10.
MILITÄRPOTENTATEN DER
SPÄTEN REPUBLIK UND DER KAMPF
UM DIE MACHT IM REICH
Piratenkrieg und die Feldzüge des Pompeius
Cn. Pompeius nutzte als Erster die neuen Chancen. Als Sulla mit seiner Armee im Jahr 85 in Brundisium landete, bot ihm Pompeius an, mit zwei eigenmächtig ausgehobenen Legionen die letzten Bastionen der Marianer zu bekämpfen. Sulla akzeptierte und gewann damit einen ehrgeizigen Mitstreiter. Erneut wurde klar, wie das veränderte Verhältnis zwischen militärischem und politischem Bereich alte Normen außer Kraft setzte und neue Machtpositionen schuf. Nach seinem Sieg über die Marianer nannte sich Pompeius in Anlehnung an Alexander »Magnus« (der Große) und forderte einen Triumph, der eigentlich nur für Siege gegen äußere Feinde reserviert und an Beamte mit Imperium gebunden war. Wieder stimmte Sulla zu. Ein weiteres Element des senatorischen Verfügungsrechts über die Außenpolitik war aufgeweicht.1 Sogar optimatisch gesinnte Feldherren ließen sich nun zu Alleingängen hinreißen: L. Licinius Lucullus hatte im Jahr 73 Mithridates von Pontos bis nach Armenien getrieben. Nach einem Schlachterfolg über den armenischen König sandte er ein Siegesschreiben an den Senat, in dem er sich rühmte, 100 000 Feinde getötet und den Großkönig Tigranes in die Flucht getrieben zu haben. Dass er ohne Zustimmung des Senats nach Armenien aufgebrochen war, störte ihn nicht.
Der Rausch militärischer Siege in fernen Ländern ließ aber nicht nur die Bindung an den Senat schwinden, er machte auch die zivilen Verwaltungsaufgaben eines wachsenden Weltreiches immer mehr zur lästigen Pflicht. Die Provinzen wurden entweder ausgebeutet oder als Sprungbrett für lukrative militärische Operationen an den Grenzen genutzt. Die individuelle Suche nach Ruhm und Geld ließ ein echtes Verantwortungsgefühl für das Wohl und die Sicherheit der Untertanen selten aufkommen. Betroffen waren vor allem die östlichen Provinzen, die nicht nur von den Statthaltern, sondern auch von italischen Geldverleihern und Steuerpächtern regelmäßig heimgesucht wurden. Die Not war teilweise so drückend, dass viele sich den Piraten anschlossen und an deren Seite zumindest einen Teil der von den Steuerpächtern erpressten Gelder wiederzugewinnen suchten. Zahlreiche Küstenstädte stellten Ankerplätze, Werften und Sklavenmärkte zur Verfügung, aber auch die gedemütigten hellenistischen Könige gewährten den Piraten Schutz und Unterschlupf. In den 80er Jahren gesellte sich ihnen Mithridates als Bundesgenosse im Kampf gegen die römischen Besatzer hinzu.2
Die römische Führung ignorierte diese Entwicklung lange, weil sie darin keine unmittelbare Bedrohung zu erkennen glaubte. Im Bewusstsein konkurrenzloser militärischer Stärke hatte man die teuren Seestreitkräfte auf ein Minimum reduziert. Damit entstand auf dem Meer ein Machtvakuum, das binnen weniger Jahrzehnte von den Piraten gefüllt wurde. Sie gehörten seit langem zum vertrauten Bild des Mittelmeeres, erlebten nun aber im Windschatten der großen Politik einen beispiellosen Aufstieg. Weitere Gründe für die Passivität des Senats waren wirtschaftlicher bzw. handelspolitischer Natur. Seit der Provinzialisierung Nordafrikas schwand die Bedeutung der pontischen und ägyptischen Getreideproduzenten; deshalb schätzte man eine mögliche Bedrohung der Handelsrouten aus dem Osten durch die Piraten als unbedeutend ein. Umgekehrt profitierten viele Senatoren vom Angebot billiger Sklaven, die die Piraten den Märkten zuführten. Das entscheidende Argument gegen energische militärische Maßnahmen lautete aber wohl, diese seien nur mit großen Truppenmassen zu Lande und zu Wasser über große Entfernungen erfolgreich.3 Ansätze scheiterten an ihrer Unterfinanzierung oder wurden in letzter Minute abgebrochen, weil sich die Senatoren scheuten, einem Feldherrn nun auch auf dem Meer militärische Macht einzuräumen; das hätte die ohnehin schon durchlöcherten Mechanismen adliger Gruppenkontrolle und stadtstaatlicher Zuständigkeit endgültig gesprengt.
Besonders die Piraterie der kilikischen Küste konnte sich so ungestört in einem Ausmaß entwickeln, das in der antiken Geschichte singulär war. Mit der Unterstützung gut ausgebildeter Einwohner der Provinz Asia konnten die Piraten Werkstätten für Waffen, Arsenale und Werften bauen und ein Nachschubsystem für Rohmaterialien (besonders kilikisches Erz) entwickeln, das es ihnen erlaubte, mit mehreren Flottenverbänden auf allen Meeren zu kreuzen und ihre Streifzüge mit den Piraten Spaniens, Mauretaniens und Siziliens zu koordinieren.4 Ihr strategisches Hauptinteresse galt neben Plünderungen und Entführungen den Getreidehandelsrouten: Das Bündnis mit Mithridates verschaffte ihnen die Kontrolle des Bosporos;5 mit den sizilischen Piraten überwachten sie die Meerenge von Messana; mit Hilfe mauretanischer Könige und iberischer Rebellen brachten sie den Getreideexport aus Afrika zum Erliegen. »Gänzlich von der Getreidezufuhr abgeschnitten« (Cassius Dio)6, brachen in der Hauptstadt des Weltreichs Hungersnöte aus.7
Erstmals seit dem Hannibalkrieg gewann mit der mediterranen Piraterie die Schreckensvision eines Gegners Realität, der den Widerstand der Küstenprovinzen koordinieren und Italien über See bedrohen konnte: Die Piraten drangen in italische Häfen ein, überfielen Reisende und plünderten am Meer gelegene Villen. Einmal wurden zwei Prätoren mit Gefolge und die Tochter eines Senators auf offener Straße gekidnappt – eine Provokation, die der Weltmacht klarmachen sollte, dass sich ihre Bürger nirgends sicher fühlen konnten. Anstelle von Schlachten gegen einen klar zu identifizierenden Gegner kämpfte man gegen Feinde, die überall und nirgends auftraten, genauso blitzschnell zuschlugen wie sie wieder verschwanden. Dieser Krieg »(...) kannte kein Gesetz, besaß nichts Greif- oder Sichtbares und verursachte dadurch zugleich Hilflosigkeit und Furcht«.8
Erneut bewies jedoch die Republik eine erstaunliche Reaktionsfähigkeit. Seit den 80er Jahren ging sie zunächst daran, die Bewegungsfreiheit der Piraten durch Arrondierung des Provinzialbesitzes einzuschränken.9 Von Bithynien und der Kyrenaika aus konnte man die Handelsrouten zum Schwarzen Meer und südwärts nach Ägypten wieder überwachen und den Piraten den Fluchtweg in südliche und nördliche Küstengewässer abschneiden. Kreta, ein Hauptstützpunkt der Piraterie im östlichen Mittelmeer, wurde provinzialisiert und bildete fortan eine wichtige römische Operationsbasis, welche die Kyrenaika und den Ägäisraum miteinander verband. Danach kamen Syrien und Zypern hinzu, so dass in den frühen 60er Jahren bis auf Ägypten alle küstennahen Rückzugsgebiete der Piraten unter direkter römischer Kontrolle standen.
