deckel des Kruges mit dem Schwarzgebrannten. »Vielleicht steht ja in seinem schlauen Buch etwas über plötzlich umfallende Bäume.«
Boomer wedelte langsam mit seinem Schwanz. Chester blickte zu dem Wald, in dem seltsame Dinge vor sich gingen. Er hatte das Gefühl, als ob die Bäume auf etwas warten würden, als ob sie ihren Atem anhielten. Es war wie die Stille vor dem Sturm.
»Ja. DeWalt könnte wissen, was zu tun ist.«
Boomer rollte sich zu den Füßen seines Herrchens zusammen und wartete.
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Schöner Hintern.
Vergib mir, oh Herr, denn ich habe die Sünde der Lust begangen. Ich habe in meinem Geiste Ehebruch begangen. Aber, lieber Jesus Christus, hast du diese Dinger in ihrem Baumwollkleid herumhüpfen gesehen? Keine Kirchensekretärin sollte sich so kleiden und einen gottesfürchtigen Mann wie ihn in Versuchung führen dürfen. Und sie hatte nicht einmal einen BH an. Vergib mir, vergib mir, bitte.
Armfield Blevins zog aus der Brusttasche seiner JC Penny Jacke ein Taschentuch heraus. Er wischte sich über seine hohe Stirn, von der seine Tochter sagte, dass sie der von Edgar Allen Poe ähnlich sah. Wer auch immer das war.
Wahrscheinlich einer von diesen abgewrackten Rockstars, den man einfach nicht von der Bühne vertreiben kann. Diese verdammten Rockstars, die noch vom Schaukelstuhl aus versuchten, eine Rock-Show abzuziehen, aber in Wirklichkeit das Publikum nur verschaukelten. Sie gehen in die ganze Welt hinaus und verbreiten die Botschaft des Teufels, genauso wie Armfield das Wort Gottes verbreitete. Der einzige Unterschied bestand darin, dass sie vor vollen Stadien spielten und dass ihre Botschaft von einer Million Lautsprecher in die Welt geplärrt wurde. Armfield konnte sich glücklich schätzen, wenn zu seiner Sonntagsmesse zweihundert Gläubige kamen. Während der Footballsaison waren es noch weniger.
Aber der Teufel schlief nicht. Der Teufel brauchte keine Zweihundert-Watt-Verstärker. Er flüsterte direkt in dein Ohr. Ein Beispiel war, was er mit Armfield gemacht hatte. Er hatte seine Augen direkt auf Nettie Hartbargers Körper gelenkt. Er konnte sogar fühlen, wie sich das Werkzeug des Teufels wie eine heiße und verachtenswerte Schlange gegen die innere Naht seiner Hose presste.
Vergib mir, oh Herr, denn es fühlt sich gut an. Und Nettie ist gleich nebenan, an ihrem Schreibtisch in der Sakristei, sie schreibt etwas, arbeitet für Dich, ist dort ganz alleine, warmblütig und mit elektrisierenden Rundungen.
Aber Armfield wusste, dass der Teufel ihn gerade in Versuchung führte, versuchte, seinen Glauben aufzuweichen. Genauso wie der Teufel Jesus die glorreichen Städte gezeigt und dabei mit seinem Pferdefuß gescharrt hatte wie ein Immobilienmakler. Er hatte sie dem Sohn Gottes zum Geschenk angeboten, wenn dieser nur seinen Glauben aufgeben würde. Aber Jesus hat der Versuchung widerstanden, genauso wie Armfield widerstehen würde.
Aber verdammt, wir Menschen sind nicht so perfekt wie Gott. Und was hätte Jesus gemacht, wenn ihm der Teufel statt ein paar alten jüdischen Städten aus Lehm und Steinen ein Stück von Netties Arsch gezeigt hätte?
Armfield schaute auf das Kruzifix aus Mahagoniholz, das hinter der Kanzel an der Wand hing. Jesus erwiderte seinen Blick. Braun, hölzern und traurig blickte er unter seiner Dornenkrone herab.
Armfield hatte das Kreuz bei einer Zwangsversteigerung einer katholischen Kirche in einer Nachbargemeinde billig ergattern können. Die Katholiken litten unter dem Rückgang ihrer Mitglieder und die Diözese hatte sich entschlossen, die Kirche zu schließen. Armfield betrachtete diesen Kauf als eine Art Sieg, als einen Beweis dafür, dass sie, die Baptisten, auf dem richtigen Weg waren. Einige seiner Gläubigen hatten sich aufgeregt, als er das katholische Symbol an die Wand gehängt hatte, aber Armfield konnte seine Schäfchen davon überzeugen, dass es eine sehr konservative Darstellung Christi war, eine, die auf die frühesten Tage der Christenheit zurückging.
