2.
FRÜHE KRIEGE SPARTAS
UND MILITÄRISCHE ORDNUNGEN
DER POLIS

Messenische Kriege und Einführung der Phalanx

Die Unternehmungen der homerischen Hetairien zielten auf Beute, Sklaven und Geschenke sowie Lohn für Solddienst in einer Welt, die man nach Erreichen des Ziels und erfülltem Auftrag in der Regel wieder verließ. Entsprechend waren Bewaffnung und Kampfesweise auf Mobilität und Schnelligkeit ausgerichtet. Die Lage änderte sich überall dort, wo die wachsende Bevölkerung neues Land brauchte, also in den Kolonien, aber auch in den fruchtbaren Ebenen und Küsten des griechischen Mutterlandes. Hier ging es nicht mehr allein um leichte Beute und schnellen Ruhm, sondern um das Land, das man sich oder der Heimatgemeinde sichern wollte.1

Die Anführer standen allerdings vor dem Dilemma, die Zahl der Mitkämpfer zu erhöhen und ihre Kampfesweise dem neuen Ziel anpassen zu müssen, ohne ihre Führungsstellung und den Anspruch auf die besten Landstücke einzubüßen. Vielfach führte dies zu recht seltsamen Kompromissen: Angeblich vereinbarten die Kämpfer, die zu Beginn des 7. Jahrhunderts um die Lelantische Ebene auf Euböa stritten, auf Fernwaffen (Bogen, Schleuder, Wurfspeer) zu verzichten und den Krieg nur mit Schwert und Stoßlanze auszutragen.2 Während bis dahin Pfeil und Bogen bei Überfällen und Kleinkämpfen eingesetzt wurden, bildeten jetzt Schwert und Lanze die Waffen für den Nahkampf der Hopliten; sie schlossen ärmere Schichten aus. Deshalb wurden im Lelantischen Krieg zur Verstärkung adlige Kämpfer aus anderen Gemeinden angeworben oder sie nahmen auf eigene Initiative teil.3

Leider wissen wir nicht, ob sich diese Kampfesweise bei den lelantischen Kämpfern verstetigte und wie dieser Vorgang politisch begleitet wurde. Bessere Einsichten erlauben die Verhältnisse auf der Peloponnes. Hier hatten im 10. Jahrhundert dorische Familienverbände aus dem Norden in der fruchtbaren Ebene des Eurotas vier Dörfer gegründet und die einheimische Bevölkerung auf den Status von schollengebundenen Unfreien (Heloten) herabgedrückt. Die beiden mächtigsten Familien etablierten ihre Oberhäupter, die sich bei der Einwanderung als Anführer bewährt hatten, als Erbkönige. Sie führten neben anderen reichen Adligen die größten Hetairien und besaßen eine schwere Rüstung, die ihren herausgehobenen Status dokumentierte.4

Irgendwann im 8. Jahrhundert dehnten einige spartanische Verbände – wahrscheinlich die der Könige – ihre Streifzüge auf der Suche nach Beute und Bewährung westlich über den Taygetos in das messenische Siedlungsgebiet aus.5 Dabei geriet die fruchtbare Pamisosebene in ihr Blickfeld. Es ist zwar strittig, ob die Inbesitznahme der Ebene von Anfang an Ziel der Gesamtgemeinde war6 oder ob sie sich erst in Folge der Raubzüge spartanischer Hetairien und messenischer Racheaktionen ergab.7 In jedem Fall entwickelte sich ein Krieg (Erster Messenischer Krieg), der ähnlich lange dauerte wie der Krieg um die Lelantische Ebene. Schon dies deutet darauf hin, dass es im Laufe der Konflikte nicht mehr nur um Vergeltung und Beute, sondern auch um Ackerland ging.8 Als die Spartaner als Sieger aus dem Krieg hervorgingen, teilten sie die Pamisosebene unter sich auf. Doch anstatt das Land selbst zu bewirtschaften, verpflichteten sie die zu Heloten unterworfenen Messenier dazu, ihnen jedes Jahr die Hälfte der Ernte abzuliefern.9

Wie im Lelantischen Krieg hatten einzelne Adlige und Söldner von auswärts (Samos, Kreta) an den Kämpfen auf Seiten Spartas teilgenommen.10 Dies spricht dafür, dass sich zwar die Zahl der Kämpfer, nicht aber deren Kampfesweise grundlegend geändert hatte. Wahrscheinlich experimentierte man mit den »homerischen« Formen des Kampfes, so wie auch die Festlegung, wonach die Besiegten die Hälfte der Feldfrucht jährlich abzuliefern hatten, eine alte (»homerische«) Regel des Freikaufs von Belagerten und der Versklavung miteinander verband.11 Zu einer strukturellen Veränderung des Kriegswesens bedurfte es neben den gewandelten Kriegszielen und Kampfbedingungen eines Impulses von außen. Er ergab sich, als die Spartaner ihren Einfluss nach Norden auszuweiten suchten und im Kampf um die fruchtbare Thyreatis-Ebene (am Argolischen Golf) gegen Argos schwere Niederlagen erlitten. Wahrscheinlich lag der Schlüssel zum Erfolg der Argiver darin, dass ihre Schwerbewaffneten im direkten Gefecht eine geschlossene Formation wahrten, während die gemischten Verbände Spartas sich ähnlich wie die homerischen Kämpfer auflösten, wenn die Gegner aufeinandertrafen.12 Als die Messenier, durch die spartanischen Rückschläge ermutigt (oder gar von Argos unterstützt), den Aufstand wagten, dürften nicht wenige Spartaner ihre Könige gedrängt haben, die argivische Formation im Kampf gegen die Aufständischen zu übernehmen.13

Bild

Einfach war dies nicht, wie den Gedichten des Lyrikers Tyrtaios zu entnehmen ist. Er war selbst an den Kämpfen beteiligt und musste die Schwerbewaffneten (panoploi) immer wieder ermahnen, gegen den Feind eine dichte Formation zu halten.14 Nach wie vor konnten Hopliten aus der Reihe ausbrechen und – wie die homerischen Helden – zu Einzelkämpfen übergehen. Allerdings warfen sie nicht mehr den Speer, sondern benutzten wie die lelantischen Krieger Schwert und Speer als Stoß- oder Stichwaffe.15 Leichtbewaffnete (gymnētes) – wohl jüngere Jahrgänge ohne Landbesitz – kämpften zwischen den Hopliten als Speer- und Steinwerfer, aber nicht mit Pfeil und Bogen.16 Wie man aus der zeitgenössischen Chigi-Vase schließen muss, fehlte der Phalanx außerdem die Tiefe der späteren Zeit.17

