»Monsieur, auf ein Wort.«
»Schöne Leserin, ich höre.«
»Sie sagten, dem Herzog von Longueville wurde vergeben.«
»Richtig.«
»Und den anderen Herzögen?«
»Als die Rebellion losbrach, waren alle des Majestätsverbrechens schuldig und ihrer Gouvernements verlustig erklärt worden. Nach der Niederlage von Ponts de Cé, als sie den König um Verzeihung baten, auf einem oder auf beiden Knien, je nachdem, wie schuldig sie sich fühlten …«
»Wer bat auf beiden Knien um Verzeihung?«
»Épernon. Wahrscheinlich, weil er rückfällig geworden war, er hatte sich ja schon am ersten Krieg zwischen Mutter und Sohn beteiligt.«
»Wie hübsch! Sie haben diesen Kniefall doch nicht etwa erfunden, Monsieur?«
»Nein, nein. Wenn Sie mir nicht glauben, fragen Sie Héroard. Er war dabei. Doch um mit Ihrer Erlaubnis fortzufahren: Nachdem die Herzöge ihren Kniefall absolviert hatten, wurden die gegen sie getroffenen Maßnahmen für nichtig erklärt.«
»Und weiter geschah nichts?«
»Doch! Der König empfing die reuigen Herzöge: eiskalt.«
»Wie, keine Festnahmen, keine Prozesse, keine Bastille, keine Enthauptungen?«
»Schöne Leserin, wo denken Sie hin? Ein Herzog und Pair – zum Tode verurteilt!«
»Henri Quatre ließ Biron köpfen.«
»Biron war kein Herzog und Pair aus alter Familie. Außerdem hatte er sich verräterisch mit Spanien verbündet und verfügte über große militärische Talente. Er war eine ernstzunehmende Bedrohung für den König und nach seinem Tod für seinen Sohn. Trotzdem erregte seine Hinrichtung damals Empörung.«
|240|»Wenn ich Sie recht verstehe, ist ein Herzog und Pair sozusagen unantastbar.«
»Sozusagen, ja.«
»Und wieso?«
»Im Namen des Blutes, schöne Leserin! Aus Respekt vor dem Blut! Wie wollen Sie den Herzog von Longueville zum Tod verurteilen, wenn durch seinen Vorfahren, den Bastard von Orléans, königliches Blut in seinen Adern fließt?«
»Ist diese Straflosigkeit nicht eine große Gefahr für den Staat?«
»Eine sehr große! Deshalb war Ludwig ja sein Leben lang damit beschäftigt, die Großen zu ducken.«
»Ich denke, das war Richelieus Idee?«
»Richelieu, Madame, hat sie formuliert und unerbittlich durchgesetzt. Aber der König hatte sie vor ihm.«
»Noch etwas, Monsieur. Warum nennt man die Schlacht von Ponts de Cé einen Ulk?«
»Aus Spottlust. Ich weiß nicht, wer sich das ausgedacht hat. Aber natürlich war sie kein Ulk für diejenigen, die dabei ins Gras bissen: Vierhundert Soldaten auf Seiten der Königin und fünfzig Edelleute. Die Ärmsten sind für nichts und wieder nichts gestorben.«
»Und die Königin?«
»Die Königinmutter erklärte urbi et orbi, sie werde niemals mehr französischen Fürsten vertrauen und, geben Sie gut acht, schöne Leserin, sie wolle nicht mehr getrennt werden vom König ihrem Sohn.«
»Rührende Worte, wenn man weiß, was man weiß.«
»Sie lachen, schöne Leserin. Wie finden Sie aber erst, was Richelieu gesagt hat: ›Das Unglück ihrer Waffen freut die Königin.‹ Wie Sie bemerken werden, ist dies ein Alexandriner. Hätte er es nicht verdient, in einer Tragödie zu stehen, wenn die Vorstellung nicht so komisch wäre?«
»Kommt die Königinmutter nun zurück nach Paris?«
»Ja, sicher. In ihre früheren Gemächer im Parterre des Louvre.«
»War es nicht Ihr Herr Vater, der sagte, Ludwig wolle sie lieber bei sich in der Kutsche haben, damit sie draußen nicht die Räuber auf ihn hetze?«
»Richtig, das war mein Vater.«
|241|»Aber ich glaube, Monsieur, auch in der Kutsche kann eine Dame dieses Kalibers allerhand Unheil anrichten.«
»Das steht zu befürchten, leider!«
»Eine letzte Frage, Monsieur. Heiraten Sie denn nun?«
»Diese Frage konnte wirklich nur von einer Frau kommen.«
»Ist das ein Grund, sie nicht zu beantworten?«
»Ist es nicht merkwürdig, Madame, daß Frauen sofort die Ohren spitzen, sobald von Heiraten die Rede ist, obwohl sie so wenig Grund haben, mit ihrem Ehestand zufrieden zu sein? Die meisten beklagen doch die Gefahren der Niederkünfte, den Verlust ihrer Schönheit, die Last mit den Kindern, die Tyrannei des Gatten oder seine Gleichgültigkeit.«
»Sicher. Aber Sie haben immer noch nicht geantwortet.«
»Liebe Güte, Madame, wie Sie mich bedrängen! Ich habe meine Louison.«
»Eine Soubrette!«
»Eine Soubrette, die so viele Vorzüge hat, wie ich sie bei einer Standesperson kaum so leicht finden werde.«
»Sie erzählen gar nichts mehr von Orbieu?«
»Wie sollte ich, wenn ich den König auf seinen Feldzügen gegen die Großen begleite? Trotzdem bin ich über alles, was in Orbieu passiert, auf dem laufenden. Monsieur de Saint-Clair schreibt mir oft, besonders seit er verliebt ist.«
»Er ist verliebt? In wen?«
»In Laurena de Peyrolles, die Tochter eines reichen Nachbarn.«
»Wenn sie reich ist, nimmt sie ihn nicht.«
»Monsieur de Saint-Clair ist ein schöner junger Mann.«
»Aber ein nachgeborener, ohne Titel, ohne Land.«
»Aber immerhin Schwertadel, und der Vater der Schönen ist Amtsadel.«
»Sie meinen, das genügt?«
»Wer weiß? Vielleicht können Sie sich bald an einer Hochzeit ergötzen. Ich jedenfalls gehe mit dem König erst einmal nach Pau1.«
»Nach Pau? Was will er denn in Pau?«
»Gegen Widersetzlichkeit und Ungehorsam der Protestanten im Béarn einschreiten.«
|242|»Widersetzlichkeit und Ungehorsam! Habe ich recht verstanden? Wo sind Ihre Sympathien für die Hugenotten hin?«
»Die habe ich wie eh und je. Trotzdem sehe ich, wie unvernünftig sie sich aufführen. Sie bekämpfen die königliche Macht, die ihnen Schutz gibt! Sie verletzen das Edikt von Nantes1, dem sie alles verdanken! In ihrer Torheit suchen sie sogar Beistand beim spanischen König. Beim spanischen König, Madame, dem mächtigsten Arm der Gegenreformation in Europa!«
»Ich fasse es nicht: Die Protestanten sind gegen das Edikt, das sie schützt?«
»Nicht alle, nur die im Béarn und in Navarra, obwohl sie von den anderen unterstützt, wenn nicht nachgeahmt werden. Genauer gesagt, nehmen die Béarnaiser die Freiheiten und Sicherheiten des Edikts in Anspruch, verweigern aber dessen Verpflichtungen.«
»Welche Freiheiten und Sicherheiten?«
»Das Edikt garantiert den Protestanten Gewissens- und Glaubensfreiheit und gewährt ihnen gut hundert Festungen, deren Garnisonen – o Paradoxon! – vom französischen König bezahlt werden. Damit hat er sich einen Staat im Staate geschaffen, und zwar einen, der ihm gegebenenfalls bewaffneten Widerstand leisten kann.«
»Und woher kommt die sonderbare Verfügung?«
»Sie wurde getroffen, um den Protestanten Sicherheit zu geben, nachdem sie ein halbes Jahrhundert furchtbar verfolgt worden waren. Aber mit der Zeit ist sie zur Achillesferse dieses hervorragenden, so menschlichen Edikts geworden, das erstmals die friedliche Koexistenz zweier einander hassender Kirchen garantieren sollte, die doch zum selben Gott beten.«
»Und die Verpflichtungen?«
»Die Protestanten sollen dort, wo sie die Mehrheit und die Macht haben, Kult und Güter der Katholiken respektieren.«
»Und, wenn ich Sie recht verstehe, tun die Protestanten im Béarn und in Navarra das nicht?«
