Bald nachdem über die Königin jene Abschließung verhängt worden war, besuchte mich im Louvre zur Vesperstunde – man ahnt es schon, er war eben ein Abendvogel – der Pater Joseph. Seit meinem Bekenntnis am Ufer der Rhône sprach er offen zu mir. Wahrscheinlich traute er mir mehr Einfluß auf den König zu, als ich tatsächlich hatte.
Nun speiste an diesem Abend aber Monsieur de La Surie bei mir, mein Vater war wegen einer Unpäßlichkeit Margots daheim geblieben. Bei La Suries Anblick zog sich der Pater zunächst in sein Gehäuse zurück. Als ich ihm jedoch erklärte, wer unser Miroul war, redete er unverblümt und erging sich in scharfen Worten gegen die Brûlarts – womit er Brûlart de Sillery und seinen Sohn Puisieux meinte.
»Sie tun nichts«, sagte er, »und sie wollen auch nichts tun. Und wißt Ihr warum? Weil sie alt sind.«
»Puisieux ist noch nicht alt«, sagte ich.
»Aber sein Vater ist es für zwei. Wißt Ihr, warum sie von jeher gegen Ludwigs Feldzüge waren, sei es gegen seine Mutter, sei es gegen die Hugenotten? Weil die Minister dem König ins Feldlager zu folgen haben und sie die Unbequemlichkeiten der Reise scheuten.«
»Bei Puisieux ist es noch anders: Er will nicht weg von Paris, um ungestört seine Affären zu betreiben.«
»Gut gesprochen, Herr Graf. Denkt nur an seine Haltung, als die Dinge sich für die Pfalz zum Bösen wendeten. ›Lassen wir die Finger davon!‹ sagte Puisieux. Anstatt in die Dinge einzugreifen, verpaßte er ihnen ein Trostpflaster. Unsere Gesandtschaft in Ulm bewirkte lediglich, daß die Pfalz preisgegeben wurde, während man so tat, als ob man sie unterstützte. Und das Veltlin? Was passiert mit dem Veltlin?«
»Wieso, zum Teufel, ist dieses Veltlin, das jetzt in aller Munde ist, denn so wichtig?« fragte La Surie.
»Weil es ein Durchgangsland durch die Alpen nach Italien |372|ist, mein Freund. Wenn Ihr vom Comer See an der Adda nordwärts zieht, kommt Ihr in ein schönes Tal, das Veltlin genannt. Und durch dieses Tal gelangt Ihr zu einem nicht sehr hohen und folglich das ganze Jahr offenen Paß: Es ist also ein Gebiet von großer strategischer Bedeutung.«
»Warum?«
»Weil die spanischen Habsburger, die im Mailändischen sitzen, auf diesem Weg Truppen und Waffen zu den österreichischen Habsburgern schaffen können. Und das ist ein immenser Vorteil, vor allem im Augenblick, da Kaiser Ferdinand sich anschickt, Deutschland zu rekatholisieren, indem er die lutherischen deutschen Staaten zerstückelt.«
»Diese Unternehmung«, sagte La Surie lächelnd, »müßte Euch doch sehr gefallen, Pater. Und erst recht Eurem Herrn, dem Kardinal.«
»Nein, nein, nein! Die Religion dient hier nur als Maske. Das wahre Ziel der Habsburger ist, in Europa eine universelle Monarchie zu errichten, die Frankreich früher oder später unterjocht. Schaut auf eine Karte, und Ihr seht die Habsburger überall vor unseren Toren: In Spanien, in Italien, in den Niederlanden, sogar in Holland versuchen sie Fuß zu fassen. Was für eine mörderische Klammer!«
»Wenn ich Euren Gedanken recht verstehe, Pater«, sagte La Surie neckend, »ist Euch also ein hugenottischer Franzose immer noch lieber als ein katholischer Spanier?«
»Aber tausendmal!« rief Pater Joseph. »Um so mehr, als ich stets hoffen kann, einen hugenottischen Franzosen eines Tages zu bekehren, einen Spanier entspanisieren zu wollen ist dagegen hoffnungslos.«
»Auch wenn diese Debatte«, sagte ich, »mir vieles erklären kann, möchte ich auf das Veltlin zurückkommen.«
»Richtig«, sagte La Surie. »Wem gehört es eigentlich?«
»Das ist ja die Frage!« sagte Pater Joseph. »Es ist nicht österreichisch und nicht spanisch. Es gehört den Graubündner Schweizern. Aber auch das ist nicht so einfach. Die Graubündner sind Kalvinisten. Aber ihre Vasallen, das Volk im Veltlin – das aus Italien stammt –, ist katholischer als der Papst. Unter diesem Vorwand hat der Mailänder Spanier das Veltlin 1621 besetzt. Er befreite die armen, unterdrückten Veltliner Katholiken vom Joch seiner bösen kalvinistischen Landesherren.«
|373|»Und Frankreich?« fragte La Surie.
»Der Kronrat entsandte Bassompierre nach Madrid, der entschlossener handelte als die Minister, die ihn sandten. Spanien, das soeben Philipp III. verloren hatte und sich außerdem in vollem Bankrott befand, gab nach und verplichtete sich durch den Vertrag von Madrid, den Graubündnern das Veltlin zurückzugeben. Einige Monate später jedoch, als Ludwig mit seinen Hugenotten im Kampf lag, nützte es diese Lage aus, um das Veltlin wiederum zu besetzen, und schloß mit Graubünden den Vertrag von Mailand, der ihm den von Frankreich bestrittenen Besitz zusicherte. Wie gesagt, Ludwig hatte die Hugenotten am Hals und konnte nichts machen.«
»Aber nach dem Frieden von Montpellier«, sagte La Surie, »hätte man da nicht intervenieren können?«
»Man hätte, und der König wollte es. Er reiste nach Avignon, wo er mit seinem Schwager, dem Herzog von Savoyen, und dem venezianischen Gesandten Pesaro zusammentraf. Er wollte eine Liga zwischen Savoyen, Venedig und Frankreich schließen, um Spanien zur Räumung des Veltlin zu zwingen. Doch im letzten Moment wurde nichts daraus, weil Puisieux einwand, Pesaro habe nicht die nötigen Machtbefugnisse zum Verhandeln.«
»Herr im Himmel!« rief ich, »was sollte diese verbohrte Verfahrensfrage? Wenn Pesaro dort war, so doch wohl dazu, Frankreich um Beistand gegen die Spanier zu ersuchen?«
»Verzögerung, Herr Graf«, rief Pater Joseph, »reine Verzögerung! Nichts wie ein heimtückischer Knüppel zwischen die Räder! Zurück in Paris, war keine Rede mehr von der Liga, und Puisieux nahm das Angebot des Ministers Olivarès an, die Lösung der Affäre dem Papst zur Schlichtung zu unterbreiten. Zur Schlichtung, liebe Freunde! Als ob der Papst nicht voreingenommen wäre für die spanische Politik!«
»Alle Wetter, dann ist dieser Puisieux ja ein Verräter!« rief La Surie.
Auf dieses deutliche Wort hin kniff Pater Joseph funkelnden Auges die Lippen zusammen und gab keinen Laut von sich. Und als ich ihn fragend anblickte, sagte er so sanft und leise, als spräche er durch das Gitter eines Beichtstuhls: »Herr Graf, Ihr kennt doch den Domherrn Fogacer, nicht wahr?«
»In der Tat, er ist ein alter Freund meines Vaters, und ich möchte sagen, auch der meine.«
|374|»Wenn Ihr über die Rolle Puisieux’ in dieser Affäre mehr wissen wollt, fragt ihn. Als Mann des Nuntius’ kann er Eure Fragen wohl am besten beantworten.«
Schweigen machte sich zwischen uns breit, und trotz meiner Bitten wollte der Pater, der sagte, sein Magen schmerze, weder essen noch trinken und verließ uns.
