|51|DRITTES KAPITEL

Mein Vater und der Chevalier de la Surie kehrten von Orbieu voll des Lobes zurück. Drei Tage waren sie dort gewesen, Tisch und Bett hatte Pfarrer Séraphin ihnen geboten, während unsere Leute auf unsere Kosten in der Dorfschenke logierten, die zwar armselig, aber wenigstens nicht schmutzig oder verwanzt war.

»Für hunderttausend Livres ist dieses Gut ein vorzügliches Geschäft«, sagte mein Vater, als er mich bei meiner Rückkehr von Rouen empfing. »Natürlich hat alles unter der Abwesenheit des Herrn gelitten. In den Wäldern hat man übermäßig abgeholzt, aber der Hochwald ist verschont geblieben, der übrigens prächtig ist. Tiefliegende Wiesen sind sauer geworden, weil man das Wasser nicht rechtzeitig abgeleitet hat. Gute Weiden sind von Dornengestrüpp und Quecken befallen. Äcker liegen seit vier Jahren brach. Straßen und Gräben sind vernachlässigt, die Wege ausgefahren und verschlammt. Zum Glück sind Backofen, Mühle und Weinpresse in Ordnung – gemeinnützige Einrichtungen, mein Sohn! Man sieht, daß der Verwalter sie instand gehalten hat, um im Namen des seligen Grafen von Orbieu dafür Abgaben zu kassieren, die unwiderstehlich in seine eigene Geldkatze rollten.«

»Und das Schloß, Herr Vater?«

»So gut wie neu, es wurde erst unter Henri Quatre erbaut, schön abgesetzt mit Ziegelstein und Haustein. Und entgegen der ersten Auskunft bedarf es keiner Reparaturen. Rechts und links liegen die Gesindeflügel. Die vierte Seite ist durch eine hohe Mauer geschlossen, die auf dem First mit Spitzen bewehrt ist, in der Mitte hat sie ein eisenbeschlagenes Tor. Der Hof ist groß genug für den Fall, daß das ganze Dorf dort Schutz suchen muß vor marodierenden Soldaten, die auf ihre üblichen Heldentaten aus sind: Morden, Rauben, Vergewaltigen. Das Kutschentor liegt zwischen zwei kleinen Türmen. Wenn man dort ein paar Musketen postiert, werden |52|Angreifer es sich überlegen, ob sie das Tor einschlagen oder sprengen.«

»Teufel!« sagte ich. »Einen Tagesritt von Paris entfernt ist noch so viel Verteidigung nötig?«

»Das haben die Kriege mit sich gebracht«, sagte mein Vater. »Wißt Ihr nicht, daß die Leute draußen im Land von unseren Soldaten genauso drangsaliert werden wie von den Feinden?«

»Und wie steht es mit dem Wasser, Herr Vater?«

»Quellen, soviel man will! … Und an der Westseite des Schlosses, fast unter den Mauern, liegt ein großer Teich, der von einem munteren Bach gespeist wird. Wie mir berichtet wurde, haben die Dorfbewohner den Teich gleich nach dem Tod des seligen Grafen binnen einer Nacht leergefischt.«

»Und der Verwalter?«

»Der hat sich gehütet, seine Visage zu zeigen. Vor einem Jahr hat er von einem Fenster des Schlosses einen armen Wilderer erschossen, der sich mit dem Netz einen dicken Karpfen aus dem Teich gezogen hatte. Er muß den Toten heimlich verscharrt haben, denn man hat ihn nicht gefunden. Seitdem ist Rapinaud, so heißt der Verwalter, im ganzen Dorf verpönt.«

»Und die königliche Gerichtsbarkeit?«

»Sie hätte nur von dem Grafen ausgeübt werden können, das heißt in seiner Abwesenheit von dem Verwalter selbst. Im übrigen obliegt die königliche Gerichtsbarkeit ohnehin Richtern, die alle kleine Güter besitzen, wo sie gerne jagen und folglich für Wilderer auch nichts übrig haben.«

»Könnt Ihr mir noch mehr über das Schloß sagen, Herr Vater?«

»Wir fanden es in weit besserem Zustand, als man Euch mitteilte: Die Dächer sind heil, die Mauern gesund, die Balken solide. La Suries Messerspitze kam in die Balken nicht hinein, das ist ein gutes Zeichen. Die Fenster und Fensterläden brauchen frische Farbe, aber Gott sei Dank schließen sie. Beunruhigend ist nur, daß so wenige Möbel da sind, wir verdächtigen Rapinaud, daß er einige verschachert hat. Deshalb haben wir einen Gerichtsvollzieher beauftragt, das Schloß zu versiegeln.«

»Aber, Herr Vater«, sagte ich lächelnd, »das war ein ungesetzlicher Akt, noch hat Euer Sohn nicht gekauft.«

»Täuscht Euch nicht. Auf das Gerücht hin, daß Rapinaud gegen das königliche Vorkaufsrecht zu Euren Gunsten Einspruch |53|eingelegt hat, habe ich in Eurem Namen ein Kaufversprechen unterzeichnet und Madame d’Orbieu bereits zehntausend Livres angezahlt. War ich voreilig?«

»Nein, nein, ich hatte mich ja ganz auf Eure Prüfung verlassen.«

»Und auf meine«, sagte La Surie, der nicht gern übersehen wurde.

»Das bezweifle ich nicht, Chevalier«, sagte ich, indem ich mich gegen ihn verneigte.

»Wie recht Ihr damit habt!« fuhr La Surie mit einem kleinen Funkeln in seinem braunen Auge fort, während sein blaues kühl blieb. »Mit Eurer Erlaubnis werde ich Euch berichten, wie der Herr Marquis und ich diese Gutsbesichtigung bewerkstelligt haben.«

»Ich höre.«

»Der Herr Marquis hat geprüft, ich habe gestöbert.«

»Gestöbert?«

»Zum Beispiel in der Mühle von Orbieu.«

»Ja, hört Euch das an, mein Sohn«, sagte mein Vater. »Die Geschichte ist lustig.«

»In der Mühle von Orbieu habe ich«, sagte La Surie, den man nicht lange zu bitten brauchte, sich seiner Taten zu rühmen, »während Euer Vater sich den Mechanismus von Pfarrer Séraphin erklären ließ, überall meine Nase hineingesteckt. Und so entdeckte ich in einem Winkel einen kleinen verschlossenen Kasten. Ich öffnete ihn.«

»Ohne Schlüssel?« fragte ich.

»Was glaubt Ihr? Und ich fand zwei Scheffel, anscheinend gleich groß, der eine mit ein paar Restkörnern, der andere mit ein wenig Mehl.«

»Ja, und?« sagte ich. »Mit dem einen mißt man das Getreide, das der Bauer dem Herrn bringt, mit dem anderen das Mehl, das der Müller nach dem Mahlen herausgibt, wobei er, wenn ich nicht irre, fünf bis zehn Scheffel von hundert als Arbeitslohn für sich behalten kann.«

»Richtig«, sagte La Surie, »und daran ist auch nichts Besonderes. Dieses zeigte sich jedoch, als ich beide Scheffel miteinander verglich. Äußerlich waren sie, wie gesagt, gleich groß, aber als ich mit einem Strohhalm die innere Tiefe maß, stellte ich fest, daß der Mehlscheffel ein Fünftel flacher war als der |54|Kornscheffel: Der Boden war unauffällig um ein gut Teil angehoben.«

»Warum das?« fragte ich verblüfft.

»Bei jedem Scheffel Mehl, den der Müller beziehungsweise der Verwalter dem Bauern herausgibt, behält er, ohne daß der Ärmste es merkt, durch diesen Trick noch ein Fünftel mehr ein, als ihm zusteht.«

»Aber dann betrügt der Verwalter sich doch selbst, wenn er die fünf oder zehn Scheffel abmißt, die rechtmäßig dem Herrn zustehen.«

»Das glaubt Ihr! Dieser Teil – der Teil des Herrn – wird mit einem dritten Scheffel gemessen, auf dem groß und breit das Wappen des Grafen von Orbieu prangt. An dem ist nichts getrickst.«

»Was habt Ihr da gemacht?«

»Wir haben die drei Scheffel dem Gerichtsvollzieher übergeben, und er hat sie beschlagnahmt für den Fall, daß wir gegen Rapinaud prozessieren müssen, der soll nämlich prozeßsüchtig sein und könnte uns künftig Ärger machen.«

Wir saßen zu dritt beim Mittagsmahl, und so gut Caboches Braten auch war, schnürte mir der Gedanke an diese schändliche Betrügerei doch den Magen zu. Da beschnitt man erbarmungslos den Teil des armen Mannes, der heilfroh ist, wenn er ein oder zwei Ar um seine Hütte zu beackern hat, um wenigstens Brot für ein halbes Jahr zu haben (wohlgemerkt, wenn er den Weizen mit Roggen und sogar mit Hafer vermischt), danach müssen rohe oder gebackene Kastanien dieses elende Brot ersetzen, damit er durchs Jahr kommt, ohne zu verhungern.