Trotz der Anpassungsschwierigkeiten wird die neue Formation den Ausschlag zum Sieg der Spartaner gegeben und sie von einem Alptraum, dem Angriff von Außen (Argos) und Innen (Heloten), befreit haben. Nach dem Krieg nahmen die Spartaner das gesamte messenische Siedlungsgebiet in Besitz und verfügten danach über das größte Territorium, das je eine griechische Polis besaß. Das Neuland versorgte die Hopliten mit weiteren Ackerflächen und erlaubte anderen Spartanern, sich eine Hoplitenrüstung anzuschaffen. Dies war eine wichtige Voraussetzung, dass sich die Phalanxtaktik etablieren und die schwere Bewaffnung auch auf zweite und dritte Reihen ausgedehnt werden konnte.

Rückwirkungen des Krieges auf die Verfassung

Der militärische Erfolg hatte freilich seinen Preis. Die Phalanx engte die Handlungsspielräume der adligen Hetairien, insbesondere der Könige, erheblich ein. Denn sie konnen sich fortan nicht mehr in dem Maße wie früher individuellen Ruhm durch unkontrollierte Beutezüge erwerben. Verschärft wurde das Konfliktpotential durch Streit um die eroberten Ackerflächen. Um diese Spannungen abzubauen und die politischen Kräfte im Sinne einer harmonischen Kooperation neu zu regeln, rang man sich nach Ende des Kriegen zu einer Neubestimmung der in ihrer Grundstruktur aus homerischer Zeit bekannten politischen Institutionen durch.18 Grundlage dieser Neuordnung war die »Große Rhetra«, eine Urkunde, die als Orakel an den legendären Staatsgründer Lykurg gestaltet war.19 Sie unterwarf den Rat der Alten (Gerusia), die Archageten (Könige/basileis) und den Damos, die Versammlung der Wehrfähigen, festeren Regeln. Während der Rat und die Volksversammlung eine Aufwertung ihrer Befugnisse erfuhren, wurde den Königen nirgendwo eine eigenständige Rolle zugestanden: Sie handelten immer zusammen mit dem Ältestenrat, wurden aber ausdrücklich nur an zweiter Stelle (nach dem Rat) genannt und hatten auch nicht mehr das Recht, die Mitgliederzahl des Rates selbst zu bestimmen.20 Diese wurde nun von der Rhetra auf 28 Mitglieder und die beiden Könige festgelegt.

Tyrtaios nennt in einem berühmten Gedichtfragment (3a), das einen Teil der Rhetra interpretiert, die Könige zwar an erster Stelle und hebt sie als »götterbegnadet« heraus; aber der darauf folgende Appell, beim Beraten die Ersten zu sein und das Wohl der Stadt im Auge zu haben, schränkt diese Position gleich wieder ein, indem er sie an die Gemeinschaft bindet.21 Der appellative Charakter würde weiter verstärkt, wenn man die folgende Aufforderung, »nichts Schiefes zu raten«, ebenfalls auf die Könige (und Geronten) bezöge. Tut man dies nicht, wären es die »Männer des Volkes«, die »Geziemendes reden und alles Gerechte tun sowie nichts Schiefes der Stadt raten sollen«. Stefan Link hat vorgeschlagen, in den Männern des Volkes nicht das Volk insgesamt − sie können sich ja schlecht selbst Schiefes raten −, sondern die sogenannten Ephoren oder ihre Vorläufer zu sehen, die unter anderem die Könige als Anführer der mächtigsten Hetairien darauf verpflichten sollten, die gemeinschaftlichen Regeln einzuhalten. Im Gegenzug wurde den Königen ihre Führungsstellung als »götterbegnadet« zuerkannt.22

Welche Auffassung man nun auch teilt, ob also den Königen und Geronten durch die Ephoren ein Gegengewicht erwachsen ist oder sie selbst aufgefordert werden, »Geziemendes zu reden und alles Gerechte zu tun sowie nichts Schiefes der Stadt zu raten« – auch aus dem Fragment des Tyrtaios gewinnt man den Eindruck, dass die Handlungen der Könige stärker als zuvor in das Gefüge der Institutionen (insbesondere in die Gerusia) eingebunden und auf das Gemeinwohl verpflichtet werden sollen. Ihre Aktionsmöglichkeiten werden erheblich eingeschränkt.23 Dieses Bemühen kann nur auf schlechte Erfahrungen zurückgehen, die einschneidend genug waren, um solche Veränderungen zu bewirken. Es muss in der unmittelbaren Vergangenheit oft vorgekommen sein, dass die Könige eben nicht regelmäßig mit den Geronten dem Volk gut geraten hatten, sondern eigenmächtig entschieden, so wenn es um die Verteilung des eroberten Landes ging.24 Genauso gut können solche Alleingänge aber auch während des Krieges erfolgt sein.