Parallel hierzu wurden die Kommandostrukturen den Bedingungen des Piratenkriegs angepasst. Bisher konnten sich die Seeräuber dem Zugriff eines Statthalters leicht entziehen, weil dieser seit Sulla seine Truppen nicht aus der Provinz hinausführen durfte.10 Man benötigte demnach eine den Provinzen übergeordnete Kommandoebene. Im Jahr 67 erhielt Pompeius ein außerordentliches Kommando (imperium extraordinarium) mit unbeschränktem Befehlsbereich über alle Küsten des Mittelmeeres in einer Tiefe von 75 km. Zur Ausrüstung der Flotte und der Mannschaften standen ihm sämtliche Provinzialkassen, die Staatskasse und die Zolleinnahmen der Steuerpächter zur Verfügung. Ferner erhielt er das Recht, bis zu 24 Legaten mit prätorischem Kommando auszuwählen und einzusetzen.
Militärische Macht war das eine, Wissen um die sozialen Grundlagen der Piraterie das andere Erfolgsgeheimnis. Pompeius war sich klar, dass die Piraterie ein Grundphänomen der mediterranen Küstenkultur war, das man rein militärisch nicht ausschalten konnte. Deshalb traf er zusammen mit seinen Agenten schon vor dem Feldzug mit vielen Seeräubern Arrangements, die während des Kriegszuges eingelöst wurden und viele kampflos zu Pompeius übertreten ließen. Beeindruckt hat sie dabei wohl auch das überlegene strategische Konzept, mit dem der Feldherr seine Aufgabe anging. Pompeius teilte zum ersten Mal in der Geschichte das gesamte Mittelmeer wie einen territorialen Raum in Stationierungsgebiete mit separaten Land- und Seestreitkräften ein. Sie schwächten die in ihren Bereichen operierenden Seeräuber so lange, bis Pompeius mit der Hauptflotte den letzten Schlag führen konnte. Binnen 88 Tagen hatte Pompeius seine Aufgabe erledigt und die kilikischen Piraten zur Aufgabe gezwungen und in seine Klientel übernommen. Er siedelte sie an ausgewählten Plätzen nahe größerer Handelsrouten an und machte sie zu dienstwilligen Anhängern, deren nautische Erfahrung in künftigen Konflikten von hohem Nutzen sein konnte.11
Für die Römer zählte freilich in der Stunde der Not zunächst der objektive Erfolg. Deshalb beauftragten sie Pompeius nach Ende des Piratenfeldzuges mit der Weiterführung des Krieges gegen Mithridates und Tigranes von Armenien. Lucullus hatte sich die Sympathien der Soldaten verscherzt und war hart gegen die in der Provinz Asia agierenden Ritter vorgegangen, woraufhin Senat und Volk ihm noch im gleichen Jahr des Piratenkrieges den Oberbefehl entzogen.12 Pompeius hatte dagegen eine umfassende Kommandogewalt und das Prestige eines militärischen Alleskönners. Mühelos siegte er über die pontischen Truppen und trieb Mithridates in den Schwarzmeerraum und ein Jahr später in den Selbstmord.13 Nach einem Feldzug bis in den Kaukasus im Stil Alexanders konnte er wie der Monarch eines Weltreichs schalten und walten: Sämtliche Königreiche, die nicht in der Lage waren, eine prorömische Herrschaft auszuüben, wurden in Provinzen umgewandelt. Weiter landeinwärts entstand ein Streifen abhängiger Fürsten- und Königtümer. Endlich schien der Osten stabilisiert, und die griechischen Städte dankten es Pompeius überschwänglich: Der Krieg hatte einen Patron geboren, auf den sich alle Hoffnungen richten konnten.14
Caesars Vorstoß in die europäischen Binnenräume
Pompeius setzte mit seinen Feldzügen im Mittelmeer gegen die Piraten und im Osten gegen Mithridates und Tigranes neue Maßstäbe: Die römische Kriegführung auf der Basis außerordentlicher Kommanden durchbrach zu Lande und zu Wasser alle bisherigen Grenzen und eröffnete damit auch neue Möglichkeiten, Ruhm zu erwerben und Macht zu gewinnen. Sie waren mit der Gleichheit der aristokratischen Standesgenossen kaum noch zu vereinbaren, und es ist deshalb auch kein Zufall, dass die großen Kommanden mit den Instrumentarien popularer Politik gegen die Mehrheit des Senats durchgesetzt wurden.15 Pompeius konnte dabei noch mit der Bedrohung der mediterranen Piraterie und der Unfähigkeit der früheren Feldherren argumentieren, Mithridates endgültig zu besiegen. Mit seinen Erfolgen waren jedoch die letzten Gegner, die Rom Paroli bieten konnten, beseitigt. Von einer realen äußeren Gefährdung konnte nicht mehr die Rede sein. Damit geriet die Außen- und Kriegspolitik noch stärker in den Sog der Innenpolitik: Nicht mehr der äußere Feind, sondern der Drang des ehrgeizigen Politikers, durch militärische Erfolge im Stil des Pompeius seine auctoritas und seine Macht zu steigern, bestimmte die Auswahl der Kriegsschauplätze. Die Ziele der Feldzüge wurden immer hochfliegender – seit Pompeius maßen sich die großen Feldherren am Vorbild Alexanders –, und dies wiederum erforderte noch mehr den spezialisierten Armeeführer an der Spitze professioneller Truppen.
Manche Römer überschätzten sich und waren den Anforderungen des Krieges nicht gewachsen, während andere in ihm regelrecht aufgingen. Die Spannung zwischen Senat und der Mehrheit der Nobilität auf der einen und den großen Feldherren und ihren Truppen auf der anderen Seite nahm zu. Schon bei Pompeius reagierte die Senatsmehrheit mit den Mitteln, die ihnen noch zur Verfügung standen und die den Feldherrn ihrer Meinung nach an seiner empfindlichsten Stelle trafen: Selbst als Pompeius nach der Landung in Italien seine Truppen entließ, verhinderte der Senat die Anerkennung seiner Verordnungen (acta) im Osten und die Versorgung seiner Veteranen. Kopf des Widerstandes war – neben dem jüngeren Cato und dem amtierenden Konsul Metellus Celer – Lucullus, der nicht verwinden konnte, dass er als Feldherr durch Pompeius abgelöst worden war, und nun die Stunde der Rache gekommen sah.
Wie häufig verband sich blinde Rachsucht mit unkluger Politik, die darauf zielte, Pompeius handlungsunfähig zu machen.16 Die ständigen Schikanen trieben den größten Feldherrn der Zeit in die Arme zweier ehrgeiziger Politiker: Crassus galt als reichster Mann Roms – obwohl Pompeius reicher war – und suchte nach einem militärischen Kommando, um auch im Krieg die Höhen zu erklimmen, die er als Verwalter seines Vermögens erreicht hatte. Caesar war ein talentierter Popular und begnadeter Redner, dem jedes Mittel recht war, um seine Ziele zu erreichen. Und zu diesen Zielen gehörte natürlich auch ein großer Krieg. Zusammen bildeten sie ein politisches Bündnis, das sogenannte Triumvirat, das Caesar die Wahl zum Konsul des Jahres 59 sicherte. Im Gegenzug brachte Caesar Gesetze durch, welche die Versorgung der Veteranen des Pompeius regelten und dessen Verfügungen im Osten ratifizierten. Sich selbst verschaffte Caesar das Kommando für fünf Jahre in Illyrien und die Gallia Cisalpina; wenige Wochen später kam per Senatsbeschluss noch die Gallia Transalpina hinzu.