Es gab nur eine wirklich alte Religion, und das war die der Baptisten. Jesus gehörte nicht zu diesen Typen, die Maria anbeteten und komische Oblaten aßen. Der Sohn Gottes gehörte zu denen, die danach strebten, dass ihre Köpfe von Sünde reingewaschen würden. Armfield blickte noch einmal auf das dunkle, hölzerne Gesicht.
»Vergib mir, oh Jesus«, flüsterte der Prediger. Dann, als er plötzlich das Quietschen einer Tür am anderen Ende der Kirche hörte, fügte er noch laut dazu: »Und wir danken dir, oh Herr, für deinen Segen, der unsere Kirche für immer begleiten und erleuchten wird. Amen.«
»Amen«, sagte auch Bill Lemly in seiner tiefen Stimme, die durch den engen Kirchengang hallte. Armfield drehte sich um und sah die breite Statur von Lemly, die sich im Eingang der Kirche gegen die dunkle und nasse Welt draußen abzeichnete. Lemly kam im Mittelschiff der Kirche immer näher. Seine Schuhe hinterließen nasse Abdrücke auf dem roten Teppich, der wie eine heilige Zunge auf dem Boden lag, die die Sünder in Richtung Altar zog, immer näher zu Gott und schließlich so nahe, dass sie das billige Aftershave riechen konnten, das der Prediger Blevins jeden Sonntag trug.
»Ich wünsche Ihnen einen guten Abend, Prediger«, sagte Lemly. »Der Herr hat uns noch mehr Regen beschert.«
»Ja, Bruder Lemly. Wir werden uns noch eine Arche bauen müssen.«
»Nun, Gott hat versprochen, dass Er uns nicht mehr so bestrafen wird. Wenn Er das nächste Mal die Erde zerstört, dann wird es anders sein. Besser.«
Was würde es das nächste Mal sein? Atomarer Niederschlag, vom Menschen erzeugte Schwefelsäure und Feuer, das vom Himmel fällt? Chemikalien in unseren Zuckerersatzmitteln, die krebserregend sind? Oder vielleicht weitere acht Jahre eine demokratische Mehrheit im Kongress? Die Wege des Herrn waren unergründlich.
»Das stimmt, Bruder«, sagte Armfield. »Und die Prophezeiungen werden eintreffen, genauso wie uns das in der Bibel versprochen wird.«
»Bald kommt der Herr und nimmt uns zu sich nach Hause. Was für ein wundervoller Tag das sein wird.«
Diese Seite der Abmachung mit Gott beunruhigte Armfield ein wenig. Natürlich wollte er in den Himmel kommen. Er wollte durch die Himmelstüre tanzen und sich zu den Füßen Jesu legen, an einer Harfe zupfen und mit seiner dünnen Stimme die Himmelschöre verstärken, die Ihn ohne Unterlass lobten und priesen. Er wollte es nur nicht in absehbarer Zeit tun.
Es war eine seiner geheimen Ängste, dass er eines Tages seiner Arbeit nachging, nichts Besonderes vorhatte, vielleicht gerade den Schnitt der Hecken am Friedhof überprüfte oder an einer steinerweichenden Predigt schreiben würde, als ihm plötzlich jemand auf die Schulter klopfen würde. Er würde sich umdrehen und da stünde der Herr in Seinem ganzen Glanz, groß, blond und blauäugig.
Armfield wollte nicht sterben. Zumindest nicht in den nächsten Jahren.
»Ja, Bruder Lemly, in der Tat ein wundervoller Tag«, sagte er und leckte über seine dünnen Lippen.
Armfield öffnete seine Bibel und legte sein lila Lesezeichen aus Nylon irgendwohin mitten ins Lukasevangelium. Passt vielleicht für ein Zitat am kommenden Sonntag.
