Tom
Als Mathilda von der Schule kam, rannte sie im Treppenhaus Conni direkt in die Arme.
„Conni!“, sagte Mathilda verblüfft. „Was – was machst du denn hier?“
„Verlängerte Mittagspause, wegen kurzem Krankenbesuch“, sagte Conni.
„Häh ...?“
Conni zog die Augenbrauen hoch.
„Häh, passt nicht zu einem Mädchen, das so aussieht wie du.“
„Mama“, murmelte Mathilda genervt.
„Was denn?“ Conni tat unschuldig. „Das ist doch so. Gutes Aussehen und gutes Benehmen gehören einfach zusammen.“
Mathilda reichte es schon wieder. Ständig dieses Gerede über ihr Aussehen. Und außerdem wusste sie ganz genau, wo dieses Gespräch enden würde. Nämlich bei ihrem Dad. Und dazu hatte Mathilda im Moment wirklich keine Lust.
Sie schob sich an Conni vorbei und ging zur Wohnungstür.
„Mathilda, warte“, sagte Conni und war schon neben ihr.
„Es tut mit leid. Im Moment läuft es einfach nicht so gut.“
Mathilda nickte langsam und Conni zog sie in ihre Arme. So standen sie eine Weile schweigend beieinander, bis Mathilda sich schließlich aus der Umarmung löste, sich leise räusperte und mit betont heiterer Stimme sagte: „Und wer ist nun krank?“
„Deine Schwester.“ Conni verzog ihren dunkelrot geschminkten Mund zu einem schiefen Lächeln. Dann schloss sie die Tür auf und ging in die Wohnung. Mathilda folgte ihr und wollte erfahren: „Wirklich krank oder ...“ Weiter kam sie nicht.
„Natürlich nicht, Schwesterherz!“ Merle kam aus ihrem Zimmer gestürmt und baute sich direkt vor Mathilda auf. Ihre Augen funkelten wütend. „Aber dank meiner ach so zuverlässigen kleinen Schwester habe ich heute verschlafen.“
Mathilda schossen die Tränen in die Augen. Hastig wischte sie sie weg.
„Du machst es dir echt einfach“, antwortete sie und verschwand in ihrem Zimmer.
Mathilda ließ die Tür laut ins Schloss knallen und warf sich der Länge nach auf ihr Bett. Vom Flur her hörte sie Merle und Conni weiterstreiten. Mathilda hielt sich die Ohren zu und starrte an die Zimmerdecke.
Was war das nur für ein Tag, dachte sie. Dabei hatte er doch so gut angefangen. Aber dann kam dieser blöde Streit mit Conni. Und dieser widerliche Typ. Als sie in der Schule Franzi und Kati davon erzählte, hatten die total blöd darauf reagiert.
„Findest du dein Verhalten nicht ein bisschen übertrieben?“, hatte Franzi gesagt und sie dabei ganz spöttisch angesehen. Und Kati meinte, wenn sie jedem Typen, der sie mal angesprochen hatte, gleich in seine Weichteile getreten hätte, dann würden verdammt viele jetzt blaue Eier haben.
Doof, einfach obersaudoof hatte sie ihre beiden neuen Freundinnen in diesem Moment gefunden und sich umso mehr nach ihren alten Freunden gesehnt.
Und deswegen hatte sie den beiden auch nichts von ihrem unbekannten Retter erzählt. Wahrscheinlich hätten sie sich darüber auch nur wieder amüsiert. Dabei konnte sie den ganzen Tag nicht aufhören, an ihn zu denken.
Mathilda nahm die Hände von ihren Ohren und drehte sich auf die Seite. Auf dem Flur war es still geworden. Wahrscheinlich hatte Conni Merle wieder einmal irgendwas versprechen müssen, damit die sich wieder einkriegte.
Sie blickte zum Fenster hinüber. Mathilda konnte kaum glauben, dass nur wenige Stunden vergangen waren, seitdem sie die Vorhänge zur Seite gezogen hatte.
Jemand klopfte an ihre Zimmertür.
„Ja!“, rief Mathilda und hoffte, es möge nicht Merle sein.
Conni steckte den Kopf zur Tür herein. Eigentlich logisch, dachte Mathilda. Merle wäre ohne anzuklopfen in ihr Zimmer gestürmt.
„Schatz, ich muss wieder zurück ins Büro. Ich habe Tee gekocht. Soll ich dir eine Tasse bringen?“ Plötzlich klang sie wieder wie die Conni, die Mathilda kannte.