Mit Caesar verlagerte sich der Krieg erstmals in die mitteleuropäischen Binnenräume. Dass er die Gallia Narbonensis und nicht Illyricum als Ausgangsbasis wählte, lag wohl am Tod des gallischen Statthalters, der rasches Eingreifen erforderte. Außerdem waren ihm die Verhältnisse in Gallien vertrauter. Keltische Söldner oder Invasoren gehörten zum gängigen Erscheinungsbild des Mittelmeerraums. Rom hatte seit Jahrhunderten gegen sie in Norditalien gekämpft. Die große Dynamik keltischer Plünderungszüge war freilich vorbei, Gallien eine zersplitterte Welt rivalisierender Stämme, die von mächtigen Adelsfamilien geführt wurden – ein scheinbar ideales Objekt militärischer Großtaten.17
Ein Anlass zum Eingreifen fand sich schnell, als der Stamm der Helvetier von den Sequanern, den Häduern und germanischen Söldnern bedrängt um die Erlaubnis bat, den Weg durch die römische Provinz in ihr neues Siedlungsgebiet um Tolosa (Toulouse) zu nehmen. Solche und ähnliche Bitten waren kein Einzelfall; auch die Kimbern und Teutonen hatten an der Grenze zur Gallia Narbonensis um Siedlungsland nachgesucht (siehe >). Damals hatten die Römer abgelehnt, und auch diesmal verweigerte Caesar seine Zustimmung. Die Helvetier wandten sich daraufhin gegen die Häduer. Von ihnen erhielt Caesar den gewünschten Hilferuf, der ein militärisches Eingreifen legitimierte. In einem kurzen Feldzug besiegte er die Helvetier und drängte die Reste in ihre alten Siedlungsplätze zurück. Wenig später schlugen seine Legionen nach einem weiteren Hilfegesuch gallischer Stämme im Elsass den Suebenkönig Ariovist.18
Damit hatte Caesar seine Pflicht erfüllt: seine Provinz zu sichern und die Verbündeten zu schützen. Doch schon im Frühjahr 57 überschritt er mit zwei zusätzlichen Legionen erneut die Grenzen und begann einen Krieg, der ihn bis an den Ärmelkanal und die Rheingrenze führte. Viele Forscher nehmen an, dass seinem erneuten Ausgreifen allein das Kalkül zu Grunde lag, mit noch größeren Erfolgen und Beutesummen seine Position gegenüber den Konkurrenten und Feinden in Rom zu stärken. Dieses Motiv spielte zweifellos eine Rolle; insbesondere der Wettstreit mit Pompeius um militärischen Ruhm bestimmte Caesars Handeln in Gallien. Pompeius hatte Alexander im Osten nachgeeifert und von sich behauptet, die Reichsgrenzen »bis an die Enden der Erde vorgeschoben« zu haben.19 Doch die Erfolgsbilanzen Alexanders und des Pompeius wiesen eine Lücke auf: der Nordwesten der Oikumene und der Atlantik. Genau in diese Richtung stieß Caesar vor – ohne besondere militärische Zwänge: Im Frühjahr 55 überquerte er den Rhein und besiegte mehrere germanische Stämme. Danach wandte er sich nach Norden an die gallische Atlantikküste: Beide Wassergrenzen markierten nach Auffassung antiker Geographen das Ende der zivilisierten Welt. Caesar überschritt sie. Nach einer siegreichen Seeschlacht gegen die Veneter – dem ersten Seegefecht der Römer im Atlantik20 – segelte er im Jahr 54 mit 600 Last- und 28 Kriegsschiffen über den Kanal zu einer Insel namens Britannia, von der die Zeitgenossen nicht viel mehr wussten als das frühneuzeitliche Europa von Mexiko oder Peru vor den Eroberungen Cortés’ und Pizarros. Auch wenn die Schiffszahlen übertrieben sind – bis 1944 hat der Ärmelkanal keine größere Flotte gesehen. Es war die erste amphibische Großexpedition in den Nordatlantik.21
Die Invasion war militärisch ein Fehlschlag und warf keine Gewinne ab. Aber das war nicht entscheidend: Caesar notierte später, er habe »den Menschenschlag erforschen und die Gegend (...) kennenlernen wollen«.22 Velleius Paterculus sprach von einer anderen Welt (alter orbis), die Caesar mit der bekannten Welt verband.23 »Sein Zug gegen die Britannier« – so bilanziert Plutarch24 – »ist wegen seiner Kühnheit berühmt. Denn er war der Erste, der sich hier im Westen mit einer Kriegsflotte aufs Meer wagte und mit einem Heer über den Atlantischen Ozean fuhr.«
Die Britannieninvasion wurde offenbar schon von Caesar in eine explorative Dimension eingeordnet, die die enttäuschenden machtpolitischen und wirtschaftlichen Ergebnisse des gewaltigen Unternehmens kaschieren sollte.25 Vielleicht wurde sie aber auch deshalb so verklärt, weil der folgende Krieg in Gallien alles andere als ruhmvoll war. Er ist nicht mehr allein mit innenpolitischen Motiven oder dem Drang zu erklären, die großen Feldherren der Gegenwart und Vergangenheit zu übertreffen. Er glich den »schmutzigen« Kriegen, welche die Römer über ein halbes Jahrhundert in Spanien geführt hatten (nicht zufällig hatte Caesar selbst in den spanischen Provinzen als Quästor und als kommandierender Prätor gedient)26: Schon in den ersten Kriegsjahren hatte sich Caesar nicht gescheut, Dörfer und Gehöfte zu verwüsten und ganze Stämme (wie die Tenkterer und Usipeter) auszurotten. Nun wurde diese Form der Kriegsführung zur Regel, nicht zuletzt durch die wachsende Bedeutung der Logistik: Die jetzt unter Caesar in Gallien stehenden zehn Legionen verbrauchten zusammen mit den Hilfstruppen an einem einzigen Kriegstag nicht weniger als 90 Tonnen Weizen und 35 Tonnen Gerste.27 Sich die Ressourcen im Feindesland zu sichern, war genauso wichtig wie sie dem Gegner zu rauben.
An die Stelle raumgreifender Eroberungszüge und offener Feldschlachten traten Strafexpeditionen und Vernichtungsfeldzüge, die das feindliche Siedlungsgebiet einschließlich der Äcker systematisch verwüsteten und zum Tod oder zur Versklavung sämtlicher Einwohner führten.28 Sicherlich suchte Caesar hiermit auch die bisher enttäuschend geringen Beutesummen zu kompensieren und das in den Jahren zuvor Erreichte zu sichern. Doch all dies reicht nicht aus, um die Hartnäckigkeit zu erklären, mit der er und seine Soldaten einen Krieg führten, der weder Ruhm noch ein baldiges Ende versprach. Die Vermutung liegt nahe, dass es der Krieg selbst war, den Caesar und seine Legionäre in seinen Bann zog.29 Die Erfahrung, weit entfernt von der römischen Zivilisation einen Feldzug zu führen, der mehr verlangte als schnelle Schlachten, nämlich genaue strategische und logistische Planung, unkonventionelle Entscheidungen und geopolitisches Verständnis für jede Situation, eine Kriegsführung, die von den Offizieren und den Soldaten die Grenzen der Belastbarkeit auszuloten forderte, all dies kann – das zeigen moderne Untersuchungen vergleichbarer Szenarien – eine Eigendynamik entfalten, der sich die Kriegführenden schwer entziehen können (und wollen). Caesar selbst gewann ähnlich wie Marius einen Handlungsspielraum, in dem er ohne Rücksicht auf politische Neider und Empfindlichkeiten sein Talent zur Heeres- und Menschenführung voll entfalten konnte.30 Und dieses Talent offenbarte sich eben weitaus deutlicher in den schwierigen Jahren nach der Britannien-Invasion als in der Zeit der leichten Anfangserfolge. In dieser Zeit begann er die Kohortentaktik immer genauer den Eigenheiten der keltischen Kampfesweise anzupassen, indem er einzelne Kohorten zusammen mit regelmäßig angeworbenen germanischen Reitern gegen die feindlichen Reiter und Leichtbewaffneten stellte. Dadurch wurden die Legionen taktisch wendiger und konnten schneller reagieren, ohne die Kampfkraft der Kohorten einzubüßen.31
Dramatisch wurde die Lage in Jahren 53 bis 52, als Caesar mit dem Arvernerfürsten Vercingetorix auf einen ebenbürtigen Gegner traf, der zahlreiche Stämme zum Widerstand vereinen konnte. Er reagierte auf die römische Invasion mit einer typisch römischen Strategie: eine offene Schlacht zu meiden und die Nachschublinien des Gegners zu blockieren. Caesar musste sich auf die Belagerung und Eroberung gallischer Befestigungen und Höhensiedlungen konzentrieren, um an die dort lagernden Vorräte heranzukommen und die gallischen Rückzugsstellungen auszuheben. Was hier zählte, waren neben der modifizierten Kohortentaktik Disziplin und Siegesgewissheit.
