9.
SPEZIALISIERUNG DES KRIEGS-
HANDWERKS SEIT DEM
2. JAHRHUNDERT V. CHR.
Neue Gegner und Herausforderungen
Die Schwächung der hellenistischen Königreiche und griechischen Mittelmächte mündete seit der Mitte des 2. Jahrhunderts in die Einrichtung direkter Herrschaftsgebiete jenseits der Straße von Otranto: 148 wurde Makedonien als Provinz organisiert. Dessen Statthalter hatte auch die Aufsicht über die restlichen Gebiete Griechenlands. Nach der Zerstörung letzter Widerstandszentren (Korinth) ging die Republik auch im Westen dazu über, jegliches Gefahrenpotential zu tilgen. 146 wurde Karthago nach zweijähriger Belagerung dem Erdboden gleich gemacht. Das unmittelbare Herrschaftsgebiet der Stadt im heutigen Tunesien bildete die Provinz Africa. Als zehn Jahre später in Pergamon ein gewisser Aristonikos gegen Attalos III. Thronansprüche erhob, vermachte der König sein Reich den Römern, um es vor einem Bürgerkrieg zu bewahren.1 Die Römer wandelten nach der Niederschlagung des Aristonikos-Aufstandes im Jahr 129 den größten Teil des pergamenischen Reiches in die Provinz Asia um.
Damit – so könnte man meinen – hatte die römische Außenpolitik »die Risikoschwelle überschritten« (Alfred Heuß). Krieg bestimmte jedoch nach wie vor das Leben der Republik, aber er richtete sich nun gegen andere Gegner. Die Römer kämpften schon seit 100 Jahren gegen die Kelten und ligurischen Stämme in Norditalien. Als Karthago ausgeschaltet und die hellenistischen Königreiche entmachtet waren, stießen die Legionäre an der Peripherie auf Völkerschaften, die in Stammesorganisationen lebten und eine andere Form der Kriegführung bevorzugten als die hellenistischen Monarchen.2 Während die Feldzüge im östlichen Mittelmeerraum sich auf wenige Jahre und den Einsatz von zwei bis vier Legionen beschränkten und relativ schnell ohne größere Verluste mit offenen Feldschlachten endeten, vermieden viele Stämme der Randgebiete die direkte militärische Konfrontation und setzten stattdessen auf schnelle Vorstöße der Reiterei, Raubzüge und Überfälle in unwegsamen Gelände.
Auf diese Art der Kriegführung waren die Legionen kaum vorbereitet: Allein an der makedonischen Grenze mussten römische Armeen seit 141 immer wieder teils katastrophale Niederlagen gegen die Skordisker hinnehmen.3 Viele Kommandeure starben bei den Gefechten. 114 stießen die Skordisker bis nach Mittelgriechenland vor.4 Noch verheerender und auch von anderer Art waren die Auseinandersetzungen auf der Iberischen Halbinsel. Die einheimischen Stämme der Lusitaner und Keltiberer kämpften vor allem um die Verbesserung ihrer ärmlichen Lebensverhältnisse. Sie operierten aus unzugänglichen Bergregionen und verfügten über zum Teil gut befestigte Gemeinwesen. Hier führte man keine schneidigen Feldzüge wie gegen hellenistische Heerführer, die sich mit wohlgeordneten Waffengattungen zur Schlacht stellten, sondern Vernichtungskriege gegen hochmobile Krieger, die den Partisanenkampf, Überfälle, Täuschungsmanöver beherrschten und sich immer wieder in unzugängliche Bergregionen zurückzogen – ein klassischer, mit größter Brutalität (auf beiden Seiten) geführter asymmetrischer Krieg, der den Römern enorme Verluste beibrachte.5 Kam es zur Schlacht, dann attackierten die Keltiberer die Manipel in einer Keilformation (cuneus), »eine Kampfesart, in der sie« – so Livius – »so stark sind, dass man ihnen, ganz gleich, gegen welchen Teil sich ihr Angriff richtet, nicht standhalten kann«.6 Der spanische Kriegsschauplatz erforderte spätestens seit der Mitte des 2. Jahrhunderts den Dauereinsatz von drei bis vier Legionen sowie bundesgenössischer Kontingente im gleichen Umfang über einen Zeitraum von mindestens 20 Jahren (154–133).7 Allein im ersten Kriegsjahr fiel ein Drittel der eingesetzten 30 000 Soldaten, weitaus mehr als in sämtlichen Kriegen im Osten.8 Da zudem die Legionäre anders als dort nicht mit reicher Beute rechnen konnten, war der spanische Dauerkrieg höchst unpopulär – niemand wusste so recht, wofür man eigentlich kämpfte – und eine enorme Belastung für Feldherren, Offiziere und Soldaten.9
Diese Probleme wirkten sich auch auf die innere Verfassung der Republik aus: Vor allem der Mangel an Rekruten, die hohen Verluste und die lange Abwesenheit der Legionäre von ihren bäuerlichen Höfen veranlassten den Volkstribun Tiberius Gracchus im Jahr 133, gegen den Willen der Senatsmehrheit und unter Missachtung althergebrachter Verfassungsnormen ein umfassendes Agrarprogramm durch die Comitien zu bringen. Die Auseinandersetzung um die Reform mündete in offene Gewalt, die seitdem die römische Innenpolitik bestimmte und belastete. Verschärft wurden die Spannungen von fortgesetzten militärischen Problemen. Die Kämpfe gegen die Kelten in Oberitalien nahmen kein Ende; auch im Krieg gegen den Numiderkönig Iugurtha in Nordafrika griffen die Erfolgsmechanismen des römischen Heeres nicht. Die Legionäre hatten in den wüstenartigen Gegenden große Schwierigkeiten mit der mobilen Kampfesweise der leichtbewaffneten Numider.10 Auch erfahrenen Feldherren wie den in der Anfangsphase eingesetzten Calpurnius Bestia und Servilius Caepio fehlten die Zeit und geeignete Waffengattungen, um sich auf die Verhältnisse und den Gegner einzustellen. Manche moderne Autoren glauben zudem, mit dem wachsenden Einfluss der »verführerischen« hellenistischen Kultur habe ein regelrechter militärischer Kompetenzverlust unter den adligen Offizieren und Feldherren eingesetzt.11