„Das wäre toll“, schniefte sie und schon wieder schossen ihr die Tränen in die Augen. „Ich hab nämlich heute einen echt blöden Tag.“
„Oje!“ Überrascht sah Conni sie an. „Du lässt dich doch sonst nicht von Merles Gezeter unterkriegen.“ Sie setzte sich neben Mathilda auf die Bettkante.
„Das ist es ja auch gar nicht ...“, begann Mathilda.
Conni warf einen verstohlenen Blick auf ihre Armbanduhr.
„Ach, schon gut“, beeilte Mathilda sich zu sagen. Conni musste zurück ins Büro. Und außerdem was war denn schon Schlimmes geschehen? Mathilda kam sich inzwischen selbst ein wenig blöd vor.
„Wirklich?“ Conni schaute sie skeptisch an.
„Wirklich!“
Conni erhob sich und ging zögernd auf die Zimmertür zu. Im Türrahmen blieb sie stehen und drehte sich zu Mathilda um.
„Weißt du was. Heute Abend koche ich uns was Schönes. Ja?“
„Gute Idee.“ Mathilda rang sich ein Lächeln ab.
Später saß Mathilda an ihrem Schreibtisch und grübelte über den Mathehausaufgaben. Franzi hatte auch schon angerufen.
„Der Treuter hat doch wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank“, hatte sie sich am Telefon über den Mathematiklehrer aufgeregt. „Draußen ist das absolute Traumwetter und der gibt uns solche Horroraufgaben auf.“
Sie hatten noch einen Moment geplaudert und schließlich verabredet, dass Franzi sich später noch einmal melden würde.
„Vielleicht können wir uns im Eiscafé treffen?“, hatte Franzi vorgeschlagen und Mathilda war heilfroh, dass sie den Vorfall mit dem Typen nicht mehr erwähnte.
Alles war wieder gut zwischen ihnen. Davon war sie überzeugt.
Als das Telefon nun erneut klingelte, war sich Mathilda ganz sicher, dass Franzi dran sein würde.
„Hi!“, rief sie fröhlich in den Hörer. „Hast du’s hinter dich gebracht?“
Schweigen!
„Hey, hat es dir die Sprache verschlagen?“ Mathilda kicherte albern in den Hörer.
Absolute Ruhe am anderen Ende.
„Haaallooo ... Franzi. Bist du es?“
Noch immer war kein Mucks zu hören. Langsam überkamen Mathilda Zweifel, ob nicht vielleicht doch jemand ganz anderes am Telefon war.
„Hallo, wer ist dran?“, sagte sie deshalb etwas ernster.
Stille.
„Conni, bist du es?“
„Ähm ... sorry ... äh ... ich bin es“, hörte sie plötzlich eine männliche Stimme am anderen Ende der Leitung stammeln.
„Wer ist ich?“ Mathilda verstand nur noch Bahnhof. „Dein Retter von heute Morgen ...“
„Ach ...“ Mathilda suchte verzweifelt nach den richtigen Worten. „Und ... und ... was ...?“ Mehr brachte sie einfach nicht über die Lippen.
„Es tut mir schrecklich leid, dass ich mich heute Morgen nicht vorstellen konnte – du musst wissen, da war so ’n Typ, dem musste ich erst einmal erklären, dass man junge Mädels nicht einfach so blöd anmachen darf ...“ Mathilda ging auf sein kleines Spielchen ein. „Und was ist aus diesem unmöglichen Typen geworden?“, wollte sie von ihrem unbekannten Retter erfahren.
„Der ist ziemlich breitbeinig davongerannt.“ Mathilda musste kichern, als er ein leises gespieltes Stöhnen von sich gab.
„Ich heiße übrigens Tom. Hast du Lust und Zeit, dich mit mir zu treffen?“
„Ja!“, hauchte Mathilda in den Hörer und staunte selbst über ihren Mut.
Ein paar Freunde und ich verabreden uns regelmäßig zum „Komasaufen“. Meistens aus Langeweile. Wir wohnen in so einem kleinen Kaff und da ist selten etwas los. Manchmal fahren wir aber auch in die Stadt. Dann wird vorher ordentlich vorgeglüht. Einmal musste einer von uns mit Blaulicht ins Krankenhaus gebracht werden. Der hatte ’ne Alkoholvergiftung. Das war echt krass.
Stefanie, 14 Jahre