Kapitel 13

Dermot saß an seinem Schreibtisch und las in Arnolds Manuskript. Nick hatte sich ihm gegenüber an Neelas kleinerem Schreibtisch niedergelassen und kontrollierte lässig Kontoauszüge, die er aus seiner Brieftasche genommen hatte.

»Wie viel von dem hier hast du gelesen?«, fragte Dermot. Nick sah auf. »Kein einziges Wort – ich habe nur zugehört, wenn mir Neela daraus vorgelesen hat. Was ist damit?«

»Er nutzt die Angst vor Impotenz eines gewissen Gareth Nash, um ihn zu töten.«

»Sexuell?«

»Nein. Das macht es ja so interessant. Es ist die Angst, nicht imstande zu sein, für seine Frau da zu sein und sie zu schützen. Hier – hör dir das an: ›Ich habe Nash einige Tage beobachtet. Nie ist mir ein ergebenerer oder aufopferungsvollerer Ehemann begegnet. Sein Albtraum basiert auf irrationalen Ängsten. Es sagt, dass er manchmal träumt, auf einer Klippe zu stehen und zuzusehen, wie seine Frau ausrutscht und stürzt, und er ist nicht in der Lage, die Arme nach ihr auszustrecken. In einem anderen Traum tritt seine Frau vom Gehsteig, und Nash sieht einen Lastwagen anrollen; er kann sie nicht rechtzeitig zurückreißen. Wumm! Sie klebt am Kühlergrill des Sattelschleppers.‹«

»Und wie nutzt der Typ den Albtraum aus?«

»Ich überspringe ein paar Seiten. ›Ich fesselte Nash und seine Frau an je einen Pflock, während sie unter Drogen standen««, fuhr Dermot fort. »›Ich hatte ihnen Succinylcholin gespritzt. Das wirkt richtig gut. Das Beste an dem Zeug ist, dass die Probanden immer noch bei Bewusstsein sind und Schmerzen empfinden, aber unfähig sind, sich zu bewegen. Ich legte sie in den Kofferraum ihres Autos, und zwar so, dass sie sich in die Augen schauen konnten. Schließlich war es das letzte Mal, dass sie sich nahe genug kamen, um sich einen Abschiedskuss zu geben. Natürlich stand ein richtiger Kuss außer Frage – ich hatte ihnen die Münder mit Klebeband zugeklebt, für den Fall, dass sie um Hilfe schreien wollten. Ich musste richtig lachen, als ich ihre Rehaugen sah, mit denen sie sich anschmachteten. Ich roch förmlich ihre Angst.‹«

»Guter Gott.« Nick runzelte die Stirn.

»Warte. Es kommt noch schlimmer.«

»Du machst Witze.«

»›Nash war fett. Ich brauchte eine Weile, um ihn aufrecht an den hölzernen Pflock zu binden, den ich vorbereitet hatte. Er rutschte immer wieder nach unten. Doch letzten Endes waren meine Bemühungen von Erfolg gekrönt. Die ganze Zeit starrte er mich nur an, flehte mit seinen Blicken – als ob ich auch nur daran gedacht hätte, ihn freizulassen!.Träum weiter, Fettsack’, sagte ich..Schau dir an, was ich mit deiner schönen Frau mache.’ Er glotzte mich schockiert an. Natürlich konnte er sich nach wie vor nicht rühren. Ich habe laut gelacht.‹«

»Wie kommt ein Mensch nur auf solche kranken Ideen?«

»Es ist ein Buch, Nick. Manch einer hielt Bram Stoker für geisteskrank, als er Dracula schrieb. Aber Stoker hatte literarischen Stil. Dieser Kerl bestimmt nicht.«

»Was passiert als Nächstes?«

Dermot las weiter: »›Ich nahm mir seine Frau Laura vor. Sie sah nicht schlecht aus. Ich begann, sie auszuziehen, und beobachtete, dass Nash uns nicht aus den Augen ließ. Mittlerweile kehrte das Gefühl in seinen Armen und im Oberkörper wieder – ich weiß das, weil er anfing, an den Fesseln zu zerren.‹ Bist du sicher, dass du mehr hören willst?«