Beides schien zu erlahmen, als Caesar eine schwere Niederlage bei der Belagerung von Gergovia erlitt. Doch im Rausch des Erfolgs beging Vercingetorix seinen einzigen und entscheidenden Fehler: Er bot Caesar die Schlacht an. Im offenen Gefecht zeigten sich die Legionäre, unterstützt von germanischen Reitern, deutlich überlegen. Vercingetorix zog sich daraufhin in das stark befestigte Alesia zurück, was wiederum Caesar die Chance eröffnete, den Anführer des gallischen Widerstandes endlich und endgültig zu besiegen. Er setzte dabei auf die römische Belagerungstechnik, die sich seit der Begegnung mit den hellenistischen Armeen und während der Kriege gegen die Karthager zur besten der Welt entwickelt hatte. Caesar wagte erst zum zweiten Mal in der römischen Geschichte nach der Belagerung des spanischen Numantia32 den Bau eines weiträumigen Belagerungsrings mitten in Feindesland und – das war beispiellos – fernab jeglicher Versorgungs- und Rückzugsmöglichkeiten über See. Allein dies ist Beweis genug für den erneuten Professionalisierungsschub und das Selbstbewusstsein, das den Feldherrn und seine Armee in den vergangenen Jahren erfasst hatte: Binnen weniger Tage wurde Alesia durch ein 17 km langes System kombinierter Gräben und Wälle eingeschlossen, das die Belagerer auch gegen den Angriff eines Entsatzheeres schützen sollte. Als dieses anrückte, mussten sich die Legionäre vier Tage lang in einer doppelten Front der Verteidiger von Alesia und der massierten Vorstöße der gallischen Armeen von der offenen Landseite aus erwehren – eine beispiellose Konstellation, die am Ende unter großen Opfern zu Gunsten der Römer ausschlug. Vercingetorix kapitulierte und wurde sechs Jahre später in Rom hingerichtet. Eine Million seiner Landsleute soll während des Krieges umgekommen, eine weitere Million versklavt worden sein.33
Das Mittelmeer als Schlachtfeld der großen
Heerführer – Bürgerkriege und Ende der Republik
Caesar hatte sich in Gallien in mehrfacher Hinsicht als Neuerer erwiesen. Nie zuvor hatte ein römischer Konsul so große Truppenmassen – gegen Vercingetorix standen zehn Legionen im Feld – gegen einen so kriegstüchtigen Gegner wie die Kelten so weit von der mediterranen Basis in die nordwesteuropäischen Binnenräume geführt und mit ihnen über einen so langen Zeitraum ununterbrochen gekämpft. Nie zuvor hatte ein General zusätzlich zu den Feldzügen zu Lande Seeschlachten und amphibische Großoperationen im Atlantik gewagt, eine Festung mit mindestens 80 000 Mann Besatzung ohne Kontakt zu den Küstenstützpunkten erfolgreich belagert und gleichzeitig ein großes Entsatzheer zurückgeschlagen. Auch wenn Gallien durch Handelswege und Flüsse gut erschlossen war, meisterte Caesar die immer noch beträchtlichen logistischen Herausforderungen solcher Großunternehmungen. Während der langen Kriegsjahre hatte er sich mit den germanischen und keltischen Reitern eine der besten Kavallerieabteilungen des Mittelmeerraums herangezogen und sie erstmals mit ausgewählten Kohorten der Legionäre zu einer gemischten taktischen Einheit verbunden, die in mancher Hinsicht Vorbild für das Zusammenspiel von Auxilienreiterei und Legionen in der Kaiserzeit wurde.34 Caesar führte in Gallien die römische Kriegskunst auf einen neuen Höhepunkt und formte eine auf ihn eingeschworene Armee, die ihresgleichen suchte. Klar war aber auch, dass eine solche Armee nur noch von Spezialisten zu beherrschen war, die sich – wie seinerzeit die hellenistischen Feldherrn vom Typ des Pyrrhos – ganz dem Krieg verschrieben. Im Unterschied zu den hellenistischen Verhältnissen verfügten jedoch die Feldherren Roms über ein unvergleichlich größeres Potential an lern- und kampffähigen Soldaten. Der mit Marius eingeleitete Trend zur Professionalisierung der Armee und zur Spezialisierung mittlerer Führungspositionen (Legionslegat und Zenturionat) erreichte in Gallien einen gewissen Abschluss, der in vieler Hinsicht maßgebend für die spätere kaiserliche Armee wurde.35
Wer sich diesem Trend verschloss und der Vorbereitung des Krieges zu wenig Aufmerksamkeit widmete, verlor den Anschluss und musste mit Niederlagen auf dem Schlachtfeld rechnen. Dieses Schicksal erlitt M. Licinius Crassus, als er brennend vor Ehrgeiz und wahrscheinlich von Caesar indirekt ermutigt36, im Jahr 55 einen Feldzug gegen die Parther begann und ein Jahr später bei Carrhae Schlacht und Leben verlor. Die Parther waren an sich kein aggressiver Gegner, der dem Reich gefährlich werden konnte – erst die populare Tradition und die augusteische Prinzipatsideologie haben aus ihnen eine angeblich mit Rom rivalisierende Großmacht gemacht.37 Doch anders als die meisten Gegner, mit denen Rom bis dahin zu tun hatte, und entgegen der Entwicklung der späthellenistischen Heere lag das eindeutige Schwergewicht ihrer Armee auf einer bis zu 10 000 Mann starken, teilweise gepanzerten Reiterei, während die Fußtruppen eine untergeordnete Rolle spielten.38
Gegen einen solchen Gegner konnte man nur bestehen, wenn man sehr erfahren und mit dem Kriegsgebiet vertraut war. Crassus hatte sich dagegen als Feldherr bisher nicht sonderlich ausgezeichnet und noch nie im Osten gekämpft. Er wollte aber mit Pompeius und Caesar gleichziehen und brauchte ein Feldzugsgebiet, auf dem er dem Vorbild Alexanders nacheifern konnte. Beim Vormarsch über den Euphrat vernachlässigte er die einfachsten Vorsichtsmaßnahmen, vertraute unzuverlässigen Bündnern und hatte zu wenig Vorsorge für eine quantitativ ausreichende und eingeübte Reiterei getroffen, die mit den Verhältnissen im Osten und der Kampfesweise der Parther vertraut war; diese beruhte ausschließlich auf schnellen Kavallerieeinsätzen. Die von Crassus mitgeführten, vorwiegend keltischen Reiter waren auf diesen Gegner offensichtlich nicht eingestellt und gingen in die Falle, die ihnen die gegnerischen Reiter stellten.39 Danach sahen sich die Legionäre dem dauernden Angriffen der parthischen Kavallerie ausgesetzt, ohne dass Crassus wirkungsvolle Gegenmaßnahmen einzuleiten in der Lage war. Die Vision Alexanders konnte eben leicht den Blick für das militärisch Notwendige trügen.40 Der Krieg war inzwischen viel zu kompliziert geworden, als dass man ihn mit kurzer Vorbereitung und wenig Erfahrung erfolgreich hätte führen können.