Acht Tage grübelte ich über diese beunruhigende Begegnung nach und erwog, ob ich Fogacer eine solche Frage stellen sollte, die mir nicht ungefährlich schien. Eine zufällige Begegnung auf der Treppe mit Heinrich II. im Louvre entschied für mich. Als Fogacer innehielt und mich umarmte, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, ihm ins Ohr zu flüstern: »Wißt Ihr, warum Puisieux die Liga zwischen Savoyen, Venedig und Frankreich beerdigt hat?« – »Mein lieber Graf«, sagte Fogacer leise, »wer, außer wohl Ludwig, kennt nicht die elementare Wahrheit, daß der Mann, von dem Ihr sprecht, französische Politik nicht betreibt: Er verkauft sie.« – »Und wer«, fragte ich, »bürgt Euch für diese Ansicht?« – »Wer anders als der, dem ich diene?«
Zwei Edelleute kamen die Treppe herauf, und Fogacer enteilte auf seinen langen Beinen, eine körperliche Besonderheit, durch die er sich von den anderen Domherren des Kapitels von Notre-Dame unterschied, die sämtlich kurz und dick waren.
Als Mitglied des Kronrats nun hätte ich die Frage nach unserer Politik bezüglich des Veltlin auch in einer unserer täglichen Sitzungen stellen können. Ich fürchtete jedoch, daß die meisten der würdigen Ratsmitglieder, die so viel älter und nobler waren als ich, es für ungehörig erachten würden, wenn ein Grünschnabel, kaum daß er in ihren Kreis aufgenommen war, eine Affäre auszugraben wagte, die man seiner Ruhe zuliebe besser als erledigt ansah.
Dem König gegenüber eine Frage aufzuwerfen, die den Kronrat betraf, barg aber die große Gefahr, ihm zu mißfallen, so streng schied er die öffentlichen Angelegenheiten von seinen übrigen Lebensbereichen. Außerdem schien er sich im Kronrat schrecklich zu langweilen, so wortreich und konfus waren die weißhaarigen Minister in ihren Vorträgen. Jedenfalls schien es mir bisweilen, daß er zu manch einem Vorschlag nur deshalb ja sagte, weil man ihm die Ohren so vollgeredet hatte, daß er es satt war und nichts mehr hören mochte. Nach langen |375|und beklommenen Überlegungen überwand ich jedoch meine Bedenken und nahm die Gefahr, in Ungnade zu fallen, um meiner Liebe und Treue willen auf mich. An einem Tag, als es so heftig regnete, daß an keine Jagd zu denken war, und Ludwig sich damit beschäftigte, handgeschriebene Blätter zu einem Buch zu binden, bat ich ihn, ihm einige Fragen stellen zu dürfen. Er willigte ein.
»Sire«, sagte ich, »ich fühle mich im Kronrat manchmal wie ein noch unflügger Falke, der ratlos hin und her flattert, weil er das Ziel nicht kennt.«
Woraufhin Ludwig lächelte. Und ohne von seiner Arbeit aufzusehen, fragte er: »Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel, Sire, das Veltlin. In Avignon und dann auch in Lyon wurde der Plan einer Liga zwischen Venedig, Savoyen und Frankreich gefaßt, um die Spanier zu drängen, das Veltlin freizugeben. Dann wurde dieser Plan mehrmals verschoben. Und jetzt hat man, der interessierten Anregung des Graf-Herzog Olivarès folgend, die Affäre dem Heiligen Vater übergeben. Aber das, Sire, ist doch ein Pflaster auf ein Holzbein, denn nie wird Seine Heiligkeit Partei nehmen gegen die Spanier. Und wir können uns bezüglich des Veltlin die Nase wischen.«
»Für einen unflüggen Falken, Siorac«, sagte Ludwig, ohne von seiner Arbeit aufzublicken, »fliegt Ihr sehr gerade ins Ziel. Ihr habt nicht unrecht, mir diese Liga in Erinnerung zu rufen.«
»Ich hoffe, Sire, daß Ihr meine Frage nicht ungehörig fandet.«
»Sie war es«, sagte Ludwig, »weil sie in den Rat gehört. Für diesmal mag es durchgehen.«
Dies wurde in einem Ton gesagt, der mich bedenklich stimmte. Beruhigt war ich erst, als die im Oktober 1622 in Avignon geplante Liga schließlich doch im Bücherkabinett unterzeichnet wurde (ebendort, wo ich zu Concinis Zeiten so viele geheime Botschaften für Ludwig in Montaignes Essais versteckt hatte). Zugegen waren die Gesandten von Savoyen und Venedig, der Konnetabel Lesdiguières, der Kanzler Brûlart de Sillery und Monsieur de Puisieux, der dabei keine glänzende Figur machte. Aber glänzend war diese ohnehin nie, denn er hatte eine herabhängende Unterlippe und einen Augenfehler, so daß man sich immer fragen mußte, wohin er eigentlich blickte.
|376|Als ich das Bücherkabinett verließ, traf ich – war es ein Zufall? – auf Fogacer, der sich meinem Ohr zuneigte.
»Nun, Seid Ihr zufrieden?« sagte er. »Die Liga ist geschlossen, der Vertrag unterzeichnet.«
»Ja«, sagte ich, »aber noch ist sie nur Papier. Und es bräuchte einen Zauberer, damit diesem Papier Schwerter entsprössen.«
»Zumal unsere Kassen leer sind«, sagte Fogacer nüchtern. »Beaumarchais hat es dem König heute morgen mitgeteilt.«
»Beaumarchais, der königliche Schatzmeister?«
»Derselbe.«
»Ich kann mir den Zorn Seiner Majestät vorstellen.«
»Den könnt Ihr Euch gar nicht vorstellen! Gleich schlägt der Blitz ein.«
Und fort war er wie der Wind, wie gewöhnlich, und als ich zu meiner Wohnung ging, stieß ich auf Tronçon, der eilig seinen Bauch vor sich her schob. Ich zupfte ihn am Ärmel.
»Monsieur Tronçon, wohin so eilig? Überbringt Ihr jemandem eine königliche Tronçonnade?«
»In der Tat«, sagte er, »aber ich darf nicht verraten, wem.«
»Oh, mir werdet Ihr es verraten, Monsieur Tronçon«, entgegnete ich lachend. »Ihr werdet mir sagen, wer der Empfänger dieser Tronçonnade ist, oder ich erzähle urbi et orbi, welche mysteriöse Krankheit Ihr in einem gewissen Gasthof auskuriertet.«
»Herr Graf, Ihr setzt mir das Messer an die Kehle.«
»Aber ich schneide sie Euch nicht durch, mein lieber Tronçon. Ein Wörtchen nur, und Ihr seid frei.«
»Ach, es weiß doch sowieso schon jeder«, sagte Tronçon unwirsch. »Ich frage mich wirklich, wozu ich da bin. Natürlich handelt es sich um Monsieur von Schomberg. Ich überbringe ihm ein Billett des Königs, das ihn auf sein Gut Nanteuil verbannt.«
»Beim Bauch des heiligen Antonius!« sagte ich. »Schomberg, der Finanzminister, ist das möglich! Schomberg, der treue, ehrenhafte Mann!«
Ich ließ Tronçon einen Vorsprung und folgte ihm zu Schombergs Tür. Die Fanfaren des Klatsches, die nie so laut tönen, wie wenn sie das Schlimmste ankündigen, waren Tronçon vorausgeeilt. Anstatt der üblichen Menge von Bittstellern, die sich |377|dort vom frühen Morgen an drängten, sah ich keinen Menschen. Ich wartete geduldig, bis Tronçon herauskam, dann klopfte ich selbst an. Als mir niemand antwortete, trat ich ein und stand vor Monsieur von Schomberg. Er war allein. Rettungslos allein. Und als er mich erblickte, sperrte er seine blauen Augen auf und stand starr. Henri von Schomberg, Graf von Nanteuil, war damals achtundfünfzig Jahre alt. Er entstammte einer sächsischen Adelsfamilie, schon sein Vater und Großvater hatten Karl IX., Heinrich III., Henri Quatre und Ludwig XIII. treu gedient. Schomberg war groß und breitschultrig, eine männliche Erscheinung mit klaren Augen. Sein Sohn Charles, im selben Jahr geboren wie Ludwig, war einer der Ehrenknaben des kleinen Königs gewesen, bevor er Rittmeister der Kavallerie wurde.