Ein weiteres Tyrtaiosfragment (9 Diehl) macht klar, worum es sich handelte: Zunächst übt Tyrtaios harsche Kritik an klassischen Kategorien aristokratischer areté wie Reichtum, Schönheit, sportive Tüchtigkeit, Überredungskunst und Streben nach Ruhm, die im Krieg künftig keine Rolle mehr spielen sollen.25 Dann folgt die Begründung: »Kein tüchtiger Mann ist im Krieg,/wer nicht aushält beim Anblick des blutigen Gemetzels,/und zu wüten begehrt, indem er sich in der Nähe aufstellt –/wahrhafte Leistung und höchster Lohn im Kreise der Menschen,/herrlichste Ehre und Schmuck jeglichem jüngeren Mann!/Gemeinschaftsdienst bedeutet’s für die Stadt und für das Volk im Ganzen,/wenn mit gespreiztem Schritt der Mann unter den ersten steht,/der (...), standhaft im Vorkampfe hält,/jeden Gedanken auch nur verwirft an schmähliches Fliehn,/ tapfer und ausdauernd sein Leben im Schlachtenlärm wagt/und noch dem Nebenmann beisteht und Mut dem Schwankenden zuspricht;/dieser Streiter beweist treffliche Leistung im Krieg.«

Jetzt zählen allein der Kampf in der ersten Reihe der Phalanx und die mit ihm verbundenen Werte, nämlich standhaftes Ausharren, Mut im Angesicht des Todes sowie solidarisches Aufmuntern des Nebenmannes. Dagegen wendet sich Tyrtaios eindeutig gegen das blinde Drauflosstürmen, den Kampf in kleineren Gruppen, der das »Ausweichen«, also die situative Flucht erleichterte, wie sie Archilochos besungen hatte (Frag. 6, siehe >), und schließlich auch die Beutezüge, wie sie die Hetairien der Könige und Adlige bis zu den Niederlagen gegen Argos geführt hatten. In einem anderen Gedicht erklärt Tyrtaios, warum die neue Kampfesweise vorzuziehen sei: »Die Wackeren, die sich gedrängt in geschlossenen Reihen/wehren und im Gefecht tapfer den Nahkampf bestehn,/fallen in minderer Zahl und retten das hintere Fußvolk,/aber den Fliehenden sind Tugend und Ehre dahin.«26 Dass der Kampf in der Phalanx die Verluste minimierte, wusste schon Homer, wenn er Aias seine Mannen zu engen Reihen sich formieren lässt: »(...) viel weniger kamen um, denn sie gedachten immer,/einander den Mord, den jähen, in der Menge abzuwehren.«27 Der »Kreter« Odysseus hatte die Katastrophe seiner Hetairie in Ägypten (siehe >) damit begründet, dass nicht einer von ihnen »den Mut zum Nahkampf« hatte, sondern die Flucht ergriff.28 Wahrscheinlich mussten auch die Könige und ihre Hetairien in den Kämpfen gegen die Argiver mehrfach fliehen und dabei den schweren Schild (aspis) wegwerfen, was dem Gegner den ungeschützten Rücken bot und zu schrecklichen Verlusten führte.29 Deshalb immer wieder die Aufforderung des Tyrtaios, sich nicht zur Flucht zu wenden – was den homerischen Helden noch möglich war!

Offensichtlich veranlassten die hohen Verluste der alten Kampfmethode gegen die argivische Phalanx die Verfasser der Rhetra dazu, die Handlungsspielräume der Könige auch in militärischer Hinsicht einzuschränken.30 Diese mussten jetzt ihre Unternehmungen intensiver als zuvor in der Gerusie beraten und vom Volk oder von den Ephoren bestätigen lassen.31 Dass demgegenüber das Ausharren in der Phalanx die wilden Angriffe der Hetairien abprallen ließ und viel weniger Menschenleben kostete – diese Vorteile mussten in Sparta, das sich einer wachsenden Übermacht an inneren (Heloten) und äußeren Feinden gegenübersah, nachhaltigen Eindruck hinterlassen und zur Übernahme der Phalanx geführt haben. Von wem, wenn nicht von den in die Phalanx eingegliederten Hopliten, ging demnach das Kontrollbedürfnis gegenüber den Königen aus? Sie hatten ja selbst unter der selbstherrlichen Führung der Könige zahlreiche Opfer bringen müssen. Die Hopliten gewannen in der Volksversammlung an Gewicht.32 Deshalb liegt es nahe, dass sie gemeinsam mit anderen Unzufriedenen nach dem Sieg über die Messenier und der Adaption der Phalanx auf die Veränderung des institutionellen Gefüges hinwirkten. Die Integration der Hetairien in die Phalanx entsprach dem Selbstbewusstsein der Hopliten und ihrem Kontrollbedürfnis gegenüber den Königen. Beides führte zu einer Institutionalisierung des politischen Lebens und der militärischen Ordnung insgesamt.

Neue Heeresordnung und Syssitien

Dass der Krieg wesentlicher Antriebsfaktor für die in der Rhetra beschriebenen Veränderungen war, deutet auch der Passus über die Einrichtung von Phylen und Oben an. Phylen und Oben waren Personenverbände, in die alle Spartaner eingebunden waren. Sie ähneln den Phylen und Demen in Athen, die seit Kleisthenes (508/07 v. Chr.) die Grundlage für die Rekrutierung des Bürgerheeres bildeten und den Einfluss adliger Bindungen schwächen sollten. Vermutlich verfolgte die Weisung der Rhetra eine ähnliche Absicht.33 Denn über ihre persönlichen Verbindungen hatten die Adligen Raubzüge und Überfälle organisiert, die zum Messenischen Krieg führten und Niederlagen gegen die Argiver einbrachten. Um dies in Zukunft zu unterbinden, bildeten die Phylen nicht mehr nur eine politische Untergliederung der Gemeinde, sondern auch Grundlage für die Rekrutierung und Organisierung der neuen Phalanxarmee. Nach Tyrtaios kämpften die Spartaner schon im Zweiten Messenischen Krieg geordnet nach den Phylen (der Dymanen, Hylleer, Pamphyler).34 Offenbar handelt es sich um etwa gleich große Unterabteilungen der Armee, die mit den späteren Lochoi identisch sind.35 Die Phylen schufen einen engen Zusammenhang zwischen politischer und militärischer Gliederung zu Lasten der unkontrollierbaren Hetairien.