»Vater«, sagte ich und ließ den köstlichen Bissen Fleisch, den ich zum Mund führen wollte, auf meinen Teller zurücksinken, »was meint Ihr dazu: Sollte ich, wenn ich meine Herrschaft in Besitz nehme, diese althergebrachten Abgaben für Mühle, Ofen und Presse nicht abschaffen?«

»Da würdet Ihr auf Eure Herrenrechte verzichten!« rief La Surie entrüstet. Schließlich war er erst im reifen Alter zu Adel und Grundbesitz gelangt, denn bis zu seinem fünfzehnten Jahr war er ein kleiner Landstreicher gewesen, ohne Familie, ohne Dach überm Kopf, und hatte vom Stehlen und Wildern gelebt, bis mein Vater, der gleichaltrig mit ihm war, ihn unter seine Fittiche nahm. »Wenn Ihr das tut«, fuhr er leidenschaftlich fort, |55|»werden Eure adligen Nachbarn Euch hassen und Eure Dörfler Euch für einen Narren halten!«

Der Marquis de Siorac aber lächelte, und nachdem La Surie seiner Empörung freien Lauf gelassen hatte, die sich noch ein Weilchen fortsetzte, sagte er: »Pierre-Emmanuel, wenn Ihr Euer Herrenrecht an der gemeinnützigen Mühle aufgebt, wie wollt Ihr sie dann unterhalten, reparieren und die Männer bezahlen, die sie in Gang halten? Die Mühle nützt allen auf dem Gut und muß auch von allen getragen werden, aber selbstverständlich zu einem gerechten Preis.«

Ich dachte und denke seitdem, daß es hierauf noch eine andere Antwort geben muß; weil ich sie aber nicht fassen konnte, schwieg ich.

»Mein lieber Herr Sohn«, fuhr der Marquis de Siorac nach einer Weile fort, »wenn man von einigen kurzen Aufenthalten in Mespech absieht, habt Ihr bisher nur am Hof gelebt, im Louvre und in den schönen Schlössern des Königs: Saint-Germain, Vincennes, Fontainebleau, Madrid, weit, weit ab vom Land draußen und von denen, die dort leben. So habt Ihr leicht vergessen, daß der Adel sich auf das Land, auf den Besitz von Land, gründet. Dies ist so wahr, daß Ihr keinen wohlhabenden Kaufmann oder durch sein Amt reich gewordenen Bürger findet, der sich nicht bemühen würde, ein großes Stück Land zu erwerben, damit er sich dessen Namen beilegen kann.«

»Beweis«, sagte La Surie, der gerne darauf verwies, daß mein Urgroßvater väterlicherseits ebenso von unten kam wie er selbst, »Euer Ahn, Charles Siorac, Apotheker zu Rouen. Sowie er zu Geld gekommen war, kaufte er sich eine Mühle namens La Volpie und nannte sich von Stund an, indem er ein »von« zwischen seinen Vornamen und Siorac einschob, Charles von Siorac, Herr von La Volpie.«

»Trotzdem maßte er sich nicht an, von Adel zu sein«, versetzte mein Vater. »Auf den Notariatsurkunden, die seine Unterschrift bewahren, hat er seinem Namen nicht die sonst übliche Bezeichnung ›Edelmann‹ vorangestellt.«

»Herr Vater«, sagte ich ernst, »Ihr wißt ja, mir ist meine Siorac-Linie, der Urgroßvater einbegriffen, weit teurer und näher als meine Guise-Linie, denn ich glaube, ich verdanke ihr einige Vorzüge, die Ihr mir zuerkennen werdet.«

»Und ich glaube, damit habt Ihr recht«, sagte der Marquis de |56|Siorac, aber mit einem Lächeln, als mache er sich ein wenig lustig über unseren Familienstolz, dem er selbst doch tagtäglich huldigte.

Das Mahl war beendet, mein Vater ging und setzte sich vor den Kamin, um seinen Rücken zu wärmen, dann sagte er mit einer gewissen Feierlichkeit: »Um auf Orbieu zurückzukommen, würde ich sagen: Der Erwerb dieses Gutes ist für Euch, mein Herr Sohn, luce candidior nota1, wie der Lateiner sagt. Denn bisher trugt Ihr nur Titel ohne Grundlage, wie man sie nachgeborenen Söhnen verleiht. Unser Henri ernannte Euch zum Chevalier sowohl in Anerkennung der Dienste, die meine Familie dem Thron geleistet hat, wie auch aus Liebe zu seiner Cousine Guise. Aber mit diesem Tag erhaltet Ihr einen echten Titel, einen, der sich auf Landbesitz gründet. Damit erwerbt Ihr zugleich die Ehrbarkeit, die Autorität und die Sicherheit, die ein kleines Reich beschert, in dem Ihr König seid. Und wenn Ihr Euren Besitz gut bewirtschaftet, wird er Euch auf Dauer mehr einbringen, als was die faule Gräfin von Orbieu sich von ihrer Anlage in Italien je erwarten kann.«

»Aber dazu«, sagte La Surie ungestüm, »dürft Ihr nicht als erstes Eure Grundherrenrechte preisgeben, glaubt mir! Ich war selbst ein armer Hungerleider, und Ihr werdet mich nicht für herzlos halten. Euch stehen tausend Mittel offen, Euren ärmsten Häuslern das Leben zu erleichtern, aber, bei allen Heiligen! rührt nicht von vornherein an Gewohnheitsrechte! Auf dem Land sind Gewohnheitsrechte heilig! Sogar die davon Benachteiligten pochen auf sie! Ihr werdet es bald genug erfahren.«

***

Im Ministerium der Graubärte war Präsident Jeannin Oberintendant der Finanzen. Und weil Déagéant ihm unmittelbar unterstand, ja ihn zu ersetzen hoffte, wenn der Herr ihn zu sich riefe, erhielt ich mit einer Geschwindigkeit, die an Wunder grenzte, die Gelder, dank derer ich ohne Verzug das Gut Orbieu kaufen konnte, und kaum hatte ich es gekauft, überreichte mir Kanzler Sillery auch die Patentbriefe, die mir den Titel Graf von Orbieu zusprachen.

|57|Meine schöne Leserin möge mir die eitle kleine Freude vergeben, mit der ich das Wappen der Grafen von Orbieu auf mein Briefpapier und mein Siegel prägen und an die Schläge der Kutsche malen ließ, die mein Vater und La Surie in ihrer unendlichen Güte mir zum Geschenk machten. Aber, du liebe Zeit! wenn man sich diese kleinen Wonnen versagen würde, die uns so stolz und selbstzufrieden machen (die ein asketischer Weiser in seiner Klause natürlich mit Recht unwichtig und lächerlich fände), würde man sich dann nicht selber jene paar glänzenden Federchen ausrupfen, die unseren Alltag doch so verschönen, denn bietet uns dieses Leben nicht Gründe genug zu klagen, besonders in Anbetracht seiner Kürze?

Ich hatte beschlossen, meine Grafschaft am elften Februar in Besitz zu nehmen. Es war ein Sonntag, ich würde die Leute von Orbieu in der Kirche sehen, und sie sähen mich. Aber der König schlug mir den erbetenen Urlaub rundweg ab, für diesen Sonntag nämlich stand im Kronrat eine große Debatte über die Wiederkehr der Jesuiten nach Paris an, und er wollte, daß ich daran teilnahm. Bei einiger Überlegung war ich darüber nicht allzu betrübt, es herrschte eine Eiseskälte, und der Gedanke, mit meinem schönen Kutschengespann einen ganzen Tag über gefrorene Landwege zu traben, war keine Verlockung.

Die Jesuitenfrage erregte die Gemüter außerordentlich, im Rat, am Hof, an den Gerichtshöfen, in den Bettgassen unserer Damen, ja es gab keiner guten Mutter Sohn oder Tochter in Frankreich, die dazu nicht ihr Wort gesprochen hätten. Der Leser wird sich erinnern, daß der junge Châtel, ein Jesuitenschüler, am 27. Dezember 1594 ein Attentat auf Henri Quatre verübt hatte, ihn zum Glück aber nur am Mund verletzte. Woraufhin der König augenblicks, mit noch blutenden Lippen, einen jener Scherze machte, die soviel zu seiner Popularität beitrugen: »Anscheinend reichte es nicht, daß die Jesuiten im Munde so vieler Wohlmeinender in dem Ruf stehen, mich nicht zu lieben. Mußten sie auch noch durch meinen Mund bestätigt werden?«

Wie die Untersuchung ergab, war der junge Châtel, Schüler des Collège de Clermont zu Paris, von seinem Beichtvater als erstes überzeugt worden, daß er schwule Unzucht begangen und obendrein vom Inzest mit seiner Schwester geträumt hatte. Hierauf steckten ihn die guten Patres in ihre sogenannten |58|›Kammern der Meditation‹, einen finsteren Ort, wo grünliche Lichter blitzten, wo plötzlich schauerliche Stimmen erschallten und grausige Teufel auftauchten, die dem Unglücklichen drohten, ihn zu packen und ins Höllenfeuer zu schleppen. Kraft so übernatürlicher Mittel begriff Châtel, daß ihn seine Sünden mit Sicherheit den ewigen Flammen auslieferten, wenn er sich nicht loskaufte durch eine große Tat zum Nutzen der katholischen Kirche: Zum Beispiel, indem er den König ermordete, was eine läßliche Sünde war, weil Henri, so lehrte man ihn, vom Papst als Ketzer exkommuniziert worden war und also außerhalb der Kirche stand.

Nach diesen Enthüllungen machte der Oberste Gerichtshof kurzen Prozeß, die Jesuiten wurden verhaftet, verurteilt und wenig nach dem Attentat Jean Châtels zu zwölfjährigem Exil verdammt. Trotzdem schwante es Henri Quatre, daß er mit ihnen noch längst nicht fertig war. Und richtig, acht Jahre später forderte der Papst, um ihn von seiner Exkommunikation loszusprechen, daß er die Jesuiten aufs neue in sein Reich einließ. Gezwungenermaßen erlaubte Henri ihnen die Rückkehr, gab ihnen La Flèche, wo sie ein Collège gründeten, das hinfort die Offiziere seiner Armee ausbildete. Das berüchtigte Collège de Clermont zu Paris aber, wo der junge Châtel mit solcher Heimtücke abgerichtet worden war, blieb auf Befehl des Königs geschlossen.