Nun ist ein Mangel an militärischen Führungsqualitäten immer schwer einzuschätzen, insbesondere im Vergleich zu früheren Zeiten. Kein militärisches System produziert permanent geniale Kommandeure, und gerade die früheren Kriege gegen Pyrrhos und Hannibal waren ebenfalls durch erstaunliche Fehlleistungen gekennzeichnet. Sicher ist aber, dass die durch die Siege im Osten erfolgsverwöhnte römische Öffentlichkeit angesichts der beispiellosen Verlustserie in Makedonien und Spanien sensibler und hellhöriger gegenüber militärischen Fehlschlägen war als noch im 4. und 3. Jahrhundert, und dass die Quellen, wie etwa Sallust, die uns darüber berichten, von einer antiaristokratischen Tendenz geprägt sind. Zur Erklärung der großen Probleme in Spanien und dann in Nordafrika erscheint es deshalb wichtiger, dass viele in Afrika eingesetzte Offiziere und Feldherren vorher in den makedonischen Kriegen gedient hatten. Sie waren von dem epochalen Erfolg der Manipulartaktik gegen die hellenistische Kriegskunst geprägt und konnten sich nur schwer auf eine neue Situation einstellen, in der man das Glück nicht durch eine Feldschlacht und die überlegene Kampfkraft der Legionäre erzwingen konnte.12
Für einen Erfolg gegen Iberer, Kelten und Numider brauchte man – das war die entscheidende Herausforderung, welche die weitere Geschichte der Republik bestimmte – militärische Spezialisten mit einer größeren Zahl von Truppen, die bereit waren, ohne den Druck zeitlicher Beschränkung alles für den Erfolg auf ungewohntem Terrain zu tun. Wie häufig in der Kriegsgeschichte erwachsen solche neuen Impulse selten aus der etablierten Offizierselite, sondern entweder aus Teilen der jüngeren Generation, die sich gegenüber eingefahrenen Regeln und Konventionen unabhängiger zeigt, oder aus Kreisen, die nicht zur engeren gesellschaftlichen Elite gehören.
Diese Bedingungen erfüllten zwei Männer, die den Krieg und die Politik Roms in den nächsten 30 Jahren bestimmten: C. Marius stammte aus einer Ritterfamilie und hatte zunächst vor Numantia gegen die Keltiberer und als Proprätor in Hispania Ulterior gedient, bevor er als Legat des Q. Caecilius Metellus in den Krieg gegen den Numiderkönig Iugurtha zog. Brennend vor Ehrgeiz bewarb er sich hinter dem Rücken seines Feldherrn um das Konsulat und den Oberfehl in der Provinz Africa. Gestützt durch eine öffentliche Stimmung, die das zögerliche und erfolglose Vorgehen der adligen Kommandeure leid war, übernahm er im Jahr 107 den Krieg und konnte tatsächlich Iugurtha gefangennehmen.
Ein Erfolgsrezept des Marius bestand darin, dass er seine Offiziere nach militärischen Fähigkeiten auswählte, ohne Rücksicht auf nobilitäre Konventionen und Beziehungen. Eine besonders glückliche Wahl war L. Cornelius Sulla aus einer fast vergessenen und völlig verarmten patrizischen Familie ohne politischen Einfluss.13 Er konnte keine prominenten Kriegseinsätze vorweisen, hatte sich stattdessen durch amouröse Abenteuer und Zechgelage hervorgetan. Entscheidend aber war: Er besaß wie Marius ein Gespür für den Umgang mit Soldaten. Als Anführer einer neuen, gegen die Numider so wichtigen Reiterei entschied er die Schlacht bei Cirta und hatte durch geschickte Verhandlungen mit dem einheimischen König Bocchus wesentlichen Anteil daran, dass Iugurtha in einen Hinterhalt gelockt und an Marius ausgeliefert wurde.14 Es war diese Art der Kriegsführung, die in Nordafrika und Spanien schließlich zum Erfolg führte.
Marius und der Krieg gegen
Kimbern und Teutonen
Die eigentliche Bewährungsprobe wartete jedoch im Norden. 113 v. Chr. griff ein großer Verband der germanischen Kimbern, Ambronen und Haruden das Königreich Noricum (Kärnten) an und schlug ein konsularisches Heer bei Noreia vernichtend. Gemeinsam mit den Teutonen erbaten daraufhin die Sieger, die wohl ursprünglich als Söldner von den gallischen Clans angeworben waren, Siedlungsland in der Gallia Narbonensis. Die römischen Kommandeure lehnten ab und wurden erneut im Jahre 105 bei Arausio (Orange) durch einen Frontalangriff der germanischen Fußtruppen besiegt. Angeblich fielen nach Einnahme des Lagers 80 000 Mann. Es war die größte Niederlage seit Cannae.15
Hatten die römischen Legionen schon Schwierigkeiten, sich auf den Krieg in Spanien und Nordafrika einzustellen, so stellten jetzt die Germanen eine weitere Herausforderung dar, auf die die römische Armee keine Antwort wusste. Die germanischen Kämpfer waren schon zu dieser Zeit vielfach Berufskrieger, und ihre Anführer mussten sich durch militärische Erfolge legitimieren.16 Nach den archäologischen Funden zu schließen, unterschieden sich Waffengattungen und Kampfesweise der Germanen wenig vom Stand der damaligen mediterranen Kriegstechnik;17 sie waren in der Lage, mit Lanzen, Langschwert und Schild eine Schlachtreihe zu formieren, sowie durch Feldzeichen und Trompeten unterstützt, geordnet auf die feindliche Linie vorzurücken, und die Reiterei der Kimbern konnte ihre Manöver mit den Fußtruppen koordinieren.18 Anders als die hellenistischen Armeen blieben sie über Jahre kampfbereit, weil sie gewohnt und gezwungen waren, sich mit Waffengewalt und auf Kosten der Völker, denen sie begegneten, zu ernähren. Gleichzeitig ergänzten sie sich durch ethnisch heterogene Neuankömmlinge und suchten ihr Leben als Berufskrieger und Söldner (vor allem in Gallien) durch Landgewinn abzusichern.19 Gerade die Verbindung von Ackerbau (in einem freilich geringen und nur subsidiären Maß) und mobiler militärischer Existenz machte sie offenbar – wie später die Sueben – so gefährlich.20 Sogar die Frauen feuerten die Kämpfer unmittelbar hinter der Front an und drängten Zurückweichende wieder in die Schlacht.21 Die Integration des weiblichen Stammesteiles in das Schlachtgeschehen trug zu der Vorstellung bei, man habe es mit Massen todesbereiter Barbaren zu tun.