Parallel mit der Neugliederung der Armee integrierte man die adligen Trinkgemeinschaften (Symposien), die einen wichtigen Integrationsfaktor der Hetairien bildeten, in regelmäßige Feiern aller Wehrgenossen.36 Nach dem Zweiten Messenischen Krieg kamen Gemeinschaftsmähler (Syssitien) kleiner Gruppen von etwa 15 Spartiaten auf, die ein bestimmtes Monatsquantum an Naturalien beisteuerten. Da sie sich nicht mehr in den Privathäusern einzelner Adliger versammelten, sondern regelmäßig in aller Öffentlichkeit – entlang der Straße von Sparta nach Amyklai – zusammenkamen, wurden die Symposien der Hetairien durch eine Institution verdrängt, die der allgemeinen Kontrolle unterlag. Außerdem waren die Syssitien eine Basis der Heeresorganisation, die alle Hopliten unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu adligen Zirkeln – in den Wehrverband integrierte.37

Fasst man alle Einzelheiten zusammen, so ergibt sich ein enger Zusammenhang zwischen der Einführung der – in ihrer Entwicklung noch nicht abgeschlossenen – Phalanx und ihrer politischen Einbindung in die Polis der Spartaner. Damit wurden keineswegs alle Probleme gelöst. In der Folgezeit verstärkten sich wohl die Besitzunterschiede vor allem zwischen den Hopliten und den Leichtbewaffneten.38 In jedem Fall aber wurde die Rekrutierungsbasis verbreitert, die Effektivität der Mobilisierung erhöht und die Schlagkraft der Armee gestärkt. Nur mit ihr konnte Sparta im 6. Jahrhundert eine expansive Außenpolitik entfalten, die zwar nicht frei von Rückschlägen war, aber zu Siegen über die alten Konkurrenten Argos (im Jahre 546) und die Arkader führte. Mit der Zeit wurden die meisten Poleis der Peloponnes durch Verträge oder individuellen Eid zur Militärhilfe verpflichtet – auch für den Fall eines Aufstandes der Heloten. Davon abgesehen beließ die als »Peloponnesischer Bund« bezeichnete Allianz insbesondere den mächtigen Verbündeten wie Theben und Korinth beträchtliche Handlungsspielräume und Einflussmöglichkeiten.39 Es waren demnach nicht in erster Linie Verträge und außenpolitisches Geschick, sondern der Erfolg und der Ruf einer außergewöhnlich disziplinierten Armee, die Sparta zur stärksten Militärmacht Griechenlands aufsteigen ließen.40

Der vielgestaltige Krieg der griechischen Poleis

Wir wissen nichts darüber, inwieweit die Einführung der spartanischen Phalanx Vorbild für andere Poleis war. Am besten unterrichtet sind wir über Athen. Dort setzte Kleisthenes rund 100 Jahre später eine vergleichbare Reform der Phylen durch, um den Einfluss adliger Hetairien zurückzudrängen und mehr Kämpfer für die Bürgerarmee zu gewinnen. Erst jetzt verfügte Athen über ein echtes, von der Polis kontrolliertes Bürgerheer.41 Das neu formierte Hoplitenaufgebot schlug im Jahr 506 die Angriffe der Böoter und Chalkidier zurück, und man darf vermuten, dass die Phalanx sich auf ähnliche Weise verstetigte wie die spartanische nach dem Sieg im Zweiten Messenischen Krieg. 42

Dennoch wäre es verfehlt, von Athen und Sparta auf alle anderen Poleis zu schließen und zu meinen, die Phalanxtaktik sei im 7. oder 6. Jahrhundert in sämtlichen Gemeinden Griechenlands eingeführt worden. Bis weit in die klassische Zeit hinein dominierte in wenig urbanisierten Landschaften wie Arkadien, Thessalien oder Thrakien sowie teilweise auch in Böotien nach wie vor der Gefolgschaftskrieg des Adels mit Reitern und Leichtbewaffneten, während in nur 100 Kilometern Entfernung alle wehrfähigen Männer für ihre Heimatstadt kämpften.43 Dementsprechend waren auch die Waffengattungen und die Bewaffnung griechischer Krieger heterogen. In den nördlichen Regionen sowie in Kleinasien gab es gut trainierte Reiterverbände und Leichtbewaffnete, auf den Inseln wie Kreta Schleuderer und Bogenschützen und in stärker urbanisierten Gegenden setzte sich zunehmend die Hoplitenphalanx durch.44

Genauso irrig ist aber auch die oft vertretene Meinung, die Schwerbewaffneten hätten in den von Poleis geprägten Gebieten überall das Bild des Krieges geprägt und die Poleis hätten mit der Hoplitenphalanx bewusst eine duellartige Regelkonformität militärischen Kräftemessens eingeführt. Sicherlich kam es vor, dass benachbarte Poleis sich im Kampf um ihre Äcker und die Vorherrschaft in einem Gebiet eine Phalanxschlacht lieferten, die mit festen Formen eingeleitet und beendet wurde. Die Verlustzahlen waren in solchen Fällen meist so gering, dass sie das Überleben der Gemeinden selten gefährdeten.45 Aber die Folgerung, die Poleis hätten exklusiv mit der Phalanx eine Form der Kriegsentscheidung entwickelt, die ihrem Drang nach einem agonalen Kräftemessen unter möglichst geringen Opfern nachgeben sollte, geht an der Realität vorbei (siehe >).46 Natürlich mussten die Poleis viel vorsichtiger und achtsamer mit ihrem Wehrpotential umgehen als die östlichen Monarchien und später Rom – weil es so begrenzt war. Dennoch war die Phalanx nicht das Produkt von Ressourcenkalkulationen, sondern militärischer Notwendigkeiten in einem situativen Zusammenhang, und sie kam auch nur in bestimmten Konstellationen zum Einsatz. Allzu leicht lässt man sich vom Pathos antiker Historiker blenden, wenn sie die Schlacht zum Höhepunkt des Krieges stilisieren. Damit kamen sie dem Geschmack ihres Publikums entgegen und hier konnten sie ihre schriftstellerische und rhetorische Kunst am besten beweisen. In der Realität prägten aber nicht »ruhmreiche« Schlachten, sondern vielmehr Raub, Überfälle und Zerstörung von Ressourcen das Gesicht des Krieges bis weit in die klassische Zeit hinein.