Das Desaster des Crassus im Osten ließ Caesars Erfolge im Westen in noch glänzenderem Licht erscheinen; es veränderte aber auch die Machtbalance innerhalb des Triumvirats. Pompeius war nun der Einzige, der vor Caesars Krieg in Gallien ähnliche Erfolge aufzuweisen hatte: Für längere Zeit hatte die Ehe mit Julia, Caesars Tochter, eine Entfremdung verhindert, und Crassus mag der ausgleichende Dritte zwischen den beiden Feldherren gewesen sein. Sein Tod im Osten und das Dahinscheiden Julias fielen in das gleiche Jahr. Beides trieb die größten Feldherren ihrer Zeit auseinander, und die Caesargegner nutzten die Chance, Pompeius auf ihre Seite zu ziehen. Caesar hatte während seines Konsulats die Nobilität so rücksichtslos brüskiert und sich in Gallien ein so bedeutendes militärisches Machtpotential aufgebaut, dass man nicht willens war, ihn als Politiker überleben zu lassen, ganz abgesehen davon, dass auch Caesar selbst inzwischen einen Rang für sich beanspruchte, der den traditionellen Rahmen aristokratischen Strebens nach Ehre und Einfluss (dignitas) sprengte.
Der Konflikt spitzte sich nach Ablauf des gallischen Kommandos zu. Nur ein erneutes Konsulat hätte Caesar vor einer Flut von Anklagen und vor der Entmachtung bewahrt. Als der Senat darauf bestand, dass Caesar als Privatmann in Rom anwesend sein und sich um das Konsulat bewerben müsse, war dies für den Feldherrn mehr als ein Ränkespiel. Aus seiner Sicht verweigerten ihm seine Standesgenossen die verdienten Ehren. Um die Verletzung seiner Würde zu rächen, wählte er den Krieg. Seine Gegner hatten inzwischen Pompeius das Oberkommando über die Truppen in Italien und in den Provinzen übertragen.
Mit dem Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius begann die letzte Etappe der republikanischen Militärgeschichte. Am Ende setzte sich einer der Militärpotentaten durch, die schon seit Jahrzehnten die römische Politik bestimmt hatten. Und am Ende stand auch die überfällige Anpassung der Verfassung Roms an die Konzentration der militärischen Kräfte in Form der Monarchie. Historisch bedeutsam ist diese letzte Phase der Republik aber auch deshalb, weil in ihr die großen Veränderungen auf militärischem Gebiet ihre letzte Ausprägung (auch auf dem Meer) erfuhren. Nie zuvor und nie danach bis zum Ausgang der römischen Geschichte erlebte der Mittelmeerraum eine solche qualitative und quantitative Ballung militärischer Kräfte zu Wasser wie zu Lande. In den letzten Auseinandersetzungen der 30er Jahre waren rund 70 Legionen im Einsatz.41 Der gesamte Mittelmeerraum schien unter Waffen zu stehen; ohne Rücksicht wurden, wenn nötig, auch immer mehr Nichtrömer in die Legionen gepresst.42 Die Kontrahenten setzten noch einmal alles ein, was sie in den großen Kriegen zuvor an den Grenzen des Reiches und gegen die Bundesgenossen gelernt und perfektioniert hatten. Das gilt insbesondere für die erste Phase der Auseinandersetzung zwischen Pompeius und Caesar.
Caesar hatte zunächst den Vorteil auf seiner Seite, schon im Winter nach Italien mit einer kampferprobten Armee gegen einen noch weitgehend ungerüsteten Gegner einmarschieren zu können. Während er den Krieg fortan vom Reichszentrum aus führte, plante Pompeius – wie immer in globalen Dimensionen denkend –, von der Reichsperipherie her den Feind von der Versorgung abzuschneiden, ihn dann mit den überlegenen Ressourcen des Ostens Schritt für Schritt zurückzudrängen und zur Kapitulation zu zwingen. Die Aufgabe Roms und der Rückzug aus Italien verlangten viel von den stolzen Senatoren und bedeuteten eine nicht geringe psychologische Belastung. Strategisch war dieses Vorgehen jedoch durchaus sinnvoll. Pompeius orientierte sich an den Erfolgen der Piraten und an seinem eigenen Piratenkrieg. Auch ein so unkriegerischer Zeitgenosse wie Cicero musste erkennen, dass eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg die Seeherrschaft war: »Sein ganzer Plan ist eines Themistokles würdig. Pompeius glaubt nämlich, dass, wer die See beherrscht, den Krieg gewinnt. Deshalb ging es ihm nie darum, dass die hispanischen Provinzen um ihrer selbst willen gehalten wurden, die Flottenrüstung war stets seine vornehmste Sorge. Er wird also zur gleichen Zeit mit gewaltigen Flotten in See stechen und in Italien landen.«43
Drei Gründe ließen Pompeius trotz glänzender Einzelerfolge am Ende scheitern. Zum einen unterschätzte er die Schnelligkeit, mit der Caesars Legionen in Italien vorrückten, und die Fähigkeit seines Gegners, sich auf die Bedingungen eines Krieges einzustellen, der im gesamten Mittelmeer zu führen war. Die wenigen befestigten Bollwerke der Republikaner in Italien kapitulierten vor der in Gallien bewiesenen Belagerungskunst. Trotzdem konnte Caesar nicht verhindern, dass Pompeius mit fast sämtlichen in Italien stehenden senatstreuen Truppen nach Griechenland übersetzte. Die Reaktion war bezeichnend: Schon im Folgejahr konnte Caesar mit insgesamt 150 eiligst gebauten Kriegsschiffen die wichtigsten Meeresbecken des Westens besetzen und sogar das strategisch so wichtige Massilia auf seine Seite zwingen.
Pompeius – dies war der zweite Fehler – unternahm nichts dagegen. Offensichtlich war er zu sehr mit der Mobilisierung der Kräfte im Osten beschäftigt. Als Caesar die pompeianischen Truppen in Spanien besiegen und im Jahr 48 unter Umgehung der Küstenpatrouille des Bibulus seine Truppen in Epirus an Land setzen konnte, hatte der Krieg eine unerwartete Wendung genommen. Es spricht für die Erfahrung und das strategische Talent des Pompeius, dass er die Situation noch einmal zu seinen Gunsten wendete, als er den ausgehungerten Legionen Caesars bei Dyrrhachium (heute: Durrës, Albanien) eine Niederlage beibrachte und Bibulus die Straße von Otranto für weiteren Nachschub sperren konnte. Damit hatte er Caesar genau dort, wo er ihn haben wollte: abgeschnitten von der Versorgung, umgeben von feindlichen Bastionen in einem Land, das nur den Befehlen des Pompeius gehorchte. Pompeius hätte nur den Winter abwarten müssen, und sein Gegner hätte sich zermürbt von Hunger, Kälte und fehlenden Schlachterfolgen ergeben. Gleichzeitig hätte Pompeius mit seinen Seestreitkräften in Italien landen und den Plan zu Ende führen können, der ihn von Anfang an leitete.