Die Stimmung in Rom war gereizt. Man rief nach Marius, der in Nordafrika gezeigt hatte, dass er mit schwierigen militärischen Problemen fertig wurde. Sein Glück war, dass die Germanen nach Spanien zogen. Damit gewann er Zeit, die gelichteten Reihen der Legionen zu füllen und die Moral der Truppen wiederaufzurichten.22 Schon in den Kriegen gegen die Iberer seit 153 v. Chr. mussten die Kommandeure immer häufiger auf Freiwillige zurückgreifen.23 Marius selbst hatte bereits in Nordafrika Freiwillige ohne Bodenbesitz (capite censi) als Legionäre rekrutiert.24 Das Gleiche tat er nun in größerem Umfang gegen die Germanen. Häufig werden diese Maßnahmen als Teil einer Reform verstanden, die das Milizheer der Besitzenden in eine professionelle Armee der Besitzlosen verwandelt habe, aber diese Ansicht ist viel zu undifferenziert. Denn zum einen machten die Legionäre mit Bodenbesitz auch nach Marius einen Großteil der Armee aus. Zum andern hatte man schon früher in Krisenzeiten die Rekrutierungsqualifikationen aufgehoben. Seit dem Krieg gegen Hannibal wurden die Qualifikationsgrenzen bis auf 1500 Asse im Jahr 129 herabgesetzt 25, und das nicht so sehr, weil die Rekrutenzahlen überall zurückgingen (»manpower-crisis«), sondern wegen der geringen Lukrativität und Attraktivität der Kriege zumal in Spanien.26 Die Germanenkriege waren genauso unattraktiv und gefährlich, aber nun musste man zusätzlich den Blutzoll der Niederlagen bei Noreia und Arausio verkraften. Wenn Marius jetzt die Besitzkriterien bei der Rekrutierung völlig außer Kraft setzte, dann war dies eine notwendige Reaktion auf eine militärische Herausforderung und erhob in einer besonders schweren Krise einen Trend zur Norm.27
Ähnliches gilt für die Ablösung der Manipularaufstellung durch die Kohortentaktik. Schon in den Kriegen gegen Hannibal werden Kohorten (erstmals von P. Cornelius Scipio) als taktische Alternative zur Manipularaufstellung erwähnt, die nach wie vor hintereinander in der quincunx-Formation aufgestellt waren.28 Besonders häufig dürften Kohorten in den Kriegen des 2. Jahrhunderts in Spanien sowohl gegen die Guerillataktik als auch gegen die massiven Frontalangriffe (in cunei) der Einheimischen verwendet worden sein.29 Marius bildete nun regelmäßig Kohorten von 480 bis 600 Mann Sollstärke eines Manipels von hastati, eines Manipels der principes und der triarii (oder pilani); 30 Manipel der Legion wurden zu 10 Kohorten zusammengefasst. Damit ergaben sich dreifach größere taktische Körper, die eine stärkere Verdichtung und Massierung der Schlachtreihe erlaubten als die relativ offene Manipularaufstellung.30
Mit den Kohorten hoffte Marius (wie seine Vorgänger in Spanien), der Wucht des germanischen Frontalangriffs und der Überzahl gegnerischer Kämpfer standzuhalten und danach auf Kommando in die Offensive zu gehen.31 Größere taktische Einheiten erleichterten die Übermittlung der Befehle für solche Manöver.32 Plänkler waren dagegen für den Wechsel von der statischen Defensive in die mobile Offensive nicht nötig, und deshalb spielten sie fortan auch keine Rolle mehr. Es kam vielmehr auf eine möglichst einheitliche Bewaffnung der Reihen an, und so wurden nun auch die Triarier mit dem Stoßspeer (pilum) ausgestattet.33
Ergänzt wurde die Änderung der Ausrüstung und taktischen Organisation durch Maßnahmen, die den Legionären ermöglichten, die Formation besser zu halten oder auf Befehl zu ändern: Sicher gehen nicht alle Neuerungen auf Marius allein zurück. So durchliefen die Rekruten schon in Rom auf Anweisung des Konsuls von 105, Rutilius Rufus, ein verändertes Training; unter anderem wurden sie angeblich durch Gladiatoren im Fechten unterwiesen.34 All diese Veränderungen zielten darauf ab, das Selbstbewusstsein und die taktische Disziplin der Soldaten zu stärken. Während die Legionäre des 2. Jahrhunderts noch lärmend vorrückten, marschierten die Soldaten der späten Republik schweigend auf die gegnerische Linie zu. Erst nachdem sie den Abstand bis auf 15 Meter verkürzt hatten, schleuderten sie ihr pilum und erhoben das Kriegsgeschrei. Die schockartige Kombination von Speerwurf und Kriegsgeschrei führte nicht selten dazu, dass der Gegner bereits vor oder nach einem kurzen Aufeinandertreffen die Schlacht aufgab.35 Hielt er stand, sah er sich einem Gegner gegenüber, der, selbst geschützt mit einen Gliederpanzer (lorica segmentata), ihn mit seinem konvexen Schild (scutum) von oben zurückdrängte und mit dem Kurzschwert (gladius Hispaniensis) in die ungeschützte Magengegend stieß.36
Nicht weniger wichtig als die Professionalisierung der Kampfesweise waren die strategischen Entscheidungen des Marius: Wie viele Feldherren in vergleichbaren Situationen vermied er zunächst jede Schlachtentscheidung und suchte den Gegner dort zu zermürben, wo Rom naturgemäß Vorteile hatte: bei der Versorgung der Armee.37 Taktische Überlegungen sollten jetzt frei von logistischen Zwängen bleiben und dem römischen Feldherrn die Initiative überlassen. Ein Umgehungskanal oberhalb der versandeten Rhônemündung hinaus zur Küste, später Fossa Mariana genannt, sicherte die rückwärtige Versorgung in das Operationsgebiet; an der Rhône wurde ein riesiges Vorratslager errichtet, »denn es sollte nie so weit kommen, dass Mangel an Lebensmitteln ihn (Marius) zwänge, den Kampf in einem ungünstigen Augenblick aufzunehmen«.38
Auch der reduzierte Tross war Teil der logistischen Planung. Diese Maßnahme griff höchstwahrscheinlich Gewohnheiten aus der Zeit des späten 3. Jahrhunderts auf, die in der Zeit des Marius aus Disziplinmangel außer Übung gekommen waren.39 Die marianischen Legionäre trugen jetzt (wieder) einen Großteil ihrer Ausrüstung und des Schanzmaterials selbst (mules Mariani − »Maultiere des Marius«).40 Damit erhöhte Marius – wie einst Philipp II. von Makedonien (siehe >) – die operative Mobilität seiner Armee gegenüber den mit ihren Familien wandernden Germanen beträchtlich. Er konnte dem Gegner so lange auf den Fersen bleiben, bis die günstigste Gelegenheit zum Zuschlagen gefunden und der Feind von Hunger geschwächt mit Aussicht auf Erfolg zur Schlacht gezwungen werden konnte. Zudem gewannen die Offiziere Zeit, ihre Rekruten psychologisch auf diesen Feind vorzubereiten und die in Italien begonnene Ausbildung fortzusetzen.