Auch der Hoplit war ein mobiler Allrounder, dessen Helm, Rüstung und Schild beträchtlich variierten und nie schwerer als 30 kg waren47 (er war also ähnlich gerüstet wie der römische Legionär). Deshalb kam er auch nicht nur in der Schlacht zum Einsatz, sondern auch zum Beispiel bei Belagerungen oder Raubzügen.48 Das agonale Prinzip, das angeblich den Krieg der Griechen untereinander bestimmte und zu einem formalisierten, duellartigen Kräftemessen führte, hatte tatsächlich – wenn überhaupt – nur geringe Bedeutung; es war allenfalls ein Ideal, wahrscheinlich sogar ein moderner Mythos.49 Denn selbst in der Schlacht waren Täuschungsmanöver und taktische Tricks anerkannter Teil des Kampfkonzepts.50 Ferner unterschieden sich die Hopliten keineswegs so deutlich von den leichter bewaffneten Soldaten, dass sie als »elitäre« Waffengattung eindeutig zu identifizieren waren. Gegenteilige Vorstellungen sind anachronistische Übertragungen moderner Kriegsszenarien und dem Bemühen um visuell deutlich gegliederte Schlachtrekonstruktionen geschuldet. Aber auch schon die Poleis waren bemüht, ihre Kriegführung gegen die ungeregelten Überfälle der Hetairien abzugrenzen und diese als rechtlose Außenseiter zu diskreditieren.

Ohne die Kampferfahrung und Organisationskunst der Adligen kam man jedoch gar nicht aus. Wahrscheinlich hatten die Adligen wesentlichen Anteil an der Erweiterung der schweren Bewaffnung und der Adaption der Phalanx, denn sie waren als politische Führer der Gemeinde in hohem Maße vom militärischen Gesamterfolg der Polis abhängig. Anstatt also die Kampftechnik der Hetairien komplett auszugrenzen, hat man sie in die Kampfordnung der Bürgerhopliten integriert, wobei viele Elemente altadliger Kriegführung wie Täuschung, Listen und Überraschungsangriffe in neuem Gewand unter dem Stichwort Strategemata nach wie vor das Gesicht des Krieges prägten.

Kriegsethik der Polis und
die Kraft der Indoktrination

Um diese Integrationsprozesse zu stabilisieren, entwickelte sich eine Kriegs- und Kampfethik, die alte homerische Ideale der gesamten Polis zugänglich machte. Wenn der Krieg schon nicht aus der Welt zu schaffen und das Leben ohnehin kurz und mühevoll war, dann sollte der Kampf wenigstens dem Beweis individueller Tüchtigkeit dienen. Die Kriterien der Tüchtigkeit (areté) wurden nun auf die gesamte männliche Bürgergemeinde übertragen: Alle Kämpfer bewiesen ihre Tüchtigkeit nicht nur darin, dass sie sich als tapfere Männer bewährten, sondern ihr Leben für die Polis einsetzten. Aristokratische Ideale vereinigten sich mit einem kollektiven Verantwortungsgefühl, das allerdings immer wieder neu geweckt und an die nächste Generation weitergegeben werden musste.

Das Überleben der kleinen Siedlungsgemeinschaften war in so hohem Maß von der Kampfbereitschaft der Bürger abhängig, dass sie ihre Jugend konditionierten und auf den Tod in der Phalanx vorbereiteten. Öffentliche Instanzen tolerierten und förderten kontrollierte Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen. Kinder wurden intensiven Angsterfahrungen ausgesetzt, um ihnen Gehorsam einzuimpfen und sie »weniger unbesonnen und unbezähmbar zu machen«.51 Hierzu gehörte das Erschrecken durch maskierte Figuren, vergleichbar den mit Helm maskierten Hopliten.52 In der Überzeugung, Todesmut und Kampfeseifer seien erlernbar, galt eine Erziehung als vorbildlich, die den Kindern Furcht vor der Feigheit und Gewöhnung an die Tapferkeit beibrachte. Sie wecke bei ihnen – so Euripides – das Ehrgefühl, als Krieger den Heldentod zu suchen.53 Eine wichtige Funktion hatte in diesem Zusammenhang die regelmäßige Teilnahme an den Opferzeremonien der Polis. Sie sollten nicht nur die Gunst der Götter erflehen, sondern auch die Jugendlichen einüben in die Erfahrung von Blutvergießen und Tod, und zwar in einen Tod, der blitzschnell durch einen Stich oder Stoß eintrat. Nicht ohne Grund hatte der beim Tod des Opfertieres ausgestoßene Entlastungsschrei auffällige Parallelen zum Kampfgeschrei der Hopliten in der Schlacht.54

Dazu kamen Kampfübungen mit Speer und Schild, auch das Training im Gymnasion. Es verschaffte die notwendige körperliche Leistungsfähigkeit und rückte das Töten im Krieg durch vorbereitende Übung näher an die friedliche Sphäre der Polis heran. Auch wenn der Übergang vom »zivilen« Raum des Hauses (oikos) in den Krieg durch Rituale markiert war, darf man annehmen, dass der Rekrut bei der Anwendung von militärischer Gewalt niedrige Hemmschwellen zu überwinden hatte. Abgesehen davon, dass seine Einstellung zu Schmerz, Wunden und Blut wohl anders war als heute, besaß er ein hohes Maß an psychischer und physischer »Belastbarkeit«. Und er stützte sich bei allem auf die Zustimmung der Polisgemeinschaft; unter ihren Augen hatte er diese Belastbarkeit täglich zu demonstrieren. Nur so gelang der Polis etwas, das sie in keinem anderen Bereich des Lebens durchzusetzen wagte: die Unterwerfung freier Männer unter einen disziplinierten Handlungsablauf, der mit dem Tod enden konnte.