Eines Tages würde er die Heilige Schrift wirklich lesen, von Anfang bis zum Ende, nicht nur ein Stückchen hier, ein Stückchen da. Er hatte schon einmal damit begonnen, als er sechzehn Jahre alt war. Er hatte sich hingesetzt und war bald mit der Erschaffung der Erde, mit Adam und Eva, Kain und Abel fertig. Er hatte das Gefühl, dass er auf die beste Geschichte der Welt gestoßen war. Dann war er auf die ganzen "Zeugungen" gestoßen und es war so, als ob er mit dem Gesicht voran in die Mauer einer jüdischen Synagoge gerannt wäre. »So-und-so zeugte ein Kind mit so-und-so, und der wiederum…« . . “
Armfield war nicht der schlaueste Mensch auf Erden. Er war ein schlechter Leser und die einzigen originellen Ideen, die ihm im Kopf herumschwirrten, waren die unterschiedlichen Positionen, die er mit Nettie Hartbarger einnehmen würde. Aber er war der lauteste in seiner Klasse in Henneway gewesen. Er war immer der unverblümteste Kritiker der Liberalen, der Babymörder und der Katholiken und anderer niederer Lebensformen gewesen.
Er hatte Gott um Kraft und um Rat gebeten, sodass er mit Gottes Hilfe Seinen Willen tun könnte. Und schließlich war er zu dem Schluss gekommen, dass es Gottes Wille sei, dass er nie die Bibel ganz lesen sollte. Armfields Vater konnte nicht einmal lesen und er war sicherlich in den Himmel gekommen, weil er immer das Haushaltsgeld aus dem Marmeladeglas genommen und bei der Kollekte in der Kirche gespendet hatte. Geld, das Armfield dringend für Kieferorthopädie gebraucht hätte, denn dann würden seine verdammten Zähne jetzt nicht wie die eines verfluchten Bibers vorstehen. Geld, das seine Mutter für eine Mammographie gebraucht hätte, bei der man vielleicht den Brustkrebs erkannt hätte, der sie so früh in die Arme des Herrn gebracht hatte, während Armfield in Henneway war. Geld, das vielleicht seine unterernährte Schwester davor bewahrt hätte, von der Familie davonzulaufen, um in Charlotte eine Hure zu werden.
Ein Blitz zuckte draußen über den Himmel, einmal, dann dreimal kurz hintereinander und beleuchtete die bunten Glasfenster. Aber der Jesus in dem Spiegelglas blieb unbeweglich, er kniete nur zwischen den Lämmern und sah so aus, als ob er ihnen die Bergpredigt in die Sprache des Blökens und Meckerns übersetzen würde. Dann krachte der Donner und ließ das handgehauene Bogengewölbe der Kirche erzittern.
»Der Herr ist heute besonders verärgert, Prediger«, sagte Lemly und lachte dabei so laut wie der Donner. »Da hat sich wohl jemand mächtig versündigt.«
Armfield nickte von der Kanzel herab. Obwohl er gerade auf Lemly herabblickte und sich außerdem eine feste Brüstung aus Eichenholz zwischen Lemly und ihm befand, hatte Armfield das Gefühl, als würde Lemly ihn bei weitem überragen. Lemly, mit seinen dunklen Augen, seinem eckigen Gesicht, seinen Muskeln und seiner gebräunten Haut. Lemly war früher ein Footballstar an der Uni gewesen, dann kam er aber nach seinem Abschluss in sein Heimatdorf zurück und hatte eine Baustofffirma eröffnet. Jetzt besaß er schon vier Läden in der Umgebung und ein fünfter war bereits in Planung.
Dieser Mann würde es schaffen, sogar an Jesus Baumaterial zu verkaufen.
Aber Bruder Lemly war eben auch ein Diakon und großzügiger Unterstützer der Kirche, außerdem ein Landrat und ein von allen respektierter Bürger. Wenn Armfield wissen wollte, was die Bevölkerung über ein bestimmtes Thema in Windshake dachte, dann fragte er Lemly. Zum Teufel noch mal, Lemly verkörperte die öffentliche Meinung, wenn man es genau nahm.
Die Kirchentüre öffnete sich noch einmal und die Spitze eines Regenschirms wurde sichtbar. Sie drehte sich langsam und hunderte Regentropfen spritzen auf den Boden. Dann hob sich die Spitze des Schirms und Armfields Kopf, der eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Glühbirne hatte, schien vor Freude aufzuleuchten.
»Hallo, mein Schatz«, sagte er und vergaß dabei sogar auf seine sonore Priesterstimme.