Dennoch wären dies alles zusammenhanglose Einzelmaßnahmen geblieben, wenn sie nicht der Heerführer zu einem sinnvollen Ganzen zusammengefügt hätte. Mit Marius trat den Soldaten ein Feldherrntyp entgegen, der viel von ihnen verlangte, sie fast endlos trainieren ließ und harte Arbeit auch in Ruhezeiten zwischen den Gefechten forderte.41 Aber er vergalt es ihnen mehrfach, und nicht nur, indem er selbst Hand anlegte. Er vermittelte ihnen vor allem das Gefühl, dass er niemals bereit wäre, ihr Leben und sorgfältige taktische Überlegungen dem Wunsch nach einem schnellen Triumph zu opfern. Stattdessen verfolgte er ohne Rücksicht auf Konventionen (mores) einen Plan, der darauf zielte, günstige Gelegenheiten mit minimalem Risiko zu nutzen. So verzichtete Marius im ersten Feldzugsjahr zunächst auf eine offene Feldschlacht und veranlasste die Teutonen und Ambronen, ihre Kräfte bei wilden, aber vergeblichen Sturmangriffen auf sein Lager zu vergeuden. Erst nachdem die Germanen in langen Kolonnen am Lager vorbeigezogen waren, folgte er ihnen überraschend und konnte sie nahe Aquae Sextiae beim Kampieren an einem Fluss von einer günstigen Hügelposition aus zur Schlacht stellen. Die Legionäre nahmen zunächst die bewährte Defensivposition ein und ließen die Germanen hügelaufwärts angreifen. Als diese dabei ihre Ordnung verloren, gingen die Legionäre ihrerseits zum Angriff über. Von der Höhe aus drängten sie die Germanen zurück und nahmen sie am Fuß des Hügels mit der aus dem Hinterhalt vorpreschenden Reiterei in die Zange.42
Auch die letzte große Schlacht gegen die Kimbern bei Vercellae im Jahre 101 wurde wohl vor allem dadurch zu Gunsten der Römer entschieden, dass Marius das Treffen sorgfältig plante sowie Ort und Zeit der Kampfhandlungen bestimmte. Die Quellen betonen, dass er zunächst erneut in seinem Lager abwartete, bis er den Gegner auf einem für ihn günstigen Gelände zum Kampf stellen konnte.43 In der Zwischenzeit hatte er die Wurfspieße (pila) der Legionäre modifiziert; er ließ die Eisennägel, die Schaft und Spitze zusammenhielten, durch hölzerne Stifte ersetzen. Sie sollten beim Aufprall auf den feindlichen Schild zerbrechen und damit ein tieferes Eindringen der Spitze ermöglichen. Die beim Aufprall abgeknickten Speere konnten nicht mehr herausgezogen werden, sie waren damit für den Gegner unbrauchbar und behinderten gleichzeitig den Einsatz des Schildes.44 Außerdem hatte Marius die Legionäre offenbar so intensiv trainiert, dass sie den Germanen auch körperlich in der Mittagshitze der Schlacht überlegen waren.45
Schließlich zeigte sich bei Vercellae auch der taktische Vorteil der Kohorten gegenüber der alten Manipulartaktik. Bevor die zu Fuß kämpfenden Germanen frontal das von Catulus gehaltene Zentrum angriffen, schwenkte ihre angeblich 15 000 Mann starke Reiterei nach rechts, um die römische Infanterie in die dadurch entstandene Lücke zwischen Reiterei und Fußtruppen zu locken und gleichzeitig die von Marius geplante Überflügelung auf beiden Flanken zu vereiteln.46 Marius führte daraufhin sämtliche Kohorten des linken Flügels an den germanischen Fußtruppen vorbei gegen die Reiterei und leitete danach die Umzingelung des gesamten germanischen Heerhaufens ein. Ein solches Manöver hatten bisher Legionäre in so großer Zahl (angeblich rund 15 000, auf beiden Flügeln 32 000 Mann) nicht unternommen. Es war nur möglich mit der kompakten Einheit der Kohorte, die zum einen auf die Befehle des Marius schnell reagierte, andererseits durch ihre Massierung die gegnerische Reiterei zurückdrängen konnte.47
Ein neuer Feldherrntyp und
sein Verhältnis zur Truppe
Marius hat nicht nur mit dem Einsatz der Kohorten, sondern auch durch die sorgfältige Vorbereitung und logistische Absicherung seiner Operationen neue Maßstäbe gesetzt. Sicherlich war man schon in früheren Zeiten flexibel von der zeitlichen Beschränkung der Kommandos abgewichen. Aber mit Marius beginnt die Reihe professioneller Feldherren, die den Krieg gegen unterschiedliche Gegner auf weit entfernten Kriegsschauplätzen führen konnten. Ähnlich wie im griechischen Raum des 4. Jahrhunderts musste ein erfolgreicher Feldherr nun in der Lage sein, differenzierte Waffengattungen (neben den Schwerbewaffneten die Reiterei, Belagerungsmaschinen, bundesgenössische Spezialtruppen wie Schleuderer und Bogenschützen) und größere Truppeneinheiten dem jeweiligen Einsatzort entsprechend zu versorgen und im Kampf zu koordinieren. Dies erforderte ein neues strategisches und logistisches Denken, das die Möglichkeiten des Imperiums vollständig ausschöpfte. Marius hatte gegen die Kimbern bezeichnenderweise bithynische Hilfstruppen vom anderen Ende des Mittelmeeres angefordert. Hier zeichnete sich eine »globale« Dimension spezialisierter Kriegsführung ab, die freilich nicht jeder mitzumachen bereit war. Pompeius führte sie 30 Jahre später zur Perfektion. Auch das Kalkül, die feindliche Hauptarmee zu spalten, in Versorgungsnöte zu bringen und erst dann Schlachten bei günstigster Gelegenheit zu wagen, ist ein Prinzip, das später Pompeius und Caesar verinnerlichten (siehe >).48