Nick trank von seinem Bier. »Klar.«

»›Sie urinierte – das ärgerte mich, aber es gab kein Zurück mehr. Ich hob ihren nackten Körper hoch und stellte ihn gegen den Pfahl, um sie – wie ihren Mann zuvor – festzubinden. Jetzt konnte sie Nash sehen. Ich fragte ihn, wie er sich fühlte. Er zerrte vehement an seinen Fesseln, bockte wie ein Pferd, sein Gesicht war wutverzerrte«

»Du hast recht, dieser Schund ist ekelerregend und hat keinen literarischen Wert. Was für einen Sinn soll es haben, das zu lesen?«

»Der springende Punkt ist, dass Millionen Leser von solchem Zeug fasziniert sind. Die Leute sind fasziniert von Tsunamiwellen und schauen sich immer und immer wieder Amateurvideos von dem Bombenanschlag in Bali an – aus reiner Sensationslust. Unzählige kranke DVDs sind auf dem Markt – von Fliegern, die bei einer Flugshow in eine Menge von Frauen und Kindern krachen, und einstürzenden Gebäuden, die Menschen unter sich begraben. Denk nur an den Film über den Terrorangriff auf die Twin Towers – wie oft hast du den schon gesehen? Die Menschen, die aus den Fenstern fielen? Mein Gott, im Fernsehen laufen in letzter Zeit viele Sensationssendungen, in denen die Zuschauer gebeten werden, Videos von Katastrophen, die sie mit dem Handy gemacht haben, einzuschicken. Also, ja – es gibt einen echten Markt für solche Bücher. In dieser Hinsicht weiß Arnold, was er tut.«

Nick schwieg. Er wusste, dass Dermot recht hatte. Ihn faszinierte die Geschichte ja auch irgendwie.

»Soll ich weiterlesen?«

Nick nickte.

»›Bei Sonnenuntergang mache ich ein Feuer und hole das Kochzeug. Nash ächzt, und die Frau hat nicht mehr aufgehört zu heulen, seit ich sie festgebunden hatte. Ihre Haut ist von der Sonne verbrannt – der Körper ist übersät mit knallroten Wasserblasen. Ich führe mir ein Paar Chorizos zu Gemüte. Gebratene. Mann, waren die gut. Ich halte es für Zeitverschwendung, den Nashs Würstchen anzubieten – höchstwahrscheinlich wissen sie, dass sie bald sterben werden, und haben sicher keinen Appetit.

Gegen zehn Uhr spüle ich die Pfanne ab. Das Geheule der Frau geht mir allmählich auf die Nerven. Ich kann diese Art von Schwäche nicht ausstehen. Deshalb hole ich mein Bowiemesser aus der Tasche und schneide ihr die Zunge heraus … ’«

»Okay, ich glaube, ich habe mittlerweile einen ganz guten Eindruck …«

Dermot lachte. »Hey, es ist nur ein Buch!«, sagte er und imitierte dabei Nicks Stimme. »Das hast du vorhin selbst gesagt.«

Nick zuckte mit den Schultern.

»Na ja, Neela findet, ich soll solche Sachen schreiben, damit wir uns öfter ein Abendessen im Restaurant leisten können.«

»Ich glaube kaum, dass sie genau das gemeint hat«, entgegnete Nick. »So, wie ich es sehe, will sie, dass du knallharte Gruselthriller schreibst – in deinem eigenen Stil.«

»Ach, ist das so?«, gab Dermot zurück. »Das ist deine Ansicht.«

Nick merkte, dass Dermot immer ungehaltener wurde. »Jetzt muss ich leider los. Mein Klient möchte den Choma sehen, den ich heute gekauft habe.«

Dermots Gereiztheit legte sich augenblicklich. »Bist du sicher, dass du schon gehen musst? Neela wird bald heimkommen. Sie will Zitronen-Calamari zum Abendessen machen. Wieso bleibst du nicht?«

»Ich muss weg. Ich rufe dich später an.«

Gerade als Nick zur Tür ging, klingelte das Telefon.

»Dermot Nolan – wer spricht?«

Eine halbe Sekunde kam keine Antwort. Dermot legte die Hand über die Sprechmuschel und rief Nick aufgeregt zu. »Warte – das ist er!«

Nick kam zurück, und Dermot stellte das Telefon auf Lautsprecher. Die Stimme war kehlig und heiser wie die von Jack Palance mit einer schlimmen Bronchitis.

»Mein Name ist Albert, Mr. Nolan. Albert Kent Arnold.«

»Haben Sie das Manuskript in meinen Briefkasten gesteckt?«

»Leid bringt Erlösung«, lautete die Antwort.