Ob nun in himmlischen Gefilden oder am Höllengrund, je nachdem, wohin seine Tat ihn gebracht hatte, mußte der junge Châtel sich wohl sehr verwundern, daß er sechzehn Jahre nach seinem Tod den Anlaß bot zu einer Art Handgemenge zwischen dem Papst und Henri Quatre. Die Szene begab sich im Januar 1610, fünf Monate, bevor unser Henri von Ravaillacs Messer fiel. Der König rüstete damals mächtige Armeen gegen die spanischen, österreichischen und niederländischen Habsburger, katholische Nationen allesamt, gegen die der König von Frankreich sich mit den protestantischen Ländern zu verbünden suchte. Diese Politik beunruhigte den Papst dermaßen, daß er Henri eine Warnung sandte, die durch ihre Implikationen weit furchtbarer war als nach ihrer buchstäblichen Bedeutung.

Seine Heiligkeit publizierte ein Edikt, in welchem die Histoire Universelle von Präsident de Thou unwiderruflich verdammt wurde. Was angesichts der protestantischen Sympathien |59|des Autors nicht erstaunlich war. Was hingegen höchlich erstaunte, waren die beiden anschließenden Verdammungen. Die zweite betraf das Verhörprotokoll des Antoine Arnauld gegen die Jesuiten. Die dritte und letzte – in cauda venenum!1 verdammte das Todesurteil gegen Jean Châtel.

Die Aufregung in Frankreich war groß und das Geschrei allgemein. Vor allem der Oberste Gerichtshof spie Feuer und Flammen. Mehrheitlich gallikanisch gesinnt und nicht willens, Übergriffe der päpstlichen Macht in Frankreich zu ertragen, empörte er sich einhellig, daß der Vatikan das Urteil verdammte, das der französische Oberste Gerichtshof, eine souveräne Behörde, über den Königsmörder verhängt hatte. Was beabsichtigte der Heilige Stuhl? Wollte er Jean Châtel auferstehen lassen und ihm sein Messer wiedergeben? Dringlichst einberufen, erklärte der Pariser Oberste Gerichtshof in seinem Zorn das Edikt des Heiligen Vaters für null und nichtig und befahl, es zu verbrennen.

Henri verbot den Scheiterhaufen, aber er bestellte den Nuntius Ubaldini ein und erhob schwere Vorwürfe: Die Absolution Châtels sei nichts anderes als ein Aufruf zu neuerlichem Mord an ihm! Er forderte, daß der Papst sein Edikt widerriefe. »Aber wie sollte er?« rief der Nuntius und hob seine molligen Händchen, »der Heilige Vater spricht im Namen des Herrn, er kann nicht irren.«

Hierauf nun bewies der Heilige Stuhl aufs neue seine legendäre Schläue. Er erließ ein weiteres Edikt, das zwar die Verdammung der Histoire Universelle von Präsident de Thou enthielt, aber Arnaulds Prozeßprotokoll gegen die Jesuiten und das Todesurteil gegen Jean Châtel nicht aufführte. Diese Weglassung war ein halbes Zugeständnis, mehr aber auch nicht, denn das vorige Edikt wurde ja nicht widerrufen. Ich entsinne mich, wie mein Vater dazu sagte: »Was hilft das noch? Nur der erste Erlaß des Heiligen Stuhls wird für gültig erklärt werden. Seine ›Reue‹ schiebt man aufs Konto der Diplomatie. Die Drohung gegen des Leben des Königs bleibt voll bestehen.«

Leider täuschte er sich nicht! Auch wenn man den Jesuiten eine Beteiligung an Ravaillacs Attentat nicht nachweisen konnte – schließlich waren sie nicht die einzigen, die im Dunkeln |60|tätig waren, um verwirrte Geister in gelehrige, blutrünstige Werkzeuge zu verwandeln.

Keine Frage, das Problem an diesem dreizehnten Februar 1618 war unendlich weniger dramatisch, es ging nur darum, ob die Jesuiten, die sich seit langem wieder in den französischen Provinzen festgesetzt und sehr erfolgreiche Schulen gegründet hatten, das Collège de Clermont zu Paris wieder eröffnen durften. Doch allein schon der Name Jesuiten erweckte bei fast allen Franzosen stürmische Leidenschaften, sei es für die berühmte Gesellschaft, sei es gegen sie.

Der Sorbonne waren die Jesuiten verhaßt, weil sie ihr Bildungsprivileg gebrochen hatten und überall Schulen betrieben, die übrigens besser waren als ihre, weil sie neue Methoden anwandten. Die Pfarrer waren ihnen gram, weil sie sich die reichsten Beichtkinder durch ihre laue Beichtpraxis kaperten, die ihnen Schenkungen und Legate einbrachte. Die Bischöfe entrüsteten sich, daß diese Erbschleicher, die auch sie selbst bestahlen, weder Fisch noch Fleisch waren: Sie nannten sich Orden, aber wo waren ihre Kutten und Klöster? Sie trugen die Soutane, nahmen Beichten ab, gaben die Kommunion, lasen Messen, doch sie lebten im Zeitlichen, schlüpften gelegentlich sogar in Zivilkleider, gürteten sich mit einem Degen und ritten große Pferde und nicht, wie die Priester, bescheidene Maultiere. Vor allem aber weigerten sie sich, die Autorität der Bischöfe anzuerkennen.

Für die Gallikaner, zahlreich im Obersten Gerichtshof vertreten, waren die Jesuiten überaus verdächtig, weil ihr Gelübde unbedingten Gehorsams – perinde ac cadaver1 einem Ordensgeneral galt, der Spanier war, ernannt von einem Papst, der Italiener war, so daß man sich fragen mußte, ob die Politik, die von der Gesellschaft Jesu mit okkulten und zuweilen blutigen Mitteln verfochten wurde, mit den Interessen Frankreichs überhaupt vereinbar war. Und vor allem, da der Vatikan die These vertrat: Wenn der Papst die Könige einsetzte, konnte er sie auch absetzen, mußte man sich fragen, ob diese in unserem Land so reich und mächtig gewordene Gesellschaft nicht ebenfalls die unerträglichen Anmaßungen des Papsttums teilte, das Zeitliche zu beherrschen.

|61|Andererseits aber hing eine große Zahl Franzosen den Jesuiten leidenschaftlich an, diese aus guten, jene aus üblen und manche aus beiderlei Gründen. Wer die protestantische Ketzerei haßte und die Hugenotten in Frankreich und Europa mit Feuer und Schwert ausgerottet sehen wollte, bewunderte sie, weil sie überall glühend für die Gegenreformation eintraten. Wer bei ihnen studiert hatte, wollte ihnen auch seine Kinder anvertrauen und pries ihre erzieherischen Fähigkeiten himmelhoch. Große Herren und hohe Damen – beispielsweise auch meine liebe Patin, die Herzogin von Guise – waren auf ihre Milde im Beichtstuhl erpicht. Die hochgeborenen Seelen waren über ihr Jenseits ganz beruhigt, wenn ihre schlimmsten Sünden – Ehebruch, Unzucht, außereheliche Ausschweifung – zu fleischlichen Schwächen verringert wurden, über die man angesichts soviel höherer Interessen augenzwinkernd hinwegsehen konnte. Großmächtige Herren wie der Herzog von Épernon, die unter Heinrich III. noch die Annäherung an die Hugenotten unterstützt hatten, waren nach seinem Tod völlig umgeschwenkt, weil sie die tödliche Feindschaft der Jesuiten fürchteten. Épernon schützte sich seitdem durch musterhaften Gehorsam unter dem Schirm ihrer Allmacht.

Schließlich gab es noch jene, und das waren nicht wenige an diesem elften Februar 1618, die sich nicht für, nicht gegen die Jesuiten erklären wollten, und obwohl es doch um etwas so Geringfügiges ging wie die Eröffnung einer ihrer Schulen in Paris, entschuldigten sie sich bei Seiner Majestät, nicht am Kronrat teilnehmen zu können. Es sprang einem beim Betreten des Bücherkabinetts ins Auge: Ein Großteil der Räte hielt sich an diesem Tag fern.

Die Affäre wurde zügig behandelt. Der Siegelbewahrer, Monsieur du Vair, stellte den Fall ausgewogen mit allem pro et contra dar, schloß jedoch mit der eindeutigen Meinung, daß eine Schule, an der Jean Châtel unter den berüchtigten Lehrern studiert hatte, nicht wieder eröffnet werden sollte. Monsieur de Puisieux gab zu bedenken, daß seit dem Attentat Jean Châtels vierundzwanzig Jahre verstrichen, die Umstände andere geworden, die Lehrer nicht mehr dieselben seien und daß man ihnen nicht Unrecht tun dürfe mit der Annahme, sie könnten denselben Verirrungen anheimfallen. Im gleichen Sinn äußerte sich Monsieur de Sillery. Präsident Jeannin sprach sich nicht |62|völlig dagegen aus, wollte das Collège jedoch lieber einem religiösen Orden anvertraut sehen, der kraft seiner Regeln den französischen Bischöfen unterstellt war.

Ludwig, den Hut in die Stirn gedrückt und die Arme gekreuzt, verfolgte aufmerksam das Für und Wider, aber nachdem die vier Minister sich geäußert hatten und er den stehenden Mitgliedern des Rates das Wort erteilte, mochte es keiner ergreifen, außer dem Herzog von Épernon, der mit fester Stimme Position für die Gesellschaft Jesu bezog, der er, wie gemurmelt wurde, in laizistischer Stellung selbst angehörte.

