Wenn ich mich recht entsinne, war es Anfang Mai, als Monsieur de Saint-Clair mir mitteilte, daß der Eifer meiner Bauern beim Wegebau nicht nachgelassen habe: Die Suppe, die sie nach jedem Arbeitstag erhielten, war der unfehlbare Magnet, der sie bei der Stange hielt. Und wenn das Wetter jetzt schön werde, schloß er, bestehe gute Hoffnung, daß wir bis zur Heuernte fertig würden.
Im übrigen hätten Frauen angefragt, ob man sie bei dieser schweren Arbeit nicht gebrauchen könnte, und ich möge ihm mitteilen, wie ich darüber dächte. Was ihn betreffe, so sei er dafür, wenigstens die Witwen zu Arbeiten anzustellen, die ihren Kräften entsprächen, denn die Witwen auf meinem Gut seien die Ärmsten der Armen. Wenn Männer allein blieben, heirateten sie binnen eines Monats erneut, aber die Witwen fänden selten wieder einen Mann, vor allem, wenn ihr Besitz klein sei und sie viele Kinder hätten. Und auf diesen winzigen Hofstellen, wo man sich täglich zu zweit ins Geschirr spannen müsse, damit man über die Runden kam, sei eine Frau allein so gut wie verloren. Sie sinke schnell von der Armut ins Elend und vom Elend in die Bettelei, sogar in die dörfliche Prostitution, was das Schlimmste sei, denn jeder, auch der Pfarrer, zeige mit dem Finger auf sie.
Monsieur de Saint-Clair fügte seinem Brief eine Aufstellung bei, was uns der Kauf der Kantsteine für die Beschotterung, ihr Transport und die tägliche Mahlzeit für fünfzig Mäuler seit Beginn der Arbeiten gekostet hatten. Er hatte sogar berechnet, wieviel es ausmachen würde, rund fünfzehn Frauen anzustellen. Wobei man nicht umhin könnte, schrieb er, ihnen zusätzlich zur Suppe für ihre Kinderschar daheim noch Brot mitzugeben.
Ich legte Saint-Clairs Brief meinem Vater und La Surie vor, und mein Vater sagte nur, Saint-Clair könne rechnen, also werde er seine Sache wohl gut machen, der Chevalier dagegen bemerkte, der Mann habe Herz.
|112|»Herz haben ist gut«, sagte mein Vater, »wenn es nicht überhandnimmt. Vor allem gerecht muß man sein und klug und umsichtig. Übrigens, Herr Sohn, da Ihr anscheinend gesonnen seid, die Frauen anzustellen, sollte man vorher nicht den Herrn Pfarrer fragen, was er davon hält?«
»Und wenn er dagegen ist?«
»Das wird er nicht. Er hofft ja, daß Ihr ihm das Kirchendach repariert. Habt Ihr das ernstlich vor?«
»Ich erwäge es, aber offen gestanden macht es mich wütend, für das Bistum einspringen zu müssen. Wozu gibt es den Zehnten, wenn man nicht mal die Stätten des Kults erhalten kann?«
»Zum Erhalt von Charlotten«, sagte La Surie.
»Miroul!« ermahnte ihn mein Vater, dem diese Anspielung auf meinen Halbbruder, den Erzbischof von Reims, weniger gefiel. »Vielleicht«, fuhr er fort, »bietet Ihr dem Pfarrer an, daß Ihr das Material stellt und das Dorf die Arbeit. Unter den Dörflern muß es doch gute Handwerker geben.«
Unser Gespräch fand beim Mittagsmahl statt, und sowie der letzte Bissen verzehrt war, bat ich meinen Vater um die Erlaubnis, mich zurückzuziehen.
»Wollt Ihr jetzt schon zum Louvre?« fragte er.
»Der Graf will doch nicht zum Louvre«, sagte La Surie, der vom Fenster aus gesehen hatte, daß eine anonyme Mietkutsche in unseren Hof eingefahren war, die mich unerkannt in die Rue des Bourbons bringen sollte. »So ein Jammer«, spöttelte er, »da hat man eine schöne Karosse, aber man läßt sie stehen und rumpelt lieber in einem armseligen Kasten durch die Gassen.«
»Was kommt es auf die Kutsche an«, sagte mein Vater, der mir den Arm um die Schultern legte und mich zum Hof hinunter geleitete. »Das Wichtigste ist das Ziel, und ein bißchen Geheimnis erhöht das Prickeln unterwegs.«
Auf der Treppe kam uns Louison entgegen, und als sie uns auswich, traf mich ihr beklommener Blick. Offenbar hatte auch sie die Mietdroschke im Hof gesehen. Mich zwickte dieser Blick, so kurz er war, ins Herz. Da wechselte ich seit meiner ersten Reise nach Orbieu wie ein Freibeuter von einer Frau zur anderen, ohne aber den dazu gehörigen Zynismus zu besitzen. Im Gegenteil, ich fühlte mich ebenso schändlich vor meiner Soubrette wie vor meiner hohen Dame.
Als das Kutschentor des Hôtel des Bourbons aufging, empfing |113|mich Herr von Beck mit tiefem Respekt und tadelloser Höflichkeit, doch mit einem Anflug von Mißbilligung. Und als ich fragte, wie es seiner Herrin gehe, antwortete er ziemlich widerstrebend, sie sei zu Bett.
»Aber«, sagte ich, »Frau von Lichtenberg ist doch nicht krank?«
»Nein, Herr Graf, ich glaube nicht«, antwortete er leicht verlegen.
Was ja wohl besagte, daß er in diesem Zubettsein seiner Herrin eine Art, die Etappen zu überspringen, sah, die sein Anstandsgefühl verletzte.
Sowie ich aber den Grund seiner Mißstimmung begriff – vielleicht eine gewisse Eifersucht, die er als beflissener Diener hinterm Schleier der Moral sich selbst verhehlte –, wuchsen mir Flügel. Im Laufschritt eilte ich die Treppe zur Beletage hinan, klopfte und trat ein, ohne das »Herein!« meiner Schönen abzuwarten, und legte auch gleich den Riegel vor. Die Bettvorhänge waren geschlossen, doch sie erbebten.