»Nein, Madame. Dort hält sich ein beklagenswerter Zustand: |243|Die Großmutter unseres Ludwig, Jeanne d’Albret, Königin von Navarra, Prinzessin von Béarn und eine fanatische Hugenottin, hat vor gut fünfzig Jahren die katholische Religion in ihren Ländern verboten, die Besitztümer der katholischen Kirche beschlagnahmt und den Pastoren gegeben.«
»Und dieser Zustand konnte ein halbes Jahrhundert andauern?«
»Ja. Trotz Henri Quatre, trotz der Regentin und obwohl der Papst die Abschaffung dieser Mißstände zur Bedingung sine qua non gemacht hatte, als er die Exkommunizierung Henri Quatres aufhob. Henri versprach es, konnte sein Versprechen aber nicht halten. Wie hätte er auch? Béarn und Navarra, das war seine geliebte Heimat: Wie hätte er sie mit Gewalt zum Gehorsam zwingen können im selben Moment, wo er das Bündnis mit den protestantischen Fürsten Europas suchte, um den Würgegriff der Habsburger zu sprengen?«
»Und die Regentin, nachdem er tot war?«
»Maria, ach! Sie hatte nicht die Kraft dazu, sosehr es sie als Habsburgerin, strenggläubige und papsttreue Katholikin auch reizte.«
»Und Ludwig?«
»Ludwig beschloß nach dem ›Ulk‹ von Ponts de Cé, es nicht dabei bewenden zu lassen, sondern gleich noch die rebellischen Protestanten von Béarn und Navarra in die Knie zu zwingen. Es wurde verhandelt. Aber diese fanatischen Hugenotten der Pyrenäen leben so fern von Paris, daß sie sich wer weiß was dünkten. Weder wollten sie den katholischen Kult wieder zulassen noch der Geistlichkeit die geraubten Habe zurückgeben. Navarra und Béarn, behaupteten sie, seien souveräne Länder, sie bräuchten das Edikt von Nantes nicht einzuhalten. Dieser Widersetzlichkeit überdrüssig, entschied Ludwig: ›Marschieren wir hin‹, sprach’s und drückte seinen Hut in die Stirn. Zu der Zeit weilte er in dem reizenden Schlößchen Plessis-les-Tours, das ihm aus mehreren Gründen lieb war. Dort hatte viele Jahre Ludwig XI. gelebt. Dort hatte sein Vater sich mit Heinrich III. gegen die Liga verbündet. Und er hatte dort als Knabe tagelang bei Regen und Wind eine Festung aus Lehm gebaut.«
»Und Héroard legte ihm, weil er so vertieft in sein Werk war, daß er auf das Wetter gar nicht achtete, einen Mantel um die Schultern, und Ludwig warf ihn unwillig ab.«
|244|»Sie behalten auch alles, Madame! Aber wissen Sie, welche Überraschung Ludwig erwartete, als er nach Plessis-les-Tours kam? Raten Sie!«
»Wie könnte ich!«
»Er fand dort seine kleine Königin, die am Vortag von Paris eingetroffen war. Er sprang vor Freude in die Höhe, umarmte sie und küßte ihr hübsches Gesicht, und auf der Stelle erzählte er ihr, seine Karten in der Hand, die ›drôlerie‹ von Ponts de Cé und wo er seine Truppen einquartiert hatte.«
»Die Ärmste muß ja vor Langerweile gestorben sein!«
»Oh, nein. Sie starb nicht vor Langerweile, weil sie ihm gar nicht zuhörte. Sie sah ihn nur an, überglücklich über seinen zärtlichen Empfang.«
»Monsieur, ohne von unserem ernsten politischen Feld ins Anekdotische abschweifen zu wollen, aber darf ich fragen …«
»Sie dürfen, schöne Leserin. Am selben Abend teilte Ludwig das Lager der Königin.«
»Und Héroard am nächsten Morgen?«
»Er machte die Geste, auf die Sie hinauswollen, ja. Aber das ist gar nicht so anekdotisch, wie Sie meinen. Es ist wiederum Politik. Denn wenn wir nicht bald einen Dauphin bekommen, wird Monsieur1, ein haltloser junger Mensch, aber bislang der rechtmäßige Thronfolger, zum Mittel- und Angelpunkt endloser Intrigen werden, in denen die Königinmutter die Hände hat. Doch greifen wir nicht vor, unsere gegenwärtigen Schwierigkeiten genügen.«
»Und das wären?«
»Dieser Marsch nach Navarra und Béarn, wie ich schon sagte, um die widersetzlichen Hugenotten zur Vernunft zu bringen. Und nun erlauben Sie, Madame, daß ich meine Erzählung aufnehme, wo ich stehengeblieben war.«
***
Am fünfzehnten Oktober zog Ludwig in Pau ein. Es war das erste Mal, daß er diese wunderbare Stadt sah: ein lauer Balkon unterm ewigen Schnee. Und wie viele Dinge drängten sich da |245|in seinem Gedächtnis! Hier war sein Vater geboren. Karl IX., der Schlächter der Bartholomäusnacht, hatte die Stadt 1568 erobert. Im Jahr darauf eroberte sie Ludwigs Großmutter, Jeanne d’Albret, dank Montgomérys Sieg bei Orthez zurück. Unser Henri, damals sechzehn Jahre alt, war zum Glück für sein zärtliches Gemüt nicht dabei, denn nun ließ seine Mutter die katholischen Anführer, die Montgoméry gefangengenommen und aufs Schloß gebracht hatte, erbarmungslos abschlachten.
Der Widerstand von Béarn und Navarra, der von weitem so entschlossen ausgesehen hatte, brach zusammen, als der König mit seinem Heer erschien. Die versammelten Ratsherren entschuldigten sich im Schloßhof von Pau für ihren Ungehorsam und erklärten, was sie so viele Male schriftlich abgelehnt hatten: das Edikt nun mehr einzuhalten. Sie versprachen, den katholischen Kult wieder zuzulassen, der Geistlichkeit ihren Besitz herauszugeben, und sie akzeptierten die Angliederung von Béarn und Navarra an die Krone.
Zwei Tage später nahm Ludwig die kleine Feste Navarrenx, die den Zugang zu Pau verteidigte. Die kleine hugenottische Garnison, die seine Großmutter dort eingesetzt hatte, mußte abmarschieren, und Ludwig ersetzte sie durch eine Abteilung seiner Soldaten. Binnen fünf Tagen war das Problem Béarn und Navarra geregelt. Am Morgen des einundzwanzigsten Oktober konnte Ludwig von Pau aufbrechen.
Am fünfundzwanzigsten war er in Bordeaux. Am siebenten November stand er vor den Toren von Paris.
Niemand hätte es für möglich gehalten, daß man diese lange Reise von Pau nach Paris in knapp vierzehn Tagen machen konnte. Allerdings saß Ludwig öfter im Sattel als in seiner Karosse und ließ Gepäck, Minister, Kronrat und Garden weit hinter sich. Jeder, der es sich wie ich zur Ehre anrechnete, ihm auf diesem tollen Ritt zu folgen, bekam davon, um es gascognisch auszudrücken, Schwielen an den Hinterbacken. Aber Ludwig, der hervorragende und abgehärtete Reiter, schien von Unbequemlichkeiten nichts zu merken. Was scherten ihn Sonne, Regen, Hagel oder Wind! Gerade nur, daß er einwilligte, an den Etappen seine nassen Kleider und durchgeweichten Stiefel zu wechseln. Warum er so schnell ritt, obwohl es keine Eile gab, wieder nach Paris zu kommen? Ich sehe dafür nur einen Grund: Weil er so wortkarg und verschlossen war, konnte er |246|durch diesen wilden Galopp seine Freude darüber ausdrücken, daß er die Großen bezwungen hatte, daß er zum dritten Mal seine Mutter zum Gehorsam gebracht und daß er den katholischen Glauben im Béarn und in Navarra durchgesetzt hatte. Wenn meine Stute mich dann und wann auf gleiche Höhe mit ihm trug, sah ich ihn vorgebeugt im Sattel, den Hut in der Stirn und den Schatten eines Lächelns im undurchdringlichen Gesicht. Dann glaubte ich zu empfinden, was er empfinden mochte. Nachdem er durch die perfezione seiner Ehe bewiesen hatte, daß er sogar der Gatte einer spanischen Infantin sein konnte, hatte er nun im Angesicht Spaniens, des Erbfeinds, gezeigt, daß er für seine ganze Herrschaft ein Soldatenkönig sein würde wie sein Vater.