All dies bedeutet nicht, dass der Bürgerhoplit vor der Schlacht wie ein seelenloser Roboter gegen Angstzustände gefeit war. Zahlreiche Quellenhinweise lassen auf intensive Angstzustände schließen, die Bürgermilizen wie professionelle Soldaten unmittelbar vor ihrem Kampfeinsatz erfassten; man denke nur an die spartanischen »Zitterer« (tresantes)55 oder daran, dass Athener Feldherren regelmäßig vor der Schlacht die Ängste der Soldaten durch beschwörende Reden zu dämpfen suchten56; sogar Alexander bat vor der Schlacht die Götter, die Angst (phobos) von seinen hoch geübten Soldaten zu nehmen und in die Herzen der Perser zu übertragen.57 Intensive Ängste vor der Schlacht waren eine Begleiterscheinung des Krieges, die durch keinerlei kulturelle Sozialisation zu eliminieren war. Aber die Polisgemeinschaft erwartete wie selbstverständlich, dass der Bürger seine Angst ohne viel Aufhebens beherrschte und damit seine Tapferkeit unter Beweis stellte.58 Beides versprach höchste soziale Anerkennung und im Todesfalle ewigen Ruhm.59

Ein wichtiges Element dieses Deutungsmusters bildete die Vorstellung vom »schönen Tod« (kalós thánatos). Ein schöner Tod war in erster Linie der Tod eines jungen Kämpfers, der im Kampf für die Heimat zwar blutig, aber schnell eintrat. Schon die Helden der Ilias sterben in der Regel nach einem auffallend kurzen Kampf durch einen einzigen Speerwurf oder Schwertstoß; danach – so die metaphorische Formel – »umhüllte Nacht ihm die Augen«.60 Der Todesstoß und seine Folgen werden zwar plastisch und – aus heutiger Perspektive – fast unerträglich drastisch beschrieben, aber was heißt schon drastisch in einer Gesellschaft, für die Tod, Schmerz und Blut eine ganz andere, unmittelbarere Vertrautheit besaßen als heute? Entscheidend ist hier, dass diese Tötungsszenen in der Regel schnell und ohne größeres Leiden des Unterlegenen abliefen, so wie auch das Opfertier vor versammelter Bürgerschaft durch einen schnellen Schnitt oder Stoß getötet wird. Von langen, quälenden Schmerzen oder schlimmen Verwundungen ist jedenfalls bei Homer selten die Rede,61 – sie stammen fast durchweg von Pfeilschüssen und begegnen auf Seiten der Troianer.62 Tyrtaios lässt in einem Gedicht einen alten Kämpen seine blutende Scham in den Händen haltend im Staub des Schlachtfeldes sein Leben aushauchen, um die Schande des Versagens der Kampfgruppe so drastisch wie möglich aufzuzeigen.63 An jugendlichen »Vorkämpfern« wurden solche Schilderungen weder literarisch noch bildlich exemplifiziert.64 Darstellungen klaffender Wunden, zerfetzter Körper oder abgeschlagener Körperteile, wie sie in der medialen Kriegsdarstellung anderer Kulturen vorkommen, gibt es jedenfalls in der griechischen Bildkunst nicht.65 Auf einer bestimmten Wahrnehmungsebene erwartete die Rekruten demnach kein hässlicher, durch viele Wunden hinausgezögerter, sondern ein schneller und »reiner« Tod, so wie auch der Tod des Opfertieres durch einen einzigen Stich erfolgte. Die »Schönheit« des Sterbens ging damit in den ewigen Zustand eines »schönen« Todes über, der von den Lebenden auch visuell erfahren wurde: Die Statuen junger Gefallener sind makellos rein. Nirgends lassen die Grabstelen Verwundungen erkennen. Immer ist es ein jugendlicher Körper, der in Sekundenschnelle den Übergang vom Leben zum Tod gemeistert hat – so wie ja auch das Opfertier blitzschnell sein Leben aushauchte.66

Natürlich wussten die jungen Rekruten, dass der reale Krieg eine hässlichere Fratze besaß, schrecklich und furchterregend sein konnte, wie Homer und die Dichter nach ihm betonen; und den Soldaten war auch klar, dass es sich bei den Todesszenen Homers, den Grabepigrammen und den bildlichen Darstellungen heroischer Kämpfer um Stereotype handelte, die ein Ideal vermittelten. Stereotype organisieren jedoch die Wahrnehmung und verengen den Blick auf die Wirklichkeit. Die heroisierende Interpretation des Krieges war dabei auch eine Form sinnversichernder Kontingenz- und Risikobewältigung: In einer Gesellschaft, in der allein der Sieg zählte, musste die stets drohende Niederlage dadurch kompensiert werden, dass der Unterlegene bis zum Schluss kämpfend in einen »schönen« Tod ging. Deshalb kehren unterliegene oder gefallene Griechen auf den Vasenbildern ihrem Gegner nie den Rücken zu und deshalb galt es – anders als bei den Römern – bei den Griechen als große Schande, sich in auswegloser Situation auf dem Schlachtfeld selbst den Tod zu geben. In der Chance, den Launen des Kriegsglücks und der Hässlichkeit des Krieges den Glanz eines mutigen Kampfes und eines »schönen« Todes entgegenzusetzen, lag eine Herausforderung, deren Reiz die Polisgemeinschaft durch die Aussicht auf ewigen Ruhm und höchste soziale Anerkennung stetig zu steigern wusste.

Sicherlich dämpften die Solidarität der Schlachtreihe und das Gefühl, die Last der Todesgefahr auf die Schultern der Nebenleute verteilen zu können, den Schrecken des Todes. Entscheidend aber war der Druck der Gemeinschaft, die Kampf und Tod zu einer solidarischen Pflichterfüllung erhob. Sich dieser Pflicht zu entziehen hätte eine soziale Ächtung nach sich gezogen, die als belastender empfunden wurde als der Blick in die Lanzenspitzen der gegnerischen Schlachtreihe. Platon hat dies einmal auf die Formel gebracht, dass nur derjenige seine Furcht vor den Feinden im Krieg überwinden wird, der sich vor der üblen Nachrede seiner Freunde fürchtet, Furchtlosigkeit demnach auf Furcht beruhe.67 Aristoteles ergänzte, die Bürgerheere bestünden alle Kriegsgefahren nicht nur wegen des Ruhms, sondern auch wegen der drohenden Schande.68