»Madame«, sagte ich atemlos, »ich bitte tausendmal um Vergebung, daß ich ein wenig zu spät komme, das Essen bei meinem Vater zog sich etwas hin.«
»Bitte, Pierre«, hörte ich die erstickte Stimme meiner Gräfin hinter den Vorhängen, »reden Sie nicht! Ziehen Sie sich rasch aus und kommen Sie zu mir.«
***
»Monsieur, auf zwei Worte, bitte!«
»Doch zuvor eine Frage, Madame: Kennen Sie Prag?«
»Nein, Monsieur.«
»Wie schade, Madame! Prag ist die Hauptstadt des Böhmerlandes, aus dem das feinstgeschliffene Kristall kommt. Aber es ist auch eine der schönsten und anmutigsten Städte Europas. Mir fehlen die Worte, seine Schönheit zu preisen, angefangen mit dem Hradschin …«
»Dem, wie bitte?«
»Dem Hradschin. Das Tschechische, Madame, ist eine für Nichttschechen unaussprechliche Sprache. Der Hradschin ist die Prager Burg, mächtig auf einem Hügel über der Stadt gelagert, mit Spitztürmen von seltener Eleganz. Darunter staffeln |114|sich die Kirchen und Paläste eines wunderbar schönen alten Viertels, Mala Strana geheißen. Spüren Sie das Zauberische und Geheimnisvolle dieser magischen Silben, Madame? Die Mala Strana erstreckt sich am linken Ufer der Moldau, und um auf das rechte Ufer zu gelangen, überquert man die Karlsbrücke, ebenfalls ein Wunderwerk, Madame, ich würde sogar sagen, einmalig auf der Welt.«
»Schöner als der Pont Neuf unseres Henri in Paris?«
»Für mein Gefühl ist unser Pont Neuf vor allem schön, wenn man ihn von den Seine-Ufern her sieht. Die Karlsbrücke dagegen ist mit Heiligenstatuen geschmückt, so daß sie immer bevölkert wirkt. Und eben darin liegt ihr Einmaliges: Die Vergangenheit steht und schaut, wie die Gegenwart vorüberzieht.«
»Nun, schön und gut, Monsieur. Aber was hat Prag mit Frau von Lichtenberg, der Pfalzgräfin, zu tun?«
»Madame, was am dreiundzwanzigsten Mai dieses Jahres 1618 zu Prag geschah, betraf aufs engste Frau von Lichtenberg, die Pfalz, den Kaiser und die evangelischen deutschen Fürstentümer, Österreich, Frankreich, kurzum, ganz Europa … Doch bevor ich Ihnen sage, was an diesem dreiundzwanzigsten Mai geschah, erlauben Sie, Madame, daß ich zweihundert Jahre zurückgehe.«
»Zweihundert Jahre?«
»Zwei Jahrhunderte in zwei Minuten, ist das zuviel verlangt? Im Jahr 1411, Madame, lange vor Luther und Calvin, klagte Jan Hus, Priester und Rektor der Prager Universität, gegen die, wie Étienne de La Boétie später sagte, ›endlosen Mißbräuche der katholischen Kirche‹. Jan Hus wurde exkommuniziert und sollte vor dem ökumenischen Konzil zu Konstanz erscheinen, das der deutsche Kaiser Sigismund einberufen hatte. Als Jan Hus zögerte, sich dorthin zu begeben, fertigte besagter Sigismund ihm einen Geleitbrief aus, der seine Sicherheit in Konstanz garantierte. Als Jan Hus nun in Konstanz war, änderte Sigismund unter dem Druck der Prälaten und Fürsten seine Meinung und widerrief den Geleitbrief, denn die Forderungen von Jan Hus beschränkten sich nicht auf eine Reformierung der katholischen Kirche. Dieser Reformator war zugleich ein Patriot, der die deutsche Herrschaft über Böhmen ablehnte, und ein Verteidiger des Volkes gegen die Unterdrückung der großen Herren. Sigismund überlieferte ihn der |115|Kirche, die ihm den Prozeß machte, er wurde zum Tode verurteilt und bei lebendigem Leib verbrannt.«
»Das Ökumenenwesen fing ja gut an!«
»Und das ging munter so weiter. Die Prager Hussiten waren entsetzt über die Verbrennung des Jan Hus und über Sigismunds Verrat, zumal in Böhmen sein Bruder Wenzeslaus regierte. Im Jahr 1418 – vor genau zweihundert Jahren, Madame – stürmten die Hussiten eines schönen Morgens den Hradschin, ergriffen die Räte von Wenzeslaus und warfen sie aus den Fenstern in den Burggraben. Dies war der erste Prager Fenstersturz.«
»Was heißt der erste, Monsieur? Gab es einen zweiten?«
»Ja, eben, zweihundert Jahre später! Vor einer knappen Woche, am dreiundzwanzigsten Mai 1618 – und glauben Sie mir, schöne Leserin, dieses Datum war kein Zufall, denn für die Böhmen ist es eine Art Gedenktag geworden –, an diesem Tag also drangen die Lutheraner, die sich als geistige Nachfahren der Hussiten ansehen, in den Hradschin ein und warfen die Statthalter des Kaisers Matthias aus dem Fenster.«
»Daß sie sich Hals und Knochen brachen?«
»Nein, Madame. Sie fielen auf einen Misthaufen. Und zwar zur allseitigen Freude: Die Lutheraner jubilierten, genau dieses Bett fromme den verwünschten Papisten, die Katholiken priesen die göttliche Vorsehung, weil sie den Misthaufen dort extra plaziert habe, damit den Stürzenden kein Leid geschähe.«
»Und was warfen die Fensterstürzer Kaiser Matthias vor?«
»Er hatte den Prager Lutheranern einige religiöse Freiheiten zugestanden, aber nachdem seine Macht gefestigt war, nahm er sie zurück.«
»Nicht sehr freundlich!«
»Aber das war nicht alles. Kaiser Matthias unterstützte die Kandidatur des Erzherzogs Ferdinand von Österreich für seine Nachfolge. Ein Habsburger, Madame! Mit einem Beichtvater, der Jesuit war! Ob Kalvinisten oder Lutheraner in Deutschland, man geriet in Alarm.«
»Auch Frau von Lichtenberg?«
»Und wie! Ihr Cousin, der Kurfürst von der Pfalz und Anführer der evangelischen Union, war ebenfalls Kandidat für den Kaiserthron. Frau von Lichtenberg mutmaßte folglich, daß in Deutschland ein Krieg zwischen Protestanten und Katholiken |116|bevorstehe und sah die Niederlage der Ihren voraus. Ebendas sagte sie mir, nachdem unser Verlangen im Himmelbett gestillt war, mit stockender Stimme und unter Tränen. Sie müsse, sagte sie, schnellstens nach Heidelberg aufbrechen, um ihre Güter, wenn auch mit Verlust, zu verkaufen, weil sie auf alle Fälle verloren seien.«
»Waren Sie sehr betrübt über ihre Abreise?«
»Ja, Madame, denn ich ahnte, daß es schwerfallen würde, ihre Güter in so wirrer Zeit zu verkaufen und daß ich sie wohl lange nicht wiedersehen würde.«
»Mich würden Sie darüber trösten, wenn Sie mir mehr von Ludwig erzählten.«
»Ach, Madame, der Gang der Geschichte ist nicht meine Erfindung! Ich folge Monat für Monat ihrem Auf und Ab. Und wenn ich Ihnen im Augenblick nichts von Ludwig erzähle, so, weil es abwarten heißt, bis das Hähnchen zum Hahn wird und eine schwierige Sache erlernt: das Königsein. Er hört zu, zaudert, tastet, und manchmal irrt er leider.«
»Er irrt?«
»Zum Beispiel unterstützt er die deutschen Protestanten nicht.«
»Warum sollte er, der fromme Katholik, ihnen beistehen?«
»Weil es um das Interesse seines Reiches geht. Sein Vater hätte das an seiner Stelle getan. Und wäre Richelieu damals schon sein Minister gewesen, hätte er ihm dazu geraten.«
»Wie? Ein Bischof und den Protestanten helfen?«
»Aber ja, solange es sich um deutsche Protestanten handelte. Waren nicht alle, die der Habsburger Macht unterlagen, unsere natürlichen Verbündeten?«
»Sieh an, unsere Machiavellisten! Schauen weit, weit über die Grenzen, während unsere arme kleine Königin immer noch Jungfrau ist und Frankreich ohne Dauphin.«
»Da berühren Sie einen unsäglich heiklen Punkt, Madame! Ein Weib kann man zwingen, aber wie zwingt man einen Mann, seinen Zapfen zu gebrauchen, wenn eine Klemme im Gehirn ihm den Antrieb verknotet?«
»Trotzdem, Monsieur, die Folgenschwere eines solchen Versagens für die Dynastie …«
»… entgeht niemandem. Bei jedem anderen Edelmann von Frankreich und Navarra wäre das Scheitern auf diesem Gebiet |117|eine Schande, ja eine Ehrlosigkeit und hätte ein häusliches Drama zur Folge. Beim König von Frankreich ist es eine Staatsaffäre. Und, glauben Sie mir, es gibt mehr als einen Edelmann in und außerhalb Frankreichs, den das grämt und um den Schlaf bringt.«
***
Entschuldigen Sie, Leser, wenn ich zur Darstellung des schwierigen, ja dramatischen Verhältnisses zwischen Anna von Österreich und Ludwig hier gewisse Dinge aufnehme, die ich in meinem vorangegangenen Memoirenband bereits geschildert habe. Wohl oder übel sehe ich mich dazu gezwungen, um Ihnen die ganze große Problematik dieses Verhältnisses vor Augen zu führen. Das Spiel lohnt die Mühe, denn vier lange Jahre hing von dem, was zwischen Ludwig und der kleinen Königin geschah oder eben nicht geschah, das Schicksal Frankreichs ab.
