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Die Freunde traten aus der Höhle heraus. Draußen begrüßte sie das altvertraute matte Dämmerlicht. Sie hatten es nicht vermisst. Seinen Verursacher wollten sie aus dieser Welt tilgen.

Norak sah sich um. Er lächelte. Es war kein freundliches Lächeln. Sie befanden sich im westlichen Murrog-Gebirge. Norak war nie hier gewesen, trotzdem wusste er es genau.

Durch die Düsternis schimmerten Lichter. Sie gehörten zur Festungsanlage auf dem Gipfel – der Herrschaftssitz des Fürsten. Die alte Dame in Sorca hatte den Eingang zum Portal magisch versteckt. Er lag direkt vor den Augen des Fürsten. Gab es ein besseres Versteck? Kein Wunder, dass er so lange gebraucht hatte, es zu finden.

Sie trotteten den schmalen Abstieg vor der Höhle herab, der nach einer Biegung zu den Bergkuppen Richtung Festung führte. Weit kamen sie nicht. Eric stoppte abrupt und starrte in die Dunkelheit.

»Ich sehe es auch.« Bestätigte Norak die unausgesprochene Vermutung. Ein kleiner Wirbelsturm kräuselte sich keine zwanzig Manneslängen vor ihnen und versperrte den Weg. »Es wird die Rückendeckung des Fettsacks sein.«

Eric beobachtete die sich drehende Luftsäule mit dem Gefühl der Vertrautheit. »Sag nichts, lass mich raten.«

»Ja, Eric, es ist ein Luftkobold. Ein Erodumu.«

Eric erwiderte nichts. Insgeheim fragte er sich, ob es Magiern nicht langweilig wurde, sich mit rotierenden Säulen zu beschäftigen. Aber jeder brauchte sein Steckenpferd.

»Auf, Eric. Wir werden auch mit dieser Säule fertig!«

»Du meinst, Du wirst damit fertig. Den Sumpfgeist konnte ich mit meiner Axt überraschen, aber das da ist Luft! Ich kann Dir keine Hilfe sein.«

»Dann glaub an mich.« Norak trat vor.

»Norak!«

Er drehte sich zu seinem Freund um.

»Das hier ist nicht Sorca! Die Mächte der Magie sind hier anders tariert! Und es ist ein Luftkobold.«

»Ich sagte, glaube an mich! Wenn wir an ihm scheitern, « Norak deutete auf die Luftsäule, »scheitern wir auch an Tang Ok!« Er wendete sich verärgert ab. Er, Norak, war der Magier. Auf einer Stufe mit Gennoh, falls die alte Dame recht hatte. Doch diese Bestätigung brauchte er nicht. Macht brodelte in ihm in freudiger Erwartung. Er hatte in Sorca dazugelernt. Wenn er wollte, rief er eine Armee von Sanddämonen als Verstärkung herbei – oder konnte er das nicht? Hier in seiner Welt? Keine Zeit für Selbstzweifel. Er stand einem Erodumu gegenüber.

Ein Luftkobold. Die Worte des Ohabs hallten durch seinen Kopf. Nicht nur ein Element stand gegen ein anderes – ihre Kombination war der Schlüssel. Vor allem gegen einen Luftkobold.

Ein Gebirgsbach plätscherte zur Noraks Linken. Gesteinsbrocken lagen auf dem Weg. Aus diesem Reservoir konnte er schöpfen. Er zog den rechten Mundwinkel zu einem hochmütigen Grinsen nach oben und streckte sein Kinn vor. Sein Gegner nahm die Herausforderung an. Der Kobold bewegte sich auf ihn zu.

Mit der rechten Hand befahl Norak den Steinbrocken sich zu formieren, mit der linken bildete er eine Wasserfront. »Es ist ganz einfach«, legte er sich in Gedanken seine Strategie zurecht »Wo Stein und Wasser sind, kann sich Luft nicht befinden. Dich dränge ich aus dieser Welt!« Wassermassen und Gestein stürmten auf den Erodumu zu, bereit, ihn zwischen sich zu zermalmen.

Der Luftkobold wich dem Wasser behände aus und nutzte die Lücken zwischen den Steinbrocken, sich zu verteilen. Er wuchs, sog Wasser wie Stein in sich auf und schleuderte sie Norak entgegen.

Diesen traf der Gegenangriff völlig unvorbereitet. Er stotterte Fragmente eines Schildzaubers heraus, dann riss ihn die Wucht des Aufpralls aus seiner Selbstherrlichkeit und schleuderte ihn nach hinten. Eric schrie und rannte zu seinem Freund. Er stellte sich schützend vor ihn und hieb mit der Axt durch die Luft. Ein Kichern säuselte im Wind.