»Orbieu«, brachte Schomberg endlich mit heiserer Stimme hervor. »Wißt Ihr nicht, was geschehen ist, daß Ihr mich besucht? Wißt Ihr nicht, daß mich jeder flieht? Daß ich jetzt der Sündenbock des Hofes bin?«
»Herr Graf«, sagte ich, »für mein Gefühl seid Ihr eher das Opferlamm. Der Blitz hat getroffen, aber nicht den richtigen Kopf.«
»Ach, Orbieu«, rief Schomberg und umarmte mich, »nie werde ich Euch diese Worte und diesen Besuch vergessen. Seht Ihr«, fuhr er fort, und seine Augen glänzten feucht vor Bewegung, »ich wußte natürlich, daß die Kassen leer sind. Mein einziges Unrecht ist, daß ich es den Brûlarts mitgeteilt habe und nicht dem König.«
»Der König«, sagte ich, »hat es von Beaumarchais erfahren und wird von den Brûlarts Erklärungen gefordert haben, und um jeden Verdacht von sich abzulenken, haben sie seinen Zorn auf Euch abgeleitet. Was kostet diese Leute schon eine Verleumdung?«
»Aber, was nun?« rief Schomberg. »Ihr wißt, wie unnachgiebig der König sich an einmal gefaßte Entscheidungen hält.«
»Graf, wenn Ihr mich hören wollt, würde ich Euch folgendes raten: Reist getrost auf Euer Gut Nanteuil. Doch vor Eurer Abreise laßt dem König durch einen Freund einen Brief überbringen, worin Ihr ihn bittet, er möge vom Hohen Gerichtshof untersuchen lassen, wie Ihr Euer Amt als Finanzminister seit 1619 versehen habt.«
|378|»Durch einen Freund, und warum nicht durch die Post?«
»Weil Briefe an den König, die mit der Post geschickt werden, durch die Hände der Brûlarts gehen. Sie würden den Euren schamlos unterdrücken.«
»Aber«, sagte Schomberg verzagt, »welchen Freund kann ich um einen Dienst bitten, der auch ihm die Verbannung einbringen könnte?«
»Mich«, sagte ich.
»Euch, Graf?« Und naiv setzte er hinzu: »Ich kenne Euch doch gar nicht so gut.«
»Graf«, sagte ich lächelnd, »Ihr werdet mich besser kennenlernen, wenn ich Euch diesen Dienst erwiesen habe.«
»Sicher«, sagte er, »aber er ist nicht ohne Gefahr. Ihr riskiert, in meine Ungnade verwickelt zu werden.«
»Kann sein. Trotzdem spricht etwas dafür: Indem ich Euch diene, diene ich dem König. Auch wenn er mir nicht glaubt, werde ich seinen Argwohn hinsichtlich der Brûlarts wecken, und er wird erkennen, daß sie ihn hintergehen. Laßt uns keine Zeit verlieren, schreibt Euren Brief.«
Er tat es auf der Stelle, und sowie er geendet hatte, las er mir den Brief vor. Er war linkisch geschrieben, aber gerade dieses Linkische gab ihm jenen aufrichtigen Ton, in dem man sich nicht täuschen konnte.
Mit einer letzten, stürmischen Umarmung brach Schomberg auf. Mein Herz begann wie toll zu klopfen, und meine Beine zitterten, als ich mich auf den Weg machte, dem König diesen Brief zu überbringen, der mir seine Zuneigung rauben konnte. Gott sei Dank, war er allein, noch immer mit seinen Einbänden beschäftigt. Mit ›allein‹ meine ich, daß nur die Vertrauten um ihn waren, denn bei dem Rüffel, den ich gewärtigen mußte, hätte ich keine anderen Zeugen gewollt.
»Sire«, sagte ich, indem ich niederkniete, »hier ist ein Brief, den Monsieur von Schomberg mich bat an Euch zu übergeben.«
»Ist er weg?« fragte Ludwig, ohne aufzusehen.
»Ja, Sire.«
»Wieso hat er Euch diesen Brief anvertraut? Ihr wart doch nicht befreundet?«
»Er hatte keine Wahl, Sire«, sagte ich. »Es war niemand sonst in seiner Nähe.«
|379|»Und was wolltet Ihr dort?«
»Ich hatte von seiner Ungnade gehört und dachte, daß er allein wäre.«
»Und Ihr scheut Euch nicht, mir den Brief eines Ministers zu bringen, den ich entlassen habe?«
»Ich nahm an, Sire, daß dieser Brief einige Bedeutung für Euch haben könnte.«
»So, dann öffnet ihn und lest vor.«
Ich öffnete das Schreiben, indem ich mich bemühte, meine zitternden Hände so gut ich konnte zu beherrschen. Als ich las, gelang es mir, meine Stimme zu festigen. Nachdem ich geendet hatte, blieb Ludwig so lange stumm, daß ich schon glaubte, nun werde er auch mich, wenn nicht auf mein Gut Orbieu, so doch wenigstens in Entlassung schicken.
»Orbieu, was haltet Ihr von diesem Ersuchen Schombergs«, fragte er schließlich, »seine Rechnungsführung vom Parlament prüfen zu lassen?«
»Ich denke, Sire, diese Bitte spricht für seine Unschuld.«
»Er ist nicht unschuldig«, sagte Ludwig unwirsch. »Er hat mir das Defizit im Staatsschatz verschwiegen.«
»Sire, er hat es den Brûlarts mitgeteilt in der Annahme, daß sie Euch unterrichten würden.«
»Es gibt Dinge, die man mir mitzuteilen hat, mir allein, wenn sie von solcher Bedeutung für das Reich sind!« sagte Ludwig zornig. »So etwas darf mir nicht verborgen werden! Das muß ich wissen!«
Dann fuhr er fort: »Wieso hat Schomberg Euch kompromittiert, anstatt den Brief mit der Post zu schicken?«
»Sire, ich habe ihm abgeraten, ihn mit der Post zu schicken.«
»Warum?«
»Weil die Briefe, Sire, die an Euch adressiert sind, durch die Hände von Monsieur de Puisieux gehen: Er hätte diesen hier unterdrücken können.«
»Orbieu«, sagte Ludwig scharf, »Eure Dreistigkeit gegen meine Minister geht zu weit. Ich habe nicht übel Lust, Euch einige Jahre auf Euer Gut zu versetzen.«
Ich fühlte, wie ich erbleichte, und meine Knie fingen bei dieser Drohung an krampfhaft zu zittern. Nur mit Mühe konnte ich meine Entgegnung in Worte fassen.
|380|»Sire«, sagte ich, »es wäre seltsam, wenn Ihr Monsieur von Schomberg verbannt, weil er Euch die Wahrheit verschwiegen hat, und mich straft, weil ich versuche, sie Euch zu sagen.«
»Was heißt versuchen?« fragte Ludwig, indem er mich streng ins Auge faßte. »Sagt sie ganz!«
»Sire, Eure Majestät wird sich erinnern, daß ich Monsieur de Puisieux als Dolmetsch diente, wenn er Depeschen von ausländischen Herrschern erhielt. Und ich beobachtete, daß er, wenn ich sie ihm übersetzt hatte, zwei Stöße machte: Den einen brachte er Euch zur Kenntnis, den zweiten, den er ›bedeutungslos‹ nannte, gab er mir einzusortieren. Nun warf ich eines Tages aus Neugier einen Blick auf eine dieser ›bedeutungslosen‹ Depeschen und entdeckte einen Brief, den ich ihm übersetzt hatte und der vom Herzog von Savoyen stammte.«
»Und was besagte dieser Brief?«
»Er drängte Euch, im Veltlin zu intervenieren.«
»Warum habt Ihr mir das damals nicht mitgeteilt?« fragte Ludwig nach einem Schweigen.
