»Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, uns einzumischen.« Norak saß neben Eric, verborgen von niedrigem Buschwerk. Sie hatten sich zum Sumpfgebiet zurückgezogen und warteten nahe der Grenze der beiden Reiche auf Gopolan, den Hauptmann der Wache. Geheime Orte für konspirative Treffen.
»Ich weiß, was Du meinst«, bestätigte Eric, »aber haben wir eine andere Wahl?«
»Warum nicht? Geht uns das alles überhaupt etwas an? Wir sind aus einem anderen Grund hier. Wir müssen dieses Culum finden, damit wir an das Seraphenschwert gelangen. Oder an den Stein der Weisen selbst. Und danach zurück in unsere Welt. Ich will den Fürsten in Stücke hauen! Wir müssen unsere Welt retten, warum halten wir uns mit dieser auf?«
»Sag Du es mir, Norak.«
Norak ließ den Kopf hängen und seufzte. »Du hast recht. Wenn wir nichts tun, endet es hier so wie bei uns. Ein größenwahnsinniger, willkürlicher Herrscher. Noch dazu mit einer Magie in vollendeter Disharmonie.« Norak schüttelte den Kopf. »Außerdem brauchen wir jemanden, der uns hier rausführt. Sonst finden wir das Culum womöglich nie.«
»Da könnten wir vielleicht auf Deinen freundlichen Sanddämon zurückgreifen. Wo ist er überhaupt?«
»Gute Frage. Vermutlich wartet er noch am Turm. Oder ihm ist langweilig geworden und er hat sich aufgelöst. Wir hätten nach ihm schauen sollen. Abgesehen davon ist es nicht mein Sanddämon.«
»Er gehorcht Dir aber aufs Wort. Trotz allem warst Du bei Deiner Aufzählung, warum wir diesen Leuten helfen sollten, noch nicht am Ende, oder?«
»Ja, ja, Du hast recht«, bestätigte Norak barsch. »Ich fühle mich verantwortlich. Aber warum? Weil ich ein Zauberer bin und diese Leute von Magiern im Stich gelassen wurden? Ein dämlicher Grund. Kann ich überhaupt helfen?«
»Ich bin sicher, Du kannst. Das Ganze hat eine Menge mit Sorca zu tun. Du kennst die Magie, Du kennst ihre Sprache. Wahrscheinlich hast Du hier mehr Möglichkeiten, als Du überhaupt ahnst.«
»Ach, und wie soll ich diesen ›Vorteil‹ nutzen?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung. Ich verstehe auch nichts von Magie.« Eric verstummte, hob den Kopf und lauschte. »Er kommt.«
* * *
Der Hauptmann der Wache schlich an sie heran. Norak war immer wieder erstaunt, über welch feines Gehör Eric verfügte. Er wünschte, er hätte einen Zauber, um das Seinige zu schärfen. »Willkommen, Gopolan«, empfing er den Hauptmann.
»Seid auch Ihr mir gegrüßt«, erwiderte der Gnom. »Allerdings haben wir nicht viel Zeit, Höflichkeiten auszutauschen. Wir brauchen einen Plan und das schnell. Bevor uns der Narr zuvorkommt.«
»Warum sollten wir fürchten, dass er gegen uns vorgeht? Er kennt unsere Motive nicht und hat bestimmt genug mit dem Schelm zu tun.«
»Unterschätzt die Gefahr Eurer Anwesenheit nicht! Eben weil er nicht weiß, was Ihr vorhabt, seid Ihr gefährlich für ihn. Sicher seid Ihr auch dem Schelm ein Dorn im Auge. Die beiden könnten auf die Idee kommen, eine kurzfristige Allianz gegen Euch zu bilden.«
»Der Feind meines Feindes …«
»… muss nicht unbedingt mein Freund, aber kann durchaus mein zeitweiliger Verbündeter sein. Ja, genau so.«
Norak und Eric liebten solche Neuigkeiten. Ihre Zukunft war so heilsversprechend, wie eine Oase ohne Wasser.