»Hallo, Papa. Hallo, Herr Lemly«, sagte Sarah. Sie schüttelte ihr Haar, ihr langes rotes Haar, das den Haaren ihrer Mutter so sehr ähnelte, mit der Ausnahme, dass es nicht wie das ihrer Mutter von unzähligen Stunden unter der Trockenhaube in Rita Fayes Schönheitssalon versengt war. Sarah lächelte und man konnte zwischen ihren Lippen ihre perfekten weißen Zähne erkennen. Armfield hatte es sich nicht nehmen lassen, dass alle seine Kinder Zahnspangen verpasst bekommen hatten, und sei es nur, damit sie nicht bei jedem Blick in den Spiegel ihren alten Vater verfluchen würden.
»Hallo, Sarah«, sagte Lemly. Er wandte sich wieder an Armfield. »Sagen Sie mal, Prediger…«
Armfield hatte darauf bestanden, dass er von seiner Gemeinde als "Prediger" und nicht als "Hochwürden" angesprochen wurde. So war es viel volksnäher. Außerdem gefiel es den Kirchenmitgliedern. Und kommenden Freitag war er zum Abendessen eingeladen. Und am Sonntag waren sie bei den Spenden viel freigiebiger.
Sie waren nicht so misstrauisch. Setzten ihn überhaupt nicht mit den Hochwürden Bakker oder Swaggart in Verbindung. Und auch nicht mit Falwell, der zwar nicht verurteilt wurde, der aber trotzdem noch einen schlechten Nachgeschmack bei all den Gläubigen hinterlassen hatte. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Lemly.
»Wissen Sie, ob Nettie da ist?«, fragte Lemly. »Sagte mir, ich solle sie um Punkt sechs Uhr abholen und es ist schon soweit.«
»Sie ist in der Sakristei, Bruder. Hat uns wahrscheinlich wegen des Regens nicht gehört.«
»Kann ich zu ihr nach hinten gehen?«
»Nur zu, Bruder. Aber entführen Sie mir bitte Nettie nicht, bevor sie nicht die Buchhaltung unserer Kirchengemeinschaft abgeschlossen hat.«
Lemlys Lachen erdröhnte wieder, dann verließ er den Raum, wobei seine nassen Schuhsohlen auf dem Holzboden der Kirche quietschten.
Verdammt. Armfield hatte gehofft, dass Lemly wegen irgendeiner Idee hergekommen war, einem spirituellen Zeltfest oder einem Gospelkonzert, um die leeren Kassen der Windshake Baptistenkongregation zu füllen. Und bei der Gelegenheit hätten auch sicher ein paar Dollar den Weg in Armfields Taschen gefunden. Aber Lemly war hinter Nettie her.
Hmm. Das schickte sich aber nicht. Beide sind single und stehen im Dienste der Kirche. Noch ziemlich jung und anfällig für die Verlockungen des Fleisches, schwach gegen die Stimme des Teufels. Und die hiesige Bevölkerung hatte spitze Zungen.
Er wird auf beide ein Auge werfen müssen. Das würde ihm nicht schwerfallen, besonders bei Nettie.
»Was machst du hier, junge Dame?«, fragte er seine Tochter.
»Mama hat mich hierher geschickt, um dir zu sagen, dass das Abendessen fertig ist«, sagte sie.
Ihr Gesicht leuchtete vor Unschuld und Jugend, wie das Antlitz der Jungfrau Maria in vielen Renaissance-Gemälden. Sie hatte die zarte Haut ihrer Mutter mit ein paar leichten Sommersprossen auf ihren seidigen Wangen. Obwohl er eigentlich gar nicht mehr genau wusste, wie die Haut ihrer Mutter aussah, trug diese doch mehr Makeup als eine Drag Queen.
Armfield blickte auf die geöffnete Bibel und legte sie dann wie ein Baby in seine hohlen Hände. Er drückte sie voll Liebe an seine Brust. Das Gewicht des Buches war Trost für ihn. Die vergoldeten Seitenränder gaben ihm Kraft. Und sie war ein verdammt wichtiges Utensil, wenn er so tat, als ob er von Jesus persönlich berührt wurde. An Sonntagen, wenn er fühlte, dass seine Gemeinde eine extra Portion religiöser Stimulierung brauchte, lieferte er nämlich auf der Estrade ein Spektakel ab, bei dem er voller Leidenschaft gegen die Sünder Gift und Galle spuckte.