In unserer stillen Bibliothek, den Ohren unserer Mariette entzogen, erörterten mein Vater, La Surie und ich eingehend das Desaster dieser Hochzeitsnacht vom fünfundzwanzigsten November 1615, desgleichen die nahe- oder fernliegenden Gründe, die es wahrscheinlich verursacht hatten.
La Surie, bei dem der erzwungene Übertritt zum Katholizismus die tiefsitzende hugenottische Ablehnung der Ohrenbeichte nicht ausgeräumt hatte, blieb dabei, alle Schuld falle auf den Pater Cotton, der sein Beichtkind entmannt hatte, indem er ihm von früh bis spät eintrichterte, das Fleisch sei der Satan, und das Fleisch heiße Weib.
Tatsächlich fiel diese Saat in einen unbedingten, gewissenhaften Charakter und entfaltete eine Sittenstrenge, von der Ludwig sein Leben lang Beweise ablegte. Jedenfalls flößte sie ihm besonders eine unbesiegliche Abscheu vor dem Ehebruch ein, ob er von anderen betrieben wurde oder ob er ihn für sich selbst als Versuchung fürchtete.
Viele Jahre später erzählte mir der erste Herzog von Saint-Simon, wie er, ein junger Knappe damals, als Ludwig in Mademoiselle d’Hautefort verliebt war und Seine Majestät dennoch nichts unternahm, um die Gunst der Schönen zu erringen, sich erbot, zwischen dem König und ihr zu vermitteln. Ludwig war von dem Anerbieten überaus verletzt und verbot dem Toren |118|den Mund, indem er mit strenger Miene sagte: »Es ist wahr, ich bin in Mademoiselle d’Hautefort verliebt, ich spreche gerne von ihr, und noch mehr denke ich an sie, und es ist auch wahr, daß all dies ungewollt von mir geschieht, weil ich ein Mann bin und diese Schwäche habe. Aber je leichter es mir als König fiele, Befriedigung zu finden, desto mehr muß ich vor dieser Sünde und diesem Skandal auf der Hut sein. Für diesmal verzeihe ich Eurer Jugend. Aber laßt es Euch nie wieder einfallen, solchermaßen zu mir zu sprechen, wenn Ihr wollt, daß ich Euch weiterhin liebe.«1
Wie sollte man aus diesem Bekenntnis nicht schließen, daß Ludwig für die Reize des gentil sesso keineswegs unempfänglich war und daß er seinen Gefühlen nur darum nicht nachgab, weil er am Hofe Frankreichs und erst recht in der langen Folge unserer Könige ein seltenes Wesen war: ein tugendhafter Mensch. Ich sage dies ohne Spott und rabelaisisches Gelächter. Ganz im Gegenteil, ich bewundere an Ludwig, mit welcher Treue er an seinem Glauben und seiner Gesittung festhielt, und das um so mehr, als mir diese, wie man sah, nicht liegt.
Mein Vater, der sich auf die offene Zuneigung des Königs zu Madame de Luynes berief, kam zu den gleichen Schlußfolgerungen. Man dürfe sich, sagte er, über die Blicke nicht täuschen, die er sozusagen naiv auf ihr ruhen lasse. Er liebe und begehre sie, aber er wolle rein bleiben und wünsche sie keusch. Daher sein schrecklicher Zorn, als sie ohne viel Bedenken ins Bett des Herzogs von Chevreuse hüpfte. Hätte Ludwig in biblischen Zeiten gelebt, er wäre der erste gewesen, der sie gesteinigt hätte.
»Herr Marquis, wenn Ihr recht hättet«, sagte La Surie, »ist Ludwig nicht jener Frauenverächter, als den man ihn anhand einiger seiner kindlichen Aussprüche meistens hinstellt. Aber, wie erklärt Ihr Euch das: Die Königin ist hübsch, jung und anziehend, das Sakrament der Kirche hat sie ihm zur Frau gegeben, und doch bringt er es nicht über sich, von Anfang an seine Gattenpflicht und seine Pflicht als König zu erfüllen? Müßte seine Tugend hier nicht für den Akt sprechen?«
»Jaja«, sagte mein Vater, »aber Vögeln ist ein schwierig Ding, wenn man es noch nie gemacht hat, vor allem mit vierzehn |119|Jahren und mit einem gleichaltrigen Mädchen, das ebenso unerfahren ist wie der Gemahl und obendrein höchstwahrscheinlich voller Ängste.«
»Ich glaube auch«, sagte ich, »daß Ludwigs große Abneigung gegen alles Spanische bei diesem Scheitern eine Rolle gespielt hat. Ludwig wußte genau, daß von dorther alle Dornen und Prüfungen rührten, unter denen Frankreich zu Lebzeiten seines Vaters und auch schon früher zu leiden hatte. Auch wußte er, daß sein Vater ihn niemals mit einer Infantin vermählt hätte, und allein schon, daß seine Mutter diese Wahl traf, galt ihm als Verrat. Deshalb nahm er die Geschenke, die ihm der König von Spanien zur Verlobung mit seiner Tochter schickte, so übel auf. Ich habe es Euch erzählt, Herr Vater. Es handelte sich um duftende Leder und fünfzig Paar Handschuhe. Ludwig betrachtete sie geringschätzig und sagte: »Daraus mache ich Halsbänder für meine Hunde und Zaumzeug für meine Pferde.«
»Hinzu kommt ein sehr unglücklicher Umstand«, sagte mein Vater. »Anna von Österreich trat in Ludwigs Leben im selben Moment, als seine Schwester Elisabeth ihn auf immer verließ, um Königin von Spanien zu werden. Dieser Verlust, der ihm lange Wochen Appetit und Schlaf raubte, mußte die Ankunft der kleinen Königin für ihn zwangsläufig in düstere Farben tauchen. Spanien verwundete Ludwig gleich zweimal: Es nahm ihm seine geliebte Schwester und gab ihm dafür eine Frau, die er gar nicht wollte.«
»Ja, wenn die Königinmutter«, sagte ich, »diesem wenig geliebten Sohn die Zeit gelassen hätte, sich mit der Fremden anzufreunden und sich von seiner brüderlichen Trauer zu erholen! Aber wie hätte ihr diese zartsinnige Idee auch nur einfallen sollen, hatte die Trennung von ihrer ältesten Tochter sie ja selbst kaum berührt. Statt dessen führte sie das Ganze trommelschlagend mit ihrer üblichen Rohheit in einem Zuge durch bis zur Hochzeitsnacht. Der kleinen Königin blieb kaum Zeit, sich von der langen, holprigen Reise auszuruhen, da befahl die Regentin auch schon, die zu Burgos in Stellvertretung geschlossene Ehe durch eine große Messe in Saint-André zu bestätigen. Ihr wißt, Herr Vater, ich war dabei. Nie kam mir eine Messe länger vor, denn ich wußte, Ludwig war morgens mit schweren Kopfschmerzen aufgewacht, die ihn seit dem Abschied von seiner liebsten Schwester quälten. So ahnte ich, wie |120|übel er sich bei dieser Zeremonie fühlen mußte, die traditionsgemäß die Lithurgie endlos dehnte und die Vermählten erschöpfte. Und richtig, kaum war sie zu Ende, nahm er Urlaub von den beiden Königinnen – der, die Spanien ihm beschert hatte, und seiner Mutter, die es so wenig war – und eilte mit großen Schritten in seine Gemächer, wo er zu Héroard mit vor Müdigkeit erstickter Stimme sagte, er gehe ohne Essen zu Bett. Sofort legte er sich mit einem großen Seufzer nieder. Aber, ach, kaum lag er eine Viertelstunde – und da wir sahen, wie ihm die Lider zufielen, gingen wir hinaus, um ihn in Ruhe zu lassen –, als mit großem Getöse der Großkämmerer wie ein Unglücksvogel erschien und nach wer weiß wie vielen Verbeugungen und Kniefällen mit Stentorstimme zum König sagte, auf Befehl der Regentin müsse er aufstehen, sich ankleiden, soupieren und nach dem Souper seine Ehe vollziehen.«