Ein für allemal war es vorbei mit den Kränkungen, den Affronts und den Demütigungen der Regentschaft. Von jetzt an war er wirklich Herr in seinem Reich.
Im Louvre nun, glücklich, sein Pflaster mit festem Schritt zu betreten, ging Ludwig, seiner protokollarischen Pflicht getreu, die Königinmutter begrüßen und seine Wangen den mütterlichen Lippen darzubieten, die ihn in sieben Jahren Herrschaft kein einziges Mal geküßt hatten. Dann brachte er seinen Respekt der jungen Königin dar und überreichte ihr einen diamantbesetzten Ring, und er begleitete sein Geschenk mit liebevollen Blicken und herzlicher Umarmung. Hierauf erlaubte er sich einigen Überschwang mit Henriette, die er als dritte begrüßte. Seit ihre älteren Schwestern verheiratet waren, nannte man sie Madame. Sie war elf Jahre alt und koketter als keiner anderen guten Mutter Kind in Frankreich, und ihr Gesicht hatte etwas so Anziehendes, daß alle sie liebten. Ludwig schenkte ihr einen ovalen silbernen Spiegel, dessen Griff die drei umschlungenen Grazien bildeten. Sie waren in lange Schleier gehüllt, was den Anstand auf Kosten der Schönheit befriedigte. Aber so, wie er war, gefiel Henriette der Spiegel, die ihrem großen Bruder um den Hals fiel. Und er drückte sie an sich und ließ sie durch den Raum wirbeln, ohne daß ihre kleinen Füße den Boden berührten.
Während der ganzen vierzehn Tage jenes Gewaltritts vom Süden nach dem Norden seines Reiches hatte Ludwig, wie ich beobachtete, wenig gegessen. Als ob er sich vom Ruhm seiner Waffen nährte und als ob diese Speise ihn jede andere vergessen |247|ließ. Auch an diesem Abend beendete er sein Souper ungewöhnlich schnell, nachdem er von allem nur gekostet hatte, und als er aufstand, verkündete er, er wolle das Lager der Königin teilen. Er wurde ungeduldig, als Berlinghen den Degen nicht gleich fand, den er blankgezogen zwei Schritt hinter dem König hertragen mußte, wenn Seine Majestät sich zu seiner Gemahlin begab. Das Gefolge, das hinter Berlinghen her eilte, bestand diesmal nur aus Luynes, dem Grafen de La Rochefoucauld, Héroard und mir. Und es war keiner unter uns, der nicht verstand, daß es Ludwig drängte, nun anderen Lorbeer zu pflücken und die Ruhe des Soldaten zu genießen bei seiner Königin.
***
Als ich sah, daß die Dinge des Königs so gut standen, erbat ich mir von ihm einen mehrtägigen Urlaub, um meine Herrschaft Orbieu zu besuchen. Das letzte Mal war ich kurz im Januar 1620 dort gewesen, als ich auf inständiges Bitten des Pfarrers Séraphin zur Messe mein Kreuz des Heiligen-Geist-Ordens trug. Und obwohl Monsieur de Saint-Clair mich in seinen langen Briefen fast jede Woche bis ins kleinste unterrichtete, was auf meinem Gut vorging, welche guten Erträge wir auch in diesem Jahr wieder erzielt hatten, war ich sehr begierig, das Auge des Herrn auf mein Eigentum zu werfen. Auch lockte es mich, jene Laurena de Peyrolles kennenzulernen, in die mein Saint-Clair so verliebt war.
Ihr Vater, dem ich schon zwei- oder dreimal begegnet war, hatte früher das Amt eines Untersuchungsrichters innegehabt, dank dessen er in den Amtsadel aufgestiegen war. Älter geworden, hatte er sein Amt verkauft und den größeren Teil des Erlöses mit gutem Zinsertrag angelegt. Von dem anderen Teil hatte er das Gütchen Peyrolles gekauft, das an meine Herrschaft grenzte. Es umfaßte ein hübsches Haus und nicht geringe Ländereien, die er mit viel Mühewaltung und Verstand beackerte. Nachdem die alte Marquise de Peyrolles, die ihm das Gut verkauft hatte, ohne Nachkommen gestorben war, ließ unser Mann, der Lautrin hieß, sich zunächst Monsieur Lautrin de Peyrolles nennen. Und als die Gewohnheit sich eingeschliffen hatte, unterschlug er den bürgerlichen Lautrin und wurde Monsieur de Peyrolles. So war es im Reich schon lange Brauch. Mancher |248|spottete darüber, aber eigentlich hatte niemand etwas dagegen. Und waren die neuen Herren nur wohlhabend genug, geruhte der Schwertadel auch durchaus ihre Töchter zu heiraten.
Meine Louison, die ich ländlich erblüht fand, machte mir anfangs bittere Klagen, daß ich sie so viele Monate nicht besucht hatte. Meine Entschuldigungen stellten sie wenig zufrieden, der Dienst für den König erkläre nicht alles, sagte sie und verdächtigte mich offen der Untreue. Wenn das so weiterginge, sagte sie, wolle sie lieber in das Haus im Champ Fleuri zurückkehren, als sich in dieser Einöde zu grätzen, wo sie keinen zum Reden hätte außer Monsieur de Saint-Clair, der ihr den lieben langen Tag in den Ohren läge mit seinen albernen Hymnen auf Laurena de Peyrolles.
Ich versuchte sie zu besänftigen, so gut ich konnte, zuerst mit Worten, aber erfolglos, dann mit Liebkosungen, die sie abwehrte, und schließlich mit einem Geschenk, einer goldenen Kette, die ich in Poitiers für sie gekauft hatte. Sie nahm sie völlig unbeeindruckt entgegen. Ob ich mir einbildete, sie mit Klimbim abspeisen zu können. Wenigstens legte sie aber die Kette um und trat vor einen großen Spiegel. Sie beschaute sich von vorn, von der Seite und mit Hilfe eines kleinen Spiegels, den sie aus der Tasche ihres Reifrocks zog, auch von hinten. Sie ließ ihre Finger über die goldenen Glieder der Kette gleiten und sagte, man könne mir ja viel vorwerfen, aber nicht, daß ich knauserig sei: Dieses Halsband sei für ihr Gefühl durchaus einer Standesperson würdig.
Was sie mir denn vorzuwerfen habe, fragte ich.
»Eure andauernde Untreue«, sagte sie, nun wieder mit flammenden Augen.
»Nein«, sagte ich ernst, »keine andauernde, keine einmalige, ich war dir treu, Louison.«
»Wirklich! Schwört Ihr mir das beim Haupt Eures Vaters?«
»Ich schwöre es.«
Sie blickte mir eine Weile fest in die Augen, und auf einmal schmolz das Eis, und sie fiel mir um den Hals.