Diese Auftritte waren eigentlich der Grund dafür, dass er von der Baptistenkirche nach Windshake geholt wurde. Während viele von den südlichen Baptisten-Gemeinschaften geschiedene oder liberale Priester und sogar ein paar konvertierte Episkopale in ihren Kirchen predigen ließen, hielt sich Windshake wie ein Fels in der Brandung. Auf der letzten Klausurtagung der Baptisten hatte sich sogar ein paar vormals konservative Priester dafür ausgesprochen, den Zugang zur Kirche "im Angesicht der fortschreitenden Modernisierung" zu erleichtern. Was auch immer das heißen sollte, für Armfield hörte es sich an, als wolle man die Kirche an den Teufel verkaufen.
Ein bisschen reinigendes Feuer konnte also in Windshake nicht schaden. Die meisten Angehörigen seiner Gemeinde fühlten, dass das, was für ihre Großeltern gut genug war, für sie nur recht und billig war.
Allerdings waren in letzter Zeit ein paar Rivalen in der Nähe von Armfields religiösem Hoheitsgebiet aufgetaucht. Die Erste Baptistenkirche in Piney Ford setzte ihm schon zu. Da war dann noch eine Methodistenkirche auf der hinteren Seite von Sugarfoot und eine kleine Lutheranische Kirche in einem umgebauten Gemüseladen in Stony Creek. Und er hatte gehört, dass sich sogar eine Gruppe von Unitariern wöchentlich im Keller eines Buchladens traf.
Aber Armfield war nicht besonders besorgt. Ein bisschen Konkurrenz konnte ja nicht schaden. Es war auch ein Zeichen dafür, dass sich in Windshake in den letzten Jahren ein paar wohlhabende Touristen eingekauft hatten. Seit Armfield die Kanzel in der Kirche übernommen hatte, hatten sich die Einnahmen seiner Kirche jedes Jahr um ungefähr acht Prozent gesteigert. Nun, offiziell waren es nur drei Prozent, nachdem Armfield seinen "Bonus" abgezogen hatte.
»Kommst du jetzt, Papa?«, fragte Sarah und das Echo ihrer Stimme wurde von den glänzenden Holzornamenten und dem Kristallglas in seine haarigen Ohren geleitet.
»Das hängt davon ab, was es zum Essen gibt. Wenn es schon wieder eines dieser vegetarischen Omeletts ist, dann mach ich mich lieber auf den Weg zum nächsten Steakhaus.«, kicherte Armfield.
»Ach, Papa«, sagte sie.
»War nur ein Scherz, mein Schatz.«
Sarahs südlicher Akzent war schon dabei langsam zu verblassen. Ihre breiten Vokale wurden immer schmäler, wie eine Landstraße, die sich einem Wald näherte. Sie war in ihrem zweiten Jahr in der Westridge University und diese intellektuellen Yankees hatten ihre Art zu sprechen und zu denken schon stark beeinflusst. Armfield machte sich schon Gedanken, wie es mit ihr weitergehen würde.
»Gott möge sie beschützen«, betete er leise und legte seine Bibel fast zärtlich auf die Kanzel, wo sie ihm am kommenden Sonntag als Inspiration dienen würde. Er fragte sich innerlich, ob er Nettie und Bruder Bill Lemly sagen sollte, dass er nach Hause ging. Nein, Nettie würde schon alles absperren. Außerdem wollte er die zwei Turteltäubchen nicht aufschrecken.
Armfield fürchtete zudem, dass er die Sünde des Neids begehen könnte. Er hatte heute schon genug gesündigt. Er würde sich mindestens eine halbe Stunde mit dem Herrn von Angesicht zu Angesicht unterhalten müssen, um diese Sünden wieder reinzuwaschen. Aber der Herr würde ihm schon vergeben. So wie immer.
Armfield schritt unter den hohen Holzbögen den Gang der Kirche entlang. Das einzige Geräusch, das zu hören war, war das Knacken seiner Kniegelenke und das leiser werdende Prasseln des Regens auf dem Kirchendach. Er traf im Foyer der Kirche auf seine Tochter, die schon mit dem aufgespannten Regenschirm auf ihn wartete, damit sie die dreißig Meter zum Pfarrhaus gemeinsam zurücklegen konnten.
Armfield dachte so intensiv an seine bevorstehende Buße, dass er den Regen überhaupt nicht beachtete. Als er in den Regen blickte, der in fetten Strichen das Licht der Straßenlaterne durchzog, kam es ihm so vor, als sähe er ein schwaches grünes Leuchten. Er schüttelte den Kopf und tauchte unter den Regenschirm.
Es sind sicher keine Frösche.
»Wer ist schneller?«, rief Sarah und lief mit dem Schirm in der Hand in Richtung Pfarrhaus.