»Ich dachte, Sire, daß Ihr im Prinzip mit der Aussortierung einverstanden wäret und daß Monsieur de Puisieux Euch die Depesche des Herzogs von Savoyen nur aus Versehen vorenthalten hätte.«
»Und was hat Eure Meinung geändert?«
»Die Beharrlichkeit von Puisieux, jede Intervention im Veltlin hinauszuzögern.«
Ein langes Schweigen trat ein. Ludwig hielt den Blick auf seine Arbeit gesenkt, die er mit verblüffendem Geschick fortsetzte. Endlich sagte er, ohne aufzusehen: »Ihr sprecht hierüber zu keiner lebenden Seele. Ihr könnt gehen, Orbieu.«
Als ich mich umwandte, rief er mich zurück und sagte: »Siorac, ich finde es nicht verkehrt, daß Ihr Monsieur von Schomberg trotz seiner Ungnade besucht habt.«
***
Beaumarchais, der Mann, der dem König seine verzweifelte Finanzlage enthüllt hatte, führte zwei Geschäfte gleichzeitig, die jedem verständigen Menschen unvereinbar erschienen wären: Er war königlicher Schatzmeister, ein Amt, das er gekauft hatte und rechtmäßig ausübte, und daneben Finanzier auf |381|eigene Rechnung. Diese Vermischung, die man bedauerlich finden kann, erklärt wohl, ohne daß man es weiter ausführen müßte, daß Beaumarchais Seiner Majestät jene betrübliche Enthüllung nicht aus reiner Ergebenheit für die Staatsinteressen gemacht hatte, sondern um daraus seinen Profit zu ziehen. Tatsächlich, kaum war Monsieur von Schomberg entlassen, schlug Beaumarchais Seiner Majestät vor, den Finanzminister durch seinen Schwiegersohn zu ersetzen, dafür würde er dem Schatz jene Anleihen gewähren, die zur Fortführung des Staates absolut nötig waren und ohne die wir geradewegs in den Bankrott geraten würden. Sein Kandidat, der Marquis de La Vieuville, hatte kürzlich die Mitgift von Mademoiselle Beaumarchais geehelicht, und seinem Schwiegervater gefiel die Idee, daß der Schwiegersohn die Finanzen des Staates verwaltete, während er selbst über den Staatsschatz wachte.
Dieser Handel mißfiel Ludwig, aber die Situation war verzweifelt. Wohl oder übel ging er darauf ein, jedoch unter zwei Bedingungen, die jeder andere Finanzier schimpflich gefunden hätte: La Vieuville wurde nur für ein Jahr ernannt und mußte dem Kanzler Brûlart de Sillery täglich Rechenschaft ablegen.
Diese Klausel schien noch ein gewisses Vertrauen des Königs in seinen Kanzler anzuzeigen. Dem war nicht so. Tausend Indizien bewiesen mir, daß Ludwig die Augen nicht mehr schloß, nachdem sie ihm einmal über die Brûlarts aufgegangen waren, und daß diese zwei bei ihm nicht mehr im Geruch der Heiligkeit standen. Dies wurde mir durch einen Zwischenfall bestätigt, der, wie so oft am Hof, ein Streit um den Vortritt war. Von den berühmten Lilien, die der Graf von Soissons einst auf einem Hochzeitskleid verbieten wollte, bis hin zu Ludwigs Tafelserviette, die sich der Sohn des genannten Herrn und der Prinz Condé streitig machten, gab es zahllose Beispiele solcher Zänkereien, an denen der Hof leidenschaftlichen Anteil nahm, weil dahinter in Wahrheit jeweils große Interessen standen.
Seit einem Edikt von 1567 nun hatten die zum Kronrat gehörigen Kardinäle nicht mehr den Vortritt vor den Prinzen von Geblüt. Aber hatten sie ihn vor dem Kanzler, oder nicht? Das war die große Frage, die man sich stellte, als der Kardinal de La Rochefoucauld für den Kardinal von Retz in den Rat eintrat und behauptete: ja. Kanzler Brûlart de Sillery behauptete: nein. Der Hof spaltete sich in zwei Parteien, eine für den Kardinal, |382|die andere für den Kanzler. So verwegen Ludwig auf dem Schlachtfeld war, so vorsichtig war er in der Personalpolitik und ließ sich wie immer Zeit, Stellung zu beziehen.
Der Kardinal de La Rochefoucauld erhielt einen Verbündeten von Gewicht, denn die Königinmutter sprach sich für ihn aus. Der Hof tuschelte und lachte insgeheim, denn jedem war klar, daß sie hierin von einem anderen Kardinal belehrt worden war, der seine Zukunft vorbereitete. Ich wurde von Ludwig nicht um meine Meinung befragt, und noch nachträglich erschrocken, wie nah die Kugel nach Schombergs Verbannung an meinem Gefieder vorbeigesaust war, hütete ich mich auch, den Mund aufzumachen. Anna, katholisch auf spanische Art, war ebenfalls für den Kardinal de La Rochefoucauld, nur daß die Ärmste in ihrer Abgeschiedenheit nicht groß zählte. Wer schließlich das Zünglein an der Waage war und welches Argument dieser Mann gebrauchte, um Ludwig zu einer Entscheidung zu bewegen, erfuhr ich durch Fogacer.
»Glaubt mir, Siorac«, sagte Fogacer, als er auf ein Gläschen Burgunder bei mir hereinschaute, »in diesem Reich gibt es keinen, der es mit dem Nuntius an Schläue aufnehmen kann, höchstens Richelieu. Er hatte heute ein vertrauliches Gespräch mit dem König, ohne Puisieux. Zuerst klagte er über die Anmaßung der Hugenotten, die von Ludwig soeben gefordert hatten, die königliche Garnison aus Montpellier abzuziehen. Dann fuhr er scheinbar ganz harmlos fort, diese unerträglichen Dreistigkeiten der Hugenotten rührten nur daher, weil sie wüßten, daß ›die Minister Seiner Majestät Frieden um jeden Preis wollen, ob nun mit ihnen oder in der Frage des Veltlin.‹ Den Kardinal de La Rochefoucauld und sein besagtes Vorrecht erwähnte der Nuntius nicht einmal. Als ob ihn das gar nicht interessiere.«
»Wann fand dieses Gespräch zwischen dem Nuntius und dem König statt?«
»Heute abend um sechs.«
»Also entscheidet Ludwig morgen?«
»Und wahrscheinlich erratet Ihr seine Entscheidung bereits?«
»Sicher. Der Nuntius hat die empfindliche Saite angeschlagen. Frankreich ist ruiniert. Es macht keine Außenpolitik mehr und genießt keinen Respekt. Und wessen Schuld ist das, wenn nicht der Brûlarts?«
|383|Tatsächlich sprach Ludwig am folgenden Tag dem Kardinal de La Rochefoucauld den Vortritt zu. Genauer gesagt, er verweigerte ihn dem Kanzler. Welcher sich plötzlich vom eisigen Wind der Ungnade umweht fühlte. In seinem Schrecken verfiel er darauf, in Rom um den Kardinalshut zu ersuchen, damit der, wenn er von den Höhen der Macht stürzte, seinen Sturz mildere.