Dass es nicht dazu kam, lag – drittens – an der unterschiedlichen Stellung der Kommandeure. Caesar war alleiniger Herr seiner Entscheidungen, Pompeius offiziell nur ein vom Senat bestellter Prokonsul. Ihm saßen die vom Hass auf Caesar getriebenen Standesgenossen im Nacken, die von seiner großräumigen Strategie wenig verstanden. Das Abwarten stimmte sie misstrauisch. Sie drängten auf eine Schlacht, um eine Kooperation der beiden Generäle zu verhindern und die Früchte des sicheren Sieges zu ernten.44 Pompeius gab schließlich entnervt nach und bot Caesar am 9. August 48 bei Pharsalos eine unnötige Schlacht an.45
Die größere Kampferfahrung der Truppen Caesars, die ihrem Feldherrn über sechs Jahre von Gefecht zu Gefecht gefolgt waren, sowie ihre in Gallien erworbene Fähigkeit, in scheinbar aussichtslosen Situationen auf die Umsicht und das Kriegsglück Caesars zu vertrauen, machten die Überzahl der gegnerischen Truppen wett. Pompeius hatte seine Infanterie zehn Reihen tief gestaffelt – eine Maßnahme, mit der man schon immer die technische und taktische Überlegenheit des Gegners auszugleichen suchte. Um den Fußtruppen Stabilität und Unterstützung zu verschaffen, sollte die aus römischen Bürgern und griechischen Bundesgenossen gebildete Kavallerie den rechten Flügel Caesars durchbrechen.46 Das war kein sehr origineller Schlachtplan, eher aus der Not der Umstände geboren und den zur Verfügung stehenden Soldaten geschuldet.
Caesar durchschaute ihn deshalb auch leicht. Er stellte seinen rechten Flügel nur halb so tief auf, dehnte aber dessen Linie. Als die gegnerische Reiterei zum Flügelangriff ansetzte, warf er ihr eine aus dem dritten und vierten Treffen gebildete Reserve aus sechs Kohorten in Kombination mit der germanischen und gallischen Reiterei entgegen. Ganz ähnlich hatten Marius und Sulla auf gegnerische Umfassungsversuche reagiert (siehe >, >). Caesar selbst war schon in Gallien auf vergleichbare Weise vorgegangen.47 Seine Legionäre hielten im Zentrum dem Angriff der massierten Infanterie stand und ermöglichten der eigenen Reiterei zusammen mit den Reserven, die Kavallerie des Pompeius zurückzuschlagen und dessen Fußsoldaten von der Flanke her anzugreifen. Als sich die Kämpfe dem Lager des Pompeius näherten, gab der alte General auf und flüchtete nach Alexandria, wo er wenige Monate später ermordet wurde.
Spätere Interpreten meinten mitunter, Pompeius habe die Schlacht zu früh verloren gegeben. Daran ist so viel richtig, dass Caesar – ähnlich wie vor ihm Sulla – in ähnlicher Lage vermutlich bis zuletzt persönlich von Truppenteil zu Truppenteil gehetzt und allein durch sein Erscheinen jede Chance zur Wende gesucht hätte. Das war die Sache des alternden Pompeius nicht (mehr); ihm fehlten Kampfpraxis und der jahrelange Kontakt zu einer auf ihn eingeschworenen Mannschaft mit loyalen Offizieren.
Wie wichtig gerade dieser Aspekt in einer militärischen Konstellation war, in der sich die strategische und taktische Kunst der Feldherren nur graduell voneinander unterschied, zeigt die letzte große Landschlacht, die im Namen der Republik bei Philippi nur sechs Jahre (42) später ausgefochten wurde. Caesar hatte seinen Sieg gegen Pompeius nur fünf Jahre überlebt und war wie Pompeius nicht auf dem Schlachtfeld gefallen, sondern das Opfer eines Anschlags geworden. Die Caesarmörder hatten jedoch die innenpolitische Lage völlig falsch eingeschätzt, insbesondere die Anhänglichkeit der Soldaten an ihren alten Feldherrn nicht in Rechnung gestellt. So wählten sie den gleichen Weg wie Pompeius, setzten sich in den griechischen Osten ab und sammelten ein gewaltiges Heer. In Italien übernahmen Antonius, der fähigste Offizier Caesars, und Caesars Neffe Octavian das Kommando.
Die neuen Protagonisten folgten den Pfaden ihrer Vorgänger. Wie einst Pompeius gelang es den Caesarmördern Brutus und Cassius dank ihrer überlegenen Flottenmacht, den nach Griechenland anrückenden Antonius von der Versorgung abzuschneiden. Und wie einst in Pharsalos Pompeius, so suchten Brutus und Cassius nun bei Philippi in zwei stark befestigten Lagern, die offene Feldschlacht zu meiden.48 Antonius als faktischer Oberbefehlshaber drängte dagegen zur direkten Konfrontation, um sich aus der fatalen Versorgungslage zu befreien. Beide Seiten hatten jeweils 21 Legionen mobilisiert, Brutus und Cassius brachten vor Philippi 17, Antonius und Octavian 19 in Stellung; dazu kamen auf Seiten der Republikaner 20 000, auf Seiten des Antonius 13 000 Reiter. Rechnet man die bundesgenössischen Truppen hinzu, standen sich weit über 200 000 Mann gegenüber – es wurde die bis dahin größte Feldschlacht der Antike.
Entschieden wurde sie aus ähnlichen Gründen wie bei Pharsalos. Die Hälfte der republikanischen Soldaten war nicht kampferprobt, während Antonius und Octavian zahlreiche Legionäre Caesars ins Gefecht schicken konnten. Und wieder war es ein überraschendes und schwieriges Manöver, das ihnen diesmal Antonius zutraute, als er seinen Flügel über einen künstlichen Damm durch Sumpfgebiet überraschend gegen die Südflanke der Truppen des Cassius führte. Obwohl Cassius im Vergleich zu Brutus der fähigere und erfahrenere Befehlshaber war und Brutus auf dem rechten Flügel Octavian besiegen konnte, gab Cassius die Schlacht nach der Erstürmung seines Lagers verloren – ähnlich verfrüht wie seinerzeit Pompeius, aber mit dem Unterschied, dass er sich auf dem Schlachtfeld von einem Vertrauten töten ließ. Tatsächlich konnte Brutus die Lage stabilisieren und setzte erneut, ohne eine Schlacht anzubieten, auf die für ihn günstigere Versorgungslage. Diesmal waren es seine Offiziere, die ihn zur Schlacht drängten. Wie seinerzeit Pompeius gab er nach und besiegelte damit seine Niederlage gegen einen Gegner, der die gesamte Kampfkraft und Erfahrung seiner Legionäre ausspielen konnte.
Entscheidung auf See:
Actium und der Weg dorthin
Bezeichnenderweise war dies aber nicht das Ende des mittelmeerweiten Ringens. Für fast 200 Jahre war Philippi die letzte große Landschlacht, die im Mittelmeerraum geschlagen wurde. Mit der Wiederaufnahme der Bürgerkriege zwischen Octavian und Antonius verlagerte sich der Krieg endgültig und in einem nie vorher gekannten Ausmaß aufs Meer.49 Schon Cassius und Brutus konnten vor Philippi parallel zu ihren Landtruppen große Flotten mobilisieren. Die Versorgung der gewaltigen Heeresverbände war in den Bürgerkriegen nur noch mit Schiffen möglich, und die Erfordernis schneller Truppenbewegungen führte dazu, dass der Mittelmeerraum zum Ende der Republik hin eine beispiellose Massierung von Seestreitkräften sowie militärtechnische Neuerungen erlebte50 – noch einmal Beweis dafür, dass die römische Republik im Vergleich zu allen anderen Mächten gewaltige Ressourcen mobilisieren konnte.
Hauptlieferanten für Materialien und Mannschaften waren jetzt allerdings nicht mehr nur die meernahen Provinzen, in denen schon vorher die entscheidenden Landschlachten ausgetragen wurden, sondern alle Mittelmeerküsten einschließlich Italiens. Denn das Meer bot eine letzte Zuflucht für diejenigen, die zu Lande besiegt worden waren, und auf dem Wasser war es noch leichter, die Enttäuschten und Entrechteten zu sammeln und mit ihnen die Versorgungslinien der Landheere zu unterbrechen.51 Da die Herren des Landkrieges reagieren und sich ebenfalls zur See rüsten mussten, prallten noch einmal alle Erfahrungen der Römer aus den letzten 50 Jahren seit dem Piratenkrieg des Pompeius aufeinander.