»Ja, ich weiß. Das steht in dem Manuskript.«

»Es ist mein Tagebuch mit täglichen Einträgen, kein Manuskript.« Die Worte kamen ihm stockend über die Lippen.

»Okay, dann eben das Tagebuch. Haben Sie sich im Zug neben mich gesetzt?«

»Kein Mensch weiß, was echte Qualen sind, wenn er nie einen wahren Verlust erlitten hat.« Das klang wie der Singsang eines Muezzins, der die Gläubigen vom Minarett aus zum Gebet aufforderte. »Kein Mensch weiß, was echte Qualen sind, wenn er nie einen wahren Verlust erlitten hat.«

»Ja, klar. Ich weiß. Vielleicht sollten Sie sich etwas Neues einfallen lassen. Dieser Spruch ist mittlerweile alt.«

Ein leichtes Zögern. Dann: »Es ist Ihre Sache, wenn Sie sich über mich lustig machen, Mr. Nolan.«

»Schön – ich entschuldige mich.« Er warf Nick, der breit grinste, einen Blick zu. Ihm hatte – im Gegensatz zu Arnold

- Dermots Scherz gut gefallen. »Was möchten Sie von mir, Mr. Arnold?«

»Veröffentlichen Sie mein Tagebuch.«

»Hören Sie, Arnie, ich bin Schriftsteller, kein Verleger …«

Arnold schnitt ihm das Wort ab: »Mr. Booker-Prize-Gewinner – veröffentlichen Sie mein Tagebuch!« Ein kurzes Zaudern und Rascheln von Papier. »Das geschriebene Wort gehört allen, nicht bloß denen, die gute Beziehungen haben

- unter anderem zu tollen Agenturen. Leid ist meine Parole. Normale Menschen sollen durch mein Tagebuch von der Realität extremen Leids erfahren. Das wird sie lehren, den kostbaren Moment des eigenen Todes zu schätzen.«

Dermot sah Nick an und beschrieb mit dem Zeigefinger Kreise neben seinem Mund. Bla, bla, bla.

»Wovon, um alles in der Welt, reden Sie? Denken Sie, ich hab nichts Besseres zu tun, als meine Zeit mit der Herausgabe Ihres Tagebuchs zu vergeuden? Träumen Sie weiter, Kumpel.«

Noch mehr Rascheln im Hintergrund.

»Zufällig weiß ich ganz genau, dass Sie nichts Besseres zu tun haben. Sie haben keinen einzigen originellen Gedanken im Kopf. Das ist Ihr gegenwärtiges Leid. Ich hingegen habe keine Möglichkeit, mein Werk zu veröffentlichen. Nur Sie können sicherstellen, dass mein Wort in die Welt gebracht wird. Es ist Ihre Sache, Ihren Lektor, Ihren Verleger, Ihren Literaturagenten zu überzeugen. Machen Sie’s!«

»Hören Sie, Arnold Kent, so geht das nicht. Und selbst wenn …«

Wieder fiel ihm die kehlige Stimme ins Wort: »Sprechen Sie mich noch einmal mit Arnold Kent an, und Sie sowie Ihre hübsche Frau werden es bereuen. Sie sollten mir Respekt entgegenbringen. Mein Name ist Arnold. Wie Sie sicher schon bemerkt haben, ist das ein Pseudonym – und ich ziehe es vor, dass Sie mich so nennen, da Sie so herablassend mit mir umgehen. Besser, Sie lassen das sein.«

Nick machte eine beschwichtigende Geste: Halt den Kerl bei Laune – bring ihn nicht gegen dich auf. Dermot nickte. Gleichzeitig kochte er innerlich, weil ihm dieser komische Kauz drohte. Sie sowie Ihre hübsche Frau werden es bereuen? Hätte Arnold ihm gegenübergestanden, hätte er ihm eins aufs Maul gegeben.

»Hey, Sie haben nicht viel Humor, oder, Kumpel?«

Wieder raschelte Papier. Was trieb der Kerl eigentlich? Zündete er ein Feuer an?

»Jene, die dem Tode nahe sind, lächeln selten«, intonierte die Stimme, als wäre das ein Zitat.