»Mich mutete dieser Befehl«, fuhr ich fort, »wie Heimtücke an, denn der Regentin hätte die übermüdete Miene ihres Sohnes während der langen Hochzeitszeremonie auffallen müssen. Bei allen Göttern! Was kam es auf ein oder zwei Tage an? Hatte man ihn bei der Wahl der Gemahlin schon nicht gefragt, konnte man ihm nicht wenigstens die Wahl lassen, wann er sie zu seiner Frau machte? Erinnerte sich die Regentin nicht mehr, wie verletzt sie in ihrer eigenen Hochzeit von der Hast und Rohheit Henri Quatres gewesen war und wie sie am Tag danach heiße Tränen geweint hatte? Und, milledious, wie mein Großvater sagt, dachte sie gar nicht an die kleine Königin? Hätte ihr, so erschöpft von der langen Zeremonie und dem Gewicht der Prachtkleider und der Krone, nicht auch ein wenig Ruhe nötig getan, bevor sie diese neue Prüfung antrat?«
»Ich für mein Teil denke«, sagte La Surie, »und erlaubt, daß ich kein Blatt vor den Mund nehme: Die Regentin hatte es sogar abgesehen auf dieses Scheitern. Denn es war für Ludwig wiederum eine Demütigung, die sein Selbstvertrauen erschüttern mußte. Damit verhinderte sie von vornherein ein gutes Einvernehmen zwischen der kleinen Königin und ihm, das ihrer eigenen Macht auf die Dauer bedrohlich werden konnte.«
»Das ist schiere Spekulation«, sagte ich zu meiner eigenen Überraschung, denn im stillen gab ich La Surie recht.
»Alle Geschichte ist Spekulation«, sagte mein Vater lächelnd. |121|»Denn wer sich allein an die nackten Tatsachen halten wollte, müßte darauf verzichten, je irgend etwas zu begreifen.«
***
Wie dem auch sei, Leser, wortlos erhob sich der arme Junge auf mütterlichen Befehl aus seinem Bett, nahm bleich vor Angst und Scham ein paar Bissen zu sich, dann holte ihn die Regentin ab, und er ging hinter Berlinghen mit dem Leuchter her zu den Gemächern der kleinen Königin, als gehe er zur Hinrichtung. Was darauf folgte, kennen Sie. Ebenso den Bericht der Regentin hierüber, denn ohne Scheu davor, wie lächerlich und peinlich dies war, gab sie am nächsten Tag ein Kommuniqué heraus – ein Dokument der Schamlosigkeit, Dummheit und Taktlosigkeit –, in welchem triumphierend verkündet wurde, der König habe seine Ehe zweimal vollzogen. Der ganze Hof verstand: Wäre dieses Dokument wahr, hätte es seiner Publikation nicht bedurft … Hinter vorgehaltener Hand oder hinterm Fächer wurde nur gespottet.
Mein vierzehnjähriger König hüllte sich an den darauffolgenden Tagen in Schweigen und in eine undurchdringliche Miene wie nach allen Abstrafungen und Demütigungen, die er seit dem Tod seines Vaters erlitten hatte.
Hier allerdings muß ich nun eines bekennen: Nachdem er sich im Jahr 1617 von Concini und von der Königinmutter befreit hatte und ich ihn so aufgerichtet und hochgemut sah, hegte ich die große Hoffnung, er würde im selben Schwung versuchen, sich bei der kleinen Königin zu beweisen.
Doch Monat für Monat verrann, auch das ganze Jahr 1618, und er ergriff nach dieser Seite hin nicht die mindeste Initiative. Ludwig saß eifrig im Kronrat, lieh den Staatssekretären sein Ohr, sowie sie ihn darum ersuchten, empfing ausländische Gesandte, ließ seine Soldaten aufmarschieren, ging in die Komödie, ergab sich leidenschaftlich der Jagd und verbrachte viele Abendstunden in herzlicher Unterhaltung mit Luynes. Der kleinen Königin gestand er einen täglichen Besuch von fünf Minuten zu. Nie lud er sie zum Essen oder zu Reisen ein, und immer mied er ihr Lager.
Als im ganzen Jahr 1618 also nichts geschah, herrschte in Paris große Aufregung unter bestimmten ausländischen Gesandten, |122|wenn auch im Flüsterton und mit verdeckten Worten.
Philipp III. fühlte sich durch die beunruhigenden Nachrichten aus Paris in seiner königlichen Ehre, seinem spanischen pundonor1, und seiner väterlichen Liebe empfindlich gekränkt, denn er hing an seiner Tochter weitaus mehr als Maria von Medici an der ihren.
Was Philipp III. nach Erhalt der Briefe Monteleones nun seinem Gesandten schrieb oder befahl, ist nicht bekannt, aber man darf es nach dem durchaus nicht immer diskreten Eifer, den der spanische Grande entfaltete, wohl vermuten. Er suchte den Nuntius auf, und im Beisein des Paters Arnoux, des königlichen Beichtvaters, beratschlagte das Trio.
»Ihr Herren«, sagte der Herzog hoheitvoll, »mein königlicher Gebieter kann einen so schweren, eine solche Mißachtung bezeugenden Affront der ältesten Infantin nicht länger dulden.«
»Monseigneur«, versetzte Pater Arnoux, »Gott sei Dank handelt es sich nicht um Mißachtung, sondern um eine so tiefe Schamhaftigkeit, daß Ludwig die Sporen des Fleisches nicht zu spüren vermag.«
»Es könnte auch sein«, sagte der Nuntius Bentivoglio, dessen Sittenreinheit in Italien für außergewöhnlich galt, »daß Ludwig, weil er nie die geringste Liebschaft hatte, die notwendige Erfahrung fehlt, daß er einfach nicht weiß, was zu tun ist und wie.«
»Wieso?« fragte Monteleone barsch, »hat er in seinem Gestüt noch keinen Hengst bei seinem Geschäft gesehen?«
»Monseigneur«, entgegnete Pater Arnoux mit feinem Lächeln, »dem Hengst wird geholfen, zunächst durch den Beschäler und dann durch des Reitknechts Hand.«
Laut Fogacer trennte sich das Trio ohne Ergebnis, und der Herzog von Monteleone ging höchst unzufrieden mit dem Pater wie mit dem Nuntius von dannen. Und wahrscheinlich keimte in seinem dienstbeflissenen Geist nun die Idee, beim König direkt vorzusprechen.
Schöne Leserin, bevor ich fortfahre, möchte ich nicht, daß Sie den Herzog von Monteleone nach dem Mißgriff beurteilen, |123|den ich Ihnen erzählen will und der berühmt ist in den Annalen der Diplomatie. Denn eigentlich war er ein sehr ehrenwerter, tugendhafter, ja sittenstrenger Mann. Schon sein Äußeres bezeugte es. Er sah mehr wie ein Asket aus denn wie ein Herzog, groß, mit so wenig Fleisch auf den Knochen, wie es menschenmöglich ist. Sein Pferdegesicht wurde von einer langen, leicht eingebogenen Nase beherrscht, die über die dünnen Lippen zu fallen schien, seine hohlen Wangen waren von tiefen Furchen durchzogen, und die zugleich strengen und traurigen Augen schienen anzuzeigen, daß der Herzog sich nur widerwillig durch unser Tal der Tränen schleppte in ungeduldiger Erwartung der ewigen Glückseligkeit.