Ludwig ließ also abstimmen, nicht mit erhobenen Händen, sondern schriftlich, und die sogleich vorgenommene Auswertung der Bulletins ergab eine überwiegende Mehrheit zugunsten der Jesuiten. Ludwig wollte das Abstimmungsergebnis verkünden, als Präsident du Vair um das Wort bat und darauf hinwies, daß das quorum nicht erreicht sei, weil ein Drittel der Ratsmitglieder nicht zugegen wäre, und daß die Entscheidung infolgedessen auf eine weitere Sitzung verschoben werden sollte.

Großes Schweigen trat ein, aller Augen waren auf Ludwig gerichtet in Erwartung seines Wortes, einige fürchtend, andere hoffend, er werde seinem Minister recht geben, wie er es bisher stets getan hatte.

Aber Ludwig schwieg, die Augen gesenkt, das Antlitz undurchdringlich, und ich konnte mir wirklich nicht klarwerden, wie er entscheiden würde. So oft hatte er seinen erfahrenen Ministern vertraut, auch hegte er so großen Respekt vor dem Prozedere, daß man erwarten durfte, er werde der Bemerkung von Präsident du Vair beistimmen. Andererseits erlaubte die gleichermaßen aufmerksame und höfliche Weise, mit der er den einen wie den anderen gelauscht hatte, keinerlei Rückschlüsse auf seine persönliche Position. Ein Grund, weshalb das, was er sagen würde, für den Rat so große Bedeutung annahm, war, daß man aus seiner Entscheidung für oder gegen das Prozedere (und die Entscheidung dagegen wäre zweifellos eine Kühnheit) erkennen konnte, wie er über das gesamte Problem dachte.

»Meine Herren Räte«, sagte er, »der Rat hat abgestimmt. Diese Abstimmung muß nicht wiederholt werden. Die Gesellschaft Jesu ist berechtigt, ihre Schule in Paris wieder zu eröffnen.«

***

|63|Am Nachmittag desselben Tages besuchte ich Frau von Lichtenberg in ihrem Hôtel, Rue des Bourbons. Ich wurde mit düsteren Blicken und bitteren Worten empfangen. Sie sähe mich gar nicht mehr! Immer sei ich nur unterwegs mit dem König oder der Gefangene seines stundenlangen Kronrats! Liebte ich sie überhaupt noch? Und wenn nicht, wäre es ein Wunder? So zurückgezogen, wie sie lebe, beinahe klösterlich, während ich am Hof mit einem Schwarm von Jungfern tändelte, die doch nur an ihren Unterleib dächten!

»An ihren Unterleib denken! Madame, redet man so roh in Ihrer Pfalz? Madame de Rambouillet würde Schreckensschreie ausstoßen.«

»Ach, bitte! Kommen Sie mir nicht mit dieser schrecklichen Betschwester! Ich rede deutsch, klar und unverblümt! Und was besagte Jungfern angeht, leiht ihnen die Jugend mangels dauerhafter Reize ja wohl eine Anziehung, der ein Mann Ihres Naturells leicht erliegen kann.«

»Ein Mann meines Naturells! Madame, ich liebe Sie!«

»Wer’s glaubt, wird selig! Wie ich hörte, hat Madame de Luynes an ihrem Hochzeitstag Ihnen auf das schamloseste schöne Augen gemacht! Sie haben es mir verschwiegen. Und als ob das alles nicht schon reichte, hat der König Sie auch noch zu einem bedeutenden Herrn ernannt. Graf sind Sie geworden, Herr eines großen Besitzes, der Ihnen den letzten Rest Zeit rauben wird, den Ihnen der Dienst beim König übrigläßt. Das heißt, daß ich Sie gar nicht mehr sehen werde! Ach, wohin ist der kleine Chevalier de Siorac entschwunden, der so emsig seine Deutschstunden bei mir nahm und mir mit schüchterner Miene ewige Liebe schwor?«

Der Gedanke an die Vergangenheit bewegte sie, Tränen stiegen in ihre schönen Augen und rollten langsam über ihre Wangen, von denen ich sie mit meinen Lippen trinken wollte. Aber sie stieß mich zurück, und ich sah, daß ich mich wohl oder übel verteidigen mußte. Also antwortete ich auf jeden Punkt, den sie aufgeworfen hatte, und nahm mir für mein Plädoyer soviel Zeit wie ich konnte, denn ich habe so manches Mal festgestellt, daß eine lange Erklärung, mag sie sich auch wiederholen, einfach kraft ihrer Länge überzeugt.

Als ich sah, daß sie endlich weich wurde, beklagte ich mich über die Eiseskälte in ihrem kleinen Salon und schlug vor, |64|unser Beisammensein in ihrem Schlafzimmer fortzusetzen. Sie willigte ein, aber mit einer Miene, wie um mir jeden Hintergedanken auszutreiben. Nachdem ich die Schlafzimmertür verriegelt hatte, warf ich ein Bündel Späne ins Feuer und legte Scheite nach. Und vor diesem Höllenfeuer, das wenigstens in mir sträfliche Gedanken hätte erwecken können, ließ ich mich in gehörigem Abstand von ihr in einem Lehnstuhl nieder und setzte meine Verteidigung fort. Ich versicherte ihr, daß die einzigen Jungfern, die es am Hof gab, die Ehrenjungfern der Königin waren, Spanierinnen wie ihre Herrin, eine Nation, die ich nicht ausstehen konnte. Außerdem steckten sie zumeist in schwarzen Trauerkleidern wie die Nonnen und hatten nichts Besseres zu tun, als in ihrer Sprache über die Franzosen herzuziehen. Und was Madame de Luynes anging, so hatte sie mir in der Tat schöne Augen gemacht, aber schöne Augen, sagte ich, hatte sie bei dieser feierlichen Zeremonie, wo ihr Blick einzig an ihrem Gatten hätte hängen sollen, auch allen anderen gemacht, sogar dem König.

Hier nun legte ich eine kleine Pause ein, weil mir einfiel, daß ich ihr ja eine wahre, wenn aufs erste auch unwahrscheinliche Geschichte erzählen konnte, die im ganzen Louvre das Thema war und die sie vielleicht von ihrer Eifersucht ablenken konnte.

»Wie bitte?« sagte Frau von Lichtenberg, die vor Verblüffung ihre eingebildeten Vorwürfe gegen mich tatsächlich vergaß, »diese Person hatte die Stirn, an ihrem Hochzeitstag dem König schöne Augen zu machen!«

»Ja, ja, Madame, und das Schlimmste dabei ist: Seine Majestät war dafür nicht unempfänglich.«

»Was Sie nicht sagen! Der König empfänglich für die Fratzen einer Erzkoketten!«

»Ja, Madame, so ist es. Der ganze Hof ist starr vor Staunen. Jedesmal, wenn der König zur Königin geht, verweilt er sich zuerst bei ihrer Oberintendantin. Er ergreift jede Gelegenheit, sie zu sehen, und wenn er sie sieht – weil er ja kein großer Redner ist –, betrachtet er sie lange, ohne ein Wort zu sagen. Wie ein Grünschnabel in seiner ersten Liebe.«

»Und die kleine Königin, hat sie es bemerkt?«

»Madame, wer hätte es nicht bemerkt? Der ganze Louvre weiß es! Vom Großkämmerer bis zum kleinen Laufburschen. Da ist keine Soubrette, die nicht beim Bettenmachen darüber |65|schwatzt, kein Gardeoffizier, der nicht darüber spöttelt bei der Wachablösung, alles zappelt vor Wonne bei der Vorstellung, daß Luynes Hahnrei werden könnte.«

»Ist Luynes so unbeliebt? Ich dachte, er sei sehr liebenswert.«

»Das ist er auch! Aber er, seine Brüder, seine Vettern, seine Neffen, seine ganze Verwandtschaft, die aus dem Süden angereist ist, sie raffen alles an sich: Stellen, Titel, Pfründen. Das vergrätzt die Leute.«

»Aber die Königin? Was macht die Ärmste denn nun?«

»Sie weint, Madame, sie schluchzt und ist in tausend Ängsten. Vor Verzweiflung hat sie sich an den spanischen Gesandten gewandt, der den Nuntius unterrichtet hat, der wiederum mit allem gebotenen Takt an den Beichtvater des Königs herantrat, Pater Arnoux. Und dieser gewiefte Jesuit hat sie mit dem Wort beruhigt: Versuchung heiße noch nicht Sündenfall.«

»Pfui!« sagte Frau von Lichtenberg mit der Verachtung der Hugenottin für unsere papistischen Praktiken. »Wozu dient die Beichte, wenn nicht dazu, im Bedarfsfall ihre Geheimnisse zu verraten?«

»Aber, Madame, Pater Arnoux hat doch nur eine allgemeine Maxime geäußert. Wer sie auslegt, sind wir.«

»So sind eben die Jesuiten! Und Sie, Monsieur, sind mit Ihrer Jesuiterei nicht besser! Da besuchen Sie mich nun nach langem Ausbleiben und haben mir nur anzukündigen, daß Sie morgen auf Ihr Gut Orbieu reisen.«

»Aber, ich habe Ihnen doch gesagt, Madame: Ich bleibe dort nur so lange wie nötig, um Ordnung zu schaffen!«

»Aber das wird viel länger dauern, als Sie denken, und wenn Sie dann auf dem flachen Land die Langeweile plagt, geraten Sie unfehlbar an ein schmuckes Bauernmädchen, das heilfroh sein wird, sich des gnädigen Herrn anzunehmen um der Bewunderung willen, die es dafür im Dorf erntet, und der Vorteile, die das seinem Vater einbringt.«

