»Ich hoffe, die Verbrennungen sind nicht allzu schlimm.«
Eric sah zu seinem hochgewachsenen Freund auf und lächelte verschmitzt. Es wurde Abend und sie hatten nur noch wenige Meilen bis zum Dorf des Herolds vor sich. »Sehr rücksichtsvoll, dass Du Dich danach erkundigst, jetzt wo die Narben fast verheilt sind.«
»Sei nicht so unfair. Was hätte ich machen sollen? Zusehen, wie sie Dich massakrieren?«
»Wie wär’s mit einer Wassersäule gewesen?« Er genoss es, seinen Freund aufzuziehen.
»Damit hätte ich nicht alle erwischt. Außerdem ist Feuer meine Spezialität, das weißt Du genau.«
»Komm schon«, lachte Eric. »Du weißt genau, wie dankbar ich Dir bin. Aber nur weil Dein Großvater ein Feuerfetischist war und ein bisschen wirr im Kopf, wenn Du mich fragst, solltest Du die anderen Elemente nicht vernachlässigen.«
Norak funkelte seinen Freund an. Es missfiel ihm, wenn andere schlecht über seinen Großvater redeten. Selbst wenn es Eric war. Mochte es noch so unbedeutend sein.
Trotzdem hatte Eric recht. Norak musste sein Wissen über die anderen Elemente vertiefen. Die meisten seiner Versuche waren bisher fehlgeschlagen, aber er besserte sich.
Früher hatte er immer Probleme mit der Magie. Sein Großvater mühte sich wochenlang, ihm die einfachsten Sprüche einzuhämmern. Merkwürdigerweise hatte er die Zusammenhänge erst nach dessen Tod begriffen.
Aber seinen Freund diesem großen Risiko ausgesetzt zu haben, war nur das eine. Noch ein anderer Aspekt plagte ihn den ganzen Marsch über. Er entschloss sich, darüber zu reden.
»Eric«, begann er, »ich hatte wieder einen dieser Träume.«
»Was für einen Traum?«, fragte Eric, obwohl ihm völlig klar war, wovon Norak sprach.
»Du weißt schon«, gab Norak kurz angebunden zurück.
»Mit dem alten Mann?« Eric ließ ihn nicht länger zappeln.
»Ja.«
Eric lächelte ironisch. »Was wollte er diesmal?« Noch nie hatte er etwas gewollt. Norak erzählte immer nur von einem alten Mann, der still in einem Raum mit schimmernden Wänden saß. Warum diese Träume Norak so beschäftigten, konnte Eric nicht nachvollziehen.
»Er sagte, die Suche beginnt.«
Eric blieb wie angewurzelt stehen. »Er hat gesprochen?«
»Ja. Und gleich darauf ist der Diener erschienen.«
Die Mühlsteine in Erics Kopf ließen sich einen Moment Zeit, diesen Brocken einer Andeutung zu zerkleinern. »Augenblick! Langsam! Aus diesem Zusammenhang schließt Du jetzt was?«
»Ich weiß es nicht!«, gab Norak unwirsch zurück. »Aber ich glaube, es hat irgendwas miteinander zu tun. Du sagtest doch, der Diener wolle die Amme finden und …«
»Stopp! Das glaub’ ich nicht!« Erics Befürchtungen schienen sich zu bewahrheiten. »Sollen wir etwa unsere Leute im Stich lassen, um eine Amme zu suchen, die es vielleicht gar nicht mehr gibt? Nur weil Du einen Traum hattest, von dem keiner genau weiß, was er bedeuten soll? Falls er etwas bedeutet?«
Norak ließ den Kopf hängen. Eric hatte recht. Der Traum konnte völlig belanglos sein, aber das glaubte er nicht. Irgendetwas in seinem Inneren schrie ihn förmlich an, diese Träume ernst zu nehmen. Sie signalisierten Gefahr. Er war sich nicht sicher, ob sie vor einer Gefahr warnen sollten, oder ob die Träume selbst eine darstellten. Aber er musste dieser Sache auf den Grund gehen. »Hör zu, Eric …«
»Nein, Du hörst mir zu! Wir gehen und finden diesen Tobin. Danach machen wir uns auf den Heimweg, um unseren Leut…« Eric verstummte. Er lauschte dem Wind und sprang dann hinter einem Gebüsch in Deckung; Norak tat es ihm gleich.
»Was hörst Du?«, flüsterte Norak.
»Pferde«, war die gehauchte Antwort.