Monteleone suchte Monsieur de Bonneuil auf und verlangte von ihm eine Audienz bei Seiner Majestät, und das in einem so tragischen Tonfall, daß Bonneuil sich fragte, ob die erbetene Begegnung nicht neue Spannungen mit Spanien verheiße. Und anstatt den üblichen Weg über den Staatssekretär für äußere Angelegenheiten zu beschreiten, trug Monsieur de Bonneuil die Bitte des Gesandten unverzüglich und in so bewegtem Ton dem König vor, daß Ludwig ihr sofort stattgab. Für das rechte Verständnis dessen, was folgt, schöne Leserin, erlauben Sie mir klarzustellen, daß kraft des mit Madrid geschlossenen Ehevertrags der spanische Gesandte ipso facto Majordomus des Hauses der französischen Königin war und folglich freien Zutritt zu ihren Gemächern hatte: ein außergewöhnliches Privileg und ein fast unglaublicher Mißbrauch, doch die Regentin hatte die Dummheit gehabt, dies gegen den Rat ihrer Minister zu akzeptieren. Es war ihr nicht einmal in den Sinn gekommen, daß der Gesandte eines Landes, das unserer Politik zumeist feindlich gesinnt war, dadurch den gefährlichsten Einfluß auf die Gemahlin des Königs von Frankreich ausüben konnte.
Um auf unsere Geschichte zurückzukommen, sagte ich bereits, daß Ludwig die Gesandten für gewöhnlich mit gewissenhafter Höflichkeit empfing. Er stand auf, schritt dem Herrn entgegen und verneigte sich mehrmals vor ihm, indem er seinen Hut zog. Mit dem Herzog von Monteleone jedoch hatte er, wie ich bereits im ersten Kapitel dieses Buches erzählte, noch ein Hühnchen zu rupfen, weil der ihm bei einer früheren Audienz sehr ruppig begegnet war.
Als Ludwig nun Monteleone diesmal empfing, bezeigte er |124|ihm weniger Kälte als vielmehr seinen üblichen Gleichmut, sosehr die dringende Bitte um Audienz ihn auch überrascht haben mochte, ohne daß deren Gegenstand näher bezeichnet worden war. Seine Überraschung stieg, als der Gesandte, dem es sonst nicht an Sicherheit gebrach, für sein Anliegen nach Worten suchte und die protokollarischen Komplimente vervielfachte, anstatt zur Sache zu kommen.
»Monsieur«, sagte Ludwig endlich, »wollt Ihr mir bitte erklären, um was es geht?«
Ich weiß nicht, ob Monteleone sich seine Rolle vorher zurechtgelegt hatte, jedenfalls muß ihn diese direkte Frage aus dem Konzept gebracht haben.
»Sire«, platzte er ohne Umschweife heraus, »mein Herr, der König von Spanien, ist in Sorge wegen der Vernachlässigung der Königin.«
»Die Königin, Monsieur«, erwiderte der König trocken, »wird nicht vernachlässigt. Ihr werden alle geziemenden Rücksichten und Ehren zuteil. Und ich besuche sie jeden Tag zweimal.«
Dieser Antwort folgte ein längeres Schweigen, und als der König weiterhin stumm blieb, setzte der Gesandte nach: »Mein Herr, Sire, versteht unter Vernachlässigung, daß die Ehe noch immer nicht vollzogen ist.«
»Sie ist es in der Tat nicht«, sagte Ludwig, ohne daß sich in seinem Gesicht irgend etwas regte.
»Dennoch, Sire, wäre es gefährlich, so fortzufahren.«
»Das ist allein meine Sache.«
»In der Tat, Sire«, sagte Monteleone, indem er sich tief verneigte. »Trotzdem könnte man Mittel finden, um diesem Zustand abzuhelfen.«
»Was für Mittel?«
»Ihre Majestät die Königin ist erst siebzehn Jahre alt. Sie wurde mit großer Sorgfalt erzogen und in frommer Unwissenheit darüber belassen, wie das Leben sich fortsetzt.«
»Das bezweifle ich nicht«, sagte Ludwig.
»Aber, gewissermaßen«, sagte der Gesandte, »kann die Unwissenheit einer Jungfrau dem Gemahl auch nachteilig sein, den Gott ihr gegeben hat.«
»Ich verstehe nicht, Monsieur.«
»Ich will sagen, Sire, eine erfahrene Frau würde die Mittel |125|kennen, durch welche unser Herrgott einer liebenden Gattin erlaubt, das Verlangen ihres Mannes zu entfachen.«
»Mag sein«, sagte Ludwig steif.
»Wie die Dinge liegen, Sire, könnte vielleicht eine verwitwete Dame aus dem Gefolge Ihrer Majestät die Königin besagte Mittel lehren. Dazu bedürfte es nur Eurer Erlaubnis.«
»Niemals erlaube ich das!« sagte Ludwig und errötete zugleich vor Zorn und Scham.
Und sich halb von seinem Stuhl erhebend, lüftete er halb den Hut und sagte mit eisiger Stimme: »Monsieur, unsere Unterhaltung ist beendet.«
Obwohl Ludwig sich über diese Audienz ausschwieg, muß man kein Hellseher sein, um zu mutmaßen, daß er Monteleones Intervention unerträglich fand und daß sie seine Liebe zu den Spaniern nicht eben steigerte. Fern, sehr fern lag dem König jedoch der Gedanke, daß er einige Wochen später von der gleichen Seite noch viel härter bestürmt werden sollte.
Der Leser wird sich erinnern, daß der Ehevertrag der Königin ein Gefolge von etwa dreißig Ehrendamen ihres Landes zugesichert hatte. Als man Anna jedoch an der Bidassoa empfing, erschrak man: Die spanischen Damen waren über hundert. Aus Furcht, Philipp III. zu verärgern, wurden die Überzähligen nicht zurückgeschickt, obwohl sie große Probleme bereiteten, denn all diese unnützen Vögel mußten untergebracht und verköstigt werden. Daß sie mehr als unnütz waren, sollte sich bald herausstellen. Jung zumeist und der erdrückenden spanischen Hofetikette ledig, fühlten sie sich in Frankreich wie in erobertem Land, ihr heißes Blut trieb sie zu liederlichem Betragen, zu schändlichen kleinen Streichen, zu sträflichen sogar. Sie brachen im Louvre in unverschlossene Wohnungen ein, zogen Schlüssel aus Truhen und warfen sie in den Burggraben. Auf Schloß Blois stahlen sich einige sogar in die Gemächer des Königs, öffneten in seiner Abwesenheit den Käfig eines Hänflings, den er sehr liebte, und stahlen ihn, und was sie mit ihm machten, kam nie heraus, er blieb verschwunden.