»Ein schmuckes Bauernmädchen!« sagte ich lachend. »Der Marquis de Siorac, der vor mir dort war, hat in Orbieu nur schmutzige Strunzeln gesehen.«

»Er war nicht der Herr, man hat ihm nicht alles gezeigt. Aber eines Tages wird einer Ihrer Dörfler, der bei Ihnen hoch in der Kreide steht und nicht weiß, wie bezahlen, Ihnen ein Dutzend |66|Eier durch seine jüngste Tochter schicken. Und wer sagt denn, daß er sie vorher nicht eigenhändig am Brunnen blankgescheuert hat!«

»Meine Liebe«, sagte ich lachend, »Sie haben viel Phantasie, aber die bringt Sie auf Abwege. Können Sie an mir zweifeln?«

»Und ob ich kann! In diesen traurigen Zeiten zweifle ich an allem. An Ihnen, an mir, an meiner Pfalz, sogar an meinem Vermögen. Wissen Sie, daß derzeit in Deutschland Protestanten und Katholiken die Messer wetzen, um sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen? Und daß mein törichter, unglücklicher Cousin, der Kurfürst von der Pfalz, sich zum Anführer der evangelischen Union hat erklären lassen? Aber was wissen Sie schon, was diese Union ist, mein Herr Franzose!«

»Aber sicher weiß ich das, Madame. Es ist die Union der protestantischen deutschen Fürstentümer, die sich den Übergriffen der katholischen deutschen Fürstentümer und des Kaisers widersetzen. Madame, vergessen Sie, daß ich dem Kronrat angehöre?«

»Ein Glück für Sie! Und Unglück über mich, sollte mein unbesonnener Vetter, der Anführer dieser dummen Union, sich eines Tages gegen den Kaiser empören. Wenn Tontopf gegen Eisentopf rennt, weiß man doch im voraus, wer am Ende in Scherben liegt. Und in wessen Hände fällt dann die Pfalz? Und mit der Pfalz meine Besitztümer?«

»Madame, Sie haben Ihr Hôtel in Paris und, wie Sie mir sagten, Ihre Renten.«

»Freilich, ich liege nicht auf der Straße und kann, wenn ich mich einschränke, auch ohne meine pfälzischen Güter leben. Aber was wird aus meinem armen Erich, dem siebten Grafen von Lichtenberg, wenn unser Besitz dort im Gerangel der Parteiungen untergeht? Als Offizier des Pfälzischen Kurfürsten hat er keine Wahl. Und wenn der Kurfürst sein Fürstentum verliert, verliert nicht auch Erich dann seine Ländereien?«

Um ehrlich zu sein, ich war in jenem Augenblick so voller Verlangen nach ihr und so ungeduldig, von diesen Reden und den harten Stühlen in ihr weiches Himmelbett zu wechseln, daß ich all den Befürchtungen über den Verlust ihrer Güter und über die Zukunft der Pfalz keine große Beachtung mehr schenkte. Ich konnte mir damals einfach nicht vorstellen, daß |67|die Ängste meiner Schönen tatsächlich die Vorboten jener entsetzlichen Geißel waren, die für Jahrzehnte über Europa hereinbrechen und so viele Opfer fordern würde: des Dreißigjährigen Krieges.

»Ach, meine Liebste«, sagte ich, »wozu um kommende Übel weinen, die gegenwärtigen genügen doch!«

»Das ist wahr«, sagte sie schmerzlich, »und morgen reisen Sie nach Orbieu.«

»Aber, ich vergrabe mich dort ja nicht. Wissen Sie, daß ich schon einen Verwalter habe? In meiner Abwesenheit wird er meine Pflichten wahrnehmen.«

»Bestehlen wird er Sie.«

»Das glaube ich nicht. Monsieur de Saint-Clair ist ein Edelmann und nicht aufs Geld erpicht, sondern auf das Landleben. Bisher war er maggiordomo bei der Gräfin von Orbieu, aber sie will ihr Pariser Hôtel verkaufen und sich in Florenz niederlassen, woher sie stammt. Er hat sich tränenlos von ihr getrennt.«

»Standen sie sich gut?«

»Überhaupt nicht. Die Gräfin hat nur zwei Leidenschaften im Leben: Schlemmen und Schlafen.«

Ich verstummte. Frau von Lichtenberg schwieg auch, dann warf sie mir einen Blick zu, senkte den Kopf und schaute ins Feuer. So ging es eine ganze Weile, bald trafen sich unsere Augen, bald wandten sie sich den Flammen zu.

Endlich erhob sich Frau von Lichtenberg, ging fort vom Kamin und sagte: »Sie haben ein Höllenfeuer gemacht.«

»Sollte ich nicht?«

»Doch, aber jetzt ist mir zu warm. Viel zu warm. Meine Baskine erdrückt mich! Bitte, Monsieur, erlösen Sie mich von dem Übel.«

***

Mein Vater riet mir auf das dringlichste, mein erstes Erscheinen in Orbieu mit Glanz und Prunk zu umgeben. Und als er am Tag vor unserer Reise zufällig an meinem Zimmer vorüberkam und sah, daß ich mir wegen der großen Kälte ein dickes Wams aus Büffelleder und dicke Stiefel für die Reise zurechtgelegt hatte, sagte er: »Mein lieber Herr Sohn, was habt Ihr vor? Wollt Ihr Euch Euren Gutsleuten zeigen wie ein kleiner Hauptmann? |68|Glaubt mir, es wäre das Falscheste, was Ihr tun könnt. Wer soll glauben, daß Ihr der Graf von Orbieu seid, wenn Ihr nicht danach ausseht? Nein, prächtig müßt Ihr sein! Euer schönstes Wams anlegen! Und, bitte, macht die Reise hübsch warm in Eurer Kutsche! Wie der König hoch zu Roß einzuziehen, dazu bleibt noch genug Zeit, Ihr braucht erst kurz vor Eurer Kapitale aufzusitzen, um Euch Euren Untertanen in allem Glanz zu zeigen!«

Unter anderen Umständen hätte mir diese Rede ein Lächeln entlockt, aber ich sah, daß mein Vater wie berauscht war vom Aufstieg seines Sohnes, den er insgeheim seinen anderen Kindern vorzog. Vielleicht, weil er zum Zeitpunkt meiner Geburt, anstatt wie früher durch die Lande zu streifen, häuslich geworden war und mich wahrhaft erzogen hatte. Und ich war so gerührt von seiner großen Liebe, daß ich beschloß, mich in dieser Geschichte ganz auf ihn zu verlassen. Das schloß ja nicht aus, mich dem Hauptmannsleben später hinzugeben, wenn ich auf meinem Gut erst fest im Sattel saß.

Nun, mein Vater wollte, daß nicht nur Monsieur de Saint-Clair und der Chevalier de la Surie uns begleiteten, mit von der Partie sollten auch unsere Soldaten Poussevent und Pissebœuf sein, dazu mein Page La Barge und mein Koch Robin, und zwar alle zu Pferde und kriegerisch bewaffnet. Aber dann fand er dieses Gefolge bei längerem Nachdenken »für einen Grafen ein bißchen mägerlich« (wahrhaftig, als ob man Madame de Guise hörte!), also mietete er auf seine Kosten noch vier Schweizer, stämmige Gebirgler, deren Wuchs und Anblick tatsächlich etwas hermachten, als sie vor unseren Karossen auf ihren schweren Gäulen ritten.

Wir konnten aber, wie ich zu bedenken gab, dem Pfarrer Séraphin unmöglich so viele Menschen zur Bewirtung aufnötigen und unserem Gefolge den kargen Fraß der Schenke von Orbieu zumuten; also wurde ausgemacht, daß wir uns gleich im Schloß einrichteten. Was jedoch hieß, unseren Koch Caboche und seine Frau Mariette mitzunehmen und zu ihrer Hilfe wenigstens zwei Kammerfrauen: Margot, von der mein Vater sich offen gestanden nicht mehr trennen konnte, so verschönte sie seine alten Tage, und Louison. Der Leser mag sich erinnern, daß sie »mein Bett bestellte«, bevor die Pfalzgräfin in mein Leben trat.

|69|Weil wir aber nicht wußten, wie es um die Küchen des Schlosses stand, wollte Caboche natürlich nicht ohne die Gerätschaften seiner Kunst fahren. Infolgedessen mußte ein Karren mit zwei kräftigen Maultieren mit, der Kessel, Töpfe, Pfannen, Schüsseln, Bratenwender, Schaumlöffel und was weiß ich noch trug. Bei Ansicht unseres Rattenschwanzes hätten Sie gedacht, eine kleine Armee rücke aus ins Feld.

Am Samstag, dem vierundzwanzigsten Februar 1618, brachen wir von Paris auf, weit vor Morgen, und hielten Rast in Montfort l’Amaury, teils bei meinem Onkel Samson in Montfort selbst, teils auf dem Gut meines Vaters in Chêne Rogneux. Dort aber durfte ich selbst, wie man vielleicht noch weiß, nicht erscheinen, weil die Gemahlin meines Vaters mich seinerzeit als ihren Sohn nur unter der Bedingung anerkannt hatte, daß ich ihr nie unter die Augen käme. Der Leser möge sie dafür aber nicht verurteilen. Mein Vater hatte durch diesen Trick zugleich den Ruf von Madame de Guise geschützt und mir die Wohltat einer legitimen Geburt erwiesen. Aber das war vielleicht ein bißchen viel verlangt von einer Frau, die ihm ja immer sehr gewogen blieb, obwohl sie im Lauf der Jahre manche Gründe hatte, es nicht zu sein. Ich sagte es schon einmal, als ich Angelina de Montcalm nach meines Vaters Tod in Erbangelegenheiten zum erstenmal begegnete, faßte ich beinah auf den ersten Blick Zuneigung zu ihr, wie sie zu mir. Sie war bereits in hohem Alter, aber ihr großes Wohlwollen und ihr edles Wesen gaben ihrem Lächeln und ihren Augen eine Schönheit, der die Gebrechen des Alters nichts anhaben konnten.