»Wer hat das gesagt?«

»Ich.«

»Sind Sie dem Tode nahe?«

Diese Frage wurde nicht beantwortet. »Wir treffen uns in zwanzig Minuten vor dem People’s-Bank-Gebäude an der South Hill. Sie werden Zeuge meines letzten Statements. Mein schlimmster Albtraum, das heißt, mein Leben wird ausgelöscht, und das wird meinem Werk, das Ihnen anvertraut wurde, um es zu hüten, Unsterblichkeit verleihen.«

Dermots Miene verfinsterte sich. Er hatte die Nase voll von dem Verrückten. »Arnie? Dieses Gespräch ist beendet.«

»Nein, Mr. Nolan, noch nicht. Wir haben noch nicht über Ihre Frau gesprochen.«

Dermot wurde blass. Was, zum Teufel, hatte er jetzt im Sinn?

»Das stimmt«, fuhr die Stimme fort. »Vielleicht sollte Neela zusammen mit mir ein Statement abgeben.«

Dermot reagierte scharf: »Ich schwöre, wenn Sie meine Frau auch nur anrühren …«

Schweigen.

»Was dann?«, hakte Arnold nach. »Zwanzig Minuten, Mr. Nolan. Und bitte – keine Polizei.«

Dermot hörte ein Klicken, dann das Freizeichen. Eine Sekunde später rannte er zur Tür und schnappte sich im Laufen sein Handy vom Schreibtisch.

»Nick, bleib hier! Wenn er lügt, und sie hier auftaucht, ruf mich sofort an!«

Dermot stürmte hinaus, und Nick rief ihm nach: »Weißt du, wo Neela sich zurzeit aufhält?«

»Sie müsste im Museum sein. Versuch, sie zu erreichen. Ich tue dasselbe, wenn ich kann.«

Er lief zu seinem Wagen, riss die Tür auf, startete den Motor und fuhr mit quietschenden Reifen los.

Dermot bog nach rechts auf die West Fifth Street ein und sah schon von weitem die Ampel an der nächsten Kreuzung. Zum Anhalten hatte er keine Zeit – er überholte drei Autos, die abbremsten, schoss bei Rot über die Kreuzung und verursachte einen Unfall von zwei Fahrzeugen, die Grün hatten. Dermot nahm den Tumult hinter ihm gar nicht wahr. Er steuerte mit einer Hand, mit der anderen tippte er eine Nummer in sein Mobiltelefon.

»Komm schon, verdammt! Geh dran, Neela, heb ab!«, brüllte er.

Zum Glück hatte er diesmal Grün, als er über die Olive raste, und an der South Hill schaffte er es gerade noch in letzter Sekunde. Er riss das Steuer nach rechts, der Peugeot geriet ins Schlingern, und Dermot musste gegensteuern, bis der Wagen wieder in der Spur war, dann raste er in Richtung People’s Bank. Als er endlich den eindrucksvollen Art-déco-Bau vor sich sah, trat er kräftig auf die Bremse. Das ABS-System kam zum Tragen, das Auto stotterte und blieb stehen. Er sprang aus dem Wagen und rannte über die Straße. Da waren ein paar parkende Autos, aber nur wenig Verkehr. Er sah hinauf zum Dach des zwanzigstöckigen Gebäudes und suchte es von links nach rechts ab. Nirgendwo eine Bewegung. Dann entdeckte er eine winzige Gestalt, die an der Brüstung des Daches stand und in die Tiefe spähte. Gegen den hellen Himmel konnte er nichts Genaueres erkennen, nur dass das da oben ein Mensch war. Ein schwacher Schatten hinter der Gestalt – ein zweiter Mensch vielleicht? Dermots Herz wurde bleischwer. Ihm fiel die Feuerleiter seitlich des Gebäudes auf, und er lief darauf zu.

»Lieber Himmel! Bitte, lieber Gott, nicht Neela!«, schrie er, während er die Metallleiter Stockwerk für Stockwerk hinaufkletterte, so schnei! er konnte.

Als er den Fuß auf die Plattform setzte, brannte seine Brust nach der Anstrengung. Er schaute sich um – niemand.

In diesem Moment ertönte ein lang gezogener Schrei auf der anderen Seite des Daches. Er lief zum Rand und erreichte ihn gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie eine Gestalt mit weit ausgestreckten Armen und Beinen das letzte Stück in die Tiefe segelte. Der Mann traf mit einem kaum hörbaren dumpfen Schlag auf dem Asphalt auf.