Welche Bedeutung die Polisgemeinschaft der Kampffähigkeit und -bereitschaft ihrer Jugend beimaß, ist auch an einem weiteren, welthistorisch einmaligen Phänomen zu erkennen: der geradezu obsessiven Darstellung von nackten jungen Männern in der bildenden Kunst. Sind es im 8. und frühen 7. Jahrhundert noch kleine Bronzestatuetten Lanzen schwingender Krieger mit breit gedehnter Brust, kräftigen Schultern und starken Schenkeln, so entwickelt sich im 6. Jahrhundert der überlebensgroße Kouros zum »konzeptionellen Leitbild« der Bürgergesellschaft.69 Die Figur dürfte auf ägyptische Anregungen zurückgehen, ihre Ausgestaltung verrät griechisches Selbstverständnis. Dargestellt ist ein junger Mann mit kräftigem Körper, starken Schenkeln, breit gewölbter Brust und muskulösen, »aktionsbereiten« Armen. Sein lächelnder Mund und das reich verzierte Haar strahlen das Selbstbewusstsein einer Elite aus, die sich ihres Werts für die Polis sicher ist. Die Kouroi wurden als Weihegeschenke dargebracht oder auf den Gräbern jung Verstorbener aufgestellt, die häufig als Vorkämpfer (also in der ersten Reihe der Phalanx) für die Polis gefallen waren.70

Alle Darstellungen nackter Männer bewegen sich im Kontext von Krieg oder Kampf; schon mykenische Vasenbilder zeigen Soldaten (oder Söldner) unbekleidet vor dem König.71 Natürlich haben griechische Soldaten in der historischen Realität nicht nackt gekämpft. Aber die Polisgemeinschaft legte viel Wert darauf, ihre männliche Jugend in der Pracht eines unverhüllten Körpers zu präsentieren. Kraft und Stärke der Jugend waren eben für eine Gesellschaft, die mit den Reichtümern des Orients nicht konkurrieren konnte, sich aber stets gegen Angriffe wappnen musste, eins der wenigen Pfunde, mit denen sie wuchern konnte. Die Menschen selbst machten den Wert der Gemeinschaft aus, nicht üppige Ländereien, goldene Tempel oder gewaltige Heerscharen. Eine starke Jugend förderte ihr Identitätsbewusstsein und steigerte ihr Ansehen in der Welt – ein wichtiger Faktor, wenn man bedenkt, wie viele Griechen als Söldner in der Fremde dienten.

Dass man sein kostbarstes Gut – den Körper der männlichen Jugend – hüllenlos präsentierte und darauf eine ganze Ideologie aufbaute, erscheint noch verständlicher, wenn man bedenkt, dass aristokratische Werte mit solchen bildlichen Darstellungen in die Ideale der Polis eingebunden wurden. Körperliche Schönheit korrespondierte mit Tapferkeit und Mut und gehörte deshalb zu den herausragenden Eigenschaften der basileis. Insofern waren die Kouroi auch adlige »Symbole der Unsterblichkeit im Sinne des unvergänglichen Nachruhms«.72 Diese Symbole der adligen Familien wurden in die Leitbilder der bürgerlichen Gemeinschaft integriert. Deshalb maßen die Poleis auch dem körperlichen Training und dem sportlichen Wettkampf eine so große Bedeutung zu. Sie ergab sich aus der Kombination »alter« aristokratischer Ideale mit dem »neuen« Zwang, eine stets kampfbereite Generation zur Verfügung zu haben.

So war es nur konsequent, wenn die adlige Jugend unter den Augen der Älteren im Gymnasion, auf den Sportplätzen und in Olympia unbekleidet trainierte und kämpfte. »Die Bevölkerung konnte die nackten jungen Männer im Zentrum des öffentlichen Lebens bewundern.«73 Nur so konnte man prüfen, ob sie dem Leitbild der bürgerlichen Gesellschaft und der Forderung nach höchster Verteidigungsfähigkeit trotz geringer Bürgerzahlen entsprachen. Der Körper des Athleten war vom Körper eines Kriegers kaum noch zu trennen.74

In dieser Atmosphäre entwickelten sich auch homoerotische Verbindungen und sie waren – soweit sie sich auf das Verhältnis zwischen einem Älteren und dem Jüngeren beschränkten – gesellschaftlich akzeptiert. Auch dieses Phänomen reiht sich ein in den Gesamtkomplex adliger Lebensweise und bürgerlichem Selbstbehauptungswillen: Einerseits gingen solche Verbindungen wohl auf frühe aristokratische Vorstellungen zurück, andererseits waren sie für die Gemeinschaft die beste Gewähr, dass der junge Mann als heranwachsender Krieger durch einen erfahrenen Bürger nicht nur in die körperliche Welt der Erwachsenen, sondern auch in das militärische Ethos der Polis eingeführt wurde. In Sparta war die »Knabenliebe« bei der militärischen Erziehung ausdrücklich erwünscht, weil man glaubte, dass die Beziehung zwischen Knaben und Erwachsenen die Kampfbereitschaft festigte. Vermutlich wurde dies in anderen Poleis ähnlich gesehen. Auch die »Knabenliebe« gehörte zum Instrumentarium einer Gemeinschaft, die Elemente adligen Selbstverständnisses weiterentwickelte, um ihr militärisches Ethos von einer Generation auf die andere weiterzugeben.

»Seekrieg« in der Archaik

Alle Bemühungen der Poleis, ihre Jugendlichen für den Kampf zu konditionieren und die Hetairien in das Bürgeraufgebot zu integrieren, erschwerten zwar adlige Alleingänge, verhinderten sie aber nicht. Die Aristokraten suchten neue Möglichkeiten zur Bewährung und zur Bereicherung auf dem Meer, das die Poleis kaum in der gleichen Weise überwachen konnten wie den Landkrieg. Expeditionen zu fernen Küsten mit dem Ziel, Kolonien zu gründen, dienten auch dazu, adlige Energien nach außen zu lenken und die Polis von inneren Konflikten zu entlasten. Wohl nicht zufällig häuften sich genau in der Phase, als Sparta durch die Erfolge der Hopliten gegen die Messenier und Argos die Hegemonie auf der Peloponnes errang, Nachrichten über ausgreifende maritime Aktivitäten. Angeblich baute man in dieser Zeit sogar eine eigene Kriegsflotte und übte zwischen 517 und 515 eine Thalassokratie aus, war also seebeherrschend.75 Bei genauerer Betrachtung entpuppen sich die Unternehmungen dieser »Flotte« jedoch als Freischärleraktionen einzelner Adliger mit ihren hetairoi, die selten den Rang offizieller Kriegszüge annahmen.76 So brach im Jahr 514 Dorieus, der Sohn des Königs Anaxandridas, weil er keine Chancen sah, sich gegen die Thronansprüche seines Halbbruders Kleomenes durchzusetzen, mit seinen hetairoi auf, um eine Kolonie in Libyen zu gründen. Als die Kolonie durch die Karthager und einheimische Stämme vernichtet wurde, versuchte er sein Glück als Söldner in Unteritalien und Sizilien, bis er im Kampf gegen die Phöniker den Tod fand.77 Unterstützung seitens der Regierung Spartas bekam er nie. Nach der Konsolidierung ihrer Hegemonie auf der Peloponnes hatten die spartanischen Politiker kein Interesse daran, sich auf überseeische Abenteuer fern ihrer Machtbasis einzulassen. So diente die Seefahrt häufig als Ausweg für Aristokraten, die nicht bereit waren, sich in die Ordnung der Hoplitenpolis einzufügen. Man überließ ihnen ein Betätigungsfeld, das die Machtinteressen Spartas nicht unmittelbar berührte.