Zu allem Übel lachten sie in Gegenwart Seiner Majestät und plapperten in ihrer Sprache endlos hinter den Fächern, die sie auch im Winter nicht ablegten, wiegten sich in den Hüften, reckten die Brüste und warfen den königlichen Offizieren (darunter auch mir) flammende Blicke zu. Ludwig konnte nicht |126|umhin, solche zuchtlosen Manieren zu mißbilligen, und faßte gegen die Spanierinnen eine so tiefe Abneigung, daß es ihm, wenn er die Königin besuchte, von Tag zu Tag leidiger wurde, durch dieses Vogelhaus voll schwatzender, diebischer Elstern zu schreiten. Eines Tages nun erreichte dies den Gipfel, sie hielten ihn in seinem Gang auf, als er zu ihrer jungen Herrin wollte, umringten, belagerten ihn und versetzten ihm weiß ich wie viele Schnabelhiebe, indem sie ihn ungestüm verklagten, er vernachlässige seine Gemahlin, und einige sogar riefen: »El hombre che no toca a su mujer no vale nada.«1 Der König war außer sich. Er vermochte seinen Zorn diesmal nicht zu unterdrücken, sondern erging sich in wütenden Worten und machte kehrt, ohne die Königin zu besuchen, fest entschlossen, Philipp III. um die Rückführung dieser »Huren« nach Madrid zu ersuchen. Dies war das einzige Mal, daß ich ihn ein solches Wort aussprechen hörte, bezweifle aber nicht, daß er die Damen im stillen schon mehr als einmal so bezeichnet hatte.
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Pater Arnoux, der hundert Augen hatte wie Argus und noch mehr Ohren, quittierte den Mißgriff des Herzogs von Monteleone mit einem mitleidigen Lächeln und den wütenden Angriff des spanischen Frauenhauses auf den König mit einem Achselzucken. Obwohl als Jesuit ein ›Soldat Christi‹, war er gewaltsamen Lösungen gänzlich abgeneigt und bevorzugte sanfte, einschmeichelnde Mittel, die behutsam vorbereitet waren.
Er hatte eine bedeutsame Stellung inne zwischen Seiner Majestät und Luynes: Seit dem Staatsstreich vom vierundzwanzigsten April vernahm er beide zur Beichte. Vorher hatte Pater Cotton das Gewissen des Königs regiert. Aber seit dem Sturz der Königinmutter fand der gute Pater seine Position sehr geschmälert und trat lieber den Rückzug an, ehe er eine Ungnade riskierte. Wie Sie sich vorstellen können, schöne Leserin, überließ die Gesellschaft Jesu das Gewissen des Königs nun nicht sich selbst, ich meine, ohne Beichtiger aus ihren Reihen. Da traf es sich glücklich, daß ein anderer Jesuit, der Pater Arnoux, |127|Monsieur de Luynes betreute und das zu seiner vollen Zufriedenheit, weil Luynes die Gesellschaft Jesu bewunderte, verehrte, fürchtete und wohl auch glühend für sie eingetreten war, als es im Kronrat um die Wiedereröffnung des Pariser Jesuitenkollegs ging. Und nachdem Pater Cotton den Hof in musterhafter Bescheidenheit verlassen hatte, was konnte Luynes Besseres tun, als den Einflüsterungen seines Beichtvaters artig zu lauschen und Ludwig den Pater Arnoux als Nachfolger für Pater Cotton vorzuschlagen?
Eine Vorstellung davon, was Pater Arnoux bei Luynes und dem König bewirkte, erhielt ich durch Fogacer, der mehr als einmal in diesen Memoiren wie auch in denen meines Vaters auftaucht mit seiner langen Spinnengestalt, dem hoch erhobenen Haupt und diesen nach den Schläfen aufstrebenden Brauen, die ihm etwas fabelhaft Diabolisches verliehen. Trotzdem, in jungen Jahren war Fogacer ein armer Hund gewesen und durch seine Sitten und seinen Atheismus mehr als einmal in die Nähe des Scheiterhaufens geraten. Doch war er mit den Jahren weiser geworden, hatte den gelockten Knaben entsagt und war heimgekehrt in den Schoß der Kirche. Mit seinen vorzüglichen Talenten hatte er Kardinal Du Perron lange als Arzt und Sekretär gedient. Im Jahr 1618 aber – und in diesem befinden wir uns – starb der Kardinal, und Fogacer hätte ohne Protektion dagestanden, wären dem apostolischen Nuntius nicht seine Finesse und Umgänglichkeit aufgefallen. Er machte ihn zum Mittler zwischen sich und dem Pater Arnoux, denn der Nuntius hätte diesen nicht allzu oft treffen können, ohne ihn in den Augen seines königlichen Beichtkindes bloßzustellen.
In seinen Gesprächen mit mir drückte sich Fogacer aber so vorsichtig und vage aus, daß ich mich nicht dafür hätte verbürgen können, was er mir bei dieser Gelegenheit zu verstehen geben wollte.
»Ist es nicht verwunderlich«, sagte ich, »daß Luynes sich seit dem Staatsstreich nicht mehr bemüht hat, Ludwig seiner kleinen Königin näherzubringen? Immerhin hatte er beide im Jahr 1616 auf sein Schloß Amboise eingeladen, ein denkwürdiges Ereignis, denn Ludwig und Anna, die schon ein Jahr verheiratet waren, speisten dort zum ersten Mal miteinander.«
»Die Umstände ändern sich«, sagte Fogacer seufzend, »und mit ihnen die Pläne der Menschen. Im Jahr 1616 hätte eine |128|Annäherung zwischen Ludwig und der kleinen Königin in Luynes’Augen ein Gegengewicht zu der unerhörten Macht der Regentin gebildet. Aber mit der Verbannung der Regentin 1617 mag die Nützlichkeit eines solchen Gegenwichts für Luynes geschwunden sein, denn inzwischen hat er den Zenith seiner Gunst erreicht.«
»Ist er heute anderer Meinung?«
Fogacer lächelte sacht und gewunden.
»Es könnte sein. Natürlich wird Pater Arnoux ihn in Richtung des Ehevollzugs drängen, der vom Nuntius, vom spanischen König und von der Gesellschaft Jesu leidenschaftlich gewünscht wird, auch von allen guten Untertanen des Königs.«
»Ja, und?«
»Was heißt ›ja, und‹, mein junger Freund?« sagte Fogacer leise lächelnd.
»Hat Pater Arnoux Aussichten, sein Ziel zu erreichen?«
»Er trifft auf Schwierigkeiten.«
»Die aus unüberwindlichen Abneigungen des Königs infolge seiner gescheiterten Hochzeitsnacht herrühren?«
»Unüberwindliche Abneigungen?« sagte Fogacer mit einem Blitzen in seinen nußbraunen Augen. »Wie interessant! Woher habt Ihr den Ausdruck, mein Freund?«
»Nun«, sagte ich, auch auf meiner Hut, »so würde ich an Stelle des Königs empfinden.«
»Soso! Aber Ihr könnt Euch gar nicht an seine Stelle versetzen, junger Heißsporn Siorac!« sagte Fogacer. »Euch betört doch jeder Reifrock. Und sogar auf zehn Klafter Abstand seid Ihr vom Anblick eines Busens berauscht. Doch wie dem auch sei, Ludwig hegt andere Abneigungen als die von Euch gemeinten.«
»Welche?«
»Ihr kennt sie wie ich.«
»Nun sagt doch.«
»Bei diesem Gesandten, der täglich zu jeder Stunde freien Zutritt zu seiner Gemahlin hat, und bei diesen hundert iberischen Damen, die ihn offen verachten, wen nimmt es da wunder, daß der König die Gemächer der Königin als ein Klein-Spanien ansieht und wenig Lust hat, sich dort hineinzubegeben.«
»Aber«, sagte ich nach einer Weile, »ließe sich nicht ein kleiner Handel schließen?«
|129|»Ein Handel?« fragte Fogacer und wölbte die diabolischen Brauen. »Zwischen wem?«
»Zwischen dem König und Pater Arnoux.«
»Der König ist der König, kein Händler.«
»Dann zwischen Luynes und Pater Arnoux.«
»Siorac, Ihr seid ein Fuchs. Und welcher wäre nach Eurer Ansicht der Gegenstand dieses kleinen Handels?«
»Nehmen wir an, Luynes sagt zu Pater Arnoux: ›Setzt Ihr durch die Vermittlung des Nuntius durch, daß Madrid seinen flegelhaften Gesandten abberuft und daß auch die anstößigen Damen zurückgeholt werden in ihr heißes Land, denn sobald Ludwig in diesen beiden Punkten zufriedengestellt ist, habe ich es leichter, ihn zum Vollzug seiner Ehe zu bewegen.‹«
»Siorac«, sagte Fogacer laut lachend, »das Hübsche an Euch ist, daß Ihr nicht nur schlaue Fragen stellt, sondern sie auch gleich beantwortet.«
»Ist die Antwort auch so schlau?«
»Das wird die Zukunft lehren«, sagte Fogacer und verschloß sich wie eine Auster.