Den Anfang machte bezeichnenderweise Sextus Pompeius, Sohn des Magnus, als er von den spanischen Küsten und den Inseln des Tyrrhenischen Meeres aus mit Hilfe der Piratenkapitäne aus der Klientel seines Vaters ohne nennenswerte Landtruppen ein mächtiges Seeimperium bildete, das unangefochten weite Teile des westlichen Mittelmeeres kontrollierte und die Küsten Italiens mit Plünderungszügen seiner Kaperer drangsalierte.52 Das strategische Ziel bestand darin, wie einst die Seeräuber und dann sein Vater Italien vollständig von der Getreidezufuhr abzuschneiden. Octavian reagierte auf Rat des übergelaufenen Piratenkapitäns Menodoros mit dem Bau von Vierruderern, die durch 120 Kriegsschiffe des Antonius aus dem Osten ergänzt wurden. M. Vipsanius Agrippa ließ diese Schiffe zum ersten Mal mit hölzernen Kampftürmen versehen, die den Schützen den Vorteil der höheren Position verschaffen sollten.53 Mit 600 Einheiten stellte er sich den 300 Trieren des Sextus in der größten Seeschlacht der Antike bei Naulochos entgegen (36 v. Chr.). Hier trafen noch einmal die hellenistische Seekriegskunst auf die Wendigkeit leichterer Trieren und Zweiruderer. Die hochbordig gepanzerten Schlachtschiffe Agrippas begannen mit Artilleriebeschuss, bevor sie mit den ebenfalls von Katapulten geschleuderten Enterhaken die gegnerischen Schiffe an sich zogen und im Infanteriekampf von Bord zu Bord enterten.54
Während der Feldzüge Octavians in der Adria ersetzte Agrippa seine Schiffe zum großen Teil durch leichtere (und billigere) Einoder Zweireiher (Liburnen). Mit diesen für die Kontrolle von maritimen Versorgungslinien geeigneten Schiffen und im Besitz der Landbasen in Illyrien und Griechenland konnte er im Jahr 31 die Flotte des Antonius von der Versorgung abschneiden und in der Bucht von Actium einkesseln. Warum Antonius nicht vorher selbst die Initiative ergriff und die von seinen Gegnern so gefürchtete Invasion Italiens befahl, ist bis heute ein Rätsel. Vielleicht misstraute er der Kampfkraft seiner Landtruppen und war sich nicht sicher, ob er nach dem erfolgreichen Propagandakrieg des Octavian mit der nötigen Unterstützung der italischen Landgemeinden rechnen konnte. In jedem Fall minderte das zögerliche Ausharren an der griechischen Küste seine Chancen. Die Zahl prominenter Überläufer stieg fast täglich.55 Damit waren die Voraussetzungen für einen militärischen Erfolg schon vor Schlachtbeginn denkbar schlecht, und es ist sehr wahrscheinlich, dass Antonius und Kleopatra gar nicht mehr an einen Sieg in den Gewässern vor Actium glaubten, sondern nur noch den Durchbruch durch die gegnerische Linie und eine Neuformierung der Kräfte im Osten planten.56 Dafür spricht, dass die Linienschiffe, mit denen Antonius am 2. September auslief, Segel mit sich führten, die für eine Schlacht nur hinderlich gewesen wären. Tatsächlich gelang der Durchbruch; als sich anschließend der Kampf zwischen den Flotten entspann, segelten 60 Schiffe Kleopatras davon. Antonius folgte ihr mit seinem Flaggschiff und ließ die übrigen Schiffe und dazu 19 Legionen im Stich.57 In der Schlacht setzte sich die quantitativ überlegene Flotte des Agrippa durch. Die teilweise bis zu zehnreihigen Großkampfschiffe des Antonius waren mit einer Bordhöhe von bis zu drei Metern das Ergebnis einer extremen Anpassung an die Gesetze des hellenistischen Artillerie- und Enterkriegs. Sie waren aber schwerfällig und nur unvollständig und mit schlecht versorgten Ruderern bemannt. Außerdem fehlte ihren Kapitänen und Seesoldaten die Kampferfahrung, die ihre Gegner im Westen gesammelt hatten. Mit dem Sieg Octavians ging auch die große Epoche der hellenistischen Seekriegsführung zu Ende. Die leichten und wendigen Zweireiher des Octavian hatten sich den großen, mehrreihigen Schlachtschiffen des Antonius als überlegen erwiesen. Das hochgerüstete hellenistische Großkampschiff hatte damit ausgespielt. Der leichte und billigere Schiffstyp der Liburne bestimmte in der Folgezeit unangefochten das Mittelmeer.58
Wichtiger waren die politischen Konsequenzen. Rom hatte einst im Seekrieg um Sizilien die Vorherrschaft im westlichen Mittelmeer errungen, Pompeius das Mittelmeer zum mare nostrum der Römer gemacht; nun wurde das Meer zum Grab der alten republikanischen und zum Wegbereiter einer neuen monarchischen Weltordnung. Doch auch sie konnte sich ihrer republikanischen Vorbilder nicht entziehen: Die Sicherung des Mittelmeeres gehörte zu den prominentesten Aufgaben der Kaiser, und die großen Flottenoperationen, die Drusus und Tiberius in den Atlantik führen sollten, knüpften in vielerlei Hinsicht an die wagemutigen Unternehmungen Caesars und die in den Bürgerkriegen entwickelte Fähigkeit an, den Vormarsch der Landheere durch maritime Großoperationen zu unterstützen.
Politisierung der Armee in den Bürgerkriegen?
Die schier endlosen Bürgerkriege hatten aber nicht nur das Terrain militärischer Operationen geweitet, sondern auch die Soldaten und ihre Offiziere verändert. Ähnlich wie die äußeren Kämpfe und Auseinandersetzungen in den Poleis zur Zeit des Peloponnesischen Krieges eine nicht endende Schar von kriegsbereiten Flüchtlingen und Berufskriegern hervorbrachten, so schwoll in Folge der Proskriptionen, der Enteignungen und der dauernden Feldzüge römischer Bürgerkriegsgeneräle nach dem Tod Caesars die Zahl der kriegswilligen Kämpfer an, die alles verloren hatten und in Raub und Krieg ihre letzte Hoffnung sahen. Lucius Hirtius sammelte seine Sklaven und Flüchtlinge um sich und formte sie zu einer paramilitärischen Truppe, die die Küstenstädte unsicher machte. Andere wie Quintus Labienus, der Sohn des berühmten Legaten Caesars, traten nach Philippi in den Dienst der Parther und führten gemischte römisch-parthische Verbände nach Kleinasien. Sextus Pompeius kommandierte von Sizilien aus bunt zusammengewürfelte Mannschaften ehemaliger Piraten, Freigelassener, politischer Flüchtlinge und Kriegsvagabunden. Da Octavian einen Großteil dieser Männer nach dem Sieg über Sextus Pompeius in seine Armee eingliederte, setzte sich die heterogene Struktur der Truppe auch unter wechselndem Kommando fort.59 Im Osten ergänzten die Truppen der römischen Klienten die Legionen. Verfehlt wäre also die Annahme, dass in den letzten Tagen der Republik nur wohlgeordnete, einheitlich bewaffnete und uniformierte Armeen aufeinandertrafen. Die Generäle boten auf, was sie bekamen, auch wenn sie den erfahrenen römischen Berufssoldaten bevorzugten.