»Und zusammen«, ergänzte Gopolan, »könnten die beiden wirklich unangenehm werden.«
Norak seufzte. »Dann lasst uns Schritt für Schritt vorgehen. Der Schelm hat uns geschickt, um die Wasserkugel zu stehlen. Könnten wir auf diesem Wege weiterkommen?«
»Was sollte es bringen, die Wasserkugel dem Schelm zurückzugeben? Und solange Ihr hier seid, wird der Narr den Schutzzauber aufrechterhalten. Allerdings kann er dadurch die Kugel nicht einsetzen. Die magische Barriere verhindert auch, dass die Kugel Wasser spenden oder speichern kann.«
Die Konsequenzen dieser Neuigkeit bereiteten Norak Bauchschmerzen. Die Kugel war im Augenblick unbrauchbar. Der Narr musste gegen Eric und ihn vorgehen, allein schon, um die Oberhand über den Schelm zu behalten. Sie mussten die beiden Meister gegeneinander ausspielen. Die Wasserkugel konnte der Schlüssel dazu sein.
Doch benötigten sie einen Verbündeten auf Seiten des Schelms. Retsetlee wäre eine gute Wahl, sofern er sich nicht bereits mit dem Narren verbündet hatte. Herauszufinden, wer ihre Ankunft dem Narren verraten hatte, war von oberster Priorität. »Gopolan, wisst Ihr, wer der Vertraute des Narren im Lager des Schelms ist?«
Der Hauptmann rieb sich grübelnd das Kinn. »Diese Frage habe ich mir schon oft gestellt.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir leid, ich wüsste es selbst gern. Ihr spielt sicher darauf an, dass der Narr über Eure Ankunft unterrichtet war. Ich bin sicher, es ist ein Mitglied des Tribunals. Doch ich habe noch nicht mal herausgefunden, wie sie kommunizieren. Persönlich erscheint dieser Quidam hier nicht. Davon hätte ich längst erfahren. Vermutlich verwenden sie Magie.«
»Vermutlich«, bestätigte Eric. »Oder gibt es hier Brieftauben?«
»Viel zu auffällig. Der Schelm würde sich fragen, warum einer seiner Ratgeber Vögel zur Kommunikation züchtet. Nein, nein, Magie ist die einzig sinnvolle Erklärung.«
»Und vor allem so einfach«, warf Norak gereizt ein. Es störte ihn, dass für alle Schuld die Magie herhalten musste. Dabei existierte diese Welt nicht ohne sie.
Eric ignorierte Noraks Einwand. »Wir müssen als Erstes herausfinden, wer dieser Informant ist. Ansonsten könnte er alle unsere Pläne sabotieren.«
»Die wir noch nicht haben«, gab Norak zu bedenken.
»Am Ende nehmen wir ja doch Plan B.« Eric grinste sardonisch.
»Gut!«, sagte Gopolan. Er war kein Freund langer Diskussionen. »Kehrt zum Schelm zurück. Erklärt ihm, dass die Kugel unbrauchbar ist. Sagt am besten, Ihr habt sie zerstört. Der Informant wird wissen, dass es nicht wahr ist. Vielleicht findet Ihr so etwas über ihn heraus. Wir treffen uns wieder bei dem Sanddämon, den Ihr zurückgelassen habt. Bis dann.«
Ohne eine Bestätigung abzuwarten, verschwand der Hauptmann in der Dunkelheit.
»Dem kleinen Wicht entgeht ja wohl nichts«, zollte Eric dem Hauptmann Respekt.
»Das sieht fast so aus«, entgegnete Norak.
»Wenigstens wissen wir, dass der Sabulo noch dort ist und auf Dich wartet, Norak.«
Norak hatte die Stichelei nicht mitbekommen. Er blickte nachdenklich in den Nachthimmel. »Eric?«
»Ja?«
»Existieren diese Menschen wirklich?«
»Bitte?« Eric war verblüfft über diese Frage.
»Nun, versteh doch, der Rat von Gishalta hat diese Welt, diese Leute geschaffen. Die Kralten waren bestimmt hochgebildet, aber sie waren keine Götter. Also, leben diese Leute wirklich? Können normale Menschen Leben erschaffen?«
»Weißt Du, wer Dich geschaffen hat? Welche Götter oder Doch-Nicht-Götter waren da am Werk?«
Norak wusste darauf keine Antwort. Wie alle vor und genauso viele nach ihm, denen diese Frage gestellt wurde.
»Sie leben, Norak. Sie leben so wie Du und ich.«