Andere verharrten in den gewohnten Bahnen und führten routinemäßig Krieg in oder aus der Provinz, ohne größere Risiken und Anstrengungen. Dieser Trend zum militärischen Minimalismus (parallel zur Spezialisierung des Kriegshandwerkes) mag auch darin bestärkt worden sein, dass sich seit der Mitte des 2. Jahrhunderts zunehmend andere Felder öffentlicher Betätigung wie die eines erfolgreichen Redners oder Anwalts und Fachjuristen boten, auf denen man politisch reüssieren konnte.49 Hinzu kam, dass der neue Krieg und seine Herausforderungen nicht nur einen neuen Feldherrntypus schufen, sondern auch ein verändertes Verhältnis zu den Soldaten verlangten. Nur Befehle zu erteilen und den Rest der Zeit mit den Standesgenossen im Feldherrnzelt zu verbringen, reichte nicht mehr aus: Nun bedurfte es steter Anwesenheit hinter und zwischen den Kampflinien, großer Anstrengungen, viel Einfühlungsvermögen und noch mehr Beuteversprechungen, um die über Jahre von der Heimat getrennten Soldaten bei der Stange zu halten.
Materielle Gewinne und Siege waren nicht mehr Ziel eines Feldzugs, sondern permanent notwendiger Kitt, der Feldherren, Offiziere und Mannschaften zusammenhielt.50 Der Ehrgeiz und die Bereitschaft, sich voll und ganz den neuen Gesetzen des Krieges zu verschreiben, die Mühen langer Feldzüge mit den Soldaten zu teilen und wie Sulla »bei dem Lagerschlagen, auf dem Marsch, sowie bei Wachen überall Hand anzulegen«51, mochte manchen jungen Adligen als nicht mehr standesgemäß erscheinen. Wer wollte schon mit den Besitzlosen im Schlamm stehen oder mit ihnen das Kommissbrot teilen? Stattdessen verwiesen sie auf die disciplina früherer Generationen und wollten nicht verstehen, dass man den Soldaten, die nichts hatten als Krieg und Kameraden, nach den Entbehrungen des Marsches und der Kämpfe Ausschweifungen gönnen musste und dass gerade dies ihre Kampfkraft steigerte:52 Wenn moralisierende Autoren wie Sallust den Feldherrn Sulla dafür tadeln, dass er seine Soldaten in Kleinasien außerhalb des Kampfes an der langen Leine hielt und ihnen Raub, Gewaltausbrüche und Trinkexzesse nachsah, dann verkennen sie, dass erfahrungsgemäß der schlechte Ruf und die mangelnde disciplina professioneller Soldaten im Lager mit ihrer außergewöhnlichen Kampfkraft an der Front korrespondieren.53 Im Kampfeinsatz konnte sich Sulla gegen die zahlenmäßig mehrfach überlegene Armee des Mithridates (siehe >) auf seine Truppe blind verlassen.
Es öffnete sich eine neue Welt, die viele überforderte: Große Heerführer wie Lucullus scheiterten daran, dass sie nicht bereit waren, die soziale Distanz zu den Soldaten gerade in schwierigen Situationen zu überbrücken (siehe >); andere verweigerten sich den neuen Herausforderungen gänzlich: 50 Jahre nach Marius gab es nicht wenige nobiles, die zwar im Senat das große Wort führten, aber von der neuen Art der Kriegsführung nichts verstanden und das auch nicht als Mangel ansahen oder gar Abhilfe schaffen wollten. Ähnlich wie nach dem Peloponnesischen Krieg in Griechenland wurde der große Krieg in Rom seit Marius zu einer Sache professioneller Feldherren, die in das Herz der Soldaten zu blicken verstanden und Krieg als Lebensform akzeptierten.54
Aufstieg der Veteranen
Der entscheidende Unterschied zu den griechischen Verhältnissen bestand darin, dass die römischen Feldherren ihre Kriege weiterhin mit römischen Bürgern, nicht mit Söldnern führten und nur sehr selten (und erst in der Endphase der Bürgerkriege) in den Sold fremder Potentaten traten55, sondern weiterhin zumindest offiziell im Namen der res publica kommandierten. Deshalb hatten die Veränderungen, die seit Marius die römische Militärstruktur erfasste, von Beginn an eine gefährliche innenpolitische Dimension: Die Aufnahme von Besitzlosen und die langen Feldzüge festigten nicht nur die Bindungen zwischen Soldaten und Feldherrn; sie stärkten auch das Selbstbewusstsein der Legionäre, weil sie erfolgreich waren. Die Rolle der Legionäre in den Germanenkriegen ist in dieser Hinsicht mit der Leistung der Theten bei Salamis zu vergleichen. In beiden Fällen hatten die Besitzlosen ihre Heimat vor einer tödlichen Gefahr gerettet. Wer solche Erfolge feiert, erwartet Belohnungen, so in Athen stärkere Beteiligung am politischen Geschäft. In der völlig anders gearteten politischen Kultur Roms richteten sich die Hoffnungen auf materielle Absicherung in Form von Geld und Land. In beiden Fällen führte der militärische Erfolg dazu, dass die zu Ansehen gekommenen Besitzlosen das Gesicht der Armee prägten. Weder war die Flotte nach Salamis ohne Theten noch die Legion nach Aquae Sextiae und Vercellae ohne die capite censi denkbar. Beide Gruppen stiegen zu professionellen Soldaten auf, in Athen ruderten die Schiffe das ganze Jahr, in Rom dominierten längere Dienstzeiten gegenüber der jährlichen Aushebung (die offiziell nie abgeschafft wurde). Da aber die aristokratische Elite der Republik weder ein ständiges Heereskommando noch ein stehendes Heer wegen der gefährlichen innenpolitischen Konsequenzen und der Bedrohung des adligen Gleichheitsanspruchs akzeptieren konnte, wurden auch die besitzlosen Soldaten formell nach jedem Feldzug entlassen und für den neuen wieder ausgehoben.56