Das Ungestüm unserer Umarmungen, die ein Großteil der Nacht verschlangen, überzeugte sie vollends, daß ich das Haupt des Marquis de Siorac nicht leichtfertig beschworen hatte. Und als unsere Glut erschöpft war, schmiegte sie ihren Kopf an meine Schulter, ganz Sanftmut und Liebe.
|249|Mich weckte das erste Tageslicht, und weil die Nacht die Erinnerung an meine Reisen ausgelöscht hatte, fand ich mich ganz verwundert in meinem Schlafzimmer zu Orbieu. Und wie köstlich war nun meine Überraschung, daß Louison in meinen Armen lag, zärtlich, warm, mit ihren langen Haaren, so als hätte der Herrgott meinen Schlaf genutzt, sie in seiner Güte für mich zu erschaffen. Ich betrachtete sie eine Weile, die ersten Strahlen der Morgenröte vergoldeten ihr Gesicht, und ihre geschlossenen Augen, die geöffnet so viele Flammen sprühen konnten, hatten etwas Naives und Kindliches, das mir ans Herz griff.
In unserer Hast am vergangenen Abend hatte sie weder die Bettvorhänge noch die Damastgardinen an den Fenstern zugezogen, und als wir beide aufwachten, durchdrang uns schnell die Novemberkälte, die wir über unseren Umarmungen am Abend nicht einmal bemerkt hatten. Rasch sprang meine Eva, wie Gott sie geschaffen hatte, aus dem Bett und legte Feuer an das Reisig im Kamin. Der Diener mußte es am Vortag gut unter den Scheiten geschichtet haben, denn in Minutenschnelle lohte das Feuer hoch und hell und tanzte für uns in freundlicher Wärme. Louison warf uns eine zweite Decke über, schloß die Bettvorhänge außer nach der Feuerseite hin, dann kuschelte sie sich bei mir ein, damit ich sie aufwärme.
Wie ich es liebe, dies trauliche Geplauder im Bett, wenn meine Gefährtin mir, ohne es zu wissen, so reiche Geschenke allein dadurch macht, daß sie ihren süßen Körper an den meinen schmiegt. Und wie gut ich mich dieser Plauderei entsinne, so wenig belangvoll sie auch war.
»Was sagtest du gestern abend, Louison«, fragte ich lächelnd, »wenn das so weiterginge, daß ich dich so wenig besuche, würdest du lieber wieder in unser Pariser Haus zurückgehen?«
»Das habe ich gesagt, ja, und davon nehme ich kein Wort zurück.«
»Meinst du nicht, daß du dabei viel verlieren würdest? Hier regierst du das Haus, herrschst despotisch übers Gesinde, hast in Monsieur de Saint-Clair stets höfliche Gesellschaft, und deinen Reifrock würde Franz dir im Champ Fleuri keine Minute erlauben.«
»Was heißt ›despotisch‹?«
»So nennt man eine unumschränkte Herrschaft.«
|250|»Na ja, das muß schon sein bei unseren Leuten hier. Glaubt Ihr, sie wären sonst so ergeben und fleißig? Darauf könnt Ihr Euch verlassen, daß ich keine Faulheit, Unsauberkeit oder Frechheit dulde.«
»Die Frechheit hebst du auf für mich«, sagte ich.
»Oh, Monsieur«, sagte sie tiefernst, »das ist ganz was anderes: Euch liebe ich.«
Ich lachte laut heraus.
»Habe ich was Dummes gesagt?« fragte sie besorgt.
»Nein, nein, Louison«, sagte ich, »du hast nur eine Wahrheit ausgesprochen, die man so nicht auszusprechen pflegt.«
»Was übrigens Monsieur de Saint-Clair angeht, ist er immer höflich, ja, und er gibt sich wirklich große Mühe mit allem auf dem Gut. Aber er ist nicht lustig und macht keine Scherze wie Ihr. Und seit er verliebt ist, langweilt er mich zu Tode mit seinem Gerede.«
»Wieso?«
»Er schwärmt in allen Tonlagen, wie schön das Fräulein ist. Dabei ist sie ein Mädchen wie andere auch: fade Haare und Wasseraugen.«
»In seinen Briefen schilderte er sie mir wunderschön goldblond und ihre Augen himmelblau.«
»Ist doch dasselbe«, sagte Louison eigensinnig.
Ich lachte.
»Ihr lacht mich aus!«
»Überhaupt nicht.«
Und ich setzte meiner kleinen Brünetten einen kleinen Kuß auf die hübsche Nase. Aber es half nichts. Schon im Champ Fleuri konnte keiner von uns Margots Schönheit auch nur ein bißchen loben, ohne daß sie wütend wurde.
»Aber noch schlimmer ist«, setzte sie hinzu, »die Göre hat ihren eigenen Kopf. Wenn er die heiratet, dann, das garantier ich Euch, Herr Graf, ist er nicht Herr im Haus.«
Und du nicht mehr die Herrin hier, dachte ich im stillen, und genau an der Stelle, mein Lieb, drückt dich der Schuh.
»Was meinst du denn«, fragte ich laut, »ob aus dieser Heirat etwas wird?«
»Wenn’s nach mir ginge, nicht! Was muß sich Monsieur de Saint-Clair so schnell verheiraten? Hat er nicht seine Jeannette, ein liebes Mädchen, mit der ich mich so gut verstehe?«
|251|»Vielleicht ist es ein bißchen viel verlangt von Saint-Clair, daß er nicht heiraten soll, um dir nicht zu mißfallen.«
Hierauf mußte auch sie lachen. Sie war klug genug, um sich auch über sich selbst lustig zu machen.
»Aber, mal ernsthaft«, sagte sie, »ich glaube, es kommt zur Hochzeit. Das Mädchen will ihn. Und als seiner einzigen Tochter gibt der Vater ihr soviel Geld mit, daß sie Saint-Clair, auch wenn er nicht reich ist, doch lieber nimmt als irgendeinen dicken Geldsack. Das einzige ist, daß sie, eingebildet, wie sie ist, auch gern einen Titel haben möchte, und Saint-Clair hat keinen.«
»Aber er ist guter alter Adel.«
»Aber ohne Titel. Monsieur, wollt Ihr dieser Verbindung helfen?«
»Sicher.«
»Dann überlaßt Monsieur de Saint-Clair zur Hochzeit das Haus, das Ihr dem Rapinaud abgekauft habt. Ihr fangt doch nichts damit an, so groß und schön es ist. Es macht was her mit seinem Turm und würde dem Stolz des Mädchens sicher schmeicheln.«
Das du, mein Schätzchen, dachte ich, lieber dort sehen möchtest als hier, damit es dir dein Reich nicht streitig macht.
»Das hätte auch den Vorteil«, fuhr Louison fort, »daß die arme Jeannette dann nicht in ihre traurige Hütte zurückmüßte, sondern hier im Schloß bleiben könnte, was nur gerecht wäre. Schließlich hat sie Monsieur de Saint-Clair ihre Jugend gegeben.«
Es rührte mich, daß meine Louison sich so zartbesaitet gegenüber einer Kammerfrau zeigte, der sie sich weit überlegen fühlte. Aber natürlich konnte Jeannette ihr nie gefährlich werden, weder von ihren Aufgaben her noch von Wesen und Erscheinung.
Ich sah Monsieur de Saint-Clair nach dem Frühstück in meinem Kabinett. Er legte mir alle Rechnungen auf Heller und Pfennig dar, was eine gute Stunde dauerte, so peinlich genau war er.
Wir bewirtschafteten das Gut nun drei Jahre, und man konnte es wohl ein Wunder nennen, wie es sich herausgemacht hatte. Die Ausgaben für das Rapinaud-Anwesen, den Wegebau und das Kirchendach waren schon im ersten Jahr getilgt worden. |252|Und das zweite und dritte Jahr hatten einen Gewinn abgeworfen, der das Doppelte meiner Pension als Erster Kammerherr betrug – ungeachtet der hunderttausend Livres, die mir von der Schenkung des Königs, damit ich Orbieu kaufen konnte, übriggeblieben waren. Diese Summe hatte ich nach dem Rat meines Vaters und La Suries angelegt, und sie brachte mir hübsche Zinsen.
Gewiß, der Unterhalt des Hauses, des Gesindes, der Hunde und Pferde kostete mich einiges. Am teuersten kamen mich aber die Schweizer für meine Reisen zwischen Paris und Orbieu zu stehen. Doch waren die Wege, abgesehen von den Straßenräubern, neuerdings gefährlich geworden durch die Söldner, die der Krieg zwischen Mutter und Sohn auf beiden Seiten rekrutiert hatte und die, nun entlassen, auf ihrer Heimkehr die Dörfer plünderten, die das Pech hatten, an ihrem Weg zu liegen. Diese Burschen waren noch schlimmer als die Räuber, sie waren besser bewaffnet, schreckten vor nichts zurück und verstanden sich auf alle Kriegslisten.