Aber die Zukunft ließ sich Zeit mit ihrer Lehre, denn Ludwig war gegen Monteleone und die spanischen Damen so erzürnt, daß Luynes bei ihm nicht mehr erreichen konnte, als daß er die arme junge Königin wenigstens wieder fünf Minuten am Tag besuchte. Trotzdem trug die gute Arbeit des Paters Arnoux bereits Früchte. Der Günstling war für eine Annäherung des königlichen Paares mittlerweile ganz gewonnen, zumal da Madame de Luynes die engste Freundin Annas von Österreich geworden war und eine intimere Verbindung der Gatten die Gunst des Günstlings nur begünstigen konnte.
Luynes also bemühte sich aufs neue, und das machte er so: Ludwig hatte ihm soeben das Schloß Lesigny-en-Brie geschenkt, nun eilte er dorthin und schilderte nach seiner Rückkehr den königlichen Augen dieses wildreiche Land voller Sümpfe, Flüsse und Wälder samt lieblicher Ausblicke und Ortschaften ringsum in den verführerischsten Farben. Das hieß Ludwig doppelt versuchen. Nicht nur war er vernarrt in die Jagd, er liebte es auch, und mehr als alle Könige vor ihm, seine Provinzen zu bereisen. Und weil es ihm wenig verschlug, den Louvre und Klein-Spanien hinter sich zu lassen, nahm er die Einladung freudig an, einige Tage im Schloß seines Favoriten |130|zu verbringen. Tatsächlich blieb er über einen Monat, vom elften September bis zum sechsundzwanzigsten Oktober, und feierte dort seinen siebzehnten Geburtstag.
Mit von der Partie, begann ich mich schon zu fragen, was der König eigentlich hier wollte (und wir ebenso), als zu meiner großen Freude und Überraschung am fünfzehnten September die kleine Königin eintraf, mit Gott sei Dank sehr begrenztem Gefolge. Und weil es mir undenkbar erschien, daß Luynes sie ohne Zustimmung des Königs eingeladen hatte (wie hätte Ludwig diese Bitte auch ablehnen sollen, wenn die Gattin des Favoriten der Königin überall folgte?), begriff ich, daß Luynes dieses Beisammensein des Königspaares regelrecht organisiert hatte wie bereits 1616 zu Amboise, in der Hoffnung, die beiden Gatten einander näherzubringen. Trotzdem, als Anna von Österreich der Karosse entstieg, empfing Ludwig sie zwar mit größter Höflichkeit, aber ohne daß sein Gesicht die mindesten Gefühle zeigte.
Luynes fiel noch mehr ein. Schloß Lesigny hatte keine Kapelle, deshalb ließ er in den Gemächern der Königin einen Altar errichten, so daß Ludwig die Messe, die er an keinem Tag versäumte, den Gott werden ließ, an der Seite der Königin hören mußte, in zwei gleich geschmückten Armstühlen. Ich konnte das königliche Paar nicht sehen, solange es saß, aber sowie es sich erhob, hatte ich nicht Augen genug, es zu beobachten. Sie waren beide sehr jung und sehr schön, nur daß sie mehr nebeneinander standen als wirklich beisammen. Gewiß warf Anna dann und wann ein raschen kleinen Blick nach ihrem Mann, doch blieb dieser Magnet wirkungslos an jenem Span, Ludwig wandte den Kopf nicht einmal nach ihr. So erregten sie vor dem kleinen Hof von Lesigny eher Mitleid als Spott, der jungfräuliche König und die königliche Jungfrau, die Mann und Frau nur vor der Kirche waren. Doch immerhin hörten sie Seite an Seite die Messe, ganz im Sinne Luynes’, dem zu Gefallen sich Ludwig entsann, daß er vor dem Allmächtigen geschworen hatte, sein Weib zu ehren und zu lieben.
Dennoch war alles vergeblich, auch die gemeinsame tägliche Messe änderte es nicht. Kaum hatte der Kaplan das ite, missa est gesprochen, nahm Ludwig von seiner Gemahlin Urlaub und fuhr oder ritt davon, entweder um die Umgebung zu besichtigen oder aber zur Jagd.
|131|Weil die Brie eine Landschaft ist, wo es, wie gesagt, an Sümpfen und Flüssen nicht mangelt, hetzte Ludwig diesmal nicht den Hirsch, sondern fuhr zu Wasser und schoß mit der Arkebuse auf Wasserhühner, die vor seinem Kahn aufflogen. Weil er diese Jagd seiner wenig würdig fand, erlegte er manchmal vom festen Land kleinere Vögel mit einer Armbrust, die nicht mit Pfeilen, sondern mit kleinen runden Kieseln schoß. Ich erinnere mich, wie ich über seine Geschicklichkeit als Kind gestaunt hatte, als er von seinem Bett aus nicht mehr als einen Kiesel brauchte, um genau nur den Docht seiner Kerze zu treffen und die Flamme zu löschen. Nun aber sah ich mit einem traurigen Gefühl die kleinen Vögel von den Zweigen fallen. Hätte man ihn, dachte ich, in seiner Kindheit doch besser gelehrt oder ihm erlaubt, mit Leib und Seele das gentil sesso zu lieben, anstatt ihn für diese kleinen Massaker abzurichten, indem man ihn glauben machte, dadurch werde er ein Mann.
Wie immer beim Jagen schonte sich der König nicht, legte Meilen zu Fuß zurück, ohne auf Müdigkeit, Hunger und Wetter zu achten. Wie oft sah ich ihn in Lesigny bei einfallender Nacht heimkehren, erschöpft, pudelnaß, und dann wollte er sich nicht einmal trocknen lassen. Geriet er aber bei Tage an ein gastliches, gut bestelltes Haus, stürzte er sich aufs Essen wie ein Raubvogel. Ich sah, wie er bei solcher Gelegenheit nacheinander zehn Täubchen verschlang und nichts übrigließ wie die blanken Knochen. Am Abend, mit schwerem Magen, fastete er dann. Natürlich ließ ihn die Natur für seine gargantischen Mähler bisweilen hart bezahlen. Eines Abends, als er vorm Feuer saß, zitterte er plötzlich vor Kälte, und am nächsten Tag wurde er bei der Messe auf einmal bleich und sank fast in Ohnmacht. Man führte ihn in seine Gemächer, und Doktor Héroard erbot ihm das Mittel, das in seinen Augen alle Übel heilte: ein Klistier.
»Oh, wenn es darum geht!« sagte Ludwig, »an einem Durchfall fehlt es nicht. Ich halte ihn nur zurück, damit Ihr mir nicht verbietet, auf die Jagd zu gehen.«
»Ach, Sire!« sagte Héroard, »beliebe es Euch, ich bitte, Euch nicht länger zurückzuhalten.«
Und auf sein Zeichen brachten die Diener den Stuhl herbei, den man nach Madame de Rambouillets schamhaften Vorhaltungen nicht mehr Kackstuhl nannte, und der König deposuit |132|onus ventris1, wie die Zartbesaiteten sagen. Hierauf war er wie aufgelebt. Und höchst vergnügt nun, begab er sich auf die Jagd, in deren Verlauf er, das wette ich, sich den gleichen Exzessen ergab wie am Tag vorher.