Dennoch ermöglichte dieses System faktisch Dauerkarrieren, häufig ein regelrechtes »war-hopping«. Denn die Feldherren griffen gern auf bewährte Kräfte zurück und die Soldaten gewöhnten sich an das Leben in der Armee und ihren Verlockungen (in Form von Beute). Daneben konnten sie mit der Vergabe von Land als zusätzliche Belohnung rechnen.57 Doch auch wenn sie mit Land versorgt waren (was der Senat wegen der innenpolitischen Risiken häufig zu verhindern suchte), hielt es viele Veteranen nicht lange auf ihrer Scholle.58 In dieser Hinsicht unterschieden sie sich wenig von dem »Kreter« Odysseus, der immer wieder der Familie und dem Hof den Rücken kehrte, um mit seinen Kameraden auf Beutezug zu gehen (siehe >): Unfähig und unwillig, das geordnete Leben eines Landmannes innerhalb der »zivilen Gesellschaft« zu führen, strebten sie zurück zu den Fahnen ihrer Legionen und in das Leben des Kriegers, das ihnen vertraut war und in dem sie sich auskannten. Viele wuchsen so in dem Maße, wie sie ihre Bindungen an den Feldherrn und die Armee festigten, aus der zivilen Gesellschaft heraus und waren auch nicht mehr in sie zu integrieren. Deshalb haben spätere Feldherren (wie Sulla und Pompeius) ihre Veteranen geschlossen und außerhalb bestehender Ortschaften angesiedelt.59 So entstand eine Schicht abrufbereiter Berufssoldaten (meist italischer Herkunft), für die der Krieg alles, das Leben in den geregelten Bahnen der Republik wenig bedeutete. Im Bürgerkrieg waren denn auch Legionen aus solchen »wieder unter die Fahnen Gerufenen« (evocati) den neu ausgehobenen Verbänden turmhoch überlegen, wie sich vor allem in den Jahren nach Caesars Ermordung (44 v. Chr.) zeigte.60
Für den Feldherrn bedeutete diese Entwicklung Chance und Last zugleich: Auf der einen Seite gewann er eine Anhängerschaft, die ihm nicht nur im Feld, sondern auch in oder nahe Rom allein durch ihre bedrohliche Existenz indirekt unterstützte. Auf der anderen Seite erwarteten die Soldaten, dass ihr Feldherr für ihre materielle Sicherheit sorgte – mit welchen Mitteln auch immer.61 Je mehr der Patron von den Soldaten profitierte – Marius wäre ohne sie wohl kaum mehrmals hintereinander zum Konsul gewählt worden –, desto größer war der Erwartungsdruck, der auf den Feldherren lastete. Ihm gerecht zu werden war zumal für einen Aufsteiger wie Marius nicht leicht. Er hatte die Schwächen der adligen Heerführer offengelegt und musste umso mehr mit Widerstand der nobiles rechnen, als er ihnen durch die unerhörte Wiederwahl zum Konsulat auch noch im Bereich der Innenpolitik das Wasser abzugraben drohte.
Den nobiles standen nur zwei Möglichkeiten zur Verfügung, um verlorengegangenes Terrain wiederzugewinnen. Sie mussten Marius unter den Veteranen und der Bevölkerung diskreditieren und einen neuen Kriegsschauplatz finden, der ihnen selbst die Chance eröffnete, Ruhm zu erringen und die Armee auf sich einzuschwören. Die erste Voraussetzung schufen Marius und seine politischen Freunde, die Volkstribune Saturninus und Glaucia, selbst, als sie ein Gesetz einzubringen suchten, das den unter Marius dienenden Bundesgenossen durch die Gründung von überseeischen Kolonien (in Sizilien, Korsika, Achaia, Makedonien und Afrika) Land verschaffte (100 v. Chr.). Marius sollte das Recht erhalten, einer bestimmten Zahl von Einwohnern das Bürgerrecht zu verleihen. Damit hätte er sich eine zusätzliche Klientel geschaffen, deren Siedlungsgebiete wie ein Kranz um Italien lagen. Zu allem Überfluss sollten alle Senatoren mit einem Eid auf die Anerkennung und Umsetzung der Gesetze verpflichtet werden. Als die Veteranen des Marius mit Gewalt die Unterstützung der Anträge einforderten und gegen die stadtrömische Plebs – die treueste Klientel der Nobilität – vorgingen,62 rief der Senat den Staatsnotstand aus. Marius wechselte daraufhin verschreckt die Fronten und ging mit senatorischer Zustimmung gegen seine politischen Freunde vor. Wie schwer das Gewicht des Feldherrn noch immer wog, zeigt die Tatsache, dass Saturninus und Glaucia mit diesem Wechsel auf die Seite des Senats jegliche Unterstützung verloren und von der aufgebrachten Menge getötet wurden.
Gewalt im Innern:
Bundesgenossenkrieg und
Sullas Marsch auf Rom
Die erste Voraussetzung zur innenpolitischen Revanche hatten die nobiles erfüllt. Die Suche nach prestigeträchtigen Feldzügen gestaltete sich dagegen schwieriger. Es gab nämlich außer dem König von Pontos keinen vergleichbaren auswärtigen Gegner, gegen den man Ruhm nach Art der Kimbernfeldzüge gewinnen konnte. Stattdessen drohte ein Krieg gegen die eigenen Bundesgenossen in Italien. Sie hatten mehr als 200 Jahre an der Seite Roms die Kriege gegen Karthago durchgestanden, doch ließen die Römer keinen Zweifel daran, dass sie allein die Herren Italiens waren und die Bundesgenossen eine untergeordnete Stellung einnahmen. So konnte der römische Feldherr die Soldaten der italischen Gemeinden aus Disziplingründen auspeitschen lassen. Die Legionäre waren dagegen vor dieser entehrenden Strafe geschützt. Außerdem erhielten die italischen Hilfstruppen bei der Verteilung der Kriegsbeute geringere Anteile als die römischen Soldaten, obwohl sie genauso große Opfer auf dem Schlachtfeld brachten. Auch politisch fühlten sie sich benachteiligt. Anders als die Römer hatten sie nicht das Recht, sich gegen Zwangsmaßnahmen eines Beamten an die Volksversammlung zu wenden (Provokationsrecht). Und sie besaßen weder das aktive noch das passive Wahlrecht. Trotzdem mussten sie immer wieder mit harten Eingriffen römischer Beamter in ihre lokalen Angelegenheiten rechnen.