Auch die Art der Schiffe und Mannschaften, mit denen Dorieus und andere Adlige aufbrachen, entsprach eher dem Muster privater Unternehmungen. Die eingesetzten Pentekonteren wurden von 50 Ruderern und einem Segel angetrieben. Sämtliche Ruderer waren bewaffnet.78 Sie plünderten wie Odysseus küstennahe Siedlungen oder unternahmen Raubzüge von See her zum Sklavenerwerb, wie der dichtende Söldner Archilochos.79 Wenn es zum Gefecht mit einem gegnerischen Schiff kam, rangen die Mannschaften von Bord zu Bord im Enterkampf. Solche oder andere Kämpfe nahe den Schiffen entsprachen adligen Werten und dem Kriegsideal der homerischen Helden: Ein gewisser Aniadas war um 600 auf Kerkyra gefallen, vielleicht in der ersten Seeschlacht, die laut Thukydides zwischen Korinthern und Kerkyräern geschlagen wurde.80 »Den fällte der Gierblicker Ares« – so lautete das ihm gewidmete Grabepigramm –,/»als bei der Flotte verbissen er kämpfte an Aratthos’ Fluten/ und sich aufs höchste bewährte im Seufzer erregenden Schlachtlärm.«81

Entwickeltere Formen des Seekrieges, bei dem die Gegner zunächst die Schiffe durch einen gezielten Rammstoß außer Gefecht setzten, sind erst in der späteren Archaik und weit entfernt vom griechischen Mutterland nachzuweisen. Einen Rammsporn besaßen die Schiffe der Samier und Phokaier, die weite Entfernungen zurücklegten und als Kaperer (des Königs von Tartessos oder des ägyptischen Königs) sich mächtiger Kontrahenten (Karthager oder Phöniker) erwehren mussten. Der erste Kampfeinsatz des Rammsporns begegnet im Jahr 535 bei der Seeschlacht vor Alalia (Aleria) auf Korsika zwischen den verbündeten Einheiten der Karthager und Etrusker auf der einen und den Phokaiern auf der anderen Seite.82

Aus den wenigen Hinweisen der Quellen ist zu schließen, dass zumindest diejenigen Poleis, deren Adlige eigene Schiffe besaßen und die über gute Ankerplätze und Häfen verfügten, ganz ähnlich wie bei den Hetairien zu Lande sich bemühten, die maritime Kompetenz ihrer Adligen für sich nutzbar zu machen. So waren in Athen mehrere Eigentümer von Fünfzigruderern in 48 administrative Einheiten (Naukrariai) eingeteilt unter einem Leiter, der dafür sorgte, dass die Kapitäne eines ihrer Schiffe bereitstellten, wenn die Gemeinde eine Flotte brauchte.83 Ähnliche Regelungen, die zum Teil sogar den Adligen verboten, ihre Schiffe an Freunde »auszuleihen«, gab es in Milet, Eretria und Samos. Das konnte freilich nicht verhindern, dass unter bestimmten Umständen Aristokraten wie Polykrates in Samos oder Periander in Korinth die Alleinherrschaft (Tyrannis) über ihre Stadt errangen und als Tyrann weitgehend ohne Kontrollen der Gemeinde eine stattliche Kriegsflotte aufbauen konnten.84 Nur die Tyrannen waren in der Lage, Ressourcen und Materialien zu bündeln, die maritime Infrastruktur zu verbessern und den Kriegsschiffbau auch in technischer Hinsicht voranzutreiben.85 So wurden unter der Herrschaft des Periander die ersten künstlichen Hafenanlagen (in Lechaion) errichtet. Und nicht zufällig war es laut Thukydides ein Korinther namens Ameinokles, der den Samiern den neuen Schiffstyp des Dreiruderers baute.86 Vielleicht entsprang es auch der Initiative der Tyrannen, für größere Expeditionen und zum Aufbau einer begrenzten Seeherrschaft (Thalassokratie) eine durch Sonderabgaben finanzierte Besoldung der Ruderer einzuführen, wie es ein Gesetz aus Eretria um 525 vorsah.87 Ob man hieraus jedoch auf »staatliche« Kriegsflotten in spätarchaischer Zeit schließen kann, ist zweifelhaft.88 Die Bürger mögen wie im Falle Eretrias zur Finanzierung bestimmter Großoperationen mit herangezogen worden sein, doch davon unbeeinflusst blieb die Vorstellung, dass Kriegsschiffe Privatbesitz aristokratischer Kapitäne oder der Tyrannen waren; sie waren deshalb auch für deren Bau und Unterhalt weitgehend selbst verantwortlich. Auch in späterer Zeit muss man immer mit einer Mischung aus privat finanzierten, in Privatbesitz befindlichen Kriegsschiffen und staatlichen Einheiten rechnen.89 In jedem Fall fehlte in der Archaik auf dem Meer (noch) der äußere Druck, der die Poleis zu einer »Verstaatlichung« der Schiffe in dem Sinne hätte veranlassen können, dass sie vollständig in Gemeindebesitz übergingen.90 Dies änderte sich erst, als im letzten Drittel des 6. Jahrhunderts eine Großmacht ans Mittelmeer drängte, die sämtliche außenpolitischen Koordinaten der griechischen Welt über den Haufen warf.