Weil ich aus besagtem Grund Chêne Rogneux fernblieb, besuchten mich meine beiden Halbbrüder, Pierre und Olivier, bei meinem Onkel Samson de Siorac in Montfort l’Amaury. Gemeinsam betrieben sie eines der seltenen Gewerbe, das Edelleuten erlaubt war: den Seehandel. Aber ihre Schiffe lagen derzeit in der Werft zu Nantes trocken, sie hatten also einmal nichts vor, und in der Hitze des Augenblicks, vielleicht auch von ihren Frauen gedrängt, fragten sie, ob ich mich nicht ihrer Gegenwart versehen wollte, wenn ich meine Grafschaft in Besitz nähme. Als das Samsons Frau, Gertrude du Luc, und ihre treue Sara hörten, schlossen sie sich dieser Bitte an, und zwar mit so vielen Küßchen und Liebkosungen für meinen Vater und mich, daß die Bitte nicht abgeschlagen werden konnte.

|70|Es war mittlerweile vier Uhr nachmittags, und Monsieur de Saint-Clair sagte, um für so viele Menschen Nachtlager und Gedeck vorzubereiten, sollte er wohl am besten unverweilt samt Caboche und dem Rest unserer Leute aufbrechen nach Orbieu, um Holz, Fleisch und Licht aufzutreiben für unsere Ankunft am folgenden Tag.

Sicherlich ist es unvergessen, wie schön der illegitime Bruder meines Vaters, den er aber anerkannt hatte, Samson de Siorac, in seiner Jugend gewesen war, ein Junge mit goldblonden Locken, antikisch vollkommenen Zügen und azurblauen Augen. Doch hatte Mutter Natur, wohl aus verschwenderischer Fülle, Samson obendrein mit einem so frommen Charakter beschenkt, daß er an nichts und niemand je Böses sah und die Menschheit voll Vertrauen liebte. Dieses ungewöhnliche Wesen hatte ihm auch im Alter nun etwas wundersam und liebenswert Kindliches bewahrt. Freilich soll nicht verschwiegen werden, daß er, aus einem Stoff geschaffen, der ihn blind machte für die menschlichen Niedrigkeiten, in tausend Fallen gestürzt wäre, wenn seine Gemahlin, Frau Gertrude du Luc, ihn nicht mit fester Hand durch die Untiefen des Lebens geleitet hätte; mit den Jahren war sie zugleich seine Frau und seine Mutter geworden.

Den Kopf fest auf ihren normannischen Schultern und die rundlichen Brüste noch immer straff, vielleicht durch ein Kunstmittel, besaß Gertrude von ihrem ersten Mann ein Vermögen, von dem sie für Samson die Apotheke zu Montfort gekauft hatte. Die lief allerdings unter ihrem Namen, anderenfalls hätte Samson seinen Adelstitel verloren. Bei Gertrude nahm man es nicht so genau: sie entstammte nur dem Amtsadel.

Ich war ganz entzückt, daß die Damen zum Tag meiner »Inthronisierung« sich uns anschließen wollten. Das Rascheln ihrer seidenen Reifröcke, ihr Putz, ihre Perlen, ihre Parfums bis hin zu ihren kunstreichen Lockenfrisuren, dachte ich, würde etwas bezaubernd Warmherziges in die Dorfkirche bringen, wo ich am Sonntag, dem fünfundzwanzigsten Februar, um Punkt zehn vor den Leuten meines Besitztums sozusagen zum Grafen von Orbieu »gesalbt« werden sollte. Und was die Frauen anging, meine beiden Schwägerinnen, Gertrude du Luc und Sara, meine ich, so waren sie nicht böse, einmal alle beisammen zu sein, denn sie hatten sich sicher viel zu erzählen, beisammen |71|noch dazu mit meinem Vater und mir, die sie doch selten zu Gesicht bekamen. Aber gewiß war es für sie auch eine schöne Gelegenheit, die Eintönigkeit des eisigen Winters auf dem flachen Lande zu durchbrechen und an einem denkwürdigen Ereignis teilzunehmen, dessen Ruhm auf sie und ihre Gatten zurückfallen würde. Denn weder Samson noch meine Halbbrüder, weil sie Nachgeborene waren, hatten Titel, so daß der meine und mein nahes großes Besitztum Glanz auch auf sie werfen würde.

Die Kirche war schon voll, wie uns Monsieur de Saint-Clair verkündigte, der uns auf dem Weg von Montfort nach Orbieu entgegenkam, und der Herr Pfarrer Séraphin wünsche, bevor wir eintraten, uns alle in der Sakristei zu empfangen. Was uns nur gelegen kam, denn dort brannte ein schönes Feuer. Weniger gut trafen es unsere Leute, die in der Kirche alle Bänke besetzt fanden, so daß sie während des ganzen Gottesdienstes aneinandergedrängt stehen mußten, daß keine Stecknadel fallen konnte.

Als ich die Sakristei betrat, empfing mich Pfarrer Séraphin mit allem gehörigen Respekt, dann begrüßte er meine Familienangehörigen, jeden seinem Geschlecht, seinem Alter und seiner Würde gemäß mit Nuancen, die der Großkämmerer nicht verachtet hätte. Dann erklärte er uns, daß nur ich im Chor, auf einem Stuhl mit Baldachin sitzen würde, der eigentlich dem Herrn Bischof zustehe, aber daraus solle ich mir nichts machen, seit Menschengedenken habe keine violette Soutane sich in den Kot des flachen Landes verirrt.

Mein Vater, mein Onkel, meine Brüder, La Surie, Saint-Clair und die Damen würden auf Schemeln sitzen, die man in der ersten Reihe des Schiffes für sie freihalte. Nach der Messe würde der Herr Pfarrer mich seinen Beichtkindern vorstellen, zuerst auf französisch, dann in Platt, und er wäre glücklich, wenn ich hiernach einige Worte an meine Gutsleute richten wollte, die er sich erlauben würde, dann zu übersetzen.

Und genau in dem Moment, Leser, schwor ich mir, so schnell wie möglich die Sprache meiner Untertanen zu lernen. Verflucht, es wäre doch gelacht, wenn ich, Dolmetsch für fremde Sprachen in Henri Quatres Geheimdiplomatie und als solcher unter Ludwig XIII. Angehöriger des Kronrats, es nicht fertigbrächte, diese armselige Mundart zu beherrschen, die |72|sicher nicht dieselben Schwierigkeiten bereitete wie die deutsche Grammatik, die englische Aussprache oder die italienischen Verben! Auch sollten meine Dörfler, wenn ich ihnen auf französisch eine Frage stellte, die ihnen unangenehm sein mußte, nicht so tun können, als verstünden sie nicht, und mich bei allem Anschein des Respekts im stillen für einen Dummkopf halten. Ganz zu schweigen von der Umständlichkeit, wegen jeder Kleinigkeit Séraphin rufen zu müssen, damit er erkläre, was man mir sagte oder was ich zu sagen hatte. Welche dauernde Verschleppung zwischen Befehl und Ausführung! Außerdem, wieviel Macht würde dieses ständige Dolmetschen Séraphin über mich verleihen? Er hatte ohnehin schon genug in meinem Herrschaftsbereich.

Nicht, daß ich fürchtete, er könnte sie ausnutzen. Gleich bei diesem ersten Gespräch hatte ich das Gefühl, das sich in der Folge bestätigte, daß ich es mit einem redlichen Mann zu tun hatte, der sich bemühte, seine Amtspflichten aufs beste zu erfüllen. Gewiß hatte er dabei seine Interessen im Auge, aber ohne Habgier. Er sorgte sich um das Heil seiner Herde, aber auch um ihr irdisches Dasein, ihr Wohl und Wehe, und wußte, wie verheerend eine schlechte Ernte, eine Seuche oder ein Unfalltod ihr gefährdetes Leben treffen konnte, war doch schon das tägliche Brot übers Jahr für sie ein schweres Problem.

Vom Äußeren her war Pfarrer Séraphin ein beeindruckender Mann, breite Schultern, stattliche Brust, eine kräftige, wohlklingende Stimme (was er auskostete, wenn er die Messe sang), ein massiges Gesicht, durchdringende, ja bezwingende braune Augen, ein üppiger Mund, drahtige Haare. Monsieur de Saint-Clair hatte gemeint, er habe keinen »übermäßigen Hang zur Flasche oder zur Weiblichkeit«. Aber wenn ich mir seine starke Nase und seine hochrote Farbe ansah, fragte ich mich, ob dieses Karmin nur von der frischen Landluft kam, und wenn ich mich entsann, wie er unsere Damen beim Eintritt in die Sakristei betrachtet hatte, wie seine Lider sich gar nicht so schnell wie geboten vor dem plötzlichen Glanz in seinen Pupillen senkten, schien es mir nicht sehr erwiesen, daß er nach der Seite hin keine Schwäche haben sollte. Aber war das sein Fehler? Erst in meinem späteren Leben sah ich in diesem Jahrhundert hier und dort Seminare entstehen, wo die Priester zum Zölibat verpflichtet wurden, und, was noch erstaunlicher war, ich |73|sah Prälaten in den Bischofssitzen, die über die Sitten der Pfarrer wachten. Sind sie darum bessere Hirten ihrer Schäflein geworden? Das kann ich nicht sagen. Ich war immer der Meinung, daß Enthaltsamkeit eine sehr unerquickliche Tugend ist, wenn sie nicht in eine größere Menschenliebe mündet.