Ein leises Wiehern drang an Noraks Ohr. Sie befanden sich in den Ausläufern des Waldes. Hier standen vereinzelt Bäume, hier und da ein Strauch, aber nichts, was man als Dickicht bezeichnen konnte.
Fünfhundert Schritte vor ihnen befand sich ein Bach, den sie überqueren mussten. An diesem Bach hatte sich eine Gruppe von Bäumen zu einem Wäldchen formiert. Von dort kam das Wiehern. »Niemand, außer den Schergen des Fürsten besitzt in dieser Gegend Pferde.«
»Wie wahr, wie wahr«, stimmte Eric zu. »Das heißt, wir haben ein Problem.«
* * *
Sie beteten, dass der Wind nicht drehte und die Pferde Alarm schlugen. Sie pirschten sich an das Lager heran, jede Deckung nutzend, die sich ihnen bot. Sie mussten die Größe des Lagers ausspähen, bevor sie es umgehen konnten. Schließlich wollten sie die Reiter nicht beim Abendessen stören.
Eric hielt Norak an der Schulter fest und deutete nach rechts. Dort stand gerade eine Gestalt in einem schwarzen Kettenhemd vom Bach auf und ging nach links, Richtung Wäldchen. Sie hatten schwarze Reiter vor sich. Den Körperharnisch hatten sie zur Nachtruhe abgelegt. Das konnte in einem Kampf von Vorteil sein, aber auf einen Kampf wollten es die beiden nicht ankommen lassen.
Was sie beunruhigte, war das scheinbare Fehlen von Wachen. Dass sie keine sahen, hieß nicht, dass es keine gab. Allerdings mussten Wachen sie schon vorhin bemerkt haben. Wurden die schwarzen Reiter nachlässig, wenn ihr Herr und Meister nicht in der Nähe war? Oder waren sie einfach nur überheblich?
Fünf Pferde grasten im Schutze des Wäldchens. Es handelte sich um eine Vor- oder Nachhut. Weder die eine noch die andere Möglichkeit hatte eine beruhigende Wirkung auf Norak und Eric. Die Position eines Reiters kannten sie. Die anderen vier waren hoffentlich im Wäldchen.
* * *
Norak kroch voran, Eric im Abstand von einer Manneslänge hinter ihm. Norak hielt den Rücken des Söldners im Auge, der sich von ihnen wegbewegte.
»Wer bist Du denn?«, erscholl es über Norak. Verdammt! Zwei Reiter waren am Bach gewesen. Zu Noraks Leidwesen starrte der Nachzügler jetzt auf ihn herab. »Dir werd ich helfen, hier herumzuschleichen.« Er sprach’s und zog sein Schwert. Doch im nächsten Moment fehlte sein Kopf, und Erics Klinge war blutüberströmt.
»Was zum Teufel …« Der erste Reiter rannte zu ihnen zurück und riss das Schwert aus der Schneide. Er wollte Alarm geben. Doch der Dolch, der vorher in Erics Gürtel stak und jetzt die Kehle des Ritters perforierte, hinderte ihn daran. Dumpf fiel der Leichnam zu Boden. Eric und Norak tauschten einen wissenden Blick. Da waren’s nur noch drei.
Diese drei stürmten soeben aus dem Wäldchen heraus. Einer lief in einen Feuerball. Sein Schrei war kurz, bevor seine Lungen brannten. Norak sprang auf und rannte auf die anderen beiden zu, Eric hinterher. Ihre Gegner hoben im Laufen die Schwerter, beide zum Schlag bereit.
Kurz vor dem Zusammenstoß warf Norak sich zu Boden und rollte in ihre Beine. Die Reiter stolperten über ihn und fielen zu Boden. Eric hatte leichtes Spiel.
* * *
Eric und Norak schauten sich schnaufend um. Das Ganze hatte nicht länger als zwei Minuten gedauert. Fünf Leichen lagen zu ihren Füßen und sie beide lebten noch. Sie konnten es kaum fassen, fanden sich aber mit einer gewissen Genugtuung damit ab.
Jedenfalls waren die schwarzen Reiter nicht unbesiegbar. Gut, sie machten sich nichts vor. Sie hatten Glück gehabt und das Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Doch das Glück konnte sie ganz schnell verlassen, wenn sie nicht ebenso schnell von hier fort waren.
»Nehmen wir die Pferde?«, fragte Norak.
»Ist das eine gute Idee?«, kam Erics Gegenfrage.
»Macht es jetzt noch was aus?«
Sie nahmen die Pferde.