Um auf Orbieu zurückzukommen, so vergesse ich nicht, wieviel meine Wirtschaft dem Rat meines Vaters und La Suries verdankte, wie sehr Pfarrer Séraphin mir bei meinen Dörflern geholfen und wie gut Figulus mich in ihre Sprache eingeweiht hatte, vor allem aber, daß Monsieur de Saint-Clair das Gut mit ebensoviel Sorgfalt, Ehrgeiz und Klugheit leitete, als wäre es sein eigen. Aber ich darf auch sagen, daß ich nie aufgehört habe, ihn bei dieser Aufgabe zu unterstützen, daß ich ihn besucht habe, so oft ich konnte, und seine Briefe immer sofort und mit aller Genauigkeit beantwortet habe.
Gerne hätte ich nun mit ihm über sein Heiratsvorhaben gesprochen, sowohl aus Freundschaft für ihn wie um der Folgen willen, die sich daraus für Orbieu ergeben würden. Denn wer ein bißchen Lebenserfahrung hat, weiß, daß diese Folgen ebenso glücklich wie ärgerlich sein konnten, je nachdem. Aber Monsieur de Saint-Clair wollte nach der Rechnungslegung unbedingt erst über einen Plan mit mir reden, der ihm am Herzen lag.
In Orbieu wurde viel Flachs angebaut, sowohl auf unserem Grund und Boden wie auch auf den Parzellen unserer Dörfler. Das machte große Mühe, brachte aber auch einen nicht zu verachtenden Gewinn, der allerdings nach seiner Ansicht noch erhöht werden konnte.
|253|Wenn der Flachs geerntet ist, muß er bekanntlich mehrfach und mit großer Mühsal bearbeitet werden, bis man die Fasern an den langen Winterabenden verspinnen kann. Und dann kommt so ein gerissener Händler aus der Stadt, behauptet, das Leinengarn sei minderer Qualität, und kauft es unseren Dörflern für einen lachhaften Preis ab, ein Jammer, wenn man bedenkt, wieviel Arbeit es sie gekostet hat.
Unser Leinen, das allerdings sorgsamer behandelt wurde, brachte uns bei einem Händler von Dreux doppelt soviel ein wie unseren Dörflern. Daher meinte Saint-Clair, man sollte die Dörfler lehren, den Flachs besser zu behandeln und zu bearbeiten, dann könnte man ihnen für das Garn etwas mehr zahlen als ihre Händler und es zusammen mit dem unseren verkaufen.
»Monsieur de Saint-Clair«, sagte ich, »zwar sehe ich ein, welchen Profit die Dörfler und wir dabei gewinnen könnten. Aber ist es nicht sehr aufwendig, ihnen all das dazu Notwendige beizubringen: die Auswahl des Saatgutes und des geeigneten Bodens, das Düngen, das sie immer noch zu wenig und zu schlecht machen, vor allem aber das richtige Rösten und Schwingen, das soviel Sorgfalt und Verstand erfordert?«
Schöne Leserin, bevor ich fortfahre, will ich Ihnen sagen, was man darunter versteht. Wenn der Flachs, der übrigens im Frühling wunderschön blau oder blaugrün auf unseren Feldern blüht, gerauft und geriffelt ist, wird er geröstet, das heißt, die Baststränge werden von den umschließenden klebrigen Rindenstoffen befreit. Dazu legt man die Stränge in stark strömendes Wasser. Man muß aber aufpassen, daß man sie nicht zuviel und nicht zuwenig rotten läßt, denn weder dürfen sie klebrige Reste behalten, noch dürfen sie verfilzen.
Nach dem Rösten wird der Flachs gebrochen und geschwungen: Man klemmt die Stränge zwischen lange Planken und schlägt sie mit der Schwinge, einem scharfkantigen Holz, damit sich Holz und Rinde von den Fasern lösen. Danach werden die Fasern gehechelt, und nun erst beginnt das Werk der Spinnerinnen.
»Natürlich kostet es Mühe, Herr Graf«, sagte Saint-Clair ernst, »und wie die Schöpfung läßt sich so etwas nicht an einem Tag bewältigen. Aber wir könnten doch zunächst von unserem Bach aus ein gefliestes Gerinne bauen, in dem sich |254|das Rösten reinlicher machen ließe als zwischen Schlamm und Kieseln. Und weil wir genug starkes Wasser haben, könnten wir auch wie die Flamen eine Schwingmühle bauen, die uns die schwere Arbeit abnimmt und sie sehr viel besser und schneller macht. Beide Bauten, Herr Graf, wären für uns wie für unsere Dörfler ein großer Gewinn.«
Für uns mehr als für die Dörfler, dachte ich im stillen, denn würden wir für das Rösten in unserem Gerinne und das Schwingen in unserer Mühle nicht ebenso einen wenn auch geringen Anteil an ihrer Ernte erheben wie bei der Weinpresse und der Kornmühle auch?
»Monsieur de Saint-Clair«, sagte ich lächelnd, »ich bewundere Eure Begeisterung und Euren Erfindungsreichtum. Und ich werde in Muße über Euren Plan nachdenken. Im Augenblick möchte ich aber hören, wie es mit jenem Anliegen steht, das Euch teuer ist und von dem Ihr mir in Euren Briefen spracht.«
Hierauf errötete mein Saint-Clair, was zugleich seiner klaren Haut und seinem guten Gewissen Ehre machte.
»Herr Graf«, sagte er, »auch ich wollte deswegen mit Euch sprechen.«
Er verstummte so jäh, daß ich spüren konnte, wie sehr der Gedanke an Laurena de Peyrolles ihn bewegte und daß es fast ein Sakrileg für ihn war, über sie zu sprechen.
»Habt Ihr bei Monsieur de Peyrolles schon um ihre Hand angehalten?« fragte ich.
»Ja, Herr Graf.«
»Und wie war die Antwort?«
»Nicht sehr ermutigend«, murmelte er traurig. »Aber immerhin«, fuhr er mit festerer Stimme fort, »wollte er meine Familienurkunden sehen, die das Alter meines Adels beweisen.«
»Sind sie denn in Eurem Besitz?«
»Ja, Herr Graf. Ich bin seit dem Tod meines ältesten Bruders und meines Vaters das Familienoberhaupt, ich kann sogar sagen, der letzte meiner Familie.«
»Und was hat er mit diesen Papieren gemacht?«
»Er wollte sie in Ruhe studieren, und als er gestern durch mich erfuhr, daß Ihr nach Orbieu kämt, sagte er, es wäre ihm eine Ehre, wenn Ihr ihm ein Gespräch gewähren würdet. Ich habe mir also erlaubt, Herr Graf, ihn auf morgen zum Mittagessen |255|ins Schloß einzuladen, mit seiner Tochter. War das falsch?« fragte Saint-Clair, abermals errötend.
»Aber nein, nein. Wie soll man sich näherkommen, wenn nicht bei Tische?«
»Monsieur de Peyrolles bat mich dabei um etwas, was mich ein wenig verwunderte. Aber weil er sehr darauf zu halten schien, habe ich zugestimmt.«
»Um was handelt es sich?«
»Er bat mich, den Herrn Pfarrer mit einzuladen.«
»Was ist daran Verwunderliches?« sagte ich lachend. »Monsieur de Peyrolles will nicht, daß Ihr mit seiner Tochter allein bleibt, wenn er sich mit mir bespricht.«
»Darauf kam ich nicht«, sagte Saint-Clair, der mir ein wenig gekränkt schien, daß Monsieur de Peyrolles seiner Ehre so wenig traute.