Die Sakristei hatte zwei Türen zur Kirche. Durch die erste, die ins Schiff führte, befahl Pfarrer Séraphin seinem Diener Figulus – was er sonst noch alles war, wußte ich damals noch nicht –, meine Verwandtschaft zu geleiten, damit sie auf den Schemeln der ersten Reihe Platz nähme. Hiernach ließ Séraphin mich durch die zweite Tür gehen, die in den Chor führte, nicht ohne mir vorher einige Anweisungen zu geben.

»Herr Graf, erlaubt mir, Euch zu sagen, wie der selige Graf von Orbieu es machte, wenn er in seiner Herrschaft weilte. Er betrat als erster den Chor mit dem Hut auf dem Kopf, er zog den Hut, wenn er vorm Altar niederkniete, dann setzte er ihn wieder auf und begab sich zu dem bischöflichen Sitz unterm Baldachin. Dort schwenkte er, noch stehend, tief den Hut vor dem Wappen seiner Familie, das Ihr unfehlbar auf einem Gemälde gegenüber seinem Sitz erkennen werdet. Hierauf bedeckte und setzte er sich und blieb bedeckt bis zur Wandlung. Vielleicht sollte ich hier erklären, daß der selige Graf mit dem Gruß an sein Wappen seinen Vorfahren Ehre erwies, die alle, oder fast alle, unter dem Chor bestattet liegen.«

»Verstehe ich Euch recht, Herr Pfarrer?« sagte ich erstaunt. »Ihr meint, ich sollte es ebenso machen?«

»In der Tat, das wollte ich Euch raten, Herr Graf«, sagte Séraphin mit einer kleinen Verneigung. »Und zwar aus dem Grund, weil Eure Leute fest am Brauchtum hängen. Auch wenn Euch kein Blutsband mit dem Grafen von Orbieu verbindet, werden sie an Eure Legitimität leichter glauben, wenn sie sehen, daß Ihr es macht wie der selige Herr.«

»Dann will ich mich daran halten«, sagte ich nach einem Schweigen, »vielleicht mit einer eigenen kleinen Nuance.«

Hier flog über Séraphins massiges rotes Gesicht ein Schein von Beunruhigung, die er jedoch nicht zum Ausdruck brachte. Statt dessen fragte er, ob ich mich nicht sammeln wolle, bevor ich den Chor beträte. Ich stimmte zu, kniete auf einem Betstuhl vor einem großen hölzernen Kruzifix nieder und verharrte einen Augenblick, weniger zum Beten als um nachzudenken.

|74|Ich fand es seltsam verwirrend, daß die Macht, die ich nun als Herr eines kleinen Reiches von fünfhundert Ar und fünfhundert Seelen hatte, als erstes meine Freiheit einschränkte. Allem Anschein nach war diese Herrschaft eine Bühne, auf der ich eine bestimmte Person darstellen mußte. Mein Vater hatte mir meine Kleidung vorgeschrieben, und nun diktierte mir Pfarrer Séraphin mit allem Respekt die Rolle, die ich bei dieser Messe zu spielen hatte.

Ehrlich gesagt, hatte ich, als ich als erster den Chor betrat, keine Vorstellung von der »Nuance«, durch die ich die Zeremonie des seligen Grafen von Orbieu abwandeln wollte. Und, um es nicht zu verhehlen, mir war die Kehle zugeschnürt wie einem Schauspieler beim ersten Auftritt, zumal der Chor zwei Stufen höher lag als das Schiff und glänzend beleuchtet von Kerzen, während die Gemeinde, außer der ersten Reihe, im Dunkel versank.

Leere im Kopf und ein wenig benommen, tat ich alles, was Séraphin mir geraten hatte: Den Kniefall mit gezogenem Hut vorm Altar, dann, vor dem bischöflichen Sitz mit dem Baldachin, den Hutschwenk vor dem Wappen der Orbieu, aber kaum hatte ich mich hiernach bedeckt, begann mein Geist wieder zu arbeiten. Was für ein Unsinn, dachte ich, das Wappen einer langen Adelslinie, mit der ich nichts zu tun hatte, wie meine eigene zu grüßen. Und unter der Eingebung des Augenblicks trat ich zur Gemeinde vor, aber bedachtsamen Schrittes, weil ich die Altarstufen nicht sah und nicht ins Leere tappen wollte. In der ersten Reihe erkannte ich meinen Vater an dem Kreuz des Ritters vom Heiligen Geist, das auf seiner Brust funkelte. Ich entblößte mich zum drittenmal und erwies ihm eine tiefe Verneigung. Für mein Gefühl vervollständigte und korrigierte diese Reverenz die vorhergehende, denn nachdem ich der Linie höfliche Ehre erwiesen hatte, deren Namen ich trug, ehrte ich diejenige, der ich entstammte.

Als ich mich umwandte, um den Bischofssitz einzunehmen, gewahrte ich hinterm Altar den Pfarrer Séraphin und dicht dahinter Figulus, erstarrt in der unterwürfigsten Haltung. Auf dem massigen Gesicht Séraphins lag nichts wie der Ernst des Priesteramtes, das auszuüben er sich anschickte, doch Figulus sah ein wenig verunsichert aus, vielleicht durch die Verneigung, die ich meinem Vater erwiesen hatte. Dieser Mensch |75|hatte übrigens ein sonderbar langes, bleiches Gesicht mit erloschenen Zügen, die mich an eine zerlaufene Kerze gemahnten, und wie klagend herabhängende Hundeaugen.

Die Messe begann und dauerte weit länger, als ich erwartet hatte, denn Séraphin konnte sich vor einem so glanzvollen Auditorium nicht enthalten, seinen schönen Baß vorzuführen. Immerhin ließ der lange Gottesdienst mir aber die Muße, verstohlene Blicke auf die Versammlung meiner Getreuen zu werfen, meine Augen hatten sich inzwischen an das flimmernde Licht der Kerzen gewöhnt. Beiläufig bemerkt, erstaunte mich deren Überfülle – bis Saint-Clair mir am nächsten Tag mitteilte, auf Bitten Séraphins trüge ich die Kosten dafür.

Um es unverblümt zu sagen, diese versammelte Gemeinde stank entsetzlich und ohne daß die Parfüms dem abhelfen konnten, mit denen die Damen und Herren der ersten Reihe sich ebenfalls im Übermaß besprüht hatten, im Gegenteil. Nicht minder stark war der Kontrast in Wuchs, Breite und Fülle zwischen den Auserwählten der ersten Reihe und den Dorfbewohnern, die sich in den Bänken dahinter drückten. Nicht nur kamen sie mir kleiner vor, kränklich und schmächtig, sondern großenteils auch schief und krumm und verwachsen. Und die Frauen, die mir weniger zahlreich schienen als die Männer, sahen alle aus wie in graue Säcke gehüllt, und ihre Hauben saßen so tief in der Stirn, daß ihre Züge nicht zu erkennen waren. Sehr überraschte mich auch, keinen einzigen weißen oder auch nur grauen Kopf zu erblicken und, anders als ich erwartet hatte, kaum Kinder.

Die Kirche von Orbieu, schon ein gutes Jahrhundert alt, hätte mich durch ihre kraftvolle Schlichtheit entzückt, wäre die Kälte nicht so groß gewesen, denn bis ins Mark vereist war ich trotz des Wollhemds, das ich vorsichtigerweise unter mein seidenes Wams gezogen hatte. Und ehrlich gestanden, fühlte ich mich bei dieser meiner Inthronisierung sowieso nicht allzu glücklich, nicht nur wegen der Kälte, dieser ewigen lateinischen Gesänge und des Gestanks, dem einzig der Weihrauch gewachsen schien, den Figulus auf die Holzkohle in seinem Räuchergefäß gestreut hatte. Aber auch dieses Weihrauchgefäß, das Figulus großherzig schwenkte, wurde mir schnell zum Gegenstand der Entrüstung, denn nachdem er dem Altar einen duftenden Schwall gesandt hatte, um dem Schöpfer zu danken, |76|stellte er sich vor mich hin und räucherte mich ebenfalls ein. Zwar schwante mir, daß auch dies ein uralter Brauch war, den die Grafen von Orbieu, die zu unseren Füßen ruhten, einst gefordert oder geduldet hatten. Ich fand es jedoch abgeschmackt, um nicht zu sagen unzulässig, daß man, nachdem man dem himmlischen Herrn Ehre erwiesen hatte, sozusagen im gleichen Aufwasch und mit demselben Weihrauch den irdischen Herrn beehrte, und ich bezweifelte stark, daß ich, bei allem Respekt vor dem Brauchtum, diesen wenn auch passiven Teil meiner Rolle lange hinnehmen würde.

Als Séraphin aufhörte zu singen, bewies er Geist und rühmte feinsinnig sowohl die Grafen von Orbieu als auch meine Vorfahren: den tapferen Baron von Mespech, der dem Herzog von Guise half, den Engländern Calais zu nehmen, und den Marquis de Siorac, meinen Vater, Ritter des Heiligen-Geist-Ordens, der Heinrich III. und Henri Quatre in äußerst gefahrvollen Missionen gedient hatte. Meine weiblichen Linien betreffend gab er zu verstehen, daß sie sehr alt und berühmt wären, ohne jedoch deutlicher auf Madame de Guise oder meine Großmutter mütterlicherseits anzuspielen, eine geborene Castelnau, deren Vorfahren an den Kreuzzügen teilgenommen hatten. Zum Schluß benannte er alle Titel, die mir die Dankbarkeit Seiner Majestät Ludwigs XIII. eingetragen hatte, im besonderen als es darum ging, das Königreich von einem ausländischen Usurpator zu befreien.