An sich war das nicht unsinnig. Meine schöne Leserin wird sich erinnern, daß es Laienkardinäle gab, die nur den Diakontitel hatten. Aber man hätte im Vatikan schon persona gratissima sein müssen, um eine solche Ehre zu erlangen, und sie hätte vom König beim Papst erbeten werden müssen, was im vorliegenden Fall ausgeschlossen war. Der Hof machte sich also ausgiebig über den armen Kanzler lustig, seine achtzig Jahre, sagten die einen, seien ihm aufs Gehirn geschlagen, die anderen meinten, wenn schon am Rand des Grabes, wolle er eben in Purpur gebettet sein.
Seltsam, das Beil brauchte abermals Monate, bis es auf die Brûlarts herabfiel. Nicht daß es Ludwig nicht gejuckt hätte, sie davonzujagen, aber er wußte nicht, wie er sie ersetzen sollte: Er liebte La Vieuville nicht, diesen Mann des Schwertadels, der amtsadliges Gold geheiratet hatte und die Fehler beider Kasten in sich vereinigte: die Habgier des Bürgers und den Dünkel des Seigneurs. Und obwohl Ludwig besser als jeder andere das Genie des Kardinals von Richelieu spürte, fürchtete er, wenn er ihm die Geschäfte anvertraute, unter eine zwiefache Tyrannei zu geraten, der seinen und der seiner Mutter.
Inzwischen war Richelieu nicht untätig. Durch gutes Zureden und Schmeichelei hinderte er die Königinmutter, sich in törichte Intrigen zu stürzen oder in jene Zornesausbrüche zu verfallen, die den Louvre erschütterten und nach denen sie jedesmal endlos zu schmollen pflegte. Er selbst versagte es sich durchaus nicht, zu intrigieren, aber mit einem Geschick, das die Ärmste niemals erlangt hätte, nicht in dieser noch in jener Welt.
Richelieu hatte einen guten Intendanten, dessen Bruder Fancan, Domherr von Saint-Germain-l’Auxerrois, einige Ansichten des Kardinals teilte und überdies eine scharfe und schwungvolle Feder schrieb. Richelieu ermutigte ihn, dieses ungenutzte Talent zu gebrauchen, und zu der Zeit, als Ludwig sich von den |384|Brûlarts abzuwenden begann, publizierte Fancan ein Pamphlet unter dem Titel Das sterbende Frankreich, in dem er die Minister in ihren wahren Farben schilderte und ihnen vorwarf, »das Veltlin feige aufzugeben und unersättlich nach den öffentlichen Geldern zu gieren«, so daß sie Subsidien für die eigene Tasche abzweigten, die zur Unterstützung unserer Verbündeten bestimmt waren.
Dieses Pamphlet lehrte den König nichts Neues über die Brûlarts, weil er sie längst im Verdacht hatte. Aber es lehrte ihn, daß alle Welt in Stadt und Hof Bescheid wußte und daß diese Schande auf ihn zurückfiel, wenn er ihr kein Ende machte. Am vierten Februar 1624 also erhielt Tronçon Befehl, den Brûlarts, Vater und Sohn, mitzuteilen, sie hätten den Hof zu verlassen. Als ich Tronçon mit diesem Auftrag durch den Louvre eilen sah, hieß ich La Barge, seine Rückkehr auszuspähen und ihn mir wohl oder übel zuzuführen. Sowie Tronçon mein Gefangener war, schenkte ich ihm einen großen Becher Wein ein, aber nicht den Burgunder, sondern meinen Frontignan. Und durch Schmeichelei wie durch Drohung – der Frontignan half tüchtig mit, denn Tronçon mißtraute der verräterischen Kraft des Süßweins nicht –, erhielt ich den getreuen Bericht dessen, was Ludwig ihm für die beiden Minister aufgetragen hatte.
»Meine Herren«, sagte er ihnen (und der Leser möge sich vorstellen, mit welcher überwältigenden Würde Tronçon diese königliche Botschaft von sich gab), »wenn Ihr Euch der vor dem König gegen Euch erhobenen Anschuldigungen für nicht schuldig erachtet, dürft Ihr in Paris bleiben, aber unter der Bedingung, daß der Gerichtshof Eure Geschäftsführung untersuchen wird.«
»Herr Sekretär«, sagte Brûlart de Sillery seufzend, »ich bin zu alt und gebrechlich, um die Mühsal eines Prozesses auf mich zu nehmen. Ich gedenke mich morgen in meinem Landhaus zur Ruhe zu setzen.«
»Und Ihr, Monsieur de Puisieux?« fragte Tronçon.
»Die Sohnesliebe«, sagte Puisieux als echter Heuchler, »macht es mir zur Pflicht, meinen Vater auf seinen Ruhesitz zu begleiten und über ihn zu wachen.«
Vielleicht, wagte ich bei mir zu denken, wird Ludwig, wenn er diese Antworten hört, einiges Bedauern und sogar ein wenig |385|Reue verspüren, daß er Schomberg ebendieses Vefahren abgeschlagen hat, der, wie man weiß, eine ganz andere Antwort gegeben hätte. Daher vermutete ich, daß Schombergs Verbannung nicht mehr ewig währen würde und beschloß, Ludwig an ihn zu erinnern, falls er ihn vergessen sollte.
***
Am achtundzwanzigsten März – das Wetter war für die Jahreszeit sehr schön –, ging der Hof nach Compiègne, Ludwigs liebste Residenz neben Saint-Germain-en-Laye, denn beide waren von wildreichen Wäldern umgeben. Weil ich mir nichts daraus machte, zehn Stunden hintereinander im Sattel zu sitzen, begleitete ich den König nur einmal zur Jagd, am sechsundzwanzigsten März, an dem Seine Majestät in sieben Stunden zwei Hirsche, zwei Wölfe, zwei Füchse und einen Hasen erlegte. Der eine Wolf war ein sehr großes männliches Tier, noch größer als der, dem mein Dörfler in Orbieu den Lauf mit der Armbrust zerschossen hatte. Als ich im Gefolge des Königs endlich ins Schloß kam und absaß, taten mir die Hinterbacken weh, ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten, und ich sah, daß der König humpelte. Bei der Untersuchung fand Héroard, daß er sich vor Drang und Druck die große Zehe im Steigbügel gequetscht hatte.
In Compiègne erwartete man die englischen Gesandten, die den Ehekontrakt für Henriette von Frankreich und den Prinzen von Wales aushandeln sowie die Festlichkeiten zum Empfang unserer Gäste bestimmen sollten, und bis dahin gab es in einem fort Spiele, Bälle, Feuerwerke, Konzerte und italienische Komödien. Im Zuge dieser Lustbarkeiten und wohl auch dank dem schönen Wetter waren die Vorschriften, denen die Königin sonst unterlag, ein wenig gelockert worden. Anna erschien mir schöner, gelöster, weniger in sich gekehrt, und der König bemühte sich aufmerksamer um seine Gefährtin. Wie ich von Héroard hörte, schlief er innerhalb von acht Tagen viermal in ihren Gemächern mit ihr, was wohl nicht darauf hindeutete, daß er nur einer dynastischen Pflicht genügte. Ich hatte mich also getäuscht, als ich dachte, seit der Eifersucht des Königs und der Einschließung der Königin sei alles unrettbar aus zwischen ihnen.
|386|Es war am siebenundzwanzigsten März, zwei Abende nach jener langen Jagd, die mich krumm und lahm gemacht hatte, als ich in meiner kleinen Wohnung zu Compiègne (wie froh war ich, sie gefunden zu haben!) den Pater Joseph und Fogacer zum Souper empfing. Diese Idee war nicht auf meinem Mist gewachsen, sie war mir von dem Kapuziner nahegelegt worden, und der Domherr hatte im Nu zugesagt. Jeder der beiden war begierig, den anderen kennenzulernen, denn beide schwammen in zwar verschiedenen, aber benachbarten Gewässern und hofften einer durch den anderen unterrichtet zu werden.