»Nun, nun!« sagte ich, »ärgert Euch nicht, Saint-Clair, das hat weiter nichts auf sich. Es gibt sogar im Adel sehr besorgte Väter. Mademoiselle de Peyrolles ist seine einzige Tochter. Bedenkt, wie der gute Mann sie lieben muß! Was meint Ihr, ob es die Dinge vereinfachen würde, wenn ich Euch das Rapinaud-Haus überließe?«
»Oh, großen Dank, Herr Graf«, sagte er freudig, »das wäre unendlich großzügig von Euch. Denn soweit ich es verstand, fürchtet Mademoiselle de Peyrolles, auf den zweiten Rang im Schloß verwiesen zu werden, wenn Ihr Euch eines Tages vermählt.«
»Also abgemacht«, sagte ich, indem ich mich erhob. »Ihr bekommt das Haus, und wenn Mademoiselle de Peyrolles Euch heiratet, kann sie dort als alleinige Herrin schalten und walten.«
Hiermit trat ich zu Monsieur de Saint-Clair und umarmte ihn. »Nur Mut!« raunte ich ihm zu. Und seine Dankesworte unterbrechend, eilte ich zur Tür. »Schickt dem Herrn Pfarrer zum Diner morgen meine Karosse«, rief ich ihm noch zu, »Ihr wißt, wie ihn das freut.«
Ich ging auf mein Zimmer, um meine Toilette zu vervollständigen. Ich traf auf Louison, die das Bett machte, das sie am vergangenen Abend so eifrig mit verwüstet hatte. Sie war aber nicht zufällig dort: Ihre Augen hingen neugierig an mir, und um sie nicht auf die Folter zu spannen, berichtete ich ihr, wie es |256|stand. Sie war klug genug, nicht zu triumphieren, wie sie gedurft hätte, denn die Idee, Saint-Clair das Rapinaud-Haus zu geben, stammte von ihr. Aber sie konnte nicht umhin, unendlich erleichtert zu strahlen, weil sie nun keine Rivalin im Regiment des Schlosses fürchten mußte. Und auf einmal ganz Zärtlichkeit für die schönen jungen Liebenden, wünschte sie glühend, daß diese Hochzeit zustande käme.
Das Essen war auf halb zwölf Uhr angesetzt. Pfarrer Séraphin traf mit meiner Karosse als erster ein. Seine Nichte, falls die schmucke Person, die sein Haus führte, seine Nichte war, hatte es sich angelegen sein lassen, den robusten Mann ordentlich zu säubern. Er war anständig rasiert und gekämmt, und kein Fleck entehrte seine neue Soutane, die er meiner Freigebigkeit verdankte. Als er sah, daß auch ich mich sorgfältig gekleidet und sogar mein Ordenskreuz angelegt hatte, um Monsieur de Peyrolles Ehre zu erweisen, begriff mein Séraphin, daß dieses Mahl einige Feierlichkeit haben würde. Sogleich nahm sein rotes Gesicht eine zurückhaltende, ja unterwürfige Miene an. Ich bot ihm Platz, und während wir auf Monsieur de Peyrolles warteten, der meines Erachtens fünf oder zehn Minuten später eintreffen würde, um seine Bedeutung zu betonen, ließ ich dem guten Pfarrer Wein einschenken und fragte ihn, was es im Dorf Neues gäbe.
Doch kaum tat er den Mund auf, trat Monsieur de Saint-Clair herein, schön, wie ein Mädchen sich einen jungen Mann nur erträumen kann, aber sehr blaß.
»Saint-Clair«, sagte ich, »trinkt einen Schluck Burgunder und reibt Eure Wangen! Ihr seid ganz bleich. Und wahrhaftig, vertraut mir nur! Bald könnt Ihr Hochzeit feiern.«
Als ich Pfarrer Séraphin nun nach seinen Schäfchen fragte, hörte ich, daß es auch im Dorf um eine Heirat ging. Die Marion, sagte Séraphin, habe, wie man so sagt, Ostern vor Palmsonntag gemacht. Und er wisse nicht, sollte er Figulus morgen zu ihrer Hochzeit die Glocken läuten lassen oder nicht?
»Wer in Orbieu weiß, daß sie dem Sakrament vorgegriffen hat?«
»Bis eben nur ich, Herr Graf, jetzt auch Ihr und Monsieur de Saint-Clair.«
»Dann gönnt der armen Marion ruhig die Glocken!« sagte ich. »Sonst erfährt noch das ganze Dorf von ihrem Fehltritt, |257|und wer weiß, ob das den anderen Mädchen, die auf einen Mann warten, nicht ein schlechtes Beispiel wäre?«
Dieses Argument überraschte Séraphin. Er hatte gedacht, das gute Beispiel gäbe man durch das Gegenteil, doch wollte er sich der Meinung des Herrn gerne beugen. Und am nächsten Tag bekam die Marion ihre Glocken und von mir ein Geschenk.
Prächtig anzusehen in meiner Livree, trat La Barge herein und meldete, die Karosse von Monsieur de Peyrolles fahre an unserer Freitreppe vor.
»Und«, fragte ich, »wie ist die Karosse?«
»Vergoldet, Herr Graf«, sagte la Barge mit einem Lächeln.
Dieses kleine Lächeln spielte auf das für jedweden Untertanen gültige Verbot an, seine Karosse vergolden zu lassen, das die Regentin zu ihrer Zeit erlassen hatte. Sie, die sich an Prunk nicht genug tun konnte, wollte den Luxus nur für sich.
Sogleich begab ich mich, wenn auch ohne Hast und mit einem Anflug von Hoheit auf die Schloßtreppe, um Monsieur de Peyrolles und seine Tochter zu empfangen. Für diesen Empfang hatte ich ein sorgfältiges Protokoll aufgestellt. Zwei Lakaien in meiner Livree klappten den Tritt aus (natürlich hätte auch einer gereicht, aber, wie die Herzogin von Guise gesagt hätte, nur einer wäre knauserig erschienen). La Barge, der den maggiordomo zu spielen hatte, öffnete den Kutschenschlag und hielt ihn offen. Nun trat Monsieur de Saint-Clair vor, indem er seinen Hut zog, und half Monsieur de Peyrolles, seiner goldenen Kutsche zu entsteigen. Hierauf sollte er seine Rechte der Tochter reichen, während sie mit der linken Hand graziös den Saum ihres Reifrocks raffte, um sich nicht in seinen Falten zu verfangen, wenn sie den Tritt herabstieg.
Sie aber tat, als sähe sie Saint-Clairs ausgestreckte Rechte nicht, was ihren Vater, als er sich nach ihr umwandte, sehr zu befriedigen schien. Er wäre es weniger gewesen, hätte er den raschen Blick gesehen, den seine Tochter hinter seinem breiten Rücken ihrem Anbeter zuwarf.
Nun stieg Monsieur de Peyrolles, gefolgt von seiner Tochter, die ihre Augen auf die wallenden Falten ihres Reifrocks gesenkt hielt und der wiederum Monsieur de Saint-Clair folgte, die Freitreppe herauf, wo ich ihn mit zugleich würdevoller und freudiger Miene erwartete. Was gar nicht so leicht zu vereinen war: würdevoll, wie es dem Grafen von Orbieu, dem Ersten |258|Kammerherrn, Ritter vom Heilig-Geist-Orden und Herrn eines großen Besitzes geziemte, und freudig, weil ich einen Edlen der Robe empfing, der Ämter und Würden und einen schönen Adelssitz innehatte und mein Nachbar war, ein Mann von Gewicht und Einfluß, von dem ich hoffte, er würde nicht nur der Schwiegervater meines Verwalters werden, sondern sich auch mir in Freundschaft verbinden.
Louison stand vor der Haustür, auf ihr Zeichen sollte ein Diener beide Flügel für unseren Eintritt öffnen. Sie hatte ihren schönsten Reifrock angelegt, den sie aus Takt und Demut aber in zurückhaltender Farbe gewählt hatte, und trug keinerlei Schmuck – ein Opfer, das sie etwas gekostet haben dürfte.