Nachdem Séraphin dies alles auf französich gesagt hatte, wiederholte er es in Platt. Ich war ganz Ohr, trotzdem verstand ich außer ein paar Eigennamen kein Wort. Immerhin, diese überlange frostige Messe (meine Füße in den Stiefeln waren wie Eisklumpen, und die Kälte hockte mir trotz meines pelzgefütterten Seidenmantels wie ein Alp im Nacken) hatte mir wohl oder übel erlaubt, eine kleine Ansprache an meine Untertanen vorzubereiten.

Ich wollte wenn auch nicht so lakonisch sein wie Ludwig, aber doch kurz, um die Aufmerksamkeit der Gemeinde, die von Séraphins lateinischen Psalmodien schon genug ermüdet war, nicht noch mehr anzustrengen.

Ich erhob mich von meinem Bischofssitz und rief von der obersten Stufe des Chors Monsieur de Saint-Clair zu mir, dann sagte ich in einfachen Worten und sorgfältig artikuliert in der |77|vielleicht vergeblichen Hoffnung, daß mein Französisch wenigstens von einigen verstanden würde: »Meine Freunde, der König hat mich euch zum Herrn gegeben. Dient mir gut, und ich werde euch ein guter Herr sein. Ich werde meine Rechte wahren und die euren achten. Den Verwalter des seligen Grafen von Orbieu habe ich durch einen anderen ersetzt, und ihr wißt warum. Monsieur de Saint-Clair wird also mein Verwalter sein. Er ist ein Edelmann und ein Ehrenmann, er wird euch nicht ausbeuten. Ihr werdet ihm gehorchen wie mir selbst. Ich verspreche euch heute zweierlei, und das werde ich halten: Ich werde euch oft besuchen kommen, und ich will mich bemühen, das Gut Orbieu mit eurer Hilfe wieder hochzubringen. Gott segne euch und schenke euch Gesundheit.«

Weder auf französisch noch auf Platt, nachdem Pfarrer Séraphin übersetzt hatte, rief meine Rede bei den Zuhörern irgendeine Reaktion hervor, weder Befriedigung noch Unzufriedenheit. Es war, als hätte ich zu Holzklötzen gesprochen.

***

Derweil hatte Caboche im Schloß wahre Wunder vollbracht. Nicht nur, daß er uns mit einem Souper, würdig der »Freßsäcke vom Hofe«, aufwartete, er hatte auch in allen Zimmern Feuer machen lassen, und als die durchgefrorenen Damen sich zurückzogen, stießen sie Freudenschreie aus. Weil ich Pfarrer Séraphin eingeladen hatte, sich zu uns zu gesellen und diese Nacht einmal in unseren Mauern zu schlafen, bat ich ihn nach dem Essen in die Bibliothek (der Raum wurde so genannt, obwohl er nur wenige Bücher aufwies, die Grafen von Orbieu waren keine großen Leser) und stellte ihm verschiedene Fragen, auf die er freimütig antwortete.

»Herr Graf, wundert Euch nicht«, sagte er, »daß Ihr unter meinen Pfarrkindern keinen Graukopf gesehen habt. Bevor Bart und Haupt weiß werden, sterben sie, die meisten vor fünfzig, die Frauen im Kindbett noch früher. So gibt es keine Großeltern im Dorf, und das ist schade, denn sie würden gute Dienste tun. Es gibt auch nicht viele Kinder. Die Hälfte stirbt im ersten Lebensjahr. Das kommt, weil die Milch nicht gut ist, die Mütter sind zu schlecht ernährt. Außerdem halten die Leute sich sehr zurück. Ein Neugeborenes wird übel empfangen, |78|denn es zehrt vom Teil seiner Eltern und zehrt immer mehr, je größer es wird.«

»Sie halten sich zurück? Inwiefern, Herr Pfarrer?«

»Herr Graf«, sagte Séraphin lächelnd, »meine Beichtkinder werden mir in der Beichte nicht sagen, daß sie den coitus interruptus praktizieren, erstens, weil sie kein Latein können, und zweitens, weil sie nicht wissen, daß das eine Sünde ist. Und weil sie diese Sünde nicht beichten«, fuhr er verschmitzt fort, »kann ich sie ihnen nicht verbieten. Auf diese Weise haben wir nicht mehr als zwei oder drei Geburten pro Jahr.«

»Sind meine Leute so elend dran?« fragte ich.

»Ja, leider, die meisten sind arme Häusler. Sie haben ein kleines Stück Acker, eine kleine qualmige Hütte, wo Mensch und Tier dicht beisammen wohnen, und leben davon, daß sie die Kraft ihrer Hände vermieten. Aber es gibt hier auch fünf, sechs reiche Bauern, die Ar genug zum Leben haben. Ob die Ernte gut ist oder schlecht, die kommen immer auf ihre Kosten.«

»Auch wenn sie schlecht ist?«

»Weil diese Bauern dann weniger Tagelöhner anstellen und sie schlechter bezahlen. Nachher verkaufen sie ihren Weizen nicht, sondern warten, bis er teuer wird, und ist der Preis hoch genug, dann borgen sie ihn den Hungernden gegen Pfand.«

»Gegen Pfand?«

»Ein Wäldchen, einen Acker, den der Häusler besitzt und der dann ziemlich sicher den Besitz des Bauern abrundet, weil der Borger das Geborgte nie mehr erstatten kann.«

»Hat der Verwalter Rapinaud es im Namen des Grafen von Orbieu auch so gehalten?«

»So hat auch er es gehalten, mit dem Weizen des Grafen von Orbieu, aber auf eigene Rechnung. Und die Pfänder mehrten seinen Besitz und nicht den seines Herrn.«

»Mein Wort! Den lasse ich ausspucken!«

»Herr Graf«, sagte Séraphin, indem er die Stimme senkte, als ob der Betroffene ihn hören könnte, »das wird nicht so einfach sein. Rapinaud prozessiert für sein Leben gern, und so ein Prozeß kann Jahrzehnte dauern. Lieber kauft ihm seine Felder ab, wenn Ihr könnt.«

»Ich überlege es mir«, sagte ich. »Aber, noch etwas: Warum sind unter den Leuten so viele Bucklige?«

|79|»Weil sie zu jung, zu lange und zu schwer arbeiten. Sie werden krumm fürs Leben.«

»Herr Pfarrer«, sagte ich, ziemlich bedrückt von allem, was ich gehört hatte, »ich danke Euch tausendmal für Eure Hilfe.«

Ich drückte ihm ein paar Geldstücke in die Hand, damit er eine Messe lese und Gott bitte, daß es dem Gut Orbieu und seinen Ärmsten künftig besser ergehen möge.

In meinem Zimmer, das ich mir ausgesucht hatte, weil seine Fenster nach Süden lagen – was allerdings im Februar kaum Wärme brachte –, fand ich trotz der späten Stunde ein großes Feuer und Louison, die mit dem Bettwärmer meine Decken anwärmte.

»Nanu, Louison, was machst du hier?« fragte ich streng.

»Herr Graf sieht es doch: ich wärme sein Bett. Und vorher habe ich ein großes Feuer gemacht, seine Kleider in den Schrank gehängt, und jetzt werde ich ihm die Stiefel ausziehen, ihn auskleiden und vorm Feuer mit Duftwasser abreiben. Wäre das dem Herrn Grafen angenehm?«

»Ja, unter der Bedingung, daß du nicht in der dritten Person zu mir sprichst. Und beeile dich: Ich sterbe vor Müdigkeit und Kälte.«

Sie rieb mich ab, bis mir die Haut glühte. Das Mädchen war klein, flink und frisch, und sie tat mir wohl. Sowie sie, rot vor Anstrengung, fertig war, kroch ich unter die warme Decke, sie aber blieb mit hängenden Armen und gerunzelter Stirn vorm Feuer stehen.

»Was stehst du noch da und schmollst?« fragte ich. »Willst du nicht schlafen gehen?«

»Und wo, bitte?« fragte sie trotzig, »in einer Mansarde ohne Feuer, und allein? Mariette ist bei ihrem Caboche, Margot bei Ihr wißt schon wem. Und ich, soll ich vor Kälte eingehen ohne jemanden, der mich wärmt?«

»Louison«, sagte ich, »du weißt doch, daß wir unsere süßen Gewohnheiten abbrechen mußten, als die Gräfin verlangte, daß ich ihr Treue schwöre.«

»Ja, ja!« sagte sie, »aber der Schwur, der war für Paris. Der gilt nicht in Orbieu.«

»Alle Wetter!« rief ich und mußte laut lachen, so müde ich war, »welch wundersamer Unterschied! Was gäbst du für einen Advokaten ab, Louison!«

|80|Als sie sah, daß meine Heiterkeit mich ein wenig entwaffnet hatte, ging sie zum Sturm über.

»Herr Graf«, sagte sie, »wenn Ihr ein bißchen Herz hättet, würdet Ihr mich hier schlafen lassen, auf Eurem Sessel hier vorm Feuer.«

»Na gut«, sagte ich, »mach, wie du willst.«

Sie ging den Riegel vorlegen, und das letzte, was ich sah, als sie meine Kerze ausblies, war ihr lachendes Gesicht. Mich blies der Schlaf aus wie sie meine Kerze, und erst bei hellichtem Tag erwachte ich mit einem unerhörten Glücksgefühl: Ich war in Orbieu, in meinem Eigentum Orbieu, und Louison lag nackt in meinen Armen, ihre festen, süßen Brüste an meiner Brust.