Nie habe ich eine schweigsamere Tischrunde erlebt: Man speiste, trank, lobte Gerichte und Weine, man beäugte sich, senkte den Blick, beäugte sich aufs neue und zog sich wieder in sich zurück. Als ich nun sah, daß meine Gäste zugeknöpft blieben bis zum Adamsapfel, wollte ich dem Gespräch zu ein wenig Lockerung verhelfen.
»Meine Herren«, sagte ich, »wir alle drei hier wissen, wem jeder von uns zugehört, ich dem König, Pater Joseph dem Kardinal und der Domherr Fogacer dem Nuntius. Einigen wir uns denn ein für allemal, daß jeder hier einzig in seinem eigenen Namen spricht und nicht in dem seines Dienstherrn, so reden wir ungezwungener. Im übrigen verpflichten wir uns, hier gemachte Äußerungen nur weiterzusagen, ohne ihre Urheber zu nennen.«
Dieser Vorschlag wurde freudig angenommen, obwohl er scheinheilig war, denn natürlich wußten wir, daß jeder von uns bestimmte Kenntnisse über diese oder jene Intrige nur von der Person haben konnte, der er diente. Aber das Annehmliche meines Vorschlags war zu offensichtlich, als daß man ihn verwarf. Er beruhigte die Gewissen und erlaubte, sich nicht indiskret zu fühlen, obgleich man es war. Wir hatten sogar das größte Interesse, es zu sein, wenn wir wollten, daß auch der andere aus sich herausginge und uns mitteilte, was wir nicht wußten.
»Meine Herren«, fuhr ich fort, »die Frage, die ich als erste stellen möchte, ist die: Welche Position hat La Vieuville jetzt, nachdem die Brûlarts gefallen sind?«
»Er fürchtet für sich dasselbe Schicksal«, sagte Pater Joseph, »womit er nicht unrecht hat, denn er hat die gleichen Verfehlungen begangen wie die Brûlarts.«
»Außer einer«, sagte Fogacer. »Er hat nicht, wie die Brûlarts, |387|spanisches Gold eingesackt, um unsere Aktivitäten in der Veltliner Frage einzuschläfern.«
Hiermit erhielt ich die Bestätigung – denn der Nuntius wußte die Dinge –, daß es tatsächlich einen Kuhhandel zwischen den Habsburgern und den Brûlarts gegeben hatte, der auf Hochverrat hinauslief.
»Tatsächlich«, fuhr der Pater fort, »könnte der König alle Vorwürfe, die er gegen die Brûlarts erhob, bis auf den einen, auch gegen La Vieuville erheben. La Vieuvielle hat Ämter verschachert, hat ohne Wissen des Königs Entscheidungen des Kronrats abgeändert, hat gegen seinen Befehl verhandelt, und so weiter.«
»Dem könnte man«, sagte ich, »seine Arroganz und seine Grobheit hinzufügen, wenn er sich weigert, die vom König bewilligten Pensionen auszuzahlen. Wißt Ihr, was er denen, die ihre Rückstände bei ihm einforderten, je nach Jahreszeit geantwortet hat: ›Ich heiße Januar und nicht Oktober‹, oder: ›Ich bin La Vieuville und nicht der Goldesel.‹ Ihr mögt Euch denken, wie beliebt er sich mit seinen Ablehnungen und Witzchen am Hof gemacht hat.«
»Die Ungnade des Königs und der Haß des Hofes«, sagte Fogacer, »das ist nicht wenig. Wißt Ihr, welchen Rückhalt La Vieuville hätte, um sich aus der Affäre zu ziehen?«
»Er hofiert die Königinmutter«, sagte Pater Joseph, »und obwohl sie schon wieder schmollt, empfängt sie ihn.«
»Wie«, fragte ich, »sie schmollt wieder?«
»Oh, es ist nicht so schlimm«, sagte Fogacer. »In Paris hat sie den Palais du Luxembourg kaum mehr verlassen und den Fuß überhaupt nicht mehr in den Louvre gesetzt. Hier, in Compiègne – dafür liebt sie Feste zu sehr –, ist sie überall dabei, aber den König schneidet sie nach wie vor.«
»Immerhin, meine Herren«, sagte Pater Joseph, indem er die rechte Hand hob, »hat sie dank dem Kardinal große Fortschritte im Schmollen aufzuweisen. Sie schmollt, ja, aber ohne Szenen zu machen, ohne Geschrei und wutschnaubende Mienen. Sie schmollt mit echt königlicher Würde, und sie gedenkt so weiterzuschmollen, sagt sie, bis ihr Sohn den Kardinal in den Kronrat beruft.«
»Nun ja, der Kardinal würde uns von all diesen Strauchdieben wirklich befreien«, meinte Fogacer, der Richelieu hiermit |388|zum erstenmal und in Gegenwart des Paters Joseph eine Huldigung erwies.
Also, schloß ich, sähe der Nuntius den Kardinal gar nicht ungern an der Spitze der französischen Politik.
»Das Dilemma des Königs«, fuhr der Pater fort, »ist doch dies: Er will nicht regiert werden, aber selbst regieren will er auch nicht. Er liebt die Jagd viel zu sehr, als daß er sich befleißigen würde, die Geschäfte von Grund auf zu studieren, Entscheidungen zu treffen und über ihre Ausführung zu wachen. Er will also jemanden über sich, der aber gewitzt genug wäre, sich ihm stets unterzuordnen und nie zu entscheiden, ohne ihn in allem zu fragen.«
Ein ziemlich langes Schweigen trat ein, und Fogacer und ich wechselten einen Blick. Hatte Pater Joseph soeben ein treffendes Porträt des Kardinals gegeben oder seine künftige Strategie gegenüber Ludwig skizziert?
»Wie begegnet die Königinmutter La Vieuville, wenn er sie besucht, wißt Ihr das?«
»Liebe Zeit«, sagte der Pater, »er ist für sie ein kostbares Werkzeug, wenn auch ohne weitergehenden Gebrauch. Sie drängt ihn tagtäglich, den König aufzufordern, daß er Richelieu in seinen Rat holt.«
»Und was antwortet ihr La Vieuville?«
»Er sagt: ›Madame, das wäre binnen kurzem mein Fall und auf längere Sicht auch der Eure‹.«
»Nicht dumm, der Gauner«, sagte Fogacer, indem er seine mephistophelischen Brauen wölbte.
Es war aber nur ein Aufblitzen. In der nächsten Sekunde zeigte sein Gesicht wieder die beruhigende Gutmütigkeit, die einem Domherrn des Heiligen Kapitels ziemte.
»Wird La Vieuville diesen schicksalhaften Schritt beim König denn jemals tun?« fragte ich lächelnd.
»Er hat ihn getan«, sagte Pater Joseph. »Er hat sich in sein Los gefügt. Er dachte sich wohl, wenn er stürzen müßte, wäre die Königinmutter wenigstens das Kissen, das ihn auffangen könnte.«
Ich brach in Lachen aus, Fogacer lachte auch, und Pater Joseph fragte uns mit gespieltem Erstaunen: »Habe ich etwas Ungehöriges gesagt?«
***
|389|Die große Zehe des Königs wollte nicht heilen, sondern schmerzte immer mehr. Héroard drang in Ludwig, einmal einen Tag im Hause zu bleiben. Ludwig fügte sich, aber Grimm im Herzen, und obwohl er nie um irgendeine kleine Beschäftigung verlegen war, in der er durch seine Geschicklichkeit glänzte, sah ich, daß er nicht mit dem Herzen dabei war. Er grübelte schwer, aber nicht über das, was er tat, er war unruhig und ratlos.