Was mich bei diesem Zwischenfall verwunderte, war die Gewissenhaftigkeit, mit der Ludwig sich Héroards Vorschriften unterwarf: er kam gar nicht auf die Idee, daß er sein Verbot, zur Jagd zu gehen, hätte übertreten können. Gegen Ende seines Lebens, als er schon sehr krank war, sagte er einmal, es sei das Unglück eines Königs, allzu umsorgt zu sein. Gewiß liebte Héroard ihn, aber es war eine blinde Liebe, er gab ihm viel zu viele Drogen, Klistiere und Abführmittel. Und Ludwig, der absolute Herrscher über ganz Frankreich, gehorchte treulich seinem Arzt.
Ein guter Soldat geht nie ohne Zwieback ins Feld: Ludwig und Luynes hatten achtgehabt, ihren Beichtiger, Pater Arnoux, nicht im Louvre zurückzulassen. Aber seltsam, so fromm Ludwig auch war, fügte er sich viel folgsamer seinem Leibarzt als dem Mann, der seine Seele hütete. Dem Pater, der ihn fast täglich ermahnte, »endlich seinen Ehepflichten zu genügen«, hielt er Ausreden entgegen, die der Jesuit jedem anderen als kindisch verwiesen hätte: Die Sache könne warten, erklärte er. Das Haus brenne ja nicht. Er sei noch so jung. Die Königin auch. Sicher liebe er sie, aber man dürfe nichts übereilen, damit die Gefühle keinen Schaden nähmen. Kurz, jener erste Trunk hatte ihm einen zu bitteren Geschmack hinterlassen, als daß er ihn noch einmal an die Lippen setzen wollte.
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Immerhin hatte ich gegen Ende unseres Aufenthalts im Schloß Lesigny-en-Brie ein Gespräch mit Luynes, das mir wieder einige Hoffnung gab. Luynes mochte mich aus verschiedenen Gründen: er mußte in mir keinen Rivalen in der Gunst des Königs sehen. Außerdem war ich mit meinem Orbieu zufrieden und machte ihm nichts streitig, was er begehrte, und er begehrte viel. Dazu bezeigte ich ihm keinerlei Geringschätzung und empfand sie auch nicht.
|133|Oh, er war sehr verpönt und wurde nicht nur von den Großen durch den Schmutz gezogen, sondern auch von einer ganzen Anzahl von Hofleuten, und das aus guten wie aus schlechten Gründen. Man warf ihm seinen niederen Adel vor, für den er ja wahrlich nichts konnte, aber auch seinen Kleinmut, um nicht zu sagen, seine Feigheit, vor allem jedoch diese fessellose Habgier, in der er Concini nicht nachstand und, wie gesagt, alles an sich raffte, Stellen, Titel, Schlösser, hohe Geldsummen, aber nicht nur für sich, sondern ebenso für seine unzählige Verwandtschaft. Und Luynes litt darunter, soviel Haß auf sich zu ziehen, denn er war empfindsamen und sanftmütigen Wesens und wollte gern jedermanns Freund sein.
Hier möchte ich noch ein Wort zu seiner Person sagen, die überaus gepflegt und sehr einnehmend war, obwohl er für einen Mann eher hübsch war als schön. Auch fehlte es ihm nicht an Tugenden, denn er war kein Frömmler, wie man es später in diesem Jahrhundert wurde, sondern aufrichtig fromm. Außerdem hing er sehr an seinen Brüdern und seiner Familie, liebte den König innig und war seiner Gemahlin treu, die es ihm nicht war. Äußerst gewandt, drückte er sich gut und wortreich aus, im singenden Tonfall der Provence, und obwohl er verschwiegen war, legte er in seine Worte und Komplimente eine überquellende Wärme, die den Umgang mit ihm angenehm machte.
Zu besagtem Gespräch nun kam es, weil ich, einen Bericht vorschützend, den ich über Ludwigs Herrschaft seit dem Staatsstreich vom vierundzwanzigsten April verfaßte, von Seiner Majestät die Erlaubnis erhalten hatte, nicht an allen Jagden teilnehmen zu müssen. So war ich an jenem Tag denn im Hause und heilfroh, es zu sein, denn es regnete wie aus allen Himmelsschleusen. Da hörte ich von La Barge, daß auch Monsieur de Luynes das Zimmer hütete, weil er unpäßlich war, aber nicht schlimm, wie La Barge lächelnd hinzusetzte, jeder am Hof wisse doch, daß der Favorit eine Weichlichkeit pflege, die ihn wegen jedes Schnupfens niederstrecke.
Ich ließ also durch La Barge anfragen, ob ich ihn besuchen dürfe, worauf er erwiderte, »nichts auf der Welt könnte ihm größeres Vergnügen bereiten«. Dies nur, Leser, um Ihnen einen Eindruck der Redeweise zu geben, in der Luynes sich auszeichnete und vermöge derer unsere Unterhaltung mit viel |134|Weihrauch von beiden Seiten begann, denn auch ich mußte ja in dieser Münze zahlen, sonst hätte er mir mißtraut. Danach erkundigte ich mich so diskret ich konnte, ob Frankreich irgendeine Hoffnung habe, endlich einen Dauphin zu bekommen.
»Obwohl die Dinge scheinbar«, sagte Luynes, »am gleichen Punkte sind wie zuvor, haben sie bei diesem Aufenthalt in meinem Hause doch große Fortschritte gemacht.«
Er hielt inne und blickte mich schweigend an, als erwarte er, bevor er fortführe, einen kleinen Schwall Weihrauch, den ich ihm auch gehorsamst gewährte.
»Und zweifellos sind diese Fortschritte Eurer Exzellenz zu danken«, sagte ich.
»Wenigstens habe ich dazu beigetragen«, sagte er im Ton der Bescheidenheit. »Mir dünkte nämlich, was Ludwig von der Königin abschreckt, sei nicht sosehr die Frau, sondern ihre spanische Umgebung. So fand ich denn, wenn man diese Umgebung verjagte, müßten die Dinge einfacher werden.«
»Aber, Monseigneur«, fragte ich mit gespielter Naivität, »wird es denn so leicht sein, diese zu verjagen? Zuerst einmal müßte der König dazu entschlossen sein.«
»Jetzt ist er es.«
Das war mir neu, und ich brauchte mich nicht zu zwingen, meiner Freude Ausdruck zu geben.
»Bravo! Bravissimo, Exzellenz! Aber wird Monteleone sich herbeilassen, dieses Verlangen nach Madrid zu melden?«
»Oh, nein! Monteleone wird mit Hörnern und Klauen dagegen anrennen. Also werden wir Madrid bitten, seinen Stier zurückzurufen.«
Dies sagte Luynes mit seinem provenzalischen Akzent, der jedem seiner Worte Farbe, Saft und Fülle gab.
»Und ich wette«, sagte ich mit einverständigem Lächeln, »der König wird dem Nachfolger Monteleones, sobald er in Paris eintrifft, den freien Zutritt bei der Königin verbieten.«
»Ganz unbedingt«, sagte er, doch so schnell und so erfreut, daß ich vermuten durfte, er habe an diese Möglichkeit nicht gedacht, bis ich sie ihm einflüsterte.
»Kurzum, Exzellenz«, sagte ich, »Ihr werdet die Gemächer der Königin entspanisieren, dann ist der Weg für Ludwig frei. Aber, Exzellenz, wird er ihn auch gehen?«
Dieser Vorbehalt, nachdem ich ihn so sehr gelobt hatte, |135|pickte ihn ein wenig, er vergaß seinen Katarrh und richtete sich von seinem Lager auf.
»Ich bin der einzige«, sagte er in selbstsicherem Ton, »der dem König so nahesteht, daß er ihn dazu bewegen kann, und, glaubt mir, ich werde keine Mühe scheuen.«