Als Vater und Tochter an ihr vorübergingen, machte sie ihnen eine tiefe, anmutige Reverenz, doch senkte sie die Augen dabei nicht so schnell, daß sie nicht noch bis ins kleinste erhaschte, wie Mademoiselle de Peyrolles gekleidet war. Ich konnte nur staunen, als sie mir abends die genaueste Beschreibung davon gab, denn so aufmerksam ich auch beobachte, wie unsere Damen sich putzen – schon um ihnen dafür Komplimente zu machen –, habe ich doch nie diesen blitzschnellen, scharfen Blick, mit dem sie sich untereinander begutachten.
Tatsächlich war Laurena de Peyrolles gekleidet wie eine Prinzessin, die hunderttausend Ecus Rente besitzt. Ich aber bewunderte ihre goldblonden Haare mehr als das Perlennetz, das sie umfing, und viel mehr als ihre Ohrgehänge und ihr dreireihiges Perlenkollier entzückten mich ihre himmelblauen Augen, ihre hübsche Nase, ihr reizendes Lächeln und ihr feiner weißer Hals, den sie graziös nach rechts und links bog.
Ich bot Monsieur de Peyrolles zu meiner Rechten Platz, seiner Tochter zu meiner Linken und dem Pfarrer zwischen ihr und Monsieur de Saint-Clair. Und um das Tischgespräch zu eröffnen, das ja alles außer dem Entscheidenden berühren durfte, fragte ich Monsieur de Peyrolles nach seinen Ernteerträgen, eine Frage, die er mit einer Ausführlichkeit beantwortete, als ob man Saint-Clair von den unseren reden hörte. Der aber blieb während des ganzen Essens stumm wie ein Karpfen. Mademoiselle de Peyrolles, schön wie ein Bildnis, schwieg ebenso, und Pfarrer Séraphin nickte zu allem, was gesagt wurde, mit dem Kopf, sicher geschmeichelt, daß er dabei war, aber ohne recht zu wissen, warum.
|259|Ich aber hatte beim Plaudern alle Muße, Monsieur de Peyrolles zu betrachten. Mit seinen über fünfzig Jahren war er ein schöner, stattlicher Mann, breite Schultern, blaugraue Augen, ein ernstes Gesicht und die Miene eines, der nicht mit sich spaßen läßt. Er trug dunkelbraune Kleider, meines Erachtens ein Kompromiß zwischen dem Schwarz, auf das er zu seiner Amtszeit als Untersuchungsrichter beschränkt gewesen war, und den leuchtenden Farben, in die sich die Edelleute kleideten und die er trotz des Landbesitzes, dessen Namen er trug, nicht hätte anlegen können, ohne sich lächerlich zu machen.
Ebenso maßvoll und klug war Monsieur de Peyrolles auch in seinen Reden. Bedächtig wog er seine Worte und meine mit feiner Waage, beurteilte und schätzte mich ein, nicht vermessen und auch nicht schüchtern. Kurz, ein Mann, dessen einzige sichtbare Eitelkeit mir seine vergoldete Kutsche zu sein schien, falls er damit nicht nur seiner verstorbenen Frau einen Gefallen getan hatte. Mehr aus seiner Deckung ging er, als ich ihn nach der Mahlzeit in mein Kabinett bat und er mir in einem Lehnstuhl gegenübersaß. Doch sprach ich nicht als erster, weil er mich ja um dieses Gespräch gebeten hatte, und so schaute ich ihn denn nur mit höflich fragender Miene an.
Monsieur de Peyrolles verstand mich bestens, und da er von Amts wegen große Übung in heiklen Verhandlungen hatte, machte er mir zunächst eine Verneigung, die ich sogleich mit einer Verneigung erwiderte. Hierauf hielt er eine kleine Rede, ganz in tiefem, gedämpftem Ton.
»Herr Graf«, sagte er, »laßt Euch versichern, daß ich überaus glücklich wäre, wenn sich Orbieu und Peyrolles vermittels der ins Auge gefaßten Verbindung näher kommen würden (womit er mein und sein Gut auf eine Ebene stellte, was mir ein wenig hochgegriffen schien). Um so mehr«, fuhr er fort, »als ich für Monsieur de Saint-Clair eine besondere Achtung auf Grund seiner glänzenden Talente und Tugenden hege. Und da ich Witwer bin, wäre ich außerdem sehr glücklich, wenn meine einzige Tochter so nahe bei mir leben und die Freude und der Trost meiner alten Tage bleiben könnte.«
Nachdem Monsieur de Peyrolles derweise den menschlichen Seiten der Sache geopfert hatte, kam er zum Eigentlichen.
»Dennoch«, sagte er, und seine Stimme wurde höher und |260|deutlicher, »gibt es bei der Angelegenheit einige Schwierigkeiten. Ich gebe meiner Tochter eine Mitgift von hunderttausend Livres. Eine Mitgift in dieser Höhe würde sie zu einem Anwärter berechtigen, der ein bedeutendes Amt innehat, etwa ein Gerichtsrat oder ein Rechnungsrat, der es mit einigem Geschick auf ein jährliches Einkommen, sagen wir, nicht unter der Hälfte der Mitgift meiner Tochter bringen könnte. Ich weiß, daß Monsieur de Saint-Clair von Euch einen bestimmten Anteil am Gewinn Eures Gutes erhält, aber das ist ein unsicheres Einkommen, das in keinem Fall die von mir genannte Höhe erreicht.«
»Aber Monsieur de Saint-Clair entstammt einer sehr alten Adelsfamilie«, sagte ich.
»Die ich hoch respektiere«, sagte Monsieur de Peyrolles mit einer erneuten Verneigung. »Nur leider hat Monsieur de Saint-Clair keinen Titel. Und das ist sehr schade, denn beinahe hätte sein Vater, der unter Henri Quatre Gardeleutnant war, aus den Händen des seligen Königs eine Baronie erhalten.«
»Monsieur«, rief ich verblüfft, »woher wißt Ihr das? Und wie ging das zu?«
»Monsieur de Saint-Clair übergab mir freundlicherweise seine Papiere. Und darunter befindet sich ein Brief Henri Quatres an seinen Vater. In diesem Brief lobte der selige König seine Tapferkeit, als er während der Belagerung von Paris einen Überraschungsangriff des Chevaliers d’Aumale auf Saint-Denis abwehrte.«
»Monsieur«, sagte ich voller Staunen, »wie bewundernswert bescheiden war Monsieur de Saint-Clair! Nie hat er mir ein Wort von diesem Brief gesagt! Andere an seiner Stelle hätten sich damit überall gebrüstet!«
»Wenn Ihr ihn lesen wollt, Herr Graf«, sagte Monsieur de Peyrolles. Damit entnahm er den Brief, ohne meine Antwort abzuwarten, einem großen Portefeuille aus schwarzem Leder und überreichte ihn mir.
Respektvoll ergriff ich das Dokument. Sofort suchte mein Auge am Fuß des Textes Henris Unterschrift, die ich ja aus meiner Zeit als sein Dolmetsch bestens kannte. Es bestand kein Zweifel, dies war tatsächlich seine Hand, kühn und rasch. Und auch der Text, den er zweifellos auf und ab gehend diktiert hatte, trug seine Prägung, diesen unnachahmlichen Ton rauher Vertrautheit, den er gegenüber seinen Soldaten anschlug.
wie ich höre, hast du dich bei Saint-Denis wie ein Löwe geschlagen und eine Kugel abgefangen, die dir die Brust durchlöchert hat. Nun, genese schnell, Saint-Clair, und komm zurück in meine Garde! Dort findest du eine Baronskette und etwas, wovon du dir eine Hauptmannsstelle kaufen kannst.
Henri«
»Aber«, sagte ich, indem ich aufschaute, »wie kommt es, daß Henri nicht Wort gehalten hat?«
»Er konnte es nicht, Leutnant Saint-Clair kehrte nie zur Garde zurück: er starb an seiner Verwundung.«
»Ein schöner Brief«, sagte ich, nachdem ich ihn noch einmal gelesen hatte.