Lange Zeit nahmen die Bundesgenossen diese Benachteiligung hin. Ihr Verhältnis zu Rom wurde erst in dem Augenblick ernsthaft erschüttert, als der innerrömische Streit um die Agrarfrage ihre Stellung noch einmal massiv verschlechterte: So zwang die von Tiberius Gracchus eingesetzte Ackerkommission viele Bauern der Bundesgenossen, ihr rechtmäßig beackertes Land herauszugeben. Die neu gebildeten Kleingüter wurden jedoch nur an Römer verteilt. Nach der Ablehnung des saturninischen Gesetzesantrags hatten sie gar keine Chance mehr auf ländliche Versorgung. Ihre Forderungen bezogen sich deshalb auch nicht auf die Teilhabe an den politischen Institutionen der Republik, sondern auf das Recht, über ihr eigenes Schicksal unter Wahrung ihrer Identität zu entscheiden. Dafür wünschte man sich einen Bundesstaat, in dem alle Gemeinden durch gewählte Vertreter die Politik gestalteten.63
Ein solches Ansinnen war für die Nobilität unannehmbar und mit der stadtstaatlichen Ordnung Roms auch gar nicht vereinbar. So ging man in einen Krieg, der beiden Seiten die letzten Reserven abverlangte. Für Rom war er wahrscheinlich gefährlicher als alle Kriege im Osten. Denn nun traf man auf Gegner, die zu den kriegstüchtigsten ganz Italiens gehörten, eine ähnliche taktische Ausbildung durchlaufen hatten wie die römischen Rekruten und die Stärken und Schwächen der Legionäre genau kannten.64 Nach drei Jahren setzten sich die Römer schließlich durch. Die Aufständischen erhielten das Bürgerrecht und ihre Söhne wurden in die Legionen eingereiht. Spezialtruppen (Schleuderer, Bogenschützen, Reiter) stellten seitdem Numider und Iberer.65 Allerdings waren in Folge des Krieges noch mehr Italiker mittellos geworden, und so stieg noch einmal der Anteil der Landlosen (capite censi) unter den Legionären.66 Der Bundesgenossenkrieg verschärfte also das Problem der Veteranenversorgung und ebnete ehrgeizigen Feldherren den Weg, die Probleme zu ihren Gunsten zu nutzen.
Wieder nahm ein Mann die Gelegenheit wahr, der nicht zur Elite der Nobilität gehörte: Sulla hatte sich nach den Kriegen in Nordafrika und gegen die Germanen unter Marius im Bundesgenossenkrieg als Feldherr ausgezeichnet. Im zivilen Leben spielte er den galanten Lebemann, im Lager verstand er es wie Marius, sich Respekt zu verschaffen und ein Vertrauensverhältnis zu seinen Soldaten aufzubauen, das sich von dem großspurigen Gehabe der nobiles unterschied.67 Das war genau der Offizierstyp, den die Truppen brauchten und akzeptierten. Für das Jahr 88 wurde er zum Konsul gewählt, und ein Feldzug gegen Mithridates von Pontos sollte seine Laufbahn krönen. Der König hatte den Bundesgenossenkrieg genutzt, um die Bevölkerung der Provinzen zum Aufstand anzustacheln. Militärisch war die Gefahr aber bei Weitem nicht so dramatisch wie die Bedrohung durch die Kimbern und Teutonen; die Legionäre erwarteten schnelle Siege und reiche Beute, die alle Drangsale des Bundesgenossenkriegs vergessen machen sollten.
Der Weg zu Ruhm und Reichtum schien bereitet wie ein roter Teppich, als Sulla in Nola seine Truppen zur Überfahrt nach Griechenland sammelte. Doch dann holten ihn die Probleme der Italikerintegration und der Neid seines früheren Vorgesetzten Marius ein. Als Konsul war es Sulla nur mit fragwürdigen Tricks gelungen, eine Gesetzesinitiative des Volkstribuns Sulpicius Rufus zu unterdrücken, der die italischen Neubürger einschließlich der Freigelassenen gleichmäßig auf die Stimmeinheiten der Tributcomitien verteilen wollte. Damit hätten die nobiles an Einfluss zugunsten der ritterlichen Neubürger verloren. Indem Sulla gegen die Initiative vorging, stärkte er die Bande zur Nobilität, trieb jedoch den Volkstribun in die Arme des Marius, der noch einmal als Feldherr zu glänzen wünschte. Sulpicius brachte einen Gesetzesantrag durch, der Sulla das Kommando gegen Mithridates entzog und Marius übertrug.
Hätte Sulla akzeptiert, so wäre er ein auf Mittelmaß gestutzter Politiker geworden. Nicht weniger wog die Wut seiner Soldaten: Am Ende des Bundesgenossenkrieges blieben zahlreiche Truppenverbände und marianische Offiziere in Lauerstellung, die an ihrer Stelle den lukrativen Feldzug führen wollten oder die in Nola lagernde Truppe übervorteilt hätten.68 Wie sehr sie der Krieg inzwischen von den Regeln des innenpolitischen Zusammenlebens entfernt hatte, zeigte sich, als sie die aus Rom gesandten Offiziere steinigten und Sulla aufforderten, in Rom gewaltsam den Wechsel des Oberbefehls rückgängig zu machen. Sulla und seine Soldaten hatten nichts zu verlieren und seit den Erfahrungen des inneritalischen Krieges weniger Hemmungen, die Waffen gegen Landsleute zu richten.69 Zum ersten Mal überschritt eine römische Armee das pomerium und machte die Hauptstadt zum Schlachtfeld gegen Mitbürger. Unter dem Druck der Gewalt erklärte der Senat Marius und seine Anhänger zu Staatsfeinden. Verhindern konnte Sulla allerdings nicht, dass zwei unerwünschte Kandidaten zu Konsuln gewählt wurden.70 Die Flucht in den aufgeschobenen Krieg erschien ein naheliegender Ausweg.