Je weniger die Bürgerkriegsgeneräle mit staatlicher Legitimation ausgestattet und auf einen steten Zuzug von Soldaten auch ohne die üblichen Aushebungsregularien angewiesen waren, veränderten sich aber auch deren Rolle und Selbstbewusstsein. »Die Soldaten«, so der kaiserzeitliche Historiker Appian60, »bildeten sich ein, nicht so sehr in einem regelrechten Heer zu dienen, als vielmehr nach eigener Gunst und Entscheidung Beistand zu leisten, und meinten, ihre Führer benötigten sie gezwungenermaßen zur Verfolgung persönlicher Ziele. Das Desertieren, ehedem bei den Römern unnachsichtig verfolgt, wurde jetzt sogar mit Geschenken honoriert, und ganze Heere sowie einige vornehme Männer ließen sich darauf ein61; hielten sie es doch nicht für Fahnenflucht, wenn sie zu einer gleichgearteten Partei überwechselten, da alle einander glichen und keine von ihnen sich als Kämpferin gegen den gemeinsamen Feind der Römer unterschied. Der allgemeine Vorwand der Feldherren, sie stritten samt und sonders für das Wohl des Vaterlandes, machte den Leuten das Überlaufen leicht, denn jeder konnte glauben, dass er überall bei jeder Partei diesem Vaterland helfen könne. Das wussten auch die Feldherren und duldeten darum das Betragen ihrer Soldaten, überzeugt, dass ihre Macht nicht so sehr vom Gesetz als vielmehr von ihren Geschenken abhing.«
Sicher ist das Bild vom skrupellosen, opportunistischen und korrupten Soldaten zu pauschal und überzeichnet. Es gab unter den Bürgerkriegsveteranen genügend Legionäre italischer Herkunft, die ein Stück Land als legitime Belohnung ihrer langen Kämpfe in Übersee ansahen und sich nach ihrer Rückkehr in die neue Heimat integrierten. Insofern unterschieden sich ihre Forderungen nicht grundsätzlich von denen der Soldaten des 2. Jahrhunderts v. Chr.62 Das Problem war nun aber, dass die Landversorgung von Generälen durchgesetzt werden sollte, die durch revolutionäre Gewalt an die Macht gekommen waren, und dass die Landzuweisung spätestens seit dem Zweiten Triumvirat nur mit massenhaften Enteignungen und der Ermordung politischer Gegner (im Rahmen von Proskriptionen) gesichert werden konnte. Abfindungen und Belohnungen der Soldaten fanden demnach immer häufiger in einer Atmosphäre offener Gewalt statt, die von der Truppe häufig selbst ausgeübt wurde.63 Ferner standen der gewiss nicht geringen Zahl von Legionären, die bei nicht überzogener materieller Absicherung tatsächlich ein Ende der Kämpfe ersehnten, viele Berufskrieger gegenüber, die sich nicht mehr an ein geregeltes Landleben gewöhnen konnten (oder wollten) und deshalb bereit waren, jede Chance zur schnellen Bereicherung in Form von Geld zu nutzen.64
Viele glauben, dass die Veteranen, je mehr sie sich ihrer Unentbehrlichkeit für die Bürgerkriegsgeneräle bewusst wurden, auch einen eigenständigen Willen zur politischen Durchsetzung ihrer Ziele, ja sogar zur Formulierung von Politik entwickelten.65 Als wichtigster Beleg gilt eine Begebenheit in den Sommertagen des Jahres 43: Die altgedienten Zenturionen des von Octavian zusammengestellten Heeres erschienen im Senat und verlangten für ihren Feldherrn das Konsulat, die Auszahlung von Geldmitteln und die Begnadigung der Anhänger des Antonius. »Als der Senat noch zauderte, schlug der Führer der Abordnung, der Centurio Cornelius, seinen Kriegsmantel zurück, zeigte auf den Griff seines Schwertes und hatte die Stirn, vor versammeltem Senat auszurufen: ›Der wird’s tun, wenn ihr’s nicht tut.‹«66 Schon vorher hatten die Veteranen mäßigend auf Antonius und Octavian eingewirkt und letztlich auch ihre für die Republikaner so verhängnisvolle Verständigung herbeigeführt.
All diese Aktivitäten bewegten sich im Rahmen traditioneller Ziele der Berufssoldaten: Wunsch nach Geld und Land. Die Frontstellung gegenüber dem Senat ergab sich daraus, dass dieser in der Vergangenheit Landversprechungen nicht eingelöst hatte; die Bemühungen um eine Einigung zwischen Octavian und Antonius entsprangen der Einsicht, dass eine Spaltung der beiden Protagonisten der caesarischen Partei den Interessen der Veteranen nicht dienen konnte67; hinzu kam die Sorge, dass der junge und militärisch unbedarfte Octavian seine Versprechungen gegenüber seinen Truppen allein nicht halten könnte.
Dennoch wäre es zu einfach, die Ziele der Soldaten allein aus materiellen Wünschen abzuleiten und in ihnen lediglich skrupellose Söldner zu sehen, die keine Treue kannten und jederzeit bereit waren, besseren Angeboten zu folgen. Die Kriegsgeschichte zeigt zur Genüge, dass gemeinsame Kampferfahrungen starke Gruppenidentitäten erzeugen, spezifische Rituale und Verantwortlichkeiten fördern, die materielle Wünsche vielfach überlagern. Solche Kräfte führen zwar nicht zur Formulierung oder gar Durchsetzung politischer Programme, aber sie können in den Raum der Politik übergreifen und politische Entscheidungen unter bestimmten Umständen mitbestimmen. Dies war auch in der Zeit der Bürgerkriege der Fall68: Das Bemühen um eine Einigung caesarischer Offiziere dürfte – neben einem materiellen Kalkül – auch einer Art Ehrenkodex der Veteranen entsprochen haben, nicht gegeneinander zu kämpfen und an der Verehrung für den alten Feldherrn auch nach dessen Tod festzuhalten, indem man nun seinem ehemaligen Unterfeldherrn die Treue hielt. Die Verbundenheit gegenüber einem Feldherrn speiste sich dabei offenbar weniger aus der Erfahrung oder der Hoffnung, dass dieser die Versorgung der Soldaten durchgesetzt hatte. Wenn es wirklich so etwas wie eine Militärklientel gab, dann ergab sie sich in erster Linie aus der gemeinsamen Kampferfahrung an verschiedenen Kriegsschauplätzen unter einem Kommandeur, der sich durch seine Kriegsführung den Respekt und die Verehrung der Truppen erworben hatte.69
Dies war bereits die Grundlage der engen Bindung zwischen Marius und den Soldaten in den Kriegen gegen Iugurtha und die Germanen gewesen; das Gleiche gilt für die Soldaten Caesars. Die Solidarität der Veteranen, die aus den Gemeinschaftserlebnissen der caesarischen Kriege erwuchs, und ihr Wunsch nach materieller Bereicherung vermischten und verbanden sich zu konkreten Forderungen. Diese wurden in der Praxis von den Zenturionen, Anführern der maßgeblichen Kampfeinheiten der Zenturien – den antiken Platoons –, politisch aktiviert und in Verhandlungen und Forderungen gegenüber Senat und konkurrierenden Feldherren durchgesetzt, vorausgesetzt die Befehlshaber waren bereit mitzuspielen.70
Auf der anderen Seite schwächte die Zeit der Bürgerkriege alte Loyalitäten, nicht nur weil konkurrierende Feldherren um die Soldaten warben, sondern weil die Kommandeure gar nicht mehr die Zeit hatten, sich wie Caesar in Gallien über Jahre hinweg gegen einen barbarischen Gegner eine eingeschworene Truppe sowie loyale Zenturionen heranzubilden und den möglichen Vertrauensvorschuss, den die Soldaten einem pompeianischen oder caesarischen Offizier entgegenbrachten, zu nutzen und in eine stabile Bindung umzusetzen.71 Dies war eine schwere Bürde auch für den Mann, der sich am Ende als Sieger der Bürgerkriege durchsetzte.