Norak rappelte sich auf. Er gab sich nicht geschlagen. Er würde triumphieren. Doch in seinem Herzen nagte Zweifel. War er dem Erodumu gewachsen? Mit der Antwort durfte er nicht lange warten.

Feuer bekämpfte man mit Gegenfeuer. Warum nicht Wind mit Gegenwind? Wieder schossen Wasser und Stein auf den Kobold zu – diesmal als Ablenkung. Norak wartete, bis der Luftgeist den Massen auswich. Dann manifestierte er seine eigene Luftsäule hinter dem Erodumu – als Gegenstrudel. Der Kobold heulte. Norak hatte ihn überrumpelt. Der junge Zauberer ließ Wasser und Gestein aus seinem Magiebann fallen und verstärkte die Säule.

Der Kobold wehrte sich. Er zerrte mit der Gewalt eines Orkans. Schweiß perlte in Noraks Augen. Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse der Pein. Jeder Muskel schmerzte. Seine Augen pochten. Sein Kopf war vor dem Zerreißen. Doch er gab nicht nach.

Der Erodumu wimmerte. Der Widerstand brach. Noraks Strudel sog seinen Kontrahenten auf und zerfetzte den Kobold.

Geschafft! Erschöpft aber glücklich atmete Norak aus. Er lächelte. Zufrieden betrachtete er sein Werk – und stockte. Die Luftfetzen des Kobolds – sie setzten sich wieder zusammen, einer nach dem anderen.

Norak war den Tränen nahe. Er hatte alles gegeben, sich maßlos überanstrengt und versagt! Oder hatte er sich maßlos überschätzt? Er erinnerte sich an den Kampf mit dem Dicken. Ihn konnte er nicht bezwingen. Er bezwang seine Umgebung. Er trickste ihn aus. Das, was sie die ganze Zeit machten – tricksen. Aber mit billigen Taschenspielertricks schlug man keine Magie. Was war er? Wer war er? Gefangen in der Katharsis seiner Selbstüberschätzung bemerkte Norak nicht, wie der Erodumu näher rückte.

Alle Elemente gegen eins. Das hatte ihm der Ohab gelehrt. Eines hatte Norak noch nicht verwendet. Er blickte hoch und sah den Luftkobold. Selbstmitleid war fehl am Platz. Die Läuterung seiner Überheblichkeit musste warten. »Reinige Dich von Deinen Selbstzweifeln«, sprach er zu sich selbst. »Konzentriere Dich auf Deine Stärken.« Reinigung? Läutern? Feuer! Er bleckte die Zähne.

Der Kobold griff an. Norak unterstützte ihn. Vor Überraschung zögerte der Erodumu. Norak nutzte seine übriggebliebene Kraft, um den Kobold weiter zu stärken.

Die Luft bestand aus atembaren Anteilen und Teilen an denen Menschen ersticken konnten. Die höhere Magie lag in der atembaren Luft. Mit dieser veredelte er den Kobold, reinigte ihn, gab ihm ungeheure Kraft. Ein Frohlocken toste durch den Wirbel. Doch der Kobold hatte nicht vor, sich zu bedanken. Stärker und reiner als jemals zuvor sammelte er all seine Energie und schoss auf die beiden Freunde zu.

»Spring in den Bach!«, raunte Norak seinem Freund zu.

Der Bach war nicht tief und die Landung alles andere als weich. Trotz dieser Bedenken sprang Eric, ohne zu zögern in das Nass. Für Diskussionen sah er keinen Anlass.

Norak war am Ende. Er hatte sich schnell und früh verausgabt im sicheren Glauben, nicht verlieren zu können. Musste er den Preis dafür zahlen? Für das, was fehlte, benötigte er nicht mehr viel. Das letzte verbliebene Element.

Der Kobold hatte ihn fast erreicht. Rein an atembarer Luft, von ungeheurem magischen Potential. Das letzte Element, Feuer, setzte Norak als schwachen Glimmer eines Spans in die Mitte des Kobolds und sprang.

Das Inferno raubte ihm die Luft, versengte seine Haare und rammte ihn härter in den Bach, als gut für ihn war. Der Luftkobold entzündete sich augenblicklich. Er brannte schnell und lichterloh. Sein Schrei war kurz und stumm.

* * *

Norak japste nach Luft. Eric zog ihn an den Schultern aus dem Bach. Norak blickte in das zerschrammte Gesicht seines Freundes. Auch er war unsanft aufgekommen. Eric lächelte ihn an. Norak lächelte zurück. Sein Freund klopfte ihm auf die Schulter. »Ich hab an Dich geglaubt!«