Mithridates hatte in der Zwischenzeit nicht nur die Griechen der Provinz Asia zum Massaker an den Römern und Italikern der Küstenstädte aufgerufen, sondern auch Athen zum Abfall bewegen können.71 Folgerichtig führte Sulla seine Truppen nach der Landung auf dem Balkan gegen die Stadt und konnte sie nach monatelanger Belagerung einnehmen. In den folgenden Schlachten des Jahres 86 gegen die an Zahl weit überlegenen, aber aus verschiedenen Ethnien gebildeten Truppen des Mithridates erwiesen sich die Legionen erneut als überlegen. Wie Marius gegen die Germanen gelang es Sulla zunächst bei Chaironeia, den Feldherrn des Mithridates gegen dessen Willen zum Kampf zu zwingen.72 Auffällig ist – außer dem Einsatz von Wurfgeschossen (aus den hinteren Reihen der Linie) – die taktische Bedeutung der von Sulla selbst geführten »Reiterelite« (Appian).73 Sulla bewegte sich mit einzelnen Kohorten permanent zwischen den Flügeln hin und her und stabilisierte wankende Verbände.74 Wie Marius bei Vercellae konnte er bei Chaironeia durch schnelles Verschieben einer ganzen (Reiter-)Kohorte gegen den rechten Flügel des Feindes einen gegnerischen Umzingelungsversuch vereiteln und eine gefährliche Krise der Schlacht abwenden.75 Ähnliches gelang ihm im zweiten Treffen bei Orchomenos, als er zunächst durch seitliche Gräben zu verhindern suchte, dass die gegnerische Reiterei sich entfaltete; damit konnte er selbst an der Spitze zweier Kohorten (vom rechten Flügel) das eigene Heer vom Druck des feindlichen Angriffs entlasten.76
Die Rolle des Feldherrn mag in den Quellen überzeichnet sein, aber sie bestätigte den Trend, der sich seit Marius abzeichnete, allerdings gegen einen Gegner, der nicht mit den Germanen zu vergleichen war. Nicht ohne Grund verfestigte sich in der Zeit Sullas die Überzeugung, Rom habe den gesamten Erdkreis unter seine Herrschaft gebracht.77 Beweis dafür war weniger die fortschreitende Provinzialisierung des Mittelmeerraumes, sondern die Erfahrung konkurrenzloser militärischer Stärke unter Feldherrn, die wie Marius und Sulla fähig waren, situativ taktische Modifikationen durchzusetzen und an der Spitze mobiler Kohorten der Schlacht die entscheidende Wende zu geben. Gegen die Germanen bedurfte es noch langer Vorbereitungen, intensiver Übungen und taktischer Veränderungen, bis die Römer ihnen gewachsen waren, und am Ende hatte Marius eine Truppe geformt, die er seinen Vorstellungen entsprechend dem Gegner entgegenführen konnte. Danach erhöhten verlängerte Dienstzeiten die militärische Schlagkraft der Truppe. Der entscheidende Professionalisierungsschub kam im Bundesgenossenkrieg und in den Bürgerkriegen zwischen Marius und Sulla, weil nun Offiziere und Mannschaften gegeneinander kämpften, »die sich, sei es als römischer Bürger, sei es als Bundesgenossen, demselben harten militärischen Drill hatten unterziehen müssen«.78
Gegen diese, durch den Feind und die Brutalität des Krieges gestählten Legionäre hatten die »Zaunkönige« des Ostens keine Chance. Jeder äußere Krieg versprach sichere Erfolge, wenn man seine Regeln beherrschte: Damit erhöhte sich die Chance für militärische Spezialisten vom Schlage Sullas, am innenpolitischen Reglement vorbei als Feldherr Karriere zu machen. Schon Marius hatte in den 80er Jahren in Etrurien aus Hirten, Bauern und Sklaven militärische Formationen in Legionsstärke zusammengestellt.79 Seit die Rekrutierung während des Bundesgenossenkrieges an vielen Orten möglich war, verbesserten sich die Rahmenbedingungen für ehrgeizige Feldherren, Privatarmeen in Gebieten auszuheben, zu denen sie familiäre und patronale Verbindungen pflegten. Die Aushebung (dilectus) 80 wurde regionalisiert und teilweise privater Initiative überlassen, und das verstärkte einen seit Marius angelegten Trend: Schon identifizierte man die Armeen häufiger mit ihren Feldherren als mit der res publica.81
Gleichzeitig eröffnete das wachsende Imperium neue Möglichkeiten, durch große Kriege ungeahnte Reichtümer, Macht und Einfluss zu gewinnen. Das Potential und der Raum für kriegerische Entfaltung Einzelner waren so groß wie nie zuvor. Es ist zwar richtig, dass nur wenige diese Chancen konsequent nutzten, während die meisten »einfach ihre administrativen Aufgaben erfüllten und danach heimkehrten, um im Senat ihren Platz einzunehmen«.82 Doch allein dass sie genutzt wurden und dass die Wenigen, die es taten, die große Politik und das Wohl des Reiches bestimmten, war für die Entwicklung der späten Republik entscheidend: Die letzten 40 Jahre der Republik wurde die Zeit der großen Militärpotentaten, die das Kriegsmonopol des Staates Schritt für Schritt unterminierten und die römische Kriegskunst auf sich vereinigten. Sie sammelten nicht nur die besten Soldaten um sich, sondern bildeten mit den Legionslegaten und den zunehmend von Rittern gestellten Zenturionen eine professionelle Offiziersebene. Diese wussten immer größere Heeresverbände zu dirigieren und füllten damit teilweise die Lücke, die durch die kurze militärische Ausbildung der jungen nobiles angesichts attraktiver »ziviler Karrieren« entstanden war.83 Möglichkeiten der Korrektur gab es wenige: Eroberungskriege und Provinzen benötigten immer mehr Soldaten, und die Soldaten brauchten den Krieg. Die Last des Weltreiches wog schwer, doch niemand konnte und wollte sich ihrer entledigen.