Armfield lachte und dann zuckte ein Blitz über den Himmel, der in der Nähe der Kirche in den Boden einschlug. Der Donnerschlag, der unmittelbar darauf folgte, war ohrenbetäubend.
»Verschone mich, Jesus«, flüsterte er, dann rannte er in den Regen hinaus zu seinem Haus.
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Don Oscar war in einer Forsythienhecke verheddert. Ihre scharfen grünen Knospen zerkratzten seine Haut. Er fühlte, dass er bereit war, in einer Flut von samtig gelben Orgasmen in tausende Blüten zu explodieren. Er fühlte sich lebendiger als er es jemals zuvor getan hatte, als er noch ein Mensch war. Jetzt war er Chlorophyll und Karotin, er bestand aus Wasserzellen und Kohlenstoff, eine einzige Metastase aus tierischer und pflanzlicher Existenz. Er verbrannte sich in wohligem Glücksgefühl, als ihm seine Energie durch seinen Schöpfer abgesaugt wurde.
Er war jetzt Nahrung für die Götter.
Die dünnen, weißen Würzelchen seines Schöpfers drangen langsam unter die Haut des Bear Claw und verzweigten sich dort. Sie sogen die Fauna der Appalachen in sich auf und verwandelten sie in ihresgleichen. Seine Apostel waren auch schon unterwegs, Fische und Vögel und Mensch und Getier, alle waren schon von der Berührung des kosmischen Sensenmannes infiziert worden. Und Don Oscar war eines seiner Kinder. Er war Nahrung für den geliebten Samen aus dem Weltall, sodass seine Mission weitergeführt werden konnte.
Er wusste, dass auch seine Frau Genevieve in der Nähe war und mit ihrer Nase wie eine alte Sau auf der Suche nach wohlschmeckenden Trüffeln durch die Erde pflügte. Die wilden Lilien sprossen am Bachufer und Genevieve war mitten unter ihnen und rollte sich im fetten, sumpfigen Morast. Ihr zerrissenes Kattunkleid war feucht und schwarz vor Schmutz und klebte an ihren üppigen Schenkeln, während sie sich ohne Scham im Schlamm suhlte.
Don Oscar hatte noch nie eine so tiefe Liebe für sie empfunden, hatte noch nie so sehr die herrlichen Tiefen ihres organischen Reichtums zu schätzen gewusst, als er sie damals verwandelt hatte. Nun waren sie einen Bund eingegangen, der ihm tausendmal heiliger war als ihre menschliche Verbindung.
Jetzt dienten sie gemeinsam ihrem Schöpfer und er diente ihnen, er segnete sie mit dem Leuchten der Sonne, gewährte ihnen die Wohltat der Feuchtigkeit, die sie durch ihre Haut aufnahmen, gestattete ihnen den Genuss der Transpiration. Die Wolken ihres Unwissens waren vertrieben und sie waren erleuchtet. Ihre sündige Hülle hatten sie abgelegt, sodass sie rein werden konnten.
Don Oscar hatte jeglichen Sinn für Zeit verloren, aber er dachte, dass es alles eine neue Wissenschaft war, eine Wissenschaft mit neuen Naturgesetzen. Er bereute das menschliche Bestreben nach Leben, den ewigen Kampf des Fleisches. Er war erfüllt von einem Hass gegen sich selbst, weil er jahrelang seine ihm eigenen Ressourcen verschwendet hatte, aus Geiz, Habgier und purem Egoismus. Aber auf der anderen Seite hatte sein zielloses Wandern einen Sinn gehabt, weil es ihn letztendlich zu diesem perfekten Tag geführt hatte.
War es erst einen Tag her, seit er verwandelt und geheilt worden war? Spielten Tage überhaupt noch eine Rolle? Jetzt zählte nur noch die Ewigkeit, eine glückliche Knechtschaft, die wie die goldenen Strahlen der Sonne in der ganzen Galaxie den Weg in die Ewigkeit beleuchteten.
Er räkelte sich zwischen den Forsythien und lehnte sich gegen ihre dünnen Zweige. Aus seinen Wunden und Kratzern tropfte eine graue Flüssigkeit und er absorbierte Kohlenstoff-Dioxid während er starb und millionenfach wiedergeboren wurde.
Während er aufquoll und seine Umgebung in sich aufnahm, als er voll grünlicher Freude anschwoll, wurde er von dem unbändigen Wunsch überkommen, seine Verzückung mit anderen zu teilen. Er würde seinen Nachbarn einen Besuch abstatten.