Dermot sah sich hektisch um. Wo war Neela? Könnte sie noch hier irgendwo sein?

»Neela!«, brüllte er und rannte die Feuerleiter hinunter.

Wenige Minuten später stand er wieder mit beiden Beinen auf der Erde.

Augenscheinlich hatte niemand den Selbstmörder bemerkt, deshalb war Dermot zunächst allein mit der zerschmetterten Leiche.

Der Schädel war zerplatzt wie eine Wassermelone, auf die jemand geschossen hatte. Hirngewebe und Blut waren in alle Richtungen gespritzt. Der Tote hatte rotes, fast orangefarbenes Haar und trug einen langen braunen Reitermantel.

Dermot betrachtete schweigend die sterblichen Überreste. Nach einer Weile wurde ihm bewusst, dass Menschen auf der Straße und einige im Gebäude aus den Fenstern schrien.

Unsicher, was er als Nächstes tun sollte, blieb Dermot stocksteif stehen. Es bestand kein Grund zur Eile – Mund-zu-Mund-Beatmung kam wohl kaum in Frage. Der Mund war in dem breiigen Gesicht nicht mehr zu erkennen. Da waren nur noch Knochen, Sehnen und jede Menge Blut.

Sein Handy zirpte. Erleichterung durchflutete ihn, seine Knie hätten beinahe nachgegeben.

»Neela! Gott sei Dank. Ich habe versucht, dich zu erreichen. Wo bist du?«

»Ich verlasse gerade mein Büro.« Sie stutzte. »Was ist los? Du klingst regelrecht panisch. Was ist passiert?«

»Alles in Ordnung. Mir geht’s gut. Hör zu, ich erzähle dir alles, wenn ich nach Hause komme. Nick kann dich ins Bild setzen. Ich bin gleich da.«

Er unterbrach die Verbindung, steckte das Handy in die Tasche und starrte wie betäubt auf den Toten. Auf der Straße hielten Autos an, Fahrer stiegen aus und glotzten fasziniert. Dermot fiel ein junger Mann mit Handy auf- vermutlich wählte er 911 – wieso hatte er selbst nicht daran gedacht? Es hätte die instinktive Reaktion auf einen solchen Sturz sein müssen.

Er hörte Sirenen und kauerte sich neben dem Toten nieder. Man sah, dass es kaum einen Knochen gab, der nicht gebrochen war. Das rote Haar jedoch war unverwechselbar, genau wie der schmutzig braune lange Reitermantel. Das war der Stadtstreicher, der ihm das Manuskript gebracht, der Mann, der in der U-Bahn neben ihm gesessen hatte.

Hinter ihm brüllte eine Stimme: »Bitte treten Sie beiseite. Sofort!« Es war ein uniformierter Streifenpolizist.

Dermot wich zurück. Dann drehte er sich zu dem Polizisten um. Ein Streifenwagen stand quer auf der South Hill. Ein Krankenwagen bahnte sich einen Weg an zwei weiteren Streifenwagen vorbei und hielt neben der Leiche. Zwei Sanitäter liefen herbei und kauerten sich neben den Toten, um nachzusehen, was sie tun konnten. Ein vierter Polizeiwagen bremste neben dem Krankenwagen ab. Der uniformierte Cop musterte Dermot, während ein anderer die Straße mit einem Polizeiband absperrte.

»Haben Sie gesehen, wie er gesprungen ist, Sir?«

Dermots Selbsterhaltungstrieb setzte ein. »Nein, ich bin hier entlanggegangen und hab etwas auf der Straße gesehen. Dann wurde mir klar, dass das ein alter Mann ist. Das ist alles.«

»Sie kennen den Toten, Mr ….?«

»Dolan. Nein, ich kenne ihn nicht.«

»Gut. Könnten Sie sich bitte hinter das Absperrband stellen? Und bitte bleiben Sie noch, ich brauche eine Aussage von Ihnen.«

»Aber ich habe lediglich gesehen, wie der Mann auf dem Asphalt auftraf«, protestierte Dermot.

»Versuchen Sie einfach, ein wenig zu helfen, Sir. Wie war Ihr Name noch mal?«

Es war offensichtlich, dass der Cop ihn nicht erkannt hatte. »Dolan. Thomas Dolan«, antwortete Dermot, ehe er die abgesperrte Zone verließ, langsam auf die Straße ging, in seinen Wagen stieg und losfuhr.