»Sehr schön, Herr Graf«, sagte Peyrolles, und seine graublauen Augen sandten mir einen scharfen Blick, »und vielleicht könnte er sogar nützlich sein.«
»Wie meint Ihr das?«
»Dort steht schwarz auf weiß das förmliche Versprechen eines Baronstitels und einer Gratifikation.«
»Aber das Versprechen ist mit dem Tod des Leutnants erloschen«, sagte ich, »es ist kein Anrecht.«
»Crede quod habes, et habes.«
»Ihr meint, Monsieur, mit dem Moment, da man ein Recht zu besitzen glaubt, besitze man es? Aber das ist ein Sprichwort, das man doch wahrscheinlich cum grano salis1 nehmen muß.«
Meine Antwort versetzte Monsieur de Peyrolles in Erstaunen: Wie die meisten der Seinen hielt er die Angehörigen des Schwertadels für heillos ungebildet.
»Herr Graf«, sagte er mit einer Achtung, die weit über den protokollarischen Respekt hinausging, den er mir bis dahin bezeigt hatte, »Ihr könnt Latein! Wurdet Ihr zufällig bei den Jesuiten erzogen?«
Dieses »zufällig« hieß offenbar, daß er selbst es wurde und daß er sich bis an sein Lebensende etwas zugute halten würde auf die vorzügliche Ausbildung, die er bei den guten Patres genossen hatte.
»Ich hatte nicht das Glück«, sagte ich, »ich wurde daheim |262|von Hauslehrern unterrichtet. Aber, glaubt Ihr wirklich, Monsieur de Peyrolles? …« fuhr ich fort, ohne meinen Satz zu vollenden.
»Ja, Herr Graf, das glaube ich. Ein Gardeleutnant, der sich im Dienst des Königs geopfert hat, hat ein Recht auf seine Dankbarkeit. Und diese in dem Brief versprochene Belohnung berechtigt den Sohn des Verstorbenen, sie von dem regierenden König einzufordern.«
»Da ich die Bescheidenheit von Monsieur de Saint-Clair kenne, bezweifle ich, daß er das tun wird.«
»Es ist auch nicht an ihm, diese Forderung einzureichen. Auch nicht an mir«, setzte Monsieur de Peyrolles nach einer Pause hinzu, »sondern an jemandem, der bei Seiner Majestät jederzeit Zutritt hat und großen Kredit besitzt.«
»Ich kann mir vorstellen, Monsieur, wen Ihr dabei im Auge habt«, sagte ich lächelnd. »Ich werde darüber nachdenken. Meint Ihr, daß diese Person um beide Belohnungen einkommen sollte, um den Baronstitel und die Gratifikation zum Kauf einer Hauptmannsstelle?«
»Ich an Eurer Statt, Herr Graf, würde beide verlangen«, sagte Monsieur de Peyrolles ohne jedes Zögern. »Henris Brief sagt: ›wovon du dir eine Hauptmannsstelle kaufen kannst‹. Damit wird die Höhe der bewilligten Gratifikation benannt, ohne daß der Leutnant die Stelle wirklich kaufen mußte. Wenn der arme Saint-Clair von seiner Verwundung genesen wäre, hätte er wahrscheinlich dem Waffenhandwerk Valet gesagt und sich von dem Geld des Königs lieber ein Stück Land gekauft. Aber hier ist es an mir, Herr Graf, Euch um Aufklärung zu bitten. Was kostet eine Hauptmannsstelle? Ich habe keine Vorstellung.«
»Nun, Monsieur, soviel ich weiß, hat kürzlich der Marquis de Brézé, Richelieus Schwager, dem Marquis de Thémines die Gardehauptmannschaft bei der Königinmutter für achtzigtausend Livres abgekauft.1 Aber eine Gardehauptmannstelle beim König ist meines Erachtens um ein Drittel teurer, also hundertzwanzigtausend Livres. Das hieße, unser Saint-Clair würde nicht nur Baron werden, sondern obendrein reich.«
Hierauf schwieg Monsieur de Peyrolles ein Weilchen, dann sagte er nüchtern: »Ich bin nicht der Mensch, der den Gütern |263|dieser Welt übermäßig viel Wert beimißt, aber«, fuhr er mit einer Stimme fort, die einige Bewegung verriet, »es würde mich doch sehr glücklich machen, wenn meine Enkelkinder Söhne und Töchter eines Barons wären. Mir wäre es eine große Genugtuung und für sie ein unendlicher Vorteil, in einem so hohen Rang geboren zu werden.«
»Monsieur«, sagte ich, »dann hätten Eure Enkelkinder ihren Aufstieg Euren Talenten und Eurer lebenslangen Arbeit zu verdanken. Darf ich etwas hinzufügen? Wenn Monsieur de Saint-Clair diese Summe von hundertzwanzigtausend Livres erhalten würde, solltet Ihr die Mitgift Eurer Tochter dann nicht auf den gleichen Betrag erhöhen?«
»Herr Graf«, sagte Monsieur de Peyrolles mit belustigtem Lächeln, »erlaubt mir, Euch zu sagen, daß ihr mich in Verwunderung setzt! Ein so großer Herr Ihr auch seid, könnt Ihr doch Latein, und wenn es ums Geld geht, schachert Ihr wie ein Bürger.«
Ich lachte frei heraus über diese kleine Schrauberei, die der gute Mann mir so rundheraus servierte und die halb Bosheit war und halb Kompliment.
»Das kommt, weil mein Blut nicht ganz blau ist«, sagte ich lachend. »Es führt immer noch einen kleinen Strom bürgerlichen Blutes mit, das ich vom Großvater meines Vaters geerbt habe.1 Und ich hoffe es zu bewahren und lebendig an meine Kinder weiterzugeben, denn ihm verdanke ich einige Vorzüge, darunter die von Euch anerkannten.«
Dieses kleine Zugeständnis, so scherzhaft es war, brachte Monsieur de Peyrolles und mich einander näher als alle Komplimente der Welt. Und als ich sah, wie sich zwischen uns jene Distanz verringerte, die für gewöhnlich die beiden Adelsformen trennt, beschloß ich, mich ihm noch mehr zu öffnen.
»Monsieur«, sagte ich, »Ihr dürft überzeugt sein, daß ich gleich bei meiner Rückkehr an den Hof keine Mühe bei Seiner Majestät sparen werde, damit das dem Vater gegebene Versprechen zu Gunsten des Sohnes erfüllt wird. Ich hege für Monsieur de Saint-Clair, den ich seit drei Jahren auf meinem Gut am Werk sehe, eine außerordentliche Wertschätzung, und nichts wäre mir lieber, als wenn er sich hier niederließe und eine Frau |264|aus einer so ehrenwerten Familie heiratete wie der Euren, Monsieur. Wenn diese Verbindung zustande kommt, gedenke ich Monsieur de Saint-Clair die Nutznießung des ehemals von Rapinaud bewohnten Anwesens zu überlassen, damit Eure Tochter sich als alleinige Herrin im Haus fühlen kann für den Fall, daß ich mich verheirate.«
Wie erwartet, war Monsieur de Peyrolles äußerst erfreut über dieses Angebot, obwohl er es sich nicht zu sehr anmerken ließ. Jenes Anwesen lag nämlich nur eine Viertelstunde zu Fuß von seinem Landsitz entfernt.
Als redegewandtem Mann gelang es Monsieur de Peyrolles, in seine Dankesworte zugleich Wärme und eine gewisse Zurückhaltung zu legen. Schließlich sollte ich ja nicht glauben, daß unsere Einigung nun von selbst laufe, während sie nur erst eine Möglichkeit war. Wir kamen überein, Monsieur de Saint-Clair über meine Demarche beim König zu unterrichten, weil es dazu seines Einverständnisses bedurfte, doch ohne ihm zuviel Hoffnung zu machen, damit er nicht zu grausam enttäuscht würde, falls mein Ersuchen scheiterte.
Als Monsieur de Saint-Clair uns aus meinem Kabinett treten sah, konnte er sich nicht enthalten, mir einen fragenden Blick zuzuwerfen, auf den ich jedoch nicht antwortete. Laurena de Peyrolles bewies mehr Seelenstärke. Bei unserem Eintritt hielt sie die Lider brav auf ihren Reifrock gesenkt. Natürlich wußte sie, daß sie mit ihren blauen Augen, ihrem hübschen Gesicht und ihrem unnachahmlichen Charme ihrem Vater bald alles entlocken konnte, was sie wissen wollte.