»Sioac«, sagte er und brach damit endlich das Schweigen, das seit einer Stunde währte, »kommt bitte her!«
Ich näherte mich seinem Tisch, wo er auf einem dicken Bogen einen Entwurf für ein Glasfenster ausmalte.
»Also«, sagte er, »was denkt Ihr?«
»Es ist sehr schön.«
»Ich meine nicht das Fenster«, sagte er, ohne den Kopf zu heben und ohne etwas hinzuzusetzen.
»Wenn ich Euch recht verstehe, Sire, fragt Ihr mich, was ich von der gegenwärtigen Lage halte?«
»Richtig.«
»Offen gestanden, Sire, dasselbe, was Ihr selbst davon haltet. Das heißt erstens, daß Ihr La Vieuville über kurz oder lang entlassen werdet.«
»Weiter.«
»Zweitens, daß Ihr den Kardinal in Euren Rat holt.«
»Nein, nein, ebenda ist doch der Haken.«
»Sire, der Haken ist, daß Ihr fürchtet, der Kardinal könnte Euch aufgrund seines anmaßenden und herrischen Wesens tyrannisieren, aber eben das wird er nicht tun.«
»Warum?«
»Sire, Ihr habt die Minister Concinis verbannt. Ihr wart an dem Punkt, Monsieur de Luynes in Ungnade zu stoßen, als er starb. Ihr habt Prinz Condé verabschiedet, weil er nur nach seinem Kopf handelte. Ihr habt die Brûlarts entlassen. Welche Macht der Welt könnte Euch hindern, den Kardinal Richelieu zu entlassen, wenn er Euch nicht zufriedenstellen sollte? Glaubt Ihr, wenn Ihr eines Tages zu Vitry oder Praslin sagt, nehmt den Kardinal fest und begleitet ihn nach Avignon, unter Verbot, nach Frankreich zurückzukehren, daß sie Euch nicht gehorchen werden?«
»Aber angenommen, ich hole ihn in meinen Rat, wird er dann nicht zu sehr auf die Königinmutter hören?«
|390|»Sire, der Kardinal ist ein Mann, der an die Macht will. Diese Macht kann er nur von Euch erhalten und nicht von Ihrer Majestät der Königinmutter. Sicher wird er gelegentlich in die Zwickmühle geraten zwischen der Königinmutter und Euch, aber das ist dann seine Sache, nicht die Eure.«
»Seid Ihr dem Kardinal schon begegnet?«
»Ja, Sire, als ich im Gefolge des Kardinals de La Rochefoucauld in Angoulême war.«
»Was haltet Ihr von ihm?«
»Er ist ein sehr scharfsinniger Mann.«
»Anscheinend«, sagte Ludwig mit einer Spur von Verstimmung, »seid Ihr ihm schon völlig ergeben.«
»Sire, ergeben bin ich nur Euren Interessen und Eurer Person.«
»Ich weiß, Sioac. Ich danke Euch für dieses Gespräch.«
»Sire, Ihr habt durch meine Vermittlung nur mit Euch selbst gesprochen.«
»Auch gut.«
Schweigen trat ein, weil Ludwig in der Wahl einer Farbe für seinen Entwurf schwankte. Als er sich entschieden hatte, blickte er auf und sah mich an.
»Sioac«, sagte er, »wie kommt es, daß Ihr mich nie um eine Gunst bittet?«
»Weil ich weiß, Sire, daß Ihr Bittsteller nicht liebt.«
»Gut, diesmal sprecht.«
»Sire, um Euch denn zu gehorchen, bitte ich um folgendes: Nachdem Ihr La Vieuville entlassen habt, beliebt Euch in Erinnerung zu rufen, daß Schomberg noch immer in Nanteuil sitzt.«
»Wir werden sehen«, sagte Ludwig mit undurchdringlichem Gesicht.
Am achtundzwanzigsten April – der Tag neigte sich schon – , beauftragte ich La Barge, so unauffällig er konnte den Pater Joseph in seinem Kloster aufzusuchen und ihn um einen Besuch bei mir zu bitten. Er ließ nicht lange auf sich warten, denn er verstand natürlich, daß ich ihn um diese späte Stunde nicht störte, wenn ich ihm nicht eine wichtige Nachricht mitzuteilen hätte.
»Pater«, sagte ich, »die Neuigkeit ist die: La Vieuville hat den König in der Tat ersucht, den Kardinal in den Kronrat zu holen, aber in so restriktiver Weise, als wollte er ihm Krallen |391|und Zähne stutzen. Es soll ein ›Depeschenrat‹ gebildet werden, bestehend aus dem Kardinal und zwei oder drei anderen Personen geringerer Statur, der die Nachrichten aus dem Ausland zur Kenntnis nimmt. Doch sollen weder Richelieu noch diese anderen zugelassen sein in einem sogenannten ›Engen Rat‹, dem der König, die Königinmutter, der Konnetabel und die Staatssekretäre angehören. Und, wohlverstanden, hängt von diesem ›Engen Rat‹ dann alles ab.«
»Was für eine ausgemachte Dummheit!« sagte der Pater zähneknirschend. »Ebensogut könnte man den Kardinal in Quarantäne setzen: Das nimmt er niemals an.«
»Aber er muß vor dieser elenden Falle gewarnt werden.«
»Daran soll es nicht fehlen«, sagte Pater Joseph.
Und zur selben Minute brach er auf. Ich konnte ihn nicht überreden, daß er sich von La Barge zu seinem Kloster begleiten ließ.
Am nächsten Tag, dem neunundzwanzigsten April, einem Montag, ging ich um neun Uhr zum Lever des Königs. Er wirkte ausgeruht und mit sich einig, aber er wollte nichts essen, sondern erst die Messe hören und beichten. Als er um zehn Uhr zurückkam, setzte er sich unverzüglich zum Essen. Nachdem er geendet hatte, erhob er sich mit entschlossener Miene und begab sich samt großem Gefolge in die Gemächer seiner Mutter. Inzwischen war es elf Uhr, und die Königinmutter, noch zu Bett, plauderte mit ihren Damen.
Das Alter, üppiges Essen und ausgedehnter Schlaf – sie hielt auch im Winter Siesta –, hatten ihre Züge vergröbert, die ohnehin nie fein waren. Von ihrer engen, gewölbten Stirn bis zu dem schweren, vorstehenden Unterkiefer, ein Habsburger Erbe, ja bis hin zu ihren fahlen, zornmütigen kleinen Augen sprach aus diesem Gesicht nichts wie Dünkel und Starrsinn. Obwohl noch im Négligé, trug sie doch all ihren Schmuck, um den Hals drei, vier Schnüre großer Perlen, die an sich wunderschön waren, aber die auch das Doppelkinn betonten, das man lieber übersehen hätte. In blaßblaue Kissen gelehnt, die ihrem mit Kunst blond gehaltenen Haar schmeicheln sollten, thronte sie mehr, als sie saß. Und ebenso prüde wie ungeniert stellte sie, von venezianischen Spitzen kaum verhüllt, einen Busen zur Schau, wie ihn, jedenfalls an Ausmaßen, keine Dame des Hofes aufzuweisen hatte.
|392|»Madame«, sagte der König, nachdem er sie gegrüßt hatte, »ich habe einen Eurer Diener zur Führung der Geschäfte erwählt, auf daß die Welt erkenne, daß ich mit Euch in vollem Vertrauen leben will, und nicht nur zum Schein, sondern wahrhaftig.«
»Ach, mein Sohn!« sagte die Königinmutter und legte die Hand auf ihr Herz.
Mehr brachte sie nicht heraus, ihr Gesicht erstrahlte vor unsäglicher Genugtuung. Und seltsam, obwohl ich ihr wenig zugetan war, weil sie meinen geliebten kleinen König von Kind auf so unwürdig behandelt hatte, flößte mir diese unerhörte, einfältige Heiterkeit, die sich mit einemmal auf ihrem großen Gesicht malte, ein gewisses Mitleid mit ihr ein. Denn natürlich glaubte sie, begriffsstutzig, wie sie war, nun da sie Richelieu an die Geschäfte gebracht hatte, könnte sie sozusagen die Zeit zurückdrehen und wie früher Regentin und Alleinherrscherin sein im Reich. Mein Gott, dachte ich, wie sie sich irrt! Wie schlecht sie ihren Sohn kennt! Und wieviel schlechter erst Richelieu!
Ob der König nun verstand, welche Gefühle seine Mutter bewesten, oder nicht, weiß ich nicht, denn nachdem er ihr besagte knappe Erklärung gemacht hatte, fügte er nichts weiter hinzu, sondern grüßte die Königin aufs neue und ging mit einer abrupten Kehrtwendung davon.
Am selben Nachmittag, um zwei Uhr, empfing der König den Kardinal Richelieu im Kronrat.
Ich hatte den Prälaten seit Angoulême nicht mehr gesehen, aber ich fand ihn kaum verändert, nur daß er die violette Robe des Bischofs gegen die Purpurrobe des Kardinals eingetauscht hatte, die ihm übrigens stand, als sei sie ihm angeboren.
Er war ebenso gepflegt wie bei unserer ersten Begegnung. Sorgsam hatte der Barbier die Partien um seinen Schnurrbart rasiert und dessen Spitzen verwegen gezwirbelt. Mir fiel auf, wie blaß sein mageres, dreieckiges Gesicht – betont noch durch den Spitzbart –, im Kontrast zu seinen großen schwarzen Augen wirkte, die dadurch noch dunkler und glänzender erschienen und die in kürzestem so vieles auszudrücken vermochten und blitzschnell von der geistlichen Sanftmut zum bissigsten Sarkasmus wechseln konnten.
Ich war nie mit ihm allein gewesen und konnte darum nicht |393|sagen, ob er so groß war, wie er aussah, jedenfalls machte er den Eindruck einer schlanken und geschmeidigen Eleganz, die an einen Degen gemahnte. Wenn er etwas ausdrücken oder darstellen wollte, gebrauchte er, wenn auch mit Maßen, dazu seine langen, weißen und sehr gepflegten Hände: die Hände eines Magiers, möchte man sagen, so stark trugen sie dazu bei, die Dinge sichtbar zu machen, von denen er seinen Zuhörer überzeugen wollte. Seine Stimme konnte hoch oder tief sein, sie gebot über unendliche Modulationen und Nuancen, überhaupt ging von seiner ganzen Person ein Zauber, eine Zielstrebigkeit und eine Autorität aus, wie ich sie noch bei keinem anderen Menschen beobachtet habe.
Er begann damit, dem König zu danken, daß er sich auf Empfehlung von Monsieur de La Vieuville für ihn entschieden habe. »Aber«, fuhr er fort, »ich denke nicht, daß ich diese Wahl annehmen muß, denn hat Gott mir auch einige Gaben und Geisteskraft geschenkt, ist mein Körper doch so anfällig, daß er dem Lärm und dem Trubel der Welt nicht gewachsen ist. Deshalb, wenn ich in den Kronrat eintreten sollte, wünschte ich, daß niemand mich um Gnadenerweise oder Pensionen aufsuchte, solche Besuche würden mich ganz sicher umbringen. Gleichfalls möchte ich, daß der König es nicht übel ansähe, wenn ich nicht oft zu seinem Lever käme, denn ich kann nicht lange in einer gedrängten Menge stehen, ohne zu ersticken. Außerdem«, fügte er hinzu, »bin ich mir nicht sicher, daß ich dem König in den ausländischen Affären nützlich sein könnte, besonders in dem Zustand, in dem sie von jenen, die sie geführt haben, hinterlassen worden sind. Die Veltliner Frage, die deutsche Frage, die Unterstützung der Niederlande und der Schweiz sind Dinge von so großer Bedeutung für Frankreich, daß sie besonnene Entschlüsse erfordern, und diese kann nur der König in seinem Kronrat fassen. Deshalb gibt es keinen Grund«, hier wurde seine Stimme etwas beißend, und La Vieuville fing an zu zittern, »gibt es keinen Grund, sage ich, einen Depeschenrat zu bilden, in dem ich sitzen würde, und einen ›Engen Rat‹, in dem ich nicht sitzen würde. Was würde passieren, wenn der Depeschenrat einen Beschluß faßte, und der königliche Rat faßte einen anderen, der diesem entgegengesetzt wäre?«
Hiermit blickte er Ludwig mit gehobenen Brauen an, und |394|Ludwig sagte mit klarer Stimme: »In der Tat, das Ergebnis würde hinken.«
Damit war La Vieuville bloßgestellt. Er erblaßte. Sein Versuch, Richelieu an die Staatsgeschäfte zu lassen, seinen Einfluß aber von vornherein zu beschneiden, war soeben mit wenigen Worten zunichte geworden.
Ohne die Stimme zu heben, fuhr der Kardinal fort: »Sire, ich bin bereit, mein Leben dem Wohl des Staates zu weihen. Aber es fruchtlos zu tun halte ich nicht für zweckmäßig.«
»Fahrt fort, mein Cousin«, sagte der König.
»Sire, um Euch auch das nicht zu verhehlen, sehe ich noch einen Umstand, der meinem Eintritt in die Geschäfte entgegensteht. Ich bin der Königinmutter sehr verpflichtet, daher könnte mancher versucht sein, Ansichten, die ich zum Wohl des Staates äußern würde, zu mißdeuten und der Königinmutter und mir Absichten zu unterstellen, die der Wirklichkeit ganz entgegen wären. Sire, es gibt also, um es Euch offen zu sagen, eine Reihe von Beweggründen, die gegen meine Aufnahme in den Kronrat sprechen. Indessen werde ich, wenn Eure Majestät es befiehlt, dem Willen Eurer Majestät blind gehorchen. Wenn ich aber dieses Amt annehme, ohne es gesucht oder gewünscht zu haben«, und Richelieu brachte es fertig, einen solchen Satz auszusprechen, ohne zu lachen, »so möge Eure Majestät wissen, daß ich nie ein anderes Ziel haben werde und haben kann als das Wohlergehen Seiner Person und die Größe Seines Staates. Folglich gehen meine glühenden Wünsche dahin, Eure Majestät möge in diesem Glauben so fest sein, daß ich gewiß sein kann, es werden Sie keine Arglisten von Übelmeinenden an meiner Aufrichtigkeit zweifeln machen.«
Langes Schweigen folgte dieser Rede, die zugleich durch ihre Hellsicht, ihre Gewandtheit und ihre unerschütterliche Selbstsicherheit beeindruckte. Der Kardinal hatte seine Berufung angenommen, indem er vorgab, sie abzulehnen. Er hatte die Bedingungen seiner Rolle exakt definiert und hatte sich als einziger der anwesenden Minister von der Pflicht befreit, am Lever des Königs teilzunehmen und Bittsteller zu empfangen.
»Mein Cousin«, sagte der König, »es ist mein Wille, daß Ihr mit dem heutigen Tag in meinen Kronrat eintretet.«
Der Kardinal wartete kaum bis zum nächsten Tag, seinesgleichen den Vortritt streitig zu machen. Nicht nur dem Konnetabel |395|und dem Kanzler wollte er vorangehen, sondern auch den Prinzen von Geblüt und den anderen Prinzen, und er setzte es durch. Wenige Wochen später wurde dank seiner Empfehlung und unter Vorlage von Beweisen La Vieuville vom König entlassen